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Sitziingsbericlite
der
köiiigl bayer. Almdemie der Wissensclmften
zu München.
Jahrgang 1870. Band I.
München.
Akademische Buchdruckerei von F. Straub.
1870.
In Conimission bei G. Fr.-inz.
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!?70
üebersicht des Inhaltes.
Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
Mathematisch-physikal. Classe. Sitzung vom 8. Januar 1870.
Seite
V, Steinheil: v. Steinheil's vollständiger Comparator zur Ver-
gleichung der Toise mit dem Meter und zur
Bestimmung der absoluten Längeuausdehnung
der Stäbe (mit einer Tafel) 1
Vogel: lieber die Veränderung einiger Blumen- und Blütben-
farben durch Ammoniakgas 14
Pfa ff: lieber den Betrag der Verdunstung einer Eiche während
der ganzen Vegetationsperiode 27
V. Kobell: Ueber den Rabdionit, eine neue Mineralspecies
und über einen lithionhaltigen sog. Asbolan . . 46
PhilosopliiscJi-philol. Classe. Sitzung vom 8. Januar 1870.
Plath: Ueber die Quellen der alten chinesischen Geschichte,
mit Analyse des Sse-ki und I-sse 53
IV
Seite
*Mauror: lieber die Heensa-Poris saga 112
*IIofmauu: Ueber Fei'ofus, des normannischen Dichters, Guil-
laum le Clerc 112
Historische Classe. Sitzung vom 8. Januar 1S70.
*v. DöUinger: Ueber Dante als Propheten 112
Mathematisch-physikal. Classe. Sitzung vom 5. Februar 1870.
V. Bezold: Untersuchungen über die elektrische Entladung. 113
Goppelsröder: Ueber eine schnell ausführbare und genaue
Methode der Bestimmung der Salpetersäure
sowie über deren Menge in den Trinkwassern
Basel's 129
Gümbel: Ueber den Kiesvulkau und über vulkanische Er-
scheinungen im ßieskessel 153
FhilosopMsch-philol. Classe. Sitzung vom 5. Fehruar 1870.
Plath: Ueber die Quellen der alten chinesischen Geschichte,
mit Analyse des Sse-ki und I-sse (Schluss) .... 201
Lauth: Ueber Chufu's Bau und Buch. (Papyrus Prisse. II. Theil) 245
*Christ: Ueber die rhythmischen Formen der griechischen
Hymnen des Mittelalters 274
Seite
Historische Classe. Sitzung vom 5. Februar 1870.
*Bai'on V. Lilie nkruu: UcbiT das Werk des Kaisers Maxi-
milian I. der „Weiss-Kunig" . . . 274
*KIuckhohii: lieber zwei Gesandtschaften Kurfürst Friod-
rich's von der Pfalz nach Paris (1567 u. 1574) 274
Einsendungen von Druckschriften 275
MatJiematlsch-pJujsilial. Classe. Sitzung vom 5. März 1870.
Thudiehum: Ueber die Kryptophansäure, die normale freie
Säure des Harns 285
Nöllner: Ueber den Lüneburgit in Harburg 291
V. Kohell: Ueber den Gümbelit, ein neues Mineral von Nord-
halben bei Stehen in Oberfranken 294
Seidel: Einige Bemerkungen in Bezug auf die Beobachtung
der im Jahr 1874 bevorstehenden Durchgänge der
Venus durch die Sonne 297
Bischoff: Ueber die kurzen Muskeln des Daumens und der
grossen Zehe (mit einer Tafel) 303
Fhilosophiscji-philol. Classe. Sitzung vom 5. März 1870.
Halm: Ueber aufgefundene Fragmente aus der Freisinger
Handschrift der fabulae des Hyginus 317
VI
Seite
Haug: Ueber das Arddi Viruf nämeli (die Visionen des alten
Pärsenpriesters Ardäi Wiräf) und seinen augebliclien
Zusammenhang mit dem christlichen Apocryphon 'die
Himmelfahrt des Jesaja' betitelt 327
*Hofmann: Ueber a) ein von ihm aus einer Handschrift des
hiesigen Reichsarchivs abgeschriebenes
althochdeutsches Bruchstück des Xotker
Teutonicus de octo tonis, aus dem sich
wesentliche Verbesserungen des Ab-
drucks bei Hattemer ergeben . . . 865
b) eine Abschrift des Spruchgedichts von
Hans Schneider über den im Jahre 1478
hingerichteten Bürgermeister Ulrich
Schwarz von Augsburg aus dem Cod.
germanicus 379 der hiesigen Staats-
bibliothek 365
Historische Classe. Sitzung vom 5. Mars 1870.
*Coruelius: Ueber den Plan Heinrichs IV. gegen das Haus
Habsburg, insbesondere über die Ergebnisse der
diplomatischen Verhandlungen, welche Heinrich
zum Zweck seines Augriffs auf Spanien geführt
hat 1609—1610 365
Oeffentliche Sitzung zur Feier des 111. Stiftimgstages am
28. März 1870.
Nekrologe 306
*Preger: Ueber die Entfaltung der Idee des Menschen durch
die Weltofeschichte 434
vn
Seite
Einsendungen von Druckschriften 435
PhilosopJiisch-phüol. Classe. Sitzung vom 7. Mai 1870.
Thomas: Bruun, geographische Bemerkungen zu Schiltberger's
Reisen (Fortsetzung) 441
Urlichs: Studien zur römischen Topographie. T. Die Brücken
des alten Roms (mit einer Tafel) 459
Hof mann: a) Hans Schneiders historisches Gedicht auf die
Hinrichtung des Augsburger Bürgermeisters
Schwarz 500
b) Ueber das Züricher Arzneibuch des XH. Jahr-
hunderts 511
c) Beiträge zur Texteskritik der Nibelungen . . 527
d) Ueber ein Notkerfragment 529
*v. Haneberg: Das muslimische Recht des G'ihäd, d. i. des
Krieges und der Eroberung etc 531
Matliematisch-pliysikal. Classe. Sitzung vom 7. Mai 1810.
Lommel: Das Leuchten der Wasserhämmer 532
Bollinger: Ueber das Wurmaneurysma (Aneurysma verminosum)
der Eingeweidearterien und die Kolik der Pferde 539
Rief 1er: Ueber das Passage-Prisma (mit einer Tafel) . . . 545
*Bischoff: Zur vergleichenden Anatomie des Hylobates leu-
ciscus 548
VIII
Seite
Historische Classc. Sitzung vom 7. Mai 1870.
V. Giesebrecht: Beitrage zur Genealogie des bayrischen
Adels im 11., 12. und 13. Jahrhunderte . 549
Einsendungen von Druckschriften
Sitzungsbericlite
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Mathematisch-physikalische Classe.
Sitzung vom 8. Januar 1870.
Herr v. Steinheil legt vor eine Abhandlung:
„V. Steinheil's vollständiger Comparator
zurVergleichung der Toise mit dem
Meter und zur Bestimmung der abso-
luten Längenausdehnung der Stäbe."
(Mit einer Tafel.J
General v. Baeyer hat die sehr folgereiche Thatsache fest-
gestellt, dass sich der Ausdehnuugs-Coeffizient für Zink in längern
Zeitperioden ändert. Es ist kaum zu bezweifeln, dass auch
andere Metalle, namentUch solche, deren absolute Elastizität
enge Grenzen hat, ähnliche, wenn auch kleinere Veränder-
hchkeit bei genauer Prüfung zeigen werden. Dadurch tritt
aber für alle genauen Massbestimmungen eine neue noch
nicht gekannte und gar nicht unerhebliche Unsicherheit ein
und es wird die nächste Aufgabe bilden diesem üebelstande
zu begegnen.
[1870. I. 1.] l
2 Sitzung der math.-phys. Classe vom S. Januar 1870.
Während man bisher den Stoff zu Längenmassen fast
willkührhch wählte, nur etwa geleitet durch chemische oder
physikalische Eigenschaften, welche eine längere Invariabilität
erwarten Hessen (Piatina, — Silber, — Eisen, — Messing etc.)
wird man jetzt erst den Stoff zu finden haben, der keine
oder die kleinste Aendeiung in der Ausdehnung nachweiset.
Es steht zu erwarten, dass nur vollständig elastische
Körper Masse liefern werden deren Ausdehnungs-Coeffizient
invariabel ist. Denn werden Stäbe durch ^angehängte Gewichte
über ihre Elastizität ausgedehnt, so kehren sie, nach Ent-
fernung der Last nicht nur nicht zur ursprünglichen Länge
zurück, sondern sie fordern nun auch eine kleine Belastung,
um abermals über ihre Elastizitätsgrenze ausgedehnt zu
werden, d. h. ihre Elastizitäts-Grenze hat geändert. Ist
es nun gleichgiltig ob die Verlängerung des Stabes durch
angehängte Gewichte oder aber durch höhere Temperatur
bewirkt wurde, was anzunehmen ist, da ein durch Wärme
ausgedehnter Stab zwischen Widerlagen von constantem Ab-
stände dieselbe Kraft übt, welche uöthig gewesen wäre als
Last ihn eben so viel zu verlähgern, als er ohne Widerlagen
länger geworden wäre, so erklärt sich die Veränderlichkeit
der weichen Metalle und folglich ihre Unbrauchbarkeit zu
genaueren Massstäben. Es wird durch diese Betrachtungen
in hohen Grade wahrscheinlich, dass alle Stoffe, welche sehr
enge Grenzen der absoluten Elastizität besitzen als Blei,
Gold, Platin, Zink, Zinn etc. mit der Zeit bloss durch den
jährlichen Gang der Temperatur dem sie ausgesetzt sind,
veränderliche Ausdehnung bekommen, dagegen sehr voll-
kommen elastische Körper d. h. solche deren Elastizitäts-
grenzen sehr weit sind, als Glas und Glasflüsse, Porzellan,
federharter Stahl, gehämmertes Kupfer, Krystalle etc. bei den
vorkommenden Temperatur differenzen ihre Grenze nicht über-
schreiten und folglich constant bleiben. Doch ist die Fr ge
von viel zu grossem Belang, um auf diese Betrachtungen hin
V. SteinheiVs Comparator. 3
den Stoff für Xormalmassstäbe jetzt schon festzustellen.
Vielmehr ist es unerlässlich diesem Gegenstande eine eigene
gründliche Untersuchung zuzuwenden. Dass man aber zu
dieser Untersuchung vor Allem ein Mittel haben muss die
Ausdehnung für kleine Temperaturunterschiede scharf und
sicher zu bestimmen, ist klar. Es wird daher auch gerecht-
fertigt erscheinen darauf hinzuarbeiten, dass die Anwendung
des Fühlspiegels, der bei meinem Meter-Comparator so merk-
würdig grosse Genauigkeit ergeben hat. auch hiezu einge-
führt werde. Es ist diess um so mehr indizirt, als sich
dieser Zweck mit kleineu Aenderungen in der Coastruction
des Meter-Comparators erreichen lässt.
MündHch aufgefordert von General von Baeijer einen
solchen Comparator für ihn zu construiren. der für absolute
Längenausdehnungen und zugleich zur Bestimmung des Ver-
hältnisses von Meter und Toise anwendbar wäre und endlich
auch die Vergleichung der Masse a trait mit denen a bout
erlaubte, habe ich im Zusammenwirken mit dem Herrn
General im verflossenen Herbste ein solches Instrument con-
strüirt und für Herrn von Baeyer in Arbeit gegeben. Auch
für die matb.-phys. Sammlung des Staates war schon früher
ein ähnh'cher Comparator in Ausführung begriffen. Es dürfte
daher zeitgemäss sein dessen Be-chreibung zu veröffentlichen,
damit die Aufgabe von verschiedenen Beobachtern mit gleich
empfindHchen Hülfsmitteln verfolgt werden kann.
Ehe wir zur Beschreibung übergehen, erlauben wir uns
noch einige einleitende Betrachtungen.
Die sicherste Masseinheit wäre wohl diejenige, welche
allen Teraperaturänderungen entzogen wäre. Das kann man
bewirken, wenn man die Benutzung der genauen Masseinheit
auf eine bestimmte Localität beschränken will, nämlich da-
durch, dass man sie in einem hinreichend tiefen und trockenen
Keller, der stets dieselbe Temperatur behält, aufbewahrt. Da
diess jedoch mit grossen Unbequemlichkeiten verknüpft ist,
1*
4 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 8. Januar 1870.
kann man auch bloss die Fundameutpunkte der Masseinheit —
also ihre beiden Endpunkte — in einem Räume fixiren, der zu
allen Jahreszeiten gleiche Temperatur behält. Dann bleibt auch
der Abstand dieser Punkte immer gleich. Man muss also
die Punkte nur hinreichend tief legen. Wenn die senkrechten
Axen in diesen Punkten bis über die Oberfläche der Erde
verlängert wären, würde man durch sie einen bei allen Tem-
peraturen constauten Abstand gewinnen und das ist die Be-
dingung, um die absolute Läugenausdehnungen überhaupt zu
bestimmen, indem man den Masstab bei verschiedenen Tem-
peraturen vergleicht mit dem constauten Axen-Abstande. Die
2 fundamentirten Punkte müssen also getrennt von dem um-
gebenden Erdreich ganz symmetrisch gegen die Verticalaxe
und beide genau gleich heraufgeführt werden aus der con-
stauten Temperatur bis über die Oberfläche des Erdbodens
wo die Vergleichungen vorgenommen werden sollen. Es ist
nöthig diese beiden Pfeiler möglichst stark im Verhältniss
zu ihrer Höhe zu bauen um Durchbiegungen zu vermindern.
Da man um so unabhängiger wird von kleinen Aenderungeu,
die sie denn doch noch zeigen können, wird man ihren Ab-
stand möglichst gross machen. Gesetzt man wählte einen
Abstand von 10 Toisen zwischen den Axen der Pfeiler; so wäre
man bei der Bestimmung der Ausdehnung des Massstabes, mit
welchem der Abstand bei verschiedenen Temperaturen gemessen
würde, 10 mal sicherer bei gleicher Aenderung in den End-
punkten als wenn man sich auf eine Toise beschränkte. Bei so
grossem Abstände könnte auch die Entfernung der Endpunkte
sehr leicht und sicher gemessen werden, wenn man sich
meines cylinderschen Messrades bediente. Ein Schienenweg
von 10 Toisen könnte bei geringen Kosten mit aller Genauig-
keit hergestellt werden. Die Vergleichung zwischen dem
Rade und der benannten Masseinheit (etwa Toise oder Meter)
würde sich sehr leichtergeben, wenn der Abstand (10 Toisen)
auch nach der bisherigen Methode wie eine kleine Basis
von StdriheiVs Coviparator. 5
gemessen würde. Ein solcher constanter Abstand von 2
sorgfältig fundamentirten Punkten bildet offenbar eine sicherere
Masseinheit als jeder Massstab. Er könnte überhaupt nur
alterirt werden durch Erdbeben. Man hätte also in der
Wahl des Ortes darauf Rücksicht zu nehmen und in ver-
schiedenen von Erdbeben freien Gegenden solche Massein-
heiten zu fundamentiren. Alle zu jeder Zeit leicht mit dem
Messrad nachmessbar, liesen jede Veränderlichkeit in ein-
zelnen Basen und jede Aenderung im Messrade erkennen und
gäben somit für alle Zeiten der Masseinheit grössere Sicher-
heit, als wir jetzt zu erlangen vermögen.
Dieser Gedankengang Hegt dem neuen Comparator zu
Grunde nur mit dem Unterschiede, dass der Abstand der 2
fundamentirten Punkte nur ca. 2 Meter beträgt, also eine
direkte Vergleichung des Messrades oder Cylindermassstabes
mit Toise und Meter ausgeschlossen ist.
Beschreibung des Comparators.
Die heraufgebauten fundamentirten Punkte gehen nach
oben in eingekittete Glascylinder über, welche in das für
Masse bestimmte Gefäss von Spiegelgläsern durch die weiter
ausgeschnittene Bodenplatte eingeführt sind. Damit die Masse
unter Flüssigkeit verglichen werden können, ist eine Liederung
von Kautschuck um die Cylinder gesteckt und auf dem vor-
springenden Kranze derselben steht das Gefäss auf und be-
wirkt durch seine Schwere den Abschluss der Flüssigkeit,
ohne dass die Ausdehnung des Glasgefässes einen Zwang
auf die Glascylinder der Pfeiler ausübt.^)
1) Es ist klar, dass man einen noch sicherern wasserdichten
Schluss zwischen Pfeilerzapfen und Bodenplatte erzielen würde, wenn
2 Parallelgläser auf den Pfeilerzapfen conisch aufgeschlifi"en würden.
Diese Parallelgläser lägen auf der Tischplatte von Gusseisen und es
wäre eine Schichte von Oel zwischen der Eisenplatte und den Parallel-
gläsern. Es könnte daher die Tischplatte verschoben werden, ohne
einen namentlichen Druck auf die Cylinder zu üben. Auf die 2
6 Sitmng der math.-phys. Classe vom 8. Januar 1870.
Noch sind die Glascylinder senkrecht herab und von
derselben Seite hei' zur Hälfte abgeschnitten und diese senk-
rechten parallelen Flächen an den Glas-Cylindern bilden den
Constanten Abstand mit dem die Masse vergUchen werden,
deren Ausdehnung bestimmt werden soll. Die Berührungs-
flächen sind nach derselben Seite gerichtet damit der Druck
des angefederten Spiegels beide Pfeiler nahe um gleich-
viel biege. ^) üeberhaupt werden sich die Pfeiler durch-
diesen Druck nur sehr wenig biegen und darum wird die
Durchbiegung auch so hinreichend eliminirt.
Da nun Masstäbe zu vergleichen sind, deren Endflächen
sphärisch sind, die Spiegel des Cowparatoi-s aber nur an
sphärischen Flächen richtig tangiren und den Tangirungs-
punkt durch die Newtonschen Farbenringe zeigen, so sind
kleine Ab s ch ieb e -Cy linder mit je 2 sphärischen End-
flächen aus Glas angefertigt die an beiden Endflächen iu
der Axe des Masstabes liegen und also mit in die Ver-
gleichung gezogen werden. Es sind 6 solcher sehr nahe
gleicher Abschiebe-Cylinder erforderlich. Ihre Länge beträgt je
22.735 Pariser Linien
so dass 38 solcher Cylinderlängen gleich einer Toise und 39
gleich 2 Meter sind. Das was noch fehlt, soll ohne An-
Parallelgläser kömmt dann ebenso mit Oelschichte der Glastrog zu
stehen, der ebenfalls obne Zwang auf die Cylinder kleine Verschieb-
ungen erleiden könnte. Dass das Oel stets flüssig erhalten werde
oder erneuert werden müsste, versteht sich von selbst.
2) Der Druck ist für beide Pfeiler wohl ganz gleich, allein die vor-
springende Widerlage des Cylinders ist niedriger auf der Seite des
beweglichen Spiegels als auf der des feststehenden. Der Druck wirkt
folglich für den feststehenden Spiegel an längerem Hebel und es
wird dieser Pfeiler mehr gebogen als der andere. Wollte man die
Durchbiegung der Pfeiler ganz aufheben, so wären Gegengewichte
erforderlich, welche auf der entgegengesetzten Seite des Pfeiler wirkten
und die Kraft , aufheben mit der die Masse angedrückt werden.
von Steinheils Comparator. 7
Wendung des i?e;j5oZfZ'schen Scliraubenmikrometeis blos aus der
Neigung der tangiienden Parallelgläser gefunden werden.
Brächte man die Pitralklgläser in Verbindung mit eineui
Schraubenschuber der den Spieg« 1 bis zur Taugirung an den
übereinander stthen den Massenden füJirt, so würde man den
Vortheil, welcher in dem Prinzip hegt aufgeben und eine grosse
Unsicheiheitindie Messungen bringen, weil die Drehungspunkte
der Spiegel dann genau genommen (in Spitzen gehend) variabel
sind und auch die Kraft unbekannt bliebe mit der die Schraube
den Spiegel andrückt. Man ist also genöthigt, aus der Neigung
der Spiegel und dem Abstände der Bt rührungspunkte die
Längendiflferenz abzuleiten. Da nun aber grössere Längen-
differenzen vorkonmien als der Apparat zu messen g^^stattet, wenn
die Massstäbe direkt aufeinander liegen, so sind Rollcylinder von
verschiedenen Durclimessern angefertigt , die zwischen die
Masse zu liegen kommen und also den Abstand der Berühr-
ungspunkte je nach Bedarf grösser oder kleiner machen.
Man hat zwar bei grösserem Abstände eine kleinere Empfind-
lichkeit des Okularmikrometers ; allein der aliquote Theil
des Mikrometerganges, der als Fehler der Einstellung bleibt,
ist so klein, dass die Empfindlichkeit oder die Genauigkeit
der Messung in allen Fällen genügt.^)
Die Abschiebecyliuder dienen zugl-jich um eine Toise
mit 2 Metern vergleichen zu können. Bei solchen Vergleich-
ungen von Massen untereinander ist der variable Abstand
der Pfeiler-Glascylinder unnöthig. Man hat also in solchen
Fällen nur die Cylinder der Fixpunkte herauszunehmen.
Je 2 Abschiebe-Cylinder sind senkrecht übereinander
getragen von einem horizontal ausgebohrten Ständer. Ihre
Höhe kann verstellt werden, so dass sie genau in die Ver-
längerung der Axen der Masse zu stehen koajmen.
3) Man wird übrigens selten gezwungen sein von diesem Prinzip
Gebrauch zu machen, da der Apparat ohne dickere Rollcylinder doch
Längendifferenzen von '/s Linie und selbst mehr zu messen gestattet,
8 Sitzung der math.-phys. Classe vom 8. Januar 1870.
Im Uebrigen ist der Comparator gleich mit dem in den
Wiener Denkschriften Bd. XXVII ,,Ueber genaue und in-
variable Copien etc." beschriebenen nur mit dem Unterschiede,
dass das Glasgefäss wegen Messens der ganzen Toise mehr
als doppelt so lang ist und weit grössere Tiefe hat, weil
für beträchtlichere Längendifferenzen dickt-re Rollcylinder in
Anwendung kommen und doch die Massstäbe ganz unter
Flüssigkeit bleiben müssen. Aus diesem Grunde sind auch
die Parallelgläser weit höher und dicker als bei dem Meter-
Comparator, wie aus der Zeichnung zu sehen. Endlich ist
noch eine Aenderung an dem Mikrometer-Fernrohr zu be-
rüliren. Zur Vermeidung aller falschen Reflexbilder von
welchen der erste Comparator nicht frei ist, wurde das
Beleuchtungsglas hier vor die Fäden des Okularmikrometers
gestellt und dann erst das Okular angebracht, während beim
ersten Apparat das Beleuchtung^glas vor dem Okular sitzt.
Man erhält jetzt das ganze Gesichtsfeld gleichmässig erleuchtet
und kann verschiedene Vergrösserungen in Anwendung bringen,
ohne an der Berichtigung des Apparates zu ändern.
Um den Werth der Abschiebe-Cylinder mit dem Com-
parator ermitteln zu können ist ein Doppel-Meter von Glas
beigegeben, welcher seiner Länge nach auf der Mitte der
breiten Seite eine Rinne oder Leitbahu eingeschliffen hat.
Der Cyhnder liegt wie bei dem BesseVschen Comparator
durch Friktion in den Kanten der Rinne. Die Rinne geht
natürlich nicht bis zur Mitte der Stabesdicke, sondern es
sind die Endflächen aus dem Centrum des Stabes mit 1 Meter
Radius sphärisch bearbeitet. Man beginnt die Abschiebung
an dem feststehenden senkrechten Parallelglase. Nach 39
Cylinderlängen wird der bewegliche Spiegel zum Anliegen an
Stab und Cylinder gebracht. Es ist ein Gewicht vorhanden,
welches auf den Cylinder in der letzten Lage aufgelegt wird,
damit er bei'm Anlegen des Spiegels nicht zurückgleitet.
Die Abschiebung erfolgt unter Flüssigkeit und es ist der in
von SteinheiVs Comparator. 9
Abschiebung begriffene Cylinder mit einer angekitteten leicht
ablösbaren Handhabe versehen, um nicht durcli die Berührung
erwärmt zu werden.
Die Vergleichung eines Masses a bout mit demselben
Masse a trait fordert nur ein möglichst gutes Mikroskop mit
Ukularfilarmikrometer, der Massstab a trait und das Mikroskop
sind durch die Längenwand des Troges der aus Spiegel-
platten zusammengesetzt ist, orientirt. Die Methode der
Vergleichung ist übrigens zu bekannt um hier wiederholt
zu werden.
Zum Schluss wollen wir jetzt noch den ganzen Apparat
mit Zuziehung der Zeichnung zusammenstellen um die Ueber-
fcicLt zu erleichtern.
Aus den fundamentirten Pfeilern ragen die fagetirten
Tragsäulen A, A' etwa 3 Fuss über den Fussboden hervor.
In den Axen der Säulen sind die Glascylinder 5, H' ein-
gekittet. Die Tragsäulen müssen eine symmetrische Gestalt
gegen ihre Längenaxe haben, damit eine Temperatur-Aenderung
des obern Theiles der Säule keine Verstellung ihrer Axe bewirkt.
Der Abstand der Längenaxeu beträgt 2 Meter -1- 1 Ab-
schiebecylinder oder 909.335 Pariser Linien. Da dieses
Mass bei der Ausführung nicht genau getroffen werden kann
und doch nur wenig fehlen darf um mit der Neigung des
Spiegels noch messbar zu sein, so ist die Einrichtung getroffen,
dass der Abstand der Berührungsplatten der Glascylinder an
dem einen Cylinder mit Schrauben verstellbar ist.
Ueber die beiden Pfeiler kömmt ein aus 4 Holzwänden ge-
bildeter Rahmen a, h, c, d. der durch eine aufgelegte Platte von
Gusseisen e, e, e, e zum Tisch umgestaltet wird. Natürlicli
sind in der Platte 2 Löcher für die Glascylinder etwas
weiter als die Cylinder ausgearbeitet, so dass letztere frei
durchgehn. Der innere Raum dieses Tisches oder Kastens
ist mit schlechten Wärmeleitern (Sägespähne oder Baum-
wolle etc.) ausgefüllt.
10 Sitzung der math.-phys. Gasse vom 8. Januar 1870.
Auf die gusseisene nivellirte Platte kommt, nachdem
die Kautsehukplatten über die Glascylinder gesteckt und ihre
Scheiben g g' auf dem Tische ausgebreitet sind, der Glas-
kasten f, f, f, f, zu stehen. Auch dessen Boden hat 2 Löcher,
durch welche die Glascylinder frei hindurch gehu. Der
Glaskasten sitzt also nur auf den 2 Kautschuk-Scheiben gg' auf
und bewirkt so den wasserdichten Schluss durch seine Schwere.
An dem einen Ende des Tisches vor dem Glaskasten
steht der Fernrohrträger g„ der so hoch ist, dass das
Objektiv über den Glastrog hinwegsehen kann. In den Glas-
trog kommt am Ende des Troges das feststehende Parallel-
glas h festgekittet^) auf den Glascylinder JB'. Gegenüber am
Fernrohr-Ende des Troges steht der Schuberschlitten ?',
welcher den verstellbaren Spiegel Ic trägt. Endlich ist auf
den Boden des Glasgefässes eine ebenfalls aus Glasplatten
gebildete Brücke oder ein Schemel l gesetzt, der den Mass-
stäben als Unterlage dient. Damit der Massstab sich frei
und unabhängig vom Schemel ausdehnen kann, sind 4 Roll-
cylinder von Glas quer über die Brücke gelegt. Die Cylinder
m, m, m, m, liegen also senkrecht zur Längenaxe des Mass-
stabes. Es sei der Massstab eine Toise n. Nun kommen
die Träger oder Ständer mit den Abschiebecyhndern zwischen
die Spiegel und die Enden der Toise. Sie sind durch ihren
Fuss am Glaskasten orientirt und werden nur in der Höhe
so gestellt, dass sie auf die Mitte der Stabdicke treffen. Die
Toise wird dann seitlich nach den Cylindern gerichtet so,
dass dieselbe Vertikalebeue durch die Axe der Toise führt.
4) Wenn die Planfläche am Glascylinder JB' nicht ganz genau
und im hohen Grade plan geschliffen ist, so sitzt der nur am Rande
umgekittete Spiegel nicht fest. In diesem Falle, der wohl immer
eintreten wird, ist es nöthig das Planglas erwärmt auf Pechtropfen
aufzusetzen, so wie Fraunhofer seine Objektivlinsen zum Poliren auf-
setzte. Das Glas ist dann in so vielen Punkten unterstützt, dass keine
Durchbiegung stattfindet und die Pechtropfen gleichen die Gestalt-
fehler der Unterlage aus.
von Steinheü's Comparator. 11
Wie wir den Apparat bis jetzt zusammengestellt haben,
dient er, nachdem der Stab unter Flüssigkeit gesetzt ist etc.,
um die absolute Ausdehnung der aufgelegten Toise zu be-
stimmen. Soll aber die Toise mit 2 Metern verglichen
werden, so kommen auf die Toise wieder Rollcyliuder o, o, o, o,
und auf diese die 2 Meter ^j uud^j'. Man hat jetzt nur den
untersten Abschiebecylinder, der bei B gegen den Berührungs-
punkt des Pfeilers drückt herauszunehmen und den Spiegel Je
in der Höhe so zu verstellen, dass seine Drehungsaxe in der
Mitte zwischen der Axe der Toise und der Meter liegt.
Es ist von selbst einleuchtend wie Toisen unter ein-
ander verglichen werden. Sollen einzelne Meter verglichen
werden, so ist eine kürzere Brücke erforderlich und es
wird der Spiegelschuber um 1 Meter näher gegen den
feststehenden Spiegel gerückt und in dieser Lage fest-
gekittet, wenn man nicht vorzieht blos die 2 zu vergleichenden
Meter zu wechseln, die andern 2 Meter aber im Apparate
zu belassen.
Wir wollen noch darauf aufmerksam machen, dass es
nöthig ist den beweglichen Spiegel dem Objectiv des Fern-
rohrs möglichst nahe zu bringen, weil bei grossöm Abstände
zwischen Spiegel und Objectiv die Neigung des Spiegels nur
klein sein darf, wenn das gespiegelte Licht in das Objectiv
treffen soll. Nimmt man an, der bewegliche Spiegel sei am
untern Ende des Apparates aufgestellt, so ist sein Abstand
vom Objectiv nahe 1043 Linien. Der Durchmesser des
Objectives beträgt 12'". Es erscheint daher das Objectiv, vom
Spiegel aus betrachtet, unter einem \Yinkel von 34' 26".
Dreht nun der Spiegel uin V^^ dieses Winkels d., i. um
8' 36" so erhält das Objectiv nur noch die Hälfte des
reflectirten Lichtes. Noch lichtschwächer darf das reflectirte
Bild nicht werden, wenn die Schärfe der Einstellung nicht
darunter leiden soll. Man könnte also keine grössern Längen-
differenzen bestimm-n, als die einem Neigungswinkel von SVs
12 Sitzung der math.-phys. Qasse vom 8. Januar 1870.
Minuten entsprechende. Nimmt man jetzt an, der Abstand
der Längenaxen der zu vergleichenden Masse wäre möglichst
gross also etwa 24 Linien, so betrüge die grösste messbare
Längendiffereuz nur
0'".06
also viel zu wenig um die Längenausdehnungen von 6 Fuss
langen Stäben messen zu können. Es wird hiedurch klar,
dass der bewegliche Spiegel dem Objectiv nahe stehen muss.
Bei seiner jetzigen Stellung können Längendifferenzen bis zu
0'".7
ohne Lichtverlust gemessen werden, was bei allen Vergleich-
ungen ausreicht.
Obschon demnach der hier beschriebene Apparat in
praxi für alle Fälle genügen wird, habe ich doch nach-
gedacht ob sich nicht andere Construktionen finden lassen,
welche nach demselben Prinzip viel grössere Längendifferenzen
messbar machten und will dieselben, da ich sie bis zu allen
Detailzeichnungen ausgearbeitet habe, hier kurz andeuten
um Anderen, die neue Apparate wollen, eine Wahl zu lassen.
Es wird dem aufmerksamen Leser dieser Blätter nicht
entgehn, dass die Längenausdehnungsmessungen gegen die
Massvergleichungen in einem Punkte zurückstehn nämlich
darin, dass die Ausdehnungsniessungen nicht auch auf beiden
Seiten des Nullpunktes angestellt werden können. Diess
kömmt daher, dass die Massstäbe nicht auch unter den
Fixpunkten der Pfeiler aufgelegt werden können. Man kann
jedoch den Ausdehnungsmessungen die Vergleichung auf
beiden Seiten des Nullpunktes verschaffen, wenn man die
Ebene, in welcher gemessen wird um 90*^ verlegt und
also in der Hoiizontalebene statt in einer Vertikalebene misst.
Diess setzt voraus, dass der bewegliche Spiegel statt um eine
Horizontalaxe zu drehen, um seine Vertikal axe dreht.
Die mit den Pfeilerlagern zu vergleichenden Massstäbe können
nun auf ihren Höhenkanten aufgestellt, auf beiden Seiten der
wn SteinheiVs Comparator. 13
Lagerpfeiler verglichen, somit der Nullpunkt eliminirt und
und der doppelte Werth in der Bestimmung erhalten werden.
Verlangt man zugleich auch noch viel grössere Längen-
differenzen zu messen als der Okularmikrometer gestattet,
so kann eine genau getheilte Scala vor dem Objectiv in
horizontaler Lage angebracht werden, wie bei dein GaMSs''sch£n
Magnetometer. Das Okularmikrometer dient dann die Ab-
stände der nächsten Scalastriche vom Mittelfaden genau zu
messen und so der Scala-Ablesung die Mikrometergenauig-
keit zu geben.
Hierdurch wäre jedoch das Prinzip aufgegeben auf
das Spiegeigebild des Mittelfadens einzustellen und mit un-
endlich entfernten Objecten ohne Okularverstellung zu messen.
Man gewänne dagegen ein sehr helles Scalabild und • sehr
grosse Neigungswinkel. Indessen lässt sich auch das Princip
der Einstellung auf das Spiegelbild des Mittelfadens für
beliebig grosse Neigungswinkel des Planspiegels erhalten.
Dazu müsste die Vertikalaxe des Tangirungs-Spiegels zur
Axe eines getheilten Horizoutalkreises gemacht werden. Auf
die Alhidade dieses Kreises käme ein dritter belegter Parallel-
spiegel, welcher das vom Tangirungsspiegel erhaltene Licht
diesem wieder zurückspiegelt. Man hätte also nur die Alhidade
mit dem festsitzenden Spiegel zu drehen, bis das Spiegel-
bild des Mittelfadens mit diesem im Gesichtsfelde coiucidirte.
Hiebei entfiele der Okularmikrometer und man würde diiekt
den doppelten Drehungswinkel des Tangirungsspiegels ablesen,
unabhängig vom Nullpunkte, wenn zwischen 2 Einstellungen
die Massstäbe umgelegt würden.
Man wird vielleicht finden, diese Vorschläge complizirten
den Apparat. Das gebe ich zu; allein es ist hier, wie bei
allen numerischen Bestimmungen, je grösser die Anzahl der
Anforderungen an das Instrument ist, desto complizirter wird
sein Bau. Der Umstand ist folglich in der Natur der An-
forderung begründet.
14 Sitzung der math.-phys. Classe vom -8. Januar 1870.
Herr Vogel trägt vor :
,,Ueber die Veränderung einiger Blunien-
9 undBlüthenfarben durch Animoniakgas."
Die überaus grosse Mannigfaltigkeit der Farben, wie
wir sie an den frischen Blütlien und Blumenblättern in der
Natur antreffen, i^t offenbar in der Verschiedenheit ihrer
chenjischen Constitution begründet. Die Vorgänge im Inneren
der Pflanze, aus welchen diese zahllosen Faibennuancen ent-
springen, sind wahrscheinlich äusserst complizirter Art
und da wir im Stande sind, aus den Ueberresten einer längst
entschwundenen Flora die prachtvollsten und mannigfaltigsten
Farbentöne, wie solche uns die Modifikationen des Änilin's
in so glänzender Weise darbieten, künstlich allerdings auf
langen Umwegen herzustellen, so darf der Gedanke an ähn-
liche aber vitale Vorgänge in der vegetabilen Natur nahe-
liegen. Die geringe Stabilität der Farben, in welchen die
Blumen und Blüthen unserer Fluren auftreten, ist der Haupt-
giund, wesshalb ihre Natur im Allgomeinen noch so wenig
erforscht worden. Die seltene Mannigfaltigkeit der Farben,
wie sie der Schleisheimer Hofgarten in seinen Tausenden
von Blumen und Blüthen während dieses Sommers darbot,
gab mir Gelegenheit, eine Versuchsreihe über das Verhalten
der Pflanzenfarben im frischen Zustande zu Ammoniakgas zu
veranlassen. Es ist bekannt, dass einzelne Blumen, wie
z. B. Rosen, Phlox u. a. schon durch Tabakrauch ihre ur-
sprüngliche Farbe verändern ; offenbar rührt in diesem Falle
die Veränderung der Farbe ausschliesslich von dem Gehalte
des Tabakrauches an Ammoniak her. Andere Pflanzen-
farben erfahren dagegen von der Einwirkung des Tabak-
rauches durchaus keine Aenderung. Hiernach schien es von
Vogel: Farbenveränderung von Blumen etc. 15
Interesse, die EinwJrkung des Ammoniakgases auf eine grössere
Menge von Pflanzen auszudehnen und dessen Einfluss auf
ihre Farben kennen zu lernen.
Die Ausführung des Versuches geschah in der Art, dass
unter einer geräumigen Glasglocke eine gleichförmige Ent-
wicklung von Ammoniakgas aus einem Gemenge von Salmiak
und Kalkhydrat hergestellt wurde. Die Blumen, sämmtlich
im frischen Zustande, befanden sich in gleicher Höhe über
der Ammoniakgasentwicklung. Die Beobachtung erstreckte
sich über drei Zeitabschnitte, nach welchen die eingetretenen
Farbenveränderungen jedesmal notirt wurden, nämlich nach
Einwirkung einer Viertelstunde, von 2 Stunden und von
12 Stunden. Eine länger als 12 Stunden andauernde Ein-
wirkung stattfinden zu lassen , schien desshalb ungeeignet,
als nach Verlauf dieser Zeit viele der zum Versuche dienen-
den Pflanzen sich keineswegs mehr im frischen Zustande
befanden. Es sind in solcher Weise l)is jetct 86 Species
und Varietäten untersucht worden.
In der beigegebenen Tabelle finden sich die beobachteten
Veränderungen nach den angegebenen drei Zeiträumen zur
leichteren Uebersicht nebeneinander zusammengestellt.
Als allgemeines Resultat ergibt sich zunächst ein Unter-
schied der Amiiioniakgas Wirkung zwischen den an Körnchen
gebundenen und den in Lösung befindlichen Farbstofi'en der
Blumen. Die Veränderung der ersteren ist durchschnittlich
weit geringer, als die der letzteren. So bleiben z. B. die
gelben Farbstoffe der ersteren Klasse fast ohne Ausnahme
ganz unverändert oder zeigen höchstens einen etwas dunkleren
Ton der Färbung, ebenso der rothe Farbstoff, welcher nur
mit einer einzigen Ausnahme (Zinnia) in's Braunrothe über-
ging. Die Gattung Zinnia, welche hier in 8 Varietäteo
Gegenstand der Untersuchung geworden, bietet überhaupt
wegen der complizirten Natur ihrer Farbstoffe eigenthümliche
Verhältnisse in ihrer Beziehung zu Ammoniakgas. Die
16 Sitzung der math.-phys. Classe vom 8. Jmiuar 1870.
oberste Zellenlage enthält nämlich einen blaurothen Saft
und orangefarbene Körnchen, die unteren Zellenlagen einen
farblosen Saft und wenige hellgelbe Körnchen. Diese Unter-
schiede machen sich auch an den angegebenen Farben-
veränderungen bemerkbar. Die Oberseite färbt sich nämlich
bei allen sehr schnell, die Unterseite langsam und nur gelb
oder gelblich grün.
Wollen wir noch einige Specialitäten, wie sie sich aus
der Zusammenstellung der Farbenveränderungen ergeben,
etwas näher ins Auge fassen, so stellen sich noch folgende
Resultate heraus.
Unter den 86 verschiedenen in angegebener Weise unter-
suchten Pflanzensorten befinden sich 12, welche gar keine
Veränderung durch Ammouiakgas zeigen. Daboi sind 7 gelbe
und 5 dunkelviolette und rothe Farbstoffe. 7 Farbstoffe
zeigten sich nach zwölfstündiger Einwirkung des Ammoniak-
gases zersetzt, so dass nicht nur der Farbstoff' zersetzt, sondern
auch die Struktur der Pflanze selbst verändert und erweicht
erschien.
Ganz dunkles Violett zeigte in allen Fällen durchaus
keine Veränderung.
Der blaue Farbstoff der ersten Klasse wird theils nicht
verändert, theils schmutzig grün und dann gebleicht.
Zum Unterschiede von den an Körnchen gebundenen
Farbstoffen ergibt sich die Wirkung des Ammoniakgases
auf die gelösten Farbstoffen weit energischer; hier wird
Blau immer Grün, das schönste Grün zeigt Lilla und
hellviolett.
Die Veränderungen, welche das Ammoniakgas an den
Farbstoffen der Blumen hervorbringt, ist in den meisten
Fällen sehr nahe übereinstimmend mit den Veränderungen,
welche dieselben allmälig beim Vorgange des Welkens durch-
laufen. Eigenthümlich ist die Stabilität des gelben Farb-
stoffes bei Lotus corniculatus ; dieser gelbe Farbstoff' wird
Namen der Pflanzen.
\
Natürliclie
Pflanzenfamilie.
Ursprüngliche
Farbe.
44.
Iberis violacea.
Cruciferae.
Violett.
45.
Lavatera trimestris.
Malvaceae.
Rosa.
46.
Linum perenne.
0
Lineae.
Hellblau.
47.
Lotus comiculattcs.
Leguminosae.
Gelb.
48.
Malva sylvestris.
Malvaceae.
Rosa.
49.
Maricaria.
Compositae.
K einweiss.
50.
Melampyrumsylo.
Scrophularineae.
Gelb.
51.
Nicotiana virginiana.
Solaneae.
Hellroth.
52.
Nigella datnascena.
Hellblau.
53.
Oenothera.
Onagraviae.
Schwefelgelb.
54.
Ocalis ietraphylla.
Oxalideae.
Rosa.
55.
Papaver BJioeas.
Papaveraeeae.
(Jinnoberroth.
56.
Petunia hybrida.
Solanae.
Violett.
57.
Phlox.
Hell-Lilla.
58.
Phlomis.
Lahiatae.
Lilla.
59.
Physalis ÄlkeJce7iJci.
Solanae.
Mennigroth.
60.
Pisum sativum.
Leguminosae.
Violett.
61.
Prunella.
Lahiatae.
Dunkelviolett.
62.
Eaphanus.
Cruciferae.
Weiss.
63.
var. a.
M
Helllilla Spitzen.
Veränderung
der Farbstoffe frischer Blumen und Blütheu durch Ammoniak?as
Tab
-1. Tische Z,
, , „, m e n s t e 1 1 0
g.
Saun d<T Pauu.
Pfluseii- Familie,
l r'prÖBgliclie
Fute.
VcrtadeniDp der
Färb« uch
16 SliDoten.
Verändenn^ der
Farbe Dach 3
Standen.
Verinderung d(r
Farbe nicii 11
Stunden.
I. Äjuga TtpUaa
Laibiatae.
Bbia.
BUo.
Grün, Missfarbigi
i. Allhea roua.
Malvactae.
Rosa.
Scimutiig grüne Spillen. ScbmuU, grüue Spillen
3. „ tar. a.
DimkelrioleB.
Ganz unTerändcrt.
i. „ rar. b.
Hellriolctt.
Grüne Flecken.
Grüne Flecken.
Grüne Flecken,
5, AUium Schoenopros.
Liliaaae.
Ilellroüi.
Sdimutzig hellrotb.
Grüne Spuren.
Grüne Sporen.
6. Antirrhinum.
ScTophulahnrar.
Ooiildrotii.
Schwane Flecken.
Schwarze Flecken.
Schönes Blau mit
7, Anthanis tinct.
CompositM.
Scbwefelgelb.
Ganz nnreränderLI
eigenthüml, Anllug.
8. „ rar.
Weiss.
Weiis.
Gelblich. Schwefelgelb.
9. ämUt chinmit.
RothiioleJt,
RothTiolett
Rothriolctt. Grüne Spitzen.
10. ,. rar. a.
:
lUllblaa,
HeUbUn.
IKllblan. Abgestandene Spitzen.
11. „ ror. l.
DoDkelblao.
Gninc Spitzen.
Gelblich. Blaugrünu Spitzen.
12. „ Mr. e.
..
DanlielnoleU.
Gituz unrerändert.
13. „ navM Angliat.
Lebbaftrath.
Ganz uDTcräodcrt
H. „ «ne/ta.
BlaUTJolott.
Ilellgruue
Flecken.
HellgrUno Flecken.
15. Borago offieinat.
Borayineae.
Ilcllblao.
HellbLu,
Hollblau,
Schmutzig gebleicht.
IC. „ rar.
„
Abgestanden.
17. Coffndufa,
Cmpoiilae.
Reingclb.
Guus onreründorl.
18 Calcmlaria nju.
Smptiularinmr.
Hellgelb.
Hellgelb.
Hellgelb. | Dunkolgclb,
19, C'am;j<inii/a gro«.
CampanuUtftae.
filauTioUtt.
Qrün.
Oebloicht.
20. „ bilidiclig.
Vi„loll,
QebleichL
Ilellrialcu.
üriino !•
ecken.
32. Carduut.
Compohttu.
Violeltrotb.
Mtl Aoitnabiii
* griiiiur Spitzen gunz unrorandert.
23. CcM/raiiMu.
Valerianear.
Danki'lrath.
Donkilrolli.
Sriimutzig grün. | Schmalzig grUn.
'.'4, Cm/aurra jaz-rti.
Compcsitae.
Roth.
Mit ,\ii>naliui
grUdor Spitzen ganz unvoräojeru
2'». ,. fyanta.
Violott.
Ganz onrcründort.
■!(,. C,r)iorimn htgimi.
Reinblau.
OrUn.
UrUn.
Gclblicht; AuUieroa
27. ContvIiWiu.
Ccnnlnitaene.
Violelt.
Violelt,
UullgrUn.
grUn,
Hellgrün.
2f*. CVrfopiu bintor.
Compotitae
(iobUclb.
Goldgelli.
Goldgelb.
Uunkelgelb.
1*9, (*onaii(/niM »ofir.
rmUUiTTar.
Weio.
OiilblicbKrOn« SpiU.n.
Golblichgrüno
Scbnutziggolb.
mi C«.™,.«,, ran.1.
l^!n.mi.a^
llluniolelL
tllauTiolelL
S|iitzeo.
lllauTiulcIt. 1 Schwofelgelb.
31, Cflm naom.
CompMilar
Ilolbrioirtt.
tllaue Fi
•dien, 1 Hellblau.
SJ, /ImalAu C-arttMwt
i^ahcpifllae
Roth. •
Ganz unrerändert.
33, /M^i.i» ^orwM
RammKulcnar.
ReiDdunkelblalt.
»diiiic
Izig dunkelgrüne Hecken.
..
RUatioletl
ürüne Fl
Kkeri. 1 Miaaaifcig.
3i, J)tYUW>|JUIlB..
Lötiota,
IMIlUla.
HillCrtB^ 1
Hellgrün. | Gelb, abgaalandai.
36, »Tfu» P<n<<i
CrW^
Sdiöar-Ib.
Ganz nnveraaden.
s; Fmtkna ronn»
Itollie KaliUiBuer.
Uorerin
Jen 1 BUo. Fleckan.
^^, rnüh«.
//«mnUi/nu'
Ilellnob«.
(Ha
Qrün. Orüa.
S9, O^Ham i»vl
OA,
OJb.
Gelb. 1 Sehmiilzif brano.
10 IMfPmn-m
Rma
Kiaa.
Ron. j OTüa.
II I/r«ru f<V..
Wn«.
«■>■
W«*-. 1 ZarMlzL
I» «,
Itotb.
iJilmtStia^
»r».
1
baakcUita«.
QrtMSftoaa. 1
Gr«M Sfalus.
ttahigrun.
Naiürhclie
Ursprüngliche
Veränderung der
Farbe nach 15
Veränderung der
Farbe nach 2
Veranderang der
Farbe nach 12
men der PSsDien.
Pflanz enfaiDilie.
Farbe.
Minuten.
Stunden.
Stunden.
heris violacea.
Crudferae.
Violett.
Qriin.
Unverändert.
Mvatera trimestris.
Malvaceae.
Rosa.
Einzelstehende hellblaue Flecken.
Anum perenne.
Litieae.
Hellblau.
Gebleicht.
otus comiculatm.
Leguminosae.
Gelb.
Ganz unverändert.
\talva sylvestris.
Malvaceae.
Rosa.
Schmutzig grüne Spitzen.
laricaria.
Compositae.
H einweiss.
GelblichgrüD schmutzig.
felampyrumsylo.
Scrophularineae.
Gelb.
Ganz unverändert.
Ticotiana virginiana.
Solaneae.
Hellroth.
Schmutzig grün.
Trichter gelb. Trichter gelb.
Hgdla damascetia.
Hellblau.
Grüne Flecken.
Grün. Gebleichte Spitzen,
enotkera.
Onagraviae.
Schwefelgelb.
Ganz unverändert.
caUs tetraphylla.
Oxalideae.
Ropa.
Blaue Flecken. 1 Grünlich blau.
^apaver Ehoeas.
Papaveraeea,.
Cinnoberroth.
Cinnoberroth.
1 Cinnoberroth. \ .Missfarbig gebleicht.
"^etunia hybrida.
Solanae.
Violett.
Smaragd grün.
1 Smaragdgrün,
^Uox.
Hell-Lilla.
Hellgrün.
^hlomis.
Labia tae.
Lflla.
Lilla.
Ulla. 1 Gebleicht.
Viysalis Alkekenki.
Solanae.
Mennigroth.
Mennigroth.
Mennigroth. \ Braun zerzetzt.
^is^itm sativum.
Leguminosae.
Violett.
Grüner Rand.
°rmdla.
Labiatae.
Dmikelviole«.
Grün. 1 Dunkelbraun.
'.aphanus.
Criiciferae.
Weiss.
Adern
giün, Petalae gelblich grün.
— ,H— «HÜ-fl—
Helllilla Spitzen.
Ulla.
Spitzen grün.
„ var. h.
Grün.
alvia Cardinalis.
Lahiatac.
Blutroth behaart.
BKiue Flecken.
alvia ofßcinal.
Labiatae.
Dunkelviolettblau.
Dunkelviolettblau. | Grüner Anflug.
""cabiosa.
Dipsacear
Dunkel violettbraun.
Antheren grau, Pelalae unverändert.
""ilena Armeria.
CariophyUae.
Rosa.
Blaue Flecken.
Schmutzig giün.
Symphitum offtcin.
Schmutzig violett.
Scbmutzigviolett.
Grün
Grün.
Tctragonobultts.
Leguminosae.
lüutroth.
Blutroth.
[llutroth.
Braun.
Tldaspi arverinus.
Cniciferae.
Weiss.
GelbUch grün.
"rifoliwn pratetis.
Leguminosae.
Hoth.
Roth.
Rf'lll. 1 Braun.
rropacolum maj.
Oiangeubraun.
Orangenbrauii-
Braune H,ck,n.
Viola maxima.
Violaccae.
Gelb.
Ganz unverändert.
var. a.
HeUblau.
llellblau.
Grün. 1 Urün.
var. h.
(Ob. Petal. duokeltiol.
lUnt. „ hellvioletl.
Ganz unverändert.
/üb. Petalae hellblau.
Grün.
lünt. „ gelb.
QrUn.
Ganz unverändert.
var. d.
Dunkelblauriolett.
Ganz unverändert.
Zinnia elegatis.
Compositae.
Ziegelroth.
Ziegolroth.
Ziegelroth.
Grünbch brmn, 1
var. a.
Menuigroth.
Mennigroth.
Mennigroth.
Scbonbniuu. 1
var. b.
Scharlach.
Dunkelblau.
Dunkelblau.
Cafebraun. 1
» var e.
Cinnoberrotli.
Schwarae Spitzn
Schwarze Spitzen,
S,.mn.l«cbwar2. 1
., rar. d.
Lillahellroth.
Grün.
Grün.
Antheren gelb, H
vor. e.
Ulla.
Grünspahu, ^|
var. f.
Carminlill«.
Blaugrüno
Spitzen. Unteiaeito gelbgrün, ^
" "'* '■
"
Fleischfarben.
Schümtzig, j
Grünlich.
Grünlich, ^M
Vogel: Farhenveränderung von Blumen efc. 25
beim Trocknen hellgrün , während er einer zwölfstündigen
Einwirkung von Ammoniakgas zu widerstehen vermag. Auch
bei dem Vorgange des Welken s zeigt sich ein wesentlicher
Unterschied zwischen den gelösten und den an Körnchen
gebundenen Farbstoffen.
Derselbe fügt hieran Folgendes ;
Nach dieser kurzen Mittheilung erlaube ich mir im
Einvernehmen mit dem Herrn Classensekretär noch einen
Gegenstand zur Sprache zu bringen, der nach unserem
Dafürhalten ganz besonders auf die Tagesordnung unserer
heutigen Sitzuug — der eisten in diesem Jahre — gehört.
Mit dem Beginne des Jahres 1870 sind nämlich 30
Jahre verflossen, seitdem unser geehrter Herr Vorstand seine
berühmten Forschungen veröffentlichte, welche der heutigen
Agrikulturchemie das Dasein gegeben. Von verschiedenen
Seiten und Organen ist schon zu Ende des vorigen Jahres
der 30. Geburtstag der Agrikulturchemie glückwünschend
erwähnt worden. Wir sind gewiss, dass eine huldigende
Anregung auch von dieser Stelle ganz im Sinne der geehrten
Klasse sein werde.
In dem verhältnissmässig kurzen Zeitraum von 30 lahren
haben jene genialen Forschungen überall auf der ganzen
Erde einen bedeutungsvollen Umschwung auf die Anschau-
ungen der Landwirthschaft und ihre Vorgänge ausgeübt.
Durch sie hat eine Reihe landwirthschaftlicher Operationen
— bis dahin nirgends mit Bewusstsein ausgeführt — eine
wissenschafthche und damit zum erstenmale eine sichere
Basis gwonnen. So sind denn jene Forschungen, ganz ab-
gesehen von ihrer praktischen Tragweite, im reinsten, wahrsten
Sinne des Wortes acht akademische Forschungen. Ist doch
der Wahrspruch unserer Akademie : ,,Rerum cognoscere
causas." Die innige Verbindung aber zwischen Chemie und
Landwirthschaft, wie sie nun vor 30 Jahren zuerst mit
2a
26 Sitzung der mafJi.-phys. Classe vom 8. Januar 1870.
durchgreifendem Erfolge angebahnt worden, hat uns die
geheimen Vorgänge der Natur in den Gesetzen des Feld-
baues, des Wachsthums und der Fruchtbarkeit erschlossen.
Ein jeder Rückblick am Jahresschlüsse ergibt immer
neue, entscheidende Bestätigungen der Mineraltheorie in
ihren Grundsätzen; so sind wir denn der festen Zuversicht,
es entschwindet nicht noch einmal ein Zeitraum von 30
Jahren — und die jugendliche Pflanze, dem Vereine von
Chemie und Landwirthschaft entsprossen, wie sie schon
heute vollkommen lebenskräftig ausgebildet vor unseren
Augen dasteht, — sie wird zu einem tiefwurzelnden Baum
erstarkt sein, welcher seine weitverzweigten Aeste segensreich
ausbreitet über alle Fluren des Erdkreises.
Ich schliesse mit dem Wunsche, möge es dem Schöpfer
der neuen Lehre ein gütiges Geschick vergönnen, dass er
sich der Früchte seiner Arbeit noch lange Jahre in voller
Geistes- und Körperfrische erfreue. —
Die Classe beschiiesst aus diesem Anlasse einstimmig,
den Herrn Präsidenten Baron v. Liebig durch eine Depu-
tation beglückwünschen zu lassen und werden dafür ernannt
der Classensekretär und die Herrn v. Siebold und Vogel.
I^aff: Verdunstungsbetrag einer Eiche etc. 27
Herr v. Pettenkofer referirt über eine Abhandlung
des Herrn Fr. Pf äff in Erlangen:
„UeberdenBe-trag der Verdunstung einer
Eiche während der ganzen Veg e tatio ns-
periode."
So wunderbar einfach sich auch im Grossen der Kreis-
lauf des ^Yassers vom Meere durch die Atmosphäre auf das
Land und vom Lande durch die Flüsse zurück ins Meer ge-
staltet, ebenso merkwürdig mannigfach zeigt er sich, wenn
wir namentlich den letzteren Theil desselben etwas näher
ins Auge fassen, nur etwas von der Oberfläche in die Tiefe
gehen. Die Frage wie verhält sich das atmosphärische
Wassur und der Boden zu einander schliesst eine so grosse
Menge anderer Fragen in sich, die erst zum kleinsten Theile
genau beantwortet werden können, dass jeder Beitrag zur
Lösung einer derselben wohl als keine vergebliche oder über-
flüssige Arbeit sich herausstellen dürfte.
In einer früheren Mittheilung habe ich Versuche mit-
getheilt, welche die Absicht hatten einigen Aufschluss über
die Frage zu geben, in welcher Weise und Menge dringen
die atmosphärischen Niederschläge in den Boden ein. und
zwar waren die Versuche in der Art angestellt, dass sie eine
bestimmte Bodenart (Sandboden) ohne alle Vegetation in's
Auge fassten. In der Xatur. wenigstens in den gemässigten
Zonen, dürfte es aber kaum irgendwo eine grössere Strecke
geben, die nicht mit Pflanzen, niedrigen C'ulturpflanzen oder
Bäumen besetzt wäre, welche beide mit ihren Wurzeln bald
mehr, bald weniger tief in den Boden eindringen und dem-
selben Wasser entziehen, das sie theils zum Aufbaue ihres
Körpers verwenden, theils in Dampfform an die Atmosphäre
abgeben. Der Ernährungs- und Respirationsprocess der im
2a*
28 Sitzung der math.-phys. Classe vom 8. Januar 1870.
Boden wurzelnden und in der Atmosphäre vegetirenden
Pflanzen muss offenbar von dem grössten Einflüsse auf das
Verhalten des Feuchtigkeitsgehaltes des Bodens sein, wie ja
allbekannte Erfahrungen (ich erinnere nur an die Abholzung
der Berge) die Wirkung der Vegetation auf die atmosphä-
rischen Niederschläge und Quellenbildung zur Genüge dar-
thun. Das eben angeführte Beispiel wird Jedem, der mit
dem Gegenstande etwas vertraut ist, sofort auch wieder in's
Gedächtniss zurückrufen, wie grosse Unsicherheit und Un-
einigkeit unter den Fachmännern über diesen Punkt herrscht
und wie wenig sichere Anhaltspunkte wir haben, um nur zunächst
die mancherlei meteorologischen, physikalischen und botanischen
Zwischenfragen, die hier in Betracht kommen, zu beantworten.
Ohne sich irgendwie vermessen zu wollen, auch nur eine
derselben entscheiden zu wollen, glaubt der Verfasser doch
auf dem Wege des Versuclies einiges zur Lösung derselben
beitragen zu können. Die Aufgabe, die er sich stellte und
in der weiter unten näher beschriebenen Weise experimentell
zu lösen suchte, war die: Wie gross ist die Menge
des Wassers, die von ei nem uns er er Laubbäume
imLaufe einer ganzen Vegetationsperiode durch
Verdunstung in die Atmosphäre gelangt?
Es ist eine grosse Reihe älterer und neuerer Versuche
über die Verdunstung durch die Blätter in der Literatur
verzeichnet, die ja in pflanzenphysiologischer Beziehung auch
ein so hohes Interesse darbietet, namentlich hatUnger*) da-
rüber eine Reihe sehr genauer Versuche an verschiedenen
Pflanzen angestellt. Doch haben dieselben alle andere Zwecke
verfolgt, sind meist mit kleineren Gewächsen vorgenommen
worden und immer nur eine kurze Zeit hindurch. Annäherungs-
weise hat der letztgenannte Botaniker die Verdunstungs-
menge eines Buchenwaldes zu bestimmen gesucht. Ich komme
1) Sitzungsber. der kais. Akad. d. Wissensch. z. Wien, Bd. 44,2.
Pfaffx Verdunstungsbetrag einer Eiche etc. 29
später darauf noch einmal zurück. So weit mir mit der
freundlichen Unterstützung meines Kollegen Kraus die Lite-
ratur bekannt geworden ist, habe ich in derselben keine
Versuche gefunden , die eine längere Zeit hindurch fort-
gesetzt wurden und insoferne glaube ich, dass auch für den
Botaniker die von mir angestellten, eine ganze Vegetations-
periode eines Baumes umfassenden Untersuchungen nicht
ohne Wichtigkeit sein dürften, wie die daraus sich ergeben-
Schlüsse wohl allgemeines Interesse in Anspruch nehmen
können.
Zu denselben diente eine in meinem Garten 20 Fuss
von meinem Hause auf der Südseite desselben stehende
kräftige junge Eiche. Die Versuche selbst wurden in fol-
gender Weise angestellt: Es wurde von einem Zweige die
Spitze oder ein kleines Seitenästchen desselben mit sämmt-
lichen Blättern abgeschnitten, sofort unter dem Baume in
ein kleines, cylindrisches Glasgefäss gebracht, das mit einem
Korke verschlossen und sogleich gewogen wurde. Dann
wurden die Blätter frei an einem Drahte an der Nordseite
des Hauses aufgehängt, genau nach 3 Minuten wieder in
das Glasgefäss gebracht und wieder gewogen. Die Gewichts-
differenz wurde als Betrag der Verdunstung in 3 Minuten
angenommen. Der Flächeninhalt der Blätter wurde dann
auf folgende Weise bestimmt, die wenn auch etwas mühsam,
jedenfalls sehr genaue Resultate ergibt.') Es wurde jedes
Blatt auf gutes Postpapier gelegt und sein Umriss genau
auf demselben nachgezeichnet. Jeder halbe Bogen des
Papieres wurde dann für sich gewogen, nachdem sein Flächen-
2) Bei der starken Lappung der Eichenblätter dürfte diese Art
auch jedenfalls viel sicherer sein als die von Unger angewandte mittelst
einer in Quadrate eingetheilten auf das Blatt gelegten Glastafel
durch Zählung der auf das Blatt fallenden Quadrate den Flächeninhalt
zu bestimmen. Im Texte von Unger a. a. 0. steht 195 Quadrat-
decimeter, was jedenfalls Centimeter heissen soll.
30 Sitzung der math.-phys. Classe vom 8. Januar 1870.
Inhalt durch Messung vorher bestimmt war. Sämmtliche
auf einem Halbbogen gezeichneten Blätter wurden dann aus-
geschnitten, gewogen und so aus ihrem Gewichte ihr Flächen-
inhalt berechnet. Nachdem dieser gefunden war, wurde
berechnet, wie viel die Verdunstung auf einen Quadratmilli-
meter des Blattes in 15 Stunden betragen würde, wenn die
Verdunstung die 15 Stunden hindurch sich gleich stark er-
halten würde, wie zur Zeit des Versuches. Um aber diese
V^oraussetzung zulässig zu machen, mussten natürlich täglich
zu verschiedenen Tagesstunden in gleicher Weise die Beob-
achtungen gemacht und aus diesen dann das Mittel für jeden
einzelnen Tag gezogen werden, selbstverständlich konnte eben,
um dieses zu erhalten nur die angegebene Weise der Berech-
nung, resp. die Reduzirung der Verdunstung auf Quadrat-
millimeter angewendet werden. Ich habe nur 15 Stunden
in Rechnung gezogen, weil sich meine Versuche regelmässig
nur auf die 15 Stunden von 6 Uhr Morgens bis 9 Uhr
Abends erstreckten und zwar wurden sie mit wenigen Aus-
nahmen, wenn es mir anderweitige Geschäfte nicht unmög-
lich machten, um 6 Uhr und 11 Uhr Vormittags, um 4 und
9 Uhr Nachmittags angestellt. Von Anfang September an wurde
die erste und letzte Beobachtung auf 7 Uhr Voruiittagsund 7 Uhr
Abends verlegt, vom 1. Oktober au die letztereauf 6 Uhr Abends.
Unregelmässig und viel seltener habe ich übrigens auch
zu den verschiedensten Nachtstunden in den verschiedenen
Monaten einzelne Beobachtungen angestellt, aus denen ohne
Ausnahme hervorging, dass auch des Nachts die Blätter
fortwährend ausdünsten, was schon aus physikalischen Grün-
den zu erwarten war und dass die Differenz zwischen der
Verdunstungsmenge des Tages und der Nacht eine geringere
sei, als dieselbe aus einem freistehenden (iefäss mit Wasser,
was wohl ebenfalls im Voraus sich vermutLen Hess. Sie
betrug nach einigen Versuchsreihen, die ich in anderer
Weise anstellte Vs — Va der Verdunstung bei Tage in gleichen
Pfaff: Verdunstung sbetrag einer Eiche etc. 31
Zeiten. Da ich jedoch keine ausgedehnten Versuchsreihen
über die Verdunstung bei Nacht in der Weise, wie ich sie
bei Tage anstellte, vornehmen konnte, und da es mir ohne-
dies darauf aukam, mehr Minimalw erthe derGesammt-
Verdunstung zu erhalten, habe ich die bei Nacht eintretende
im Folgenden ganz auser Berechnung gelassen. Aus dem
letzteren Grunde habe ich auch die Blätter stets an der
Nordseite meines Hauses und im Schatten aufgehängt (nur
in den längsten Tagen wurden dieselben Morgens um 6 Uhr
etwas von der Sonne getroffen), obwohl wie mich vergleichende
Versuche lehrten, und auch ünger gefunden hat, der Unter-
schied ein sehr beträchtlicher ist, wenn man gleichzeitig
Blätter in die Sonne und in den Schatten hängt. Im Juli
z. B. verhielt sich die Verdunstung einer Blätterparthie die
im Schatten hing, zur gleichzeitigen einer anderen von dem-
selben Zweige in der Sonne wie 3 : 10. Noch auf einen
anderen Umstand will ich aufmerksam macheu, welcher zeigt
dass in der angegebenen Art die Versuche anzustellen, Werthe
erhalten werden, welche eher unter dem Mittel Ideiben, als
dasselbe übersteigen. Untersucht man nämlich die Art der
Verdunstung eines vom Baume getrennten Zweiges ihrem
Betrage nach genauer, so überzeugt man sich sehr leicht, dass
dieselbe für gleiche Zeiträume stets geringer wird, d. h. in
den ersten 2 Minuten verliert ein Blatt mehr, als in der
3. und 4., in dieser mehr, als in der 5. und 6. u. s. f. Aus
diesem Grunde habe ich auch nur 3 Minuten die Ver-
dunstung in meinen Versuchen währen lassen. Man kann
sich davon auf der Waage und noch einfacher auf folgende
Weise überzeugen, die ich auch anwandte, um die stetige
Verdunstung bei Nacht zu erkennen. Füllt man eine enge
Glasröhre, an deren einem Ende ein Gummiröhrchen be-
festigt ist, mit Wasser und steckt rasch einen mit Blättern
versehenen Zweig in das Gummiröhrchen, so rückt das Ende
der Wassersäule in dem Glasröhrchen immer weiter dem
32 Sitzung der math.-phys. Classe vom 8. Januar 1870.
Zweigende zu, offenbar in Folge der Verdunstung durch die
Blätter (wenn auch die Endosmose mitwirkt, so ist doch
der Betrag der Wasseraufnahme viel mehr vou der Ver-
dunstung abhängig, der einfache Versuch, die Blätter vor-
und nachher zu wiegen, zeigt dieses sofort). Obwohl hier
die Verhältnisse für eine gleichmässige Verdunstung viel
günstiger sind, als wenn die Blätter in der Luft aufgehängt
werden, so geht sie doch auch hier in einem immer lang-
samer werdenden Tempo vor sich. Es geht daraus also
entschieden hervor, dass ein Blatt am Baume in 3 Minuten
etwas mehr Wasser abgeben muss, als wenn es vom Baume
genommen ist. Anderseits dürfte aber auch von Niemanden
bestritten werden — wenigstens kann ich mich hier auf
den Ausspruch competenter Beurtheiler physiologischer Vor-
gänge in der Pflanze berufen — dass wenn auch der Quan-
tität nach eine kleine Aenderung der Verdunstungsverhältnisse
in den ersten 3 Minuten eines Zweiges eintritt, wenn er
vom Baume srenommen ist, doch eine wesentliche Aenderung
der Funktion der Blätter in so kurzer Zeit nicht angenommen
Werden könne, mit anderen Worten, dass man berechtigt
sei, aus der Abnahme des Gewichtes eines Blattes, das vom
Baume genommen ist, die dasselbe unmittelbar nach der
Trennung vom Baume erleidet, zu schliesseu, dass es eine
Abnahme wenigstens in gleichem Betrage auf dem
Baum erlitten haben würde. Dass diese Abnahme des
Gewichtes durch die Verdunstung bedingt sei, das bedarf
wohl keiner weitereu Begründung.
Ein Einwand könnte gegen das obige Verfahren erhoben
werden, den ich mir auch selbst gemacht habe, vou dessen
Unbegründetheit oder richtiger nicht in Betracht zu ziehen-
dem Einflüsse ich mich aber bald überzeugte. Man könnte
nämlich einwenden, dass der Gewichtsverlust, den das Blatt,
nachdem es 3 Minuten in der Luft gehangen, nach der
zweiten Wiegung zeige, nicht der sei, den es in diesen
Ff äff: Veräunstungsbetrag einer Eiche etc. 33
3 -Minuten erlitten, sondern der, den es in diesen und während
der Zeit der ersten Wiegung erfahren habe, wenn letzterer
Betrag auch ein sehr geringer sein möge. In der Thatmuss'
auch während des ersten Wiegens ein wenig Wasserdampf
in dem Glase sich ansammeln, dessen Menge nothwendig voll-
ständig mit zu dem Gewichtsverluste des Blattes in den 3
folgenden Minuten gezogen würde, wenn nach dem ersten
Wiegen derselbe aus dem Glase sich gänzlich entfernen
würde. Beide störenden Momente müssen sich, wenn auch
nur in geringem Grade zeigen. Direkte Versuche, ihren Ein-
rluss zu bestimmen, zeigen übrigens, dass sie ganz ausser
Acht zu lassen sind, namentlich weil noch ein Umstand
hinzukommt, der ihre Störung so gut wie völlig aufhebt.
Nennen wir nämlich das Gewicht des Glases g, das
der Blätter wenn sie vom Baum genommen sind h, den
Betrag des Wasserdampfes, der sich während der ersten
Wiegung im Glase entwickelt (?, so gibt uns diese das
Gesammtgewicht P = g -[- h -\- d. Nun wird erstens ein
Rest von d in dem nach dem Herausnehmen der Blätter
wieder geschlossenen Glase bleiben, wir wollen ihn — nennen,
X
zweitens aber auch während der zweiten Wiegung ebenfalls
wieder etwas Wasserdampf im Glase sich entwickeln, nennen
wir diese d' und den Verlust der Verdunstung während der
3 Minuten an der Luft l, so gibt uns die 2. Wiegung das
Gesammtgewicht P' = g -\- h -\ \- d' — l und daraus
00
finden wir P — P' = Z + f? — (^' + -) also um die
Differenz d — {d' + -) erhalten wir den Gewichtsverlust zu
gross, den wir aus der Subtraction der beiden Wiegungen
P — P' finden. Ich habe directe Bestimmungen der frag-
lichen Grösse vorgenommen und zu diesem Behufe die Blätter
[1870. 1. 1.] 3
34 Sitzung der maihrphys. (lasse vom 8. Januar 1870.
selbst 6 Minuten in dem Glase gelassen. Das Glas war
vorher gewogen, es wurde, nachdem die Blätter rasch heraus-
^ genommen waren und das Glas wieder geschlossen war,
wieder gewogen. Es zeigt sich, dass die Differenz noch nicht
einmal V« Milligramme betrug.^) Selbst ein höherer Betrag
würde an der Annahme, dass die Gewichtsdifferenz zwischen
erster und zweiter Wiegung in der That dem Verluste,, den
die Blätter in 3 Minuten durch Verdunstung an der Luft
erleiden, nichts ändern, um so weniger, wenn man bedenkt,
dass aus den oben angegebenen Gründen die Verdunstung
der Blätter am Baume einen etwas höheren Betrag ergeben
muss, als wenn sie vom Baume losgelöst verdunsten. Ich
habe bereits erwähnt, dass die von mir erhaltener. Werthe
wohl als Minimalwerthe bezeichnet werden dürfen ; aus dem
Grunde, solche zu ei-halten, habe ich alle Blätter von der
Nordseite des Baumes genommen und bei den Berechnungen
der Gesammtzahl aller Blätter am Baume und ihres Gesammt-
flächeninhaltes ebenfalls nur die Nordseite des Baumes zu
Grunde gelegt
Diese beiden Zahlen zu tinden, verfuhr ich auf folgende
Weise: Zunächst bestimmte ich das Volumen der Blätter-
krone des Baumes, was insoforne leichter war, als der Baum
freistehend eine sehr regelmässige Krone entwickelt hatte.
Durch senkrecht gestellte Stäbe wurde zuerst der Umfang
derselben auf dem Boden bestimmt und aus 13 Radien der
Flächeninhalt dieser ziemlich regelmässigen fast JJreisförmigen
Ellipse. Au« dieser die 298,3 Q.-F. betrug und der Höhe
der Krone = 20 Fuss, wurde nach der Formel für ein
Ellipsoid das Volumen berechnet und zu 3953 Kubikfuss
gefunden. Um nun auch die Zahl der Blätter zu bestimmen,
wurden alle Blätter einer grösseren Anzahl von Kubikfussen
3) Sie kann selbst negativ werden, da ja das spez. Gewicht des
Wasserdampfes geringer ist, als das der atmosphärischen Luft.
Pf äff: Verdunstungsbetrag einer Eiche etc. 35
von sehr schwach bis zu sehr stark belaubten Stellen gezählt.
Zu diesem Behufe Hess ich 2 würfelähuliche Hohlräume
herstellen , aber nur von Stäbchen, welche gleichsam die
Kanten eines Würfels darstellten. Der kleinere hatte ^/4 Fuss
im Lichten, der grössere 3 Fuss. Nun wurde zunächst das
kleinere Hohlmaas an 4 der blattärmsten Stellen des Baumes
nahe am Stamme aufgehängt, dann an 4 von mittlerer Be-
laubung und an eben so vielen von reicher, an der äussern
Seite des Baumes, und sämmtliche in dem Hohlräume sich
befindenden Blätter gezählt und aus diesen das Mittel für
die 3 Arten gewonnen. Für die Berechnung wurde nun in
folgender Weise verfahren. Das Ellipsoid der Blätterkroue
hatte 9^2 und 10 Fuss Durchmesser und 20 Fuss Höhe.
Ich nahm nun an, dass der innerste Tiieil dieses Ellipsoides
von 4 und 5 Fuss Durchmesser und 9 Fuss Höhe ganz
blattleer sei, was übrigens nicht der Fall war, dass dann
über diesem sich ein Ellipsoid von 7 — 8 Fuss Durchmesser
und 17 Fuss Hohe (vom Mittelpunkt aus gerechnet, also
mit Abzug des ebengenannten blattleeren eine Schale von
3 Fuss Dicke in horizontaler und 8 Fuss Dicke in senk-
rechter Richtung) von mittlerer Belaubung, und dass die
dann noch übrig bleibende Hülle von 2, 2^2 und 3 Fuss in
den 3 Dimensionen von reicher Belaubung sei. Unter dieser
Voraussetzung ergab sich als die Gesammtzahl aller Blätter
721,592. Zur Kontrole dieser Berechnung wurde nun das
grössere Hohlmass von 27 Kubikfuss Inhalt ebenfalls an der
Nordseite des Baumes mit seiner innern Seite 3 Fuss vom
Stamm entfernt aufgehängt und zwar so, dass alle Zweige
in unveränderter Lage blieben, was dadurch leicht zu er-
reichen war, dass die oberen horizontalen Leisten abnehm-
bar gemacht waren und erst, als die Zweige in dem Hohl-
räume sich befanden, aufgesetzt wurden. Es wurden nun
alle in dem Hohlraum sich befindenden Zweige und Blätter
abgeschnitten und letztere gezählt. Diese Zählung, die
8*
36 Sitzung der math.-phys. Classe vom 8. Januar 1870.
etwas unter dem Mittel bleiben musste, weil der Hohlraum
kaum in die blätterreiche Zone hineinreichte, zu Grunde gelegt,
ergab 620464 Blätter, so dass man in runder Zahl 700,000
Blätter als die richtige wird annehmen dürfen, und das um
so mehr, als ich die Zählung nach den heftigen Stürmen
vom September vornahm, welche dem auf dem Berge frei-
stehenden Baume manches Blatt entführt hatten.
Die Beobachtungen, die ich nun tabellarisch mittheile,'
umfassen den Zeitraum vom 18. Mai, an welchem Tage die
Blätter vollkommen entwickelt waren, bis zum 24. Oktober
also 160 Tage. Nach diesem Tage war zwar noch ein
grosser Theil der Blätter grün, doch sehr viele schon gelb.
Die Verdunstung dauerte jedenfalls noch fort bis in die
Mitte November^), ebenso hat sie auch wenigstens 14 Tage
vor dem 18. Mai schon begonnen. Auch aus diesem Grunde
sind die von mir berechneten Werthe für die gesammte
Vegetationsperiode Minimalwerthe.
Ich habe in der Tabelle nicht alle Einzelbeobachtungen
angegeben, sondern nur die aus denselben berechneten Mittel-
werthe für jeden einzelneu Tag. Die Columne Ä enthält
den Gesammtflächeninhalt der sämmtlichen an diesem Tage
untersuchten Blätter, B den Mittelwerth der Verduubtung
für diesen Tag resp. 15 Stunden auf einen Quadratmillimeter
in Millimetern oder was dasselbe ist, in Milligrammen. Die
absolute Menge kann daraus leicht berechnen, wen es inter-
essirt, die leergelassenen Tage war es mir nicht mögUch
zu beobachten.
4) Am 4. November Nachmittags 4 Uhr betrug sie an einer
Parthie Blätter von 10106 Q.-m. Flächeninhalt noch 0,296 mm.
P/h/f: Veräimstungsbetrag einer Eiche etc.
37
'S
A.
B.
5
A.
B.
"3
A.
B.
^
1-5
i-s
1
30408
0.395
1
29214
0,632
2
34442
0,245
2
31178
1,097
3
34698
0,625
3
26440
0,755
4
40480
0,281
4
19955
0,669
5
28789
0,428
5
40000
0,637
6
21452
0,305
6
24810
0,620
7
23457
0,889
7
27500
0,824
8
26340
0,062
8
38045
0,357
9
39475
0,353
9
26910
0,593
10
30052
0,517
10
33850
0,657
11
38816
0.377
11
51281
0.419
12
30760
0,673
12
33690
0,347
13
13
27750
0,541
14
26260
0,576
14
30450
0,411
15
25190
0,091
15
30887
0,470
16
38691
0.350
16
26720
0.468
17
34477
0,304
17
23015
0,197
18
69404
0,285
18
26110
0,854
18
31550
0,356
19
58039
0,256
19
37683
0.414
19
28220
0.512
20
54209
0,451.
20
25325
0,765
20
42775
0,450
21
49553
0,331
21
27113
0,625
21
18610
0.853
22
39513
0,362
22
33012
0.270
22
31740
0,716
23
45320
0,375
23
16524
0.492
23
41410
0,740
24
46204
0,285
24
32270
0,705
24
7515
0,598
25
40570
0,616
25
28610
0.952
25
26
38658
0,428
26
30955
0.464
26
23700
0,537
27
50514
0.P.33
27
25980
0,984
27
24460
0.656
28
42536
0^374
28
27110
0,546
28
33295
-0,452
29
38741
0.675
29
31720
0,663
29
27595
0,523
30
34320
0,401
30
25417
0,254
30
24650
0,542
31
30329
Monats-
0,253
Monats-
31
28640
Monats-
0,477
mittel
0,387
mittel
0,533
mittel
0,570
38 Sitzung der mafh.-phys. Glosse vom 8. Januar 1870.
-4-9
CO
ü
^
A.
B.
CD
A.
B.
O
J4
A.
B.
<
m
O
1
12605
0,492
1
35104
0,286
1
35670
0,495
2
19693
0,668
2
29890
0,372
2
50637
0,401
3
33230
0,311
3
29200
0,337
3
16855
0,880
4
23620
0,546
4
34438
0,474
4
33845
0,353
5
30145
0,701
5
29660
0,464
5
30675
0,450
6
31545
0,542
6
20170
0,360
6
29962
0,445
7
14062
0,640
7
37760
0,306
7
37943
0,339
8
8
30835
0,439
8
47590
0,403
9
9
31740
0,201
9
45210
0,623
10
10
28400
0,510
10
42360
0,318
11
11
35634
0,379
11
24000
0,343
12
12
28173
0,295
12
41560
0,511
13
13
25761
0,248
13
34150
0,586
14
14
25916
0,323
14
26810
0,606
15
15
26767
0,329
15
21120
0,439
16
16
36992
0,279
16
48020
0,630
17
17
34253
0,263
17
25350
0,633
18
18
28854
0,519
18
44630
0,368
19
19
26934
0,321
19
45010
0,2 1 1
20
20
40282
0,267
20
39370
0,377
21
21
33326
0,332
21
23510
0,367
22
22
34643
0,339
22
24950
0,290
23
23
35325
0,551
23
23740
0,163
24
24
43254
0,295
24
27230
0,232
25
25
49863
0,227
26
26
41630
0,456
27
27
38832
0,299
28
33539
0.322
28
36972
0,284
29
21850
0,340
29
38394
0,651
30
37035
0,341
30
30510
0,476
31
24810
Monats-
0,444
Monats-
Monats-
mittel
0,431
mittel
0,362
mittel
0,436
Pfaff: Verdunstungsbetrag einer Eiche etc. 39
Ich knüpfe an diese Zahlen einige Bemerkungen. Zu-
nächst die, dass dieselben ziemlich genau übereinstimmen mit
den von Unger^) und Anderen erhaltenen Werthen, so weit eine
Veigleichung möglich ist. Ich habe zugleich mit den Ver-
suchen über die Verdunstung der Blätter solche über die
einer freien Wasserfläche angestellt und jedesmal mit der
aus den Blättern die letztere bestimmt. Das Gefäss stand
ebenfalls auf der Nordseite meines Hauses genau an der-
selben Stelle, an welcher die Blätter aufgehängt wurden.
Im Durchschnitt fand ich jedoch das Verhältniss der Ver-
dunstung aus dem freien üefässe zu der von den Blättern
als ein höheres; nach ünger gibt die freie Wasserfläche un-
gefähr eine 3 mal so hohe W^asserschichte ab, zuweilen eine
5 — 6 fache. Nach meinen Versuchen wechselt das Verhält-
niss sehr nach den Monaten und dem Vi^etter, im Mai
zwischen 4 und 13, im Juni zwischen 1,5 bis 8,5, im Oktober
zwischen 1,0 bis 5. Die Schwankungen in der Verdunstung
des Wassers aus dem Gefässe sind beträchtlich grösser als
die der Transpirationsgrösse der Blätter, was wohl ebenfalls
im Voraus zu erwarten war.
Auch in Beziehung auf die Menge des verdunsteten
Wassers findet sich insoferne eine üebereinstimmung, als
die Werthe, welche ich für die Eiche erhalten habe, mit
solclien übereinstimmen, welche Unger für andere Gewächse
gefunden hat. Aus seinen an einer grossen Anzahl von
Blattpflanzen gemachten Versuchen ergibt sich, dass die
verschiedtrnen Pflanzen sehr verschiedene Werthe ergeben.
Nach seinen Angaben habe ich berechnet, wie sich die Ver-
dunstung auf 1 Q.-Millimeter der Blattfläche verhalte und
daraus gefunden, dass er erhielt
5) Unger. Sitzungsber. der Akademie der Wissensch. zu Wien.
Bd. 44 p. 181 und 327,
40 Sitzung der math.-phys. Classe i'om 8. Januar 1870.
am 27. Nov. 1850 bei Saxifraga ligulata 0,148 mm.
„ 29. Nov. Hydrangea hortensis 0,439 „
„ 8 — 9. Juni Digitalis purpurea 0,677 ,,
„2—3. Juli „ „ 0,167 ,.
„ 25. Aug. Heliauth. annuus 1,712 „
Ein Zweig von Fag. silvatica mit 47 Blättern ergab
nach einer 3tägigen Untersuchung im Mittel 0,158 mm. Die
letztere Beobachtung gibt jedenfalls einen zu niedrigen Betrag.
Sie wurde nämlich in der Art gemacht, dass der abgeschnittene
Zweig in ein Gefäss mit Wasser gesteckt wurde. Er ergab
in 3 Tagen 37,5 Grm. Wasserverlust. Ich habe schon weiter
oben erwähnt, dass dieses Verfahren nur für kurze Zeit ein
richtiges Resultat geben kann, indem sehr bald die Ver-
dunstung immer geringer wird, ein aus dem dreitägigen
Verluste bestimmtes Mittel bleibt nach meinen ähnlichen
Versuchen weit unter dem wahren; schon nach 2 Stunden
zeigt sich bei dieser Art die Verdunstung zu bestimmen
eine Differenz in deren Betrag und zwar eine Abnahme der-
selben.
Ich komme nun zu dem wichtigsten Punkte meiner
Untersuchungen um dessentwillen ich sie hauptsächlich an-
stellte, nämlich zur Beantwortung der Frage, wie gross ist nun
die Menge des durch einen solchen Baum verdunsteten
Wassers und wie verhält sie sich zu der Menge der atuio-
phärischen Niederschläge ?
Legen wir die von mir gefundenen Zahlenwerthe für
die Blattzahl des Baumes, die Verdunstungsgrösse und den
Flächeninhalt der Blätter^) zu Grunde, so erhalten wir
folgende Zahlenwerthe für die Gesammtverdunstung der ein-
zelnen Monate:
6) Der mittlere Flächeninhalt eines Blattes bestimmt aus den
500 ersten und 500 letzten Blättern ergab sich zu 2325 Q. -Millimeter,
Pf äff : Verdunstungsbetrag einer Eiche etc. 41
Mai 14 Tage 883,812 Kilogramme
Juni 26023,7
Juli 28757,9 „
August 21745,1 „
September 17674,6 „
Oktober 17023,1 „
Wie verhält sich nun diese Menge zu der Menge der
atiuosphärischen Niederschläge? Hier wäre zu einer sicheren
Vergleichung nothwendig zu wissen, wie weit sich in horizon-
taler Richtung die Wurzeln des Baumes erstrecken. Ich
habe angenommen, dass die Wurzeln über denselben Flächen-
raum sich verbreiten, den die Zweige einnelimen. Bei einem
Walde versteht sich diese Annahme wohl von selbst, bei
einem einzeln stehenden Baume ist ein Weitergreifen wohl
denkbar. Für den vorliegenden Fall glaube ich jedoch auch
ditise Annahme machen zu dürfen, einmal habe ich wenigstens
bei einem ziemlich tiefen Graben, der zur Grundlegung
eines Gebäudes 10 Fuss von den Zweigspitzen des Baumes
angelegt wurde, nichts von solchen Wurzeln bemerkt. Dazu
kommt noch, dass der Baum in der Entfaltung seiner Krone
zwar nicht durch andere gehemmt ist, dass aber unter dem
Dache derselben eine dichte Hecke, allerlei Büsche und so,
dass sie sich mit den Zweigen sehr nahe kamen auch andere
Bäume, Acacien und dergl. stehen, die jedenfalls zum Theil
im Boden mit ihm in der Wasseraufnahme concurriren. Es
wird also auch die Annahme sein Wurzelgebiet nicht zu
sehr beschränken, dass es denselben Flächeuraum wie die
Basis seiner Blätterkrone oder genauer die Projection der-
selben auf den Erdboden einnehme, dieses aber unbeem--
trächtigt von anderen Gewächsen. Nehmen wir dieses an
und berechnen wir die obige Wassermenge in der Art, dass
wir sie auf den Fhtcheuraum des Wurzelgebietes gleich dem
der ßlätterkrone, die wir zu 298,3 Q.-Fuss gefunden hatten,
vertheilen, so kommen wir zu einem sehr überraschendeu
42 Sitzung der math.-phys. Classe vom 8. Januar 1870.
Resultate. Die obigen Zahlen entsprechen nämlich einer
Wassersäule auf der Fläche von 298,3 Q.-F. = 22,277
Q.-Meter
Mai
von
39,58 centim
Juni
116,81 „
Juli
129,39 „
August
97,61 „
September
79,34 „
Oktober .
76,46 „
oder in
Summa 539,16 cm. = 16,1 Fuss
Höhe, während die jährliche Regenmenge bei uns nur
65 cm. beträgt. Die Verdunstung eines Baumes gibt daher
8^3 mal mehr Wasser au die Atmosphäre ab als auf einen
Flächenraum von der Grösse seiner Blätterkrone auffällt.
Man mag nun an dieser oder jener Annahme meiner Berech-
nungen etwas aussetzen, — obwohl wie ich glaube, die von
mir gefundenen Zahlen unter dem Mittelwerthe bleiben, das
wird jedenfalls mit Sicherheit behauptet werden können,
dass die Wassermenge, welche ein grösserer Baum während
seiner Vegetationsperiode liefert, bei Weitem grösser ist,
als die der atmosphärischen Niederschläge auf demselben
Areal. Auch in dieser Beziehung stehen die Resultate,
welche Unger erhalten hat, nicht mit den meinigen in Wider-
spruch, wenn wir sie näher betrachten. Er nahm. , wie diess
schon oben angegeben wurde, einen Buchenzweig und steckte
ihn mit der Schnittfläche in ein Gefäss mit Wasser. Der
Zweig hatte 47 Blätter mit 787 Q.-Centimeter Flächeninhalt,
also ein Blatt 1653 Q.-Millimeter. In 3 Tagen 18—21 Juli
transpirirten diese Blätter 37,5 Grm. Wasser; das gibt
0,158 Millim. Wasserhöhe auf je 1 Q.-Millim. Fläche. Die
Schätzung der Blätterzahl nahm Unger in folgender Weise
vor, die wir mit seinen eigenen Worten geben.'')
7) Unger. Am a. 0. p. 350.
Tfaff: Verdunsfungsbetrag einer Eiche etc. 43
,,Da die Buche jährlich ihre Blätter abwirft, so durften
nur in einem von Stürmen geschützten Theile des Waldes
die am Boden befindlichen Blätter, welche sich über Winter
gesammelt hatten, von einem kleinen Flächeninhalte gezählt
werden, um auf die sicherste Weise zur Kenntniss der ge-
sammten Blättermasse des Waldbodens zu gelangen. Ich
habe mich dieser Untersuchung am 28. September 1853
unterzogen und zwar in einem nicht sehr dichten und eben
so wenig alieu Buchenwalde, deren Stämnie höchstens 6 — 8
Zoll im Durchmesser haben."
Als Mittelzahl aus Zählungen von 5 verschiedenen Stellen
findet Unger GOT also in runder Zahl 600 Blätter auf 1 Q.-F.
Würden wir auch nur diese Zahl bei der Eiche annehmen,
so würden wir immerhin noch die Verdutistungsgrösse um
2,6 mal höher finden, als die der Regenmenge, Doch zeigt
auch diese VergleicLuug. dass meine Berechnung der Zahl
der Blätter der Eiche von der Wahrheit wenig abweichen
wird, denn ein ireisteheuder Baum von 13 Zoll Durchmesser
des Stammes kann wohl leicht in der Zahl seiner Blätter
Buchenbäume von 6 — 8 Zoll Durchmesser um das 3 fache
übertreffen.
Hier drängt sich nun wohl Jedem die Frage auf:
woher nehmen die Bäume das Wasser, oder, da darüber
Wühl kaum ein Zweifel mehr aufkommen kann, dass sie es
aus dem Boden nehmen, wie erhalten sie es aus demselben?
Die Beantwortung dieser Frage ist wohl auch nicht sehr
schwierig und zeigt uns zugleich den ausserordentlichen Ein-
fluss, den die Vegetation und namentlich die Bäume auf
den Kreislauf des Wassers und die Menge des Wassers auf
der Oberfläche der Erde ausüben, \eigleichen wir nämlich
die Menge des in das Meer zurückfliessenden Wassers mit
der Menge der atmosphärischen Niederschläge, so finden
wir, wo man eine genaue Berechnung angestellt hat, dass
durchschnittlich nur die Hälfte des Wassers dem Meere
44 Sitzung der math.-phys. Classe vom 8. Januar 1870.
zufliesst*), welches auf das Flussgebiet niedergefallen ist,
das man in dieser Beziehung untersuchte.
Für das Flussgebiet des Rheines z. B. beträgt die von
diesem zurückgeführte Wassermasse nur 49,8 pC. der Nieder-
schläge. Wohin kommen nun die übrigen 50/2 pCte? Wenn
auch ein Theil derselben durch Verdunstung wieder in die
Atmosphäre zurückgeht, so dringt doch unzweifelhaft ein
grosser Theil davon in die Tiefe und zwar in Tiefen, aus
welchen es als Quelle, also als fiiessendes Wasser nicht
mehr an die Oberfläche gelangt. Denn es gibt ganze Fluss-
gebiete, wenigstens kleinere, die keine einzige warme Quelle
enthalten, zum sicheren Zeichen, dass alles fliessende Wasser
dieses Gebietes aus sehr geringer Tiefe hervorbricht, denn
schon wenn es aus einer Tiefe von 200 — 300 Fuss käme,
müsste es eine merklich höhere Temperatur als die mittlere
des Ursprungsortes erkennen lassen. Der Bergbau, wie die
Bohrlöcher der artesischen Brunnen zeigen uns aber, dass
in allen Tiefen, in welche Menschen oder ihre Werkzeuge
gelangen können, Wasser sich befindet und Wasser von oben
eindringt. Die Vegetation, vor Allem die Bäume sind es
nun, welche diesem Wasserverluste durch Versinken in un-
ergründliche Tiefen einigermassen entgegenarbeiten und zwar
in zweierlei Weise, einmal, indem sie das zur Tiefe von
oben eilende Wasser aufhalten, anderntheils, indem sie Ver-
anlassung geben, dass aus der Tiefe in Dampfform wieder
ein Theil des bereits dem oberflächlichen Kreislaufe ent-
zogenen Wassers zurückkehrt. Auch die Kapillarität des
Bodens mag einiges dazu beitragen, dass die Wurzeln der
Pflanzen mehr Wasser erhalten, als auf den Raum nieder-
8) Flüsse in Flachländern geben noch weniger, die Seine z. B.
nach Arago nur SSVs pCt, sämmtliche Flüsse Englands nach Dalton
37,8 pC.
Pfaff: Verdunstung sletracj einer Eiche etc. 45
fällt, den sie einnohmen. Doch wird diese kaum einiger-
massen in die Tiefe greifen, während die Wasseranziehung
der Wurzeln durch die dadurch verminderte Feuchtigkeit
des Bodens um dieselben ein energisches Aufsteigen von
Wasserdampf selbst aus grösseren Tiefen vermittelt und so
einigermassen Ersatz liefert für das Wasser, das ohne die
Vegetation in unerreichbare Tiefen hinabsinken und nimmer
zur Oberfläche wiederkehren würde. Auch in diesem Sinne
kann man von den Bäumen sagen, dass sie das Dürrewerden
'eines Landes, die Verarmung des Bodens an Wasser ver-
hindern, indem sie es durch die Thätigkeit ihrer Wurzeln
anziehen, durch die Gefässe in die Höhe führen und durch
die Blätter dem grossen Kreislaufe zurückgeben.
46 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 8. Januar 1870.
Der Classensekretär Herr Fr. v. Kobell spricht:
jjUeber den Rabdionit, eine neue Mineral-
species und über einen lithionbaltigen sog.
Asbolan."
Das Mineral, welches ich Rabdionit nenne, findet sich
in getrauften Stäbchen von schwarzer Farbe, Es ist matt,
nimmt aber beim Reiben mit dem Finger einen metnllähn-
lichen Fettglanz an, ist sehr weich und abfärbend. Das
feine Pulver ist dunkelbraun. Das spec, G. des groben
Pulvers ist nach gehöriger Entfernung der adhärireuden Luft
= 2.80. Die Stäbchen schliessen so viel Luft ein, dass
manche eine Zeitlang auf Wasser schwimmen.
Von dem Löthrohr schmilzt das Mineral ruhig = 3
zu einer stahlgrauen auf die Magnetnadel wirkenden Kugel.
Voi- dem Schmelzen wirkt es nicht auf die Magnetnadel.
Beim Schmelzen färbt es die Flaiiime grün und mit Salz-
säure befeuchtet blau von gebildetem Chlorkupfer.
Mit Borax gibt es ein kobaltblaues GLis.
Im Kolben gibt es Wasser, welches weder sauer noch
alkalisch reagirt.
In Salzsäure ist es leicht und vollkommen unter
Chlorentwicklung zu einer beim Concentrireu smaragdgrünen
Flüssigkeit auflösHch, welche mit Wasser verdünnt eine
grünlichgelbe Farbe annimmt. Aetzammoniak in üeberschuss
gibt ein bräunliches Präcipitat und eine lasurblaue Flüssigkeit.
In Salpetersäure ist es wenig löslich. Wird das Pulver mit
Ammoniak digerirt, so färbt sich dieses allmählig blau, doch
bei weitem nicht so wie die damit gefällte salzsaure Lösung.
— Von Schwefelsäure wird diese Lösung kaum merklich
getrübt.
Mit concentrirter Phosphorsäure erhält man eine violette
Lösung, welche durch Eisenvitriol entfärbt wird.
Bei der Analyse wurde der Wassergehalt direct bestimmt,
indem die Probe in einer Retortenartigen Glasröhre mit
V. KobeJl: Der Eabdionit etc. 47
Vorlage erhitzt wurde. Die Vorlage war gewogen, der Wasser
enthalt-i-nde Theii des Rohres der Retorte wurde abgefeilt
Uüd gewogen und durch Trocknen und Wiederwägen die
Menge des Wassers bestimmt.
Zur Ausmittlung des Gehaltes an Manganoxyd wurde eine
Probe in concentrirter Phosphorsäure gelöst und die ver-
dünnte Lösung mit Eisencklorür von bestimmtem Gehalte
titrirt.
Um zu bestimmen ob nicht Manganhyperoxyd enthalten
sei, wurde eine Probe mit Phosphursäure in einem geeigneten
Kolben erhitzt und das sich entwickelnde Gas untersucht,
es war kein Sauerstoff zu erkennen. Man kann schon mit
2 Grammen Pyrolusit die Sauerstoffentwicklung beim Lösen
in Phosphorsäure deutlich nachweisen ; das in Vorlagen
aufgefangene Gas entzündet einen glimmen ien Holzspahn.
Vom Mineral waren 3 Gramme zum Versuche angewendet
worden.
Zur Analyse wurden 2 Grm. in Salzsäure gelöst, das
Kupfer mit Schwefelwasserstoffgas gefüllt und weiter wie
gewöhnlich bestimmt. Das Filtrat vom Schwefelkupf-'r wurde
mit Zusatz von Schwefelsäure abgedampft, wieder in Salz-
säure gelöst und die verdünnte Lösung mit doppelt kohlen-
saurem Natron neutralisirt. Das Präcipitat wurde mit
Kalilauge behandelt um vorhandene Thon-^rde auszuziehen
und diese, sowie das Eisenoxyd weiter bestimmt. Das
Filtrat von der Fällung mit doppelt kohlensaurem Natron
wurde mit Schwefelammonium versetzt das Präcipitat mit
verdünnter Salzsäure behandelt, das" rück^tän lige Schwefel-
kobalt in Salzsäure gelöst, mit Kali gefällt und das Kobalt
mit Wasserstoff in Glühen reducirt. Es löste sich in Salpeter-
säure zu einer schönen rothen Flüssigkeit auf.
Das Mangan wurde mit Chlor oxydiit und mit Ammoni.tk
gefällt.
Eisenoxyd
45,00
13,50
-Maiiganoxyd
13,00»)
4,00
Thonerde
1,40
0,65
Kupferoxyd
14,00
2,82
Manganoxydul
7,61
1,71
Kobaltoxyd
5,10
1,09
Wasser
13,50
12,00
48 Sitzung der math.-phys. Classe vom 8. Januar 1870.
Der Mehrgehalt an Manganoxyd, wie ihn die Analyse
gegen die oben erwähnte Titrirprobe zeigte, wurde als Man-
ganoxydul berechnet.
Die Analyse gab :
Sauerstoff:
18,15
5,62
99,61
Die Mischung weist hin auf die Formel
Cu '
Mn
Co
Da das Mineral für sich nicht auf die Magnetnadel
wirkt, so ist ein Gehalt an Eisenoxydul nicht wahrscheinlich;
der Gehalt an Kobaltoxyd dürfte vielleicht etwas höher sein ;
etwas Fe könnte als Limonit eingemengt sein.
Das Mineral hat nach seinen physischen Eigenschaften
und theilweise nach seinen chemischen Reactionen grosse
Aehnlichkeit mit dem Asbolan, es unterscheidet sich aber
vorzüglich durch den bedeutenden Gehalt an Eisenoxyd und
durch die Schmelzbarkeit (nur der unreine mit Arseniaten etc.
gemengte Asbolan ist schmelzbar).
Rammeisberg hat einen als normal anerkannten As-
bolan von Camsdorf bei Saalfeld analysirt: und gibt an:
Fe
- -f 2H
Mn
1) Bei einem Versuch erhielt ich 14 Manganoxyd.
V. Kobell: Der Babdionit etc.
49
Sauerstoff
9,47
Manganoxydul
40,05
Kobaltoxyd
19,45
Kupferoxyd
4,35
Baryterde
0,50
Kali
0,37
Eisen oxyd
4,56
Wasser
21,24
Er berechnet dafür die Formel
99,94
Mn2 4- 4 H.
Dass der Begriff von Sjiecies auch auf Zersetzungs-
produkte anwendbar, ist für sich klar, das Zersetzungs-
produkt ist nur nicht immer eine Species sondern kann
aus mehreren bestehen. Es ist kein Grund vorhanden, das
besprochene Mineral als ein Gemenge mehrerer Species an-
zusehen, wenn es auch vielleicht ein Zersetzungsprodukt ist,
was olme Kenntniss des Vorkommens und der begleitenden
Gesteine, die hier fehlt, nicht bestimmt werden kann. Ich
nehme daher das Mineral als eine eigenthümliche Species
und benenne sie mit Beziehung auf die Gestalt IIa b dionit,
von qußdiov. Stäbchen.
Das untersuchte Exemplar stammt aus der Herzog 1.
Leuchtenberg's chen Sammlung und ist als Fundort an-
gegeben: Die Nischne-Tagilskischen Gruben am Ural.
Im Zusammenhang mit dem vorigen untersuchte ich
auch ein als Asbolan angesprochenes Mineral von Saalfeld,
welches sich aber ganz anders verhält als der von R a m m e 1 s-
burg analysirte Asbolan dieses Fundortes. Dieses Mineral
ist unschmelzbar und färbt die blaue Löthrohrflamme aus-
gezeichnet carminroth von Lithion, wie dieses durch das
[1870. 1. 1.] 4
50 Sitzung der math.-phys. Ctasse vom 8. Januar 1870.
Spectroskop deutlich erkannt wird. Es kommt in blau-
schwarzen, zum Theil kleinschuppigen und metallisch glän-
zenden Massen vor, zum Theil dicht und matt, beim Feilen
etwas Glanz annehmend, das Pulver ist schwärzlich grau.
Das spec. G. = 3,65.
Ich koimte die Analyse nur unvollkommen durchführen,
da mir reine homogene Stücke nicht in hinreichender Menge
zu Gebot standen, es ergab sich aber neben Manganoxyd
54 pr.Ct., 4 Kobaltoxyd, 0,61 Kupferoxyd und 13,4 Wasser
der bedeutende Gehalt von 23 pr.Ct. Thonerde, obwohl sich
die Probe vollkommen ohne Ausscheidung von Kieselerde
in Salzsäure auflöste,
Der Lithiongehalt zeigt sich äusserst gering ; die Färbung
der Löthrolirflammo schien einen merklichen Gehalt zu ver-
rathen. Dieses Mineral erinnert an ein von Bert hier
analysirtes aus Siegen, welches 17 prCt. Thonerde enthält
und von ihm als eine Verbindung von Thonerde und Man-
ganhyperoxyd mit Wasser angesehen wurde. Ich habe von
Dr. Krantz mehrere Äsbolanvarietäten von Saalfeld erhalten,
es fand sich aber keine darunter, welche die Lithionreaction
zeigte. Ein kleiner SpHtter genügt zur Erkennung und
findet sich das Mineral wohl als ein älteres Voikommniss
in den Sammlungen. Ich will vorläufig nur darauf auf-
merksam gemacht haben.
Sitzung der math.-phys. Classe vom 8. Jamuir 1870. 51
Herr Professor Zittel macht die Mittheilung dass die
Erben unseres im vorigen Frühjahr verstorbenen auswärtigen
Mitghedes Dr. Hermann v. Meyer in Frankfurt a/M. dessen
gesammteu literarischen Nachlass der hiesigen Akademie,
und zwar speciell dem palaeontologischen Museum zum Ge-
schenk gemacht haben.
H. V, Meyer war bekanntlich einer der ersten Kenner
fossiler Wirbelthiere und erfreute sich einer so aner-
kannten Autorität, dass ein grosser Theil der in Deutsch-
land. Oesterreich und der Schweiz aufgefundenen Wirbel-
thierreste ihm zur Bestimmung und Bearbeitung zugeschickt
wurden.
In Ermangelung einer eigenen Sammlung, verschaffte
er sich das nothwendige Vergleichs-Material zu seinen Arbeiten
dadurch, dass er alle Stücke, welche ihm zugesendet wurden
oder welche ihm in anderer Weise zur Untersuchung zu-
gänglich waren, mit seltener Meisterschaft und Genauigkeit
abbildete und austuhiliche Beschreibungen in seinen Manu-
scripten hinterlegte. Auf diese Weise entstand im Laufe der
Jährt eine trefflich geoilinete Sammlung von Zeichnungen.
deren Zahl sich auf mehrere Tausend beläuft. Da alle
Gegenstände genau in natürlicher Grösse und stets von ver-
schiedenen Seiten dartrestellt sind, so konnten sie für die
\yissenschaftliche Benützung die Originalien so gut wie er-
setzen und je nach Bedarf jederzeit publicirt werden.
Obwohl nun H. v, Meyer eine höchst fruchtbare liter-
arische Thätigkeit entfaltete und in den von ihm und Duuker
herausgegebenen Palaeontographicis eine bedeutende Anzahl
von Abhandlungen veröffentlichte, so enthält sein literarischer
Nachlass dennoch eine sehr grosse Menge von Zeichnungen
4*
52 Sitzung der math.-phys. Classe vom 8. Januar 1879.
unbeschriebener oder nur flüchtig in Zeitschriften erwähnter
üeberreste, welche für unsere Sammlung fossiler Wirbelthiere
eine um so werthvollere Bereicherung bilden, als in den
schriftlichen Aufzeichnungen die Literaturreferenzen, Notizen
über Vorkommen uud Beschreibungen mit grösster Genauig-
keit zusammengestellt sind.
Die Hinterlassenschaft besteht, ungerechnet einer An-
zahl von Heften über wirbellose Thiere und der gesammten
wissenschaftlichen Correspondenz des Verstorbenen, aus 32
Bänden Manuscript, sowie aus Handzeichnungen, ^Yelche in
16 Folio und 22 Octav Fascikeln geordnet wird.
Herr Prof. M. Wagner legt sein Buch vor
,, Naturwissenschaftliche Reisen im tropischen
Amerika"
und bespricht dessen Anordnung und allgemeinen Inhalt.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 53
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 8. Januar 1670.
Herr Plath spricht
„üeber die Quellen der alten chinesischen
Geschichte, mit detaillirter Analyse des
Sse-ki und J-sse."
Mit einer Arbeit über die alte Geschichte China's be-
schäftiget, musste sich zunächst die Frage aufdrängen : Welche
Quellen haben wir darüber? und da mau über diesen Ge-
genstand nirgends bestimmte oder nur sehr verk'-hrte Vor-
stelkingen antrifft, wird die vorläufige Mittheiluug der Er-
gebnisse unserer Forschung nicht unangemessen sein.
unter alter Geschichte China's begreifen wir immer
die Zeit von Anbeginn bis zu Ende der dritten Dynastie
(221 V. Chr.). Wir verstehen unter Geschichte nicht blos
die äussere, politische und Kriegsgeschichte, sondern auch
die ganze innere Culturgeschichte, was man auch wohl
Alterthumskunde nennt. Wir haben bloss Nachrichten der
Chinesen.
Die Quellen fliessen in den verschiedenen Zeiten sehr
verschieden. Fehlen authentische Nachrichten für die Ur-
geschichte ganz, 'fliessen sie in der ältesten Zeit und bis zum
Anfange der dritten Dynastie (1122 v. Chr.) nur sehr dürftig,
indem nur auf die ersten Regierungen Yao's, Schün's und
Yü's (2357—2197 v.Chr.) einiges Licht fällt, und dann fast
nur der Sturz der ersten und zweiten Dynastie flia und
Schang oder Yn (1783 und 1122 v. Chr.) und das Auf-
kommen der neuen Dynastie etwas erhellet wird, so wird es
mit dem Anfange der dritten D. heller, ausser der politischen
54 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 8. Januar 1870.
Geschichte erhalten wir da auch ausführliche Nachrichten über
die inneren VerhäUnisse und seit dem Verfalle der Kaiser-
macht der dritten D. der Tscheu und dem Emporkommen
der Einzelreiche wird auch die äussere Geschichte immer
reicher, besonders seit der Zeit, wo Confucius seine Chronik
Tschhüu-thsieu beginnt (722 v. Chr.) und noch mehr in der
Zeit der streitenden Reiche (Tschen-kue) bis zum Ende der
alten Zeit. Hier erhalten wir genaue Nachrichten über die
einzelnen auftretenden Persönlichkeiten , die bedeutendsten
Fürsten der einzelnen Reiche, ilire Minister, Feldherren,
Staatsmänner und Politiker , auch von den literarischen
Grössen, dem Leben, den Meinungen und Aussprüchen, nicht
nur von Confucius und seinen Schülern, sondern auch der
von ihnen abweichenden Sekten und Schulen, wie der des
Lao-tseu u. A., deren Schriften wir noch haben, wie auch
Abhandlungen über das Kriegswesen, die Moral u. s. w.
Selbst über die Schrift- und Tonsprache und die Dialekte
haben wir Schriften, wenn auch nicht aus der Zeit der dritten
D. Tscheu's selbst, doch aus der einer der nächsten, der Dy-
nastie Han, deren Angaben über diese Zeit, die ihnen nicht
allzu ferne lag, nicht zu verwerfen sein möchten. Neben der
authentischen Geschichte gehen überall spätere , unsichere
Sagen, Legenden, zum Theil auch Erdichtungen her, die wir,
so weit sie uns zugänglich geworden sind, doch auch er-
wähnen müssen. Wir unterscheiden daher 1) die Ur- oder
Vorgeschichte China's vor Yao und Schüu, 2) die Yao's
Schün's und Yü's, 3) die Zeit der ersten und zweiten
Dynastie, 4) die Zeit der Blüthe der dritten D. Tscheu
seit 1122 V. Chr. und zwar a) die politische und b) die
innere Geschichte, 5) die Zeit des Verfalles der Kaiser-
macht und das Aufkommen der einzelnen Vasallen-
fürsteu, 6) die Zeit des Tschhün-thsieu, Kampf der ein-
zelnen Vasallenfürsten unter einander mit nur zeitweiligem
Uebergewichte Einzelner unter ihnen , der 5 s. g. Gewalt-
Plath: Quellen der alten chhies. Geschichte. 55
herrscher (Pa), 7) die Zeit der streitenden Reiche, na-
mentlich der 6 noch übrigen grösseren, bis zur Unterwerfung
aller dieser durch dioThsin und der Gründung der vierten D.
und zwar die politische Geschichte und 8) Literatur und
inneren Verhältnisse zur Zeit von 6 und 7. Wir verbinden
damit eine Analyse desSse-ki undJ-sse. Sse ma tshien
in seinem Sse-ki hat zuerst die alte Geschichte China's sy-
stematisch bearbeitet und ist Muster geworden für die Ge-
schichtschreiber der spätem Dynastien. Es verdient daher
eine besondere Beachtung. Wir brauchen über seine Person
nicht ausführlich zu sprechen, da A. Remusat (Mel. As. II
p. 133 — 147^} darüber das Nöthige bereits mitgetheilt hat.
Sein Vater Sse-ma thau hatte 140 — 135 v. Chr. schon
Materialien zu der Geschichte gesammelt, starb aber darüber
weg und hinterliess seinem Sohne Sse-ma thsien (geb. um
145 V. Chr.) die Fortsetzung. Dieser sammelte und ordnete
alles, was sicli erhalten hatte. Remusat p. 139 nennt einige
seiner Quellen und giebt die Hauptabthtilungen seiner histo-
rischeu Denkschriften (Sse-ki in 130 Kiuen) an. Es sind
1) die Kaiser-Chronik (Ti-ki) von Hoang-ti (2697 v. CLr.)
bis Han Hiao Wu-ti (122 v. Chr.) B. 1—12. 2) Chrono-
logische Tafeln (Nien-piao), wie unsere historisclien Atlasse
10 B. (13—22). 3) Pa-schu, die 8 Bücher (über Zweige
der Wissenschaften) (B. 23 — 30). 4) Schi-kia, genealogische
Geschichte der grossen Vasallen der D. Tscheu, der Minister
und Generäle bis zu der D. Han, 30 B. (31 — 60) und 5) Lie-
tschuen, Denkschriften über die fremden Länder, Biogra-
phien von Staatsmännern und Gelehrton 70 B. (61—130).
1) S. über ihn: Pan-ku's Geschichte der ersten Han B. 62, Sse-
ma-tshien's Epilog selbst undMa-tuan-lin B. 191 f.8 — 15. P.Amiot's
Nachricht über ihn Mem. T. III p. 77 ist unvollständig und fehler-
haft. Es gieht kleinere und grössere Ausgaben des Sse-ki, eine c.
notis variorum in 32 B,
56 Sitzung der phäos.-philol. Classe vom 8. Januar 1870.
Verloren sind von Abth. 1: B. 11 und 12; von 2: B. 10
(22); von 3: B. 1—4 (23—26); von 4: das letzte (B. 60);
von 5 : B. 68 (128) ; aber diese sind von TschLu schao sün
ergänzt.
Hat Sse ina tsliien die authentischen Nachrichten,
die er zu seiner Zeit vorfand , gesammelt und systematisch
verarbeitet, so gibt der I-sse (oder schi) von Ma-so, der
nach der Vorrede unter Khang-hi Äo. 9 (1670) erschien, eine
reiche Compilation der alten chinesischen Geschichte vom
Anfange bis zum Ende der 4. D. Thsin 206 v. Chr. in
160 Büchern, indem er die Originalstellen und auch die
späteren wenig zuverlässigen Nachrichten chronologisch zu-
sammenreihet, (s. Katalog K. 5 f. 20 undWylie p. 23,) was für
uns von Werth ist, da wir manche der ausgezogenen Werke
nicht besitzen; sonst vergleicht man diese besser selber, da
der I-sse alle Stellen ohne die so nöthigen Schollen und
Erklärungen gibt. Unsere Analyse wird beide Werke genauer
kennen lehren, so weit sie die 3 ersten Dynastien betreffen.
Der I-sse zerfallt in 5 Hauptabtheilungen (u pu)
1) vom höchsten Alterthume (thai ku pu) 10 Kiuen; 2) von
den 3 Dynastien (san tai pu) 20 K. ; 3) aus der Zeit des
Tschhiin-thsieu (tschhüu thsieu pu) 70 K, ; 4) aus der der
streitenden Reiche (tschen kue pu) 50 K. und 5) äussere
Nachrichten (wai lo pu) 10 K. Die genealogischen Tafeln
(schi hi pu 23 Blätter) und die chronologischen Tafeln (nien
piao 74 BJ.) zu Anfange sind dabei nicht inbegriffen.
Viele seiner Auszüge sind aus Werken in der Sammlung
Han wei tshung schu; auf diese verweisen wir. Unsere
Abh. über diese aus d. S.-B. d. Ak. 1868 I, 2. München 1868
gibt über diese nähere Nachrichten. Andere sind aus den
s. g. Philosophen (tseu); über diese am Ende; über einige, die
wir sonst noch kennen , da , wo sie zuerst vorkommen. Aber
der I-sse führt noch eine Unzahl Werke an , von welchen
wir weiter nichts wissen; über diese ist nichts zu sagen.
Plath: Quellen der alten cliines. Geschickte. 57
1) Die ür- oder Vorgeschichte China's.
Ueber diese fehlen alle alten, authentischen Nachrichten.
Ei hat vor Yao sicher schon Fürsten gegeben und es hat
an Begebenheiten nicht gefehlt. Zu Confucius Zeit und vor-
her mag man die Namen der hervorragendsten Cultivatoren
und auch einzelne Begebenheiten gekannt haben; aber er
und seine Schüler beziehen sich nicht darauf und gehen
nicht über Yao hinaus; die Nachrichten mochten zu dürftig
sein , um ihren moralisirenden und politisirenden Lehren
dienen zu können.
Die alte Zeit wird von ihm, seinen Schülern und
Nachfolgern vielfach gepriesen; so im Tschuug-yuug 28, 1,
Lüü-iü 3, 16 und 7, 19 sagt Confucius, er liebe das Alter-
thum — er verstand aber darunter nur die Zeit der drei ersten
Dynastien — und im Tschung-jung 28. ü(obwohl damals noch
das Reich Ki unter Nachkomn;en der 1. D. und das Reich
Suug unter NLicLkommen der 2. D. fortbestand), dass die
Kunde ihrer Einrichtungen nicl.t hinreichend erhalten sei;
er halte sich daher an die der 3. D. , unter der er lebte.
Vgl. auch Lün-iü 3, 9. Bei Meng-tseu I, 1, 2, 3 heissen
Ku, die Alten, die Stifter der 3. D. Tscheu und so meistens
bei ihm s. den Index. Im Schu-king zu Anfange I, 1 u. 2
heissen Yao und Schün aber bereits die Alten (ku). Meng-
tseu III 1, 5, 4 nennt das höchste Alterthum (schang-schi),
die Generation , wo die Todten noch nicht beerdigt wurden,
sondern man sie in Gräben warf Der Y-king im Anhange,
Hi-tse 13, 1 (T. II p. 528), den einige dem Confucius beilegen,
was aber sehr bezweifelt wird, sijricht von Pao-hi (d. i. Fu-hi),
Schin-nung, Hoang-ti, Yao und Schün und deren angeblicher
Erfindungen und Einrichtungen in alter Zeit. Das höchste
Alterthum heiöst hier Schang-ku, mau wohnte da angeblich
nur in Grotten und ;<uf dem Felde, bis in späteren Zeiten
heilige Männer Häuser bauten. Eine andere Stelle über den
rohen Zustand in dieser ältesten Zeit, angeblich von Confu-
cius, ist im Li-ki C. Li-yün 9 f. 50 v., auch im Kia-iü 6 f. 12
und Li-ki 9 f. 46 v., auch im Kia-iü 32 f. 17. Ich habe diese
Stellen in der histor. Einleitung zum Leben des Confucius,
58 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 8. Januar 1870.
Münclien 1867 S. 445 fg. (97 fg.) bereits in extenso mit-
getheilt , aber auch bemerkt , dass es sehr zweifelhaft ist,
ob dem eine historische Tradition zu Grunde liege, oder
es nicht ein blosses historisches Philosophem sei.
Mehrere Andeutungen im Schu-king und in späteren
Schritten zeigen, dass man Kunde von der ältesten Zeit
hatte. Im Cap. Y-tsi II § 4 sagt der Kaiser Schün : ,,ich
wünsche die Embleme der Alten (ku jin tschi siang), Sonne,
Mond und Sterne, (auf den Kaisergewändern) zu sehen."
Solche nahm man also schon vor Schün (2254 — 2204 v.Chr.)
zu seiner Zeit au. Nach dem C. Tscheu -kuan V, 20, 3
studiit-n Thaug und Yü (d. i. Yao und Schün) das Alter-
thum (khi ku) und errichteten darnach die 100 Beamten-
stellen. Im C. Liü-hing V, 27, 2 sagt Kaiser Mu-wang
(1000 — 945 v.Chr.): ,,nach alter Belehrung (yo ku yeu hiün)
erregte Tschi-yeu zuerst Unruhen." Die Note zum Bambu-
buche bei Legge Prol. T. III p. 108 erwähnt des Kampfes
gegen ihn unter Hoang-ti vor Yao (2637 v. Chr.). Nach
Meng-tseu III, 1, 4, 1 kommt zu seiner Zeit ein gewisser Heu-
liing und will nach (des alten Kaisers) Schin-nung's Worten
(yeu wei Schin-nung tschi yen tsche) die Einfachheit der alten
Zeit wieder einführen; au eine solche glaubte man also da-
mals. Bei Tso-schi Tschao-kung A. 12 f. 61 v., S. B. 21 S. 203
rühmt der Fürst von Tsu Ling-wang , dass sein Geschicht-
schreiber der Linken die alten Bücher San-fen, U-tien,
Pa-so und Khieu-khieu lesen köane. Wir haben die Stelle
in uns. Abh. Chrono). Grundlage der alten chinesischen Ge-
schichte. München 1867 S. 26 lg. bereits mitgetheilt. Die
San-fen sollen von den dreiHoang: Fu-lii, Schin-nung und
Hoang-ti, die ü(fünf)-tien von den fünf Kaisern (U-ti)
Schao-hao, Tschuen-hiü, Ti-ko, Yao und Schün gehandelt
haben. Nach dem Tscheu-H B. 26 F. 31 hatte unter der
3. D. der Annalist des Aeussern unter sich die Geschichte
der vier Theile des Reiches, die Bücher der San (<lrei)-
Hoang und U-ti (fünf Kaiser); diess sollen nach den
Schol. der San-fen und U-tien gewesen sein.
Man hat noch ein kleines Werk unter dem Titel San-
fen, welches im ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt
entdeckt wurde. Es findet sich in der Sammlung Han Wei
thsung schu I, 5 ; s. uns. Abh. über diese S. 5, das aber nicht
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 59
für echt gilt. Die fünf Kaiser (u-ti) werden später öfter
genannt, aber welche Kaiser unter diesem Namen verstanden
werden, darüber sind die Chinesen nicht einig. Wir haben
die Stellen aus dem Kia-iü B. 23 S. 36 — 38 v. über die U-ti,
auch im Ta-thai Li-ki C. 7 , im I-sse 95, 2 f. 7 v. bis 9 v.
und zum Tlieil im Sse-ki B. 1 f. l v. in d. Hist, Einl. z. Con-
fucius Lehen S. 447 — 449 bereits mitgetheilt. Bei Tso-schi
Tschao-kuug A. 17 f . 9 f g , S.-B. 25, 76—79 und im Kia-iü
16 f. 19 spricht der Fürst von Than, ein vorgeblicher Nach-
komme des alten Kaiser Schao-hao, von der angeblichen
Benennung der Beamten unter Hoang-ti, Schin-iiung, Kung-
kung, Fo-hi und Schao-hao. Wir haben diese Stelle in uns.
Abh. über d. Verfassung und Verwaltung China's unter den 3
ersten Dynastien S. 481 in der Anmerkung bereits angezogen,
zugleich aber bemerkt , dass darauf wohl wenig Verlass ist.
Der Kue-iü desselben Verfassers erwähnt auch mehrere
dieser alten Persönlichkeiten. Kung-kung verliess einst
nach C Tscheu-iü 1 f. 25 den rechten Weg und veranlasste
die grosse Ueberschwemraung, das Volk verliess ihn und
der Himmel rottete ihn aus. Im C. Lu-iü 2 f. 3 heisst es,
dass einst Lie-schan das Reich inne hatte. Sein Sohn war
Tschu ; dann erwähnt er auch Kung-kung, Hoang-ti, Tschuen-
hiü, Ti'ko und darauf Yao, Schün und Yü, im C. Tsching-iü
3 f. 1 V. fg. auch Kao-sin. Aber alle diese kommen nur
gelegentlich da vor.
Eine geschichtliche Reihenfolge der Kaiser, die bis
in die älteste Zeit reicht, finden wir jetzt zuerst in der
Chronik des Bambubuches (Tschu-schu Ki-nien), das mit
dem zwanzigsten Jahre von Yn-wang der 3. D, (293 v. Chr.)
endet, und wie man daher glaubt, derzeit verfasst worden,
aber erst 284 n. Chr. im Grabe des Königs Slang von Wei
(f 295 V. Chr.) aufgefunden wurde, s. Legge T. HI Prol.
p. 106. Es beginnt diese Chronik p. 108 mit Hoang-ti,
der 100 Jahre regiert haben soll. Schao-hao wird dann
blos erwähnt, ohne Angabe der Jahre seiner Regierung,
Tschuen-hiü (Kao-yang) regiert 78 Jahre, dann Ti-ko oder
Kao-sin 63; sein Sohn Tschi wird nach 9 Jahren abgesetzt
und es folgt dann Yao. Die Anmerkungen zum Buche ent-
halten noch mancherlei Legenden z. B. über die wunderbare
Geburt und Gestalt Hoang-ti's u. s. w. Das Werk rindet sich
60 Sitzung der philos.-phildl. Classe vom 8. Januar 1870.
in obiger Sammlung II, 1 und ist von Biet J. As. Ser. III
T. 12 und 13 übersetzt und von Legge Prol. T. III der
Text mit englischer Uebers. herausgegeben worden.
Sse-ma thsien in seinem Sse-ki B. 1, U-ti Pen-ki,
das ist die Chronik der füuf Kaiser, beginnt mit Hoang-ti
(2697 V. Chr.) spricht dann sehr kurz von seinem Enkel
Tschuen-hiu (Kao-yang); darauf folgen gleich Yao. Schün
und Yü.
Vor diesem findet man in der Ausgabe des Sse-ki noch
den kurzen Sau-hoang Pen-ki. Dieser ist aber erst von
Sse-ma-tsching*) zu Ende des sechsten Jahrhunderts und
am Anfange des siebenten n. Chr. verfasst. Die drei Hoang
heissen bei ihm Fu-hi, Niu-wa und Schin-nung^) (bei
Andern aber, wie gesagt, anders); s. Remusat 1. c. p. 147.
2) Man hat von ihm noch ein Supplement zum Sse-ki unter
dem Titel Su-yn, d i. Untersuchung des Verborgenen in 30 B. ohne
Kritik aus wenig geachteten Quellen gesammelt s. Mem. T. I p. 85,
aus welchem die Anmerkungen zum Sse-ki lange Auszüge geben.
3) Pan-ku, der Geschichtschreiber der späteren Han unter
Ming-ti (58 — 70 v. Chr.) in seiner chronologischen üebersicht der
chinesischen Kaiser B. 20 (Ku kin jin piao), beginnt mit Thi-hao
oder Pao-hi (d.i. Fu-hi), dann folgen Schin-nung, Hoang-ti, Schao-
hao, Tschuen-hiü, Ti-ko, Tschi (ausser der Reihe) und dann Kao-
thang, d. i. Yao. Unter Fu-hi werden dann noch Niu-wa, Kung-kung
und Andei'e genannt, unter Schin-nung Lie-schan Schi.
Die Anhänger der Tao-sse haben seit der Dynastie Han und
vielleicht noch früher dann fabelhafte Dynastien in ungeheuren
Perioden von mehreren lOOü Jahren zwischen Fu-hi und Yao und
noch vor des Letzteren Zeit aufgeführt. Wir wollen uns aber dabei
nicht aufhalten, sondern verweisen desshalb auf P. Gaubil : Traite de
Chronol. chin. in den Mem. c. les Chin. T. IG p. 137 und besonders
auf P. Premare Discours preliminaire zum Chou-king.
Es ist auch nicht nöthig, die späteren Geschichtschreiber nach
Pan-ku hier alle aufzuführen, man findet Einiges über sie bei P. Gaubil.
Der Art ist Hoang-fu(oder pu)-mi, der Verfasser der Chronik der)
Kaiser und Könige (Ti-wang schi-ki), der auch mit Fu-hi beginnt,
den er 110 Jahre regieren lässt, dann folgt Niü-wa nach vierzehn bis
fünfzehn Regierungen , ohne Angabe der Jalire ihrer Regierung,
darauf Seh in -nu ng 120 Jahre, dann 8 Fürsten seiner Familie öSOJahre,
darauf Hoang-ti undSchao-hao je 100 Jahre, Tschuen-hiü
78 Jahre, Ti-ko 70 Jahre, Tschi 9 Jahre und dann Yao. Alles
dieses, sieht man leicht, sind willkürliche chronologische Sy-
steme ohne sichere traditionelle Grundlage. Die wenigen historischen
Anhaltspunkte hat jeder sich nach seiner Art zurechtgelegt und ein
chronologisches System sich gebildet.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 61
Eine Sammlung der verschiedensten Nachrichten der
spätem Zeit gibt nun derl-sse; nachdem im ersten Buche
die Voi'stellungen und Ansichten über die Ursprünge (Khai-
phi schu-yuen schi) aus den Philosophen Lie-tseu, Hoai-nan-
tseu, Wen-tseu, Schi-tseu (s. unten), aus dem untergeschobenen,
schon erwähnten Buche San-fen f. 3 v. , dann aus dem Pe-
hu tung, Po-ya, Ho-i-ki, Scho-i-ki in der erwähnten Samm-
lung I, 13 und 19, IV, 7 und 8 und andern Werken mit-
getheilt worden, im B. 2 lioang-wang I-schue erst die Aus-
drücke Hoang, VVang und Ti erklärt worden und dann nach
den verschiedenen alten Wörterbüchern (Eul-ya, Schue-wen),
den Chroniken u. s. w. erörtert, welche Kaiser und Könige
unter den San (3) -Hoang und ü-ti (5 Kaisern) verstanden
werden, gibt B, 3 die verschiedenen Nachrichten über Fu-hi;
B. 4 die über Yen-ti (Schin-nung) ; B. 5 über Hoang-ti;
B. 6 über Schao-hao; B. 7 über Kao-yang (Tschuen-hiü);
B. 8 über Kao-sin (Ti-ko) und B. 9 kommt dann zu Kao-
thang oder Kaiser YuO.
Die Nachrichten sind aus dem Sse-ki , dem Ti - wang
schi-ki. dem Schi-pen,"*) dem San-fen, dem Pe Im tung, dem
Po-ya, dem Sin-schu (in der Sammlung III, 3) aus Li-schi's
Tschün-tsieu, dann aus den Philosophen Lie-t-eu, Wen-tseu,
Schi-tseu. Yo-tseu, Hoai-nan tseu. Pao po tseu (über diese
s. unten). Mythisch und fabelhaft sind die Angaben aus dem
Ho-i-ki und Scho-i-ki. Keines dieser Werke reicht über die Zeit
der 5. D. Han (202 v. Chr. bis 220 n. Chr.) und manches nicht
einmal so weit hinauf; aber auch die ältesten Nachrichten
schildern uns diese alte Zeit nur den Grundzügen nach,
wie diese alten Kaiser und ihre .Minister das Volk aus dem
rohen Zustande emporgehoben haben, w^as, wie gesagt, wohl
mehr ein historisches Philosophen! ist, als dass es auf einer
4) Gaubil Traite p. 120 hatte dsÄi Werk nicht erhalten, sondern nur
Citate daraus. Es soll aus dem Ende der D. Tscheu sein und von
Hoang-ti bis Nan-wang gehen. P Premare Disc. prel. p. LXXXII
sagt: che pen est un livre de genealogies incertaines et qui se
contradissent Sse - ma - tsien le suit, s'il n'en n'est pas l'Auteur.
Nach der Vorrede zum Sse-ki benützte Sse ma-tsien den Schi-pen,
wie den Tscheu kue tse. Der Tsien Han-schu C. 30 f. 7 hat Schi-pen
ISPien.
62 Sitzung der phüos.-philol. Ctasse vom 8. Janu-ar 1870.
historischen Tradition beruhte. Wenn bestimuitu einzelne
Erfinder der verschiedenen Werkzeuge , Künste , Geräthe,
namentlich im Schi-pen aufgeführt werden, so ist bei den
Widersprüchen der verschieden Autoren dabei darauf nicht
mehr zu geben , als wenn Tubalkaiu in der Bibel der Er-
finder der Erzarbeiten heisst. Wenn Andere die Einfachheit
und Sittenreinheit der alten Zeit rühmen, so ist das auch
Einbildung. Wieder Andere umgaben ihre Geburt und ihr
Leben mit Wundergeschichten und ganze Bücher wurden
ihnen später untergeschoben.
2) Vau. Schün, Yü.
Hier haben wir schon mehr historische Nachrichten im
Schu-king. Die ersten Kapitel , Yao-tien (I, 1) , Schün-tien
{II, 1), Ta-yü-mo (II, 2), Kao-yao-mo (II, 3), d. i. die Satz-
ungen Yao's, die Satzungen Schün's. die Rathschläge des
grossen Y'^ü und I-tsi (II, 4), welches nur eine Fortsetzung
des vorigen Kapitels ist, sind allerdings keine gleichzeit-
igen Urkunden. Die Anfangsworte bei allen: .,die den
alten Kaiser "i'ao , Schün , Yü u. s. w. untersucht haben
sagen'" : (jo ki ku ti Yao yuei) zeigen, dass sie aus späterer
Zeit sind ; sie sind auch nicht einmal rein geschichtlich. Die
alten Kaiser und ihre Minister werden darin schon verherr-
licht; indess enthalten sie auch nach Legge's Annahme doch
historische Thatsachen. Die Gesprächsform zwischen den
Kaisern und ihren Käthen , in welche sie eingekleidet sind,
mag dem späteren Verfasser angehören. Die moralischen
und politischen Regierungsgrundsätze, die den Kaisern und
ihren Ministem in den Mund gelegt werden, sind aber doch
wohl die alten chinesischen Grundsätze und ihnen nicht blos
untergeschoben, wie wir das bei den Aeusserungen ä]»äterer
Schriftsteller über sie allerdings annehmen müssen.
Einen anderen Charakter trägt das folgende Kapitt;!
Y'^ü-kung, d. i. die Tribute Yü's, welches eine Beschreibung
der 9 Provinzen Ühina's und Yü's Arbeiten zur Entwässerung
Plath: QueÜeyx der alten chines. Geschichte. 6$
des Landes enthält. Dieses Kapitel hat nicht die oben an-
gezogenen Worte zur Einleitung und wir halten es daher,
entgegen Biet und Legge, für ein altes gleichzeitiges Docu-
ment, während die Steininschrift, welche Yü auf dem Berge
Heng in Hu-nan errichtet haben soll , die er>t Tschao-i zu
Ende des L Jahrhunderts n.Chr. in seiner Chronik der Reiche
ü und Yuei (ü Yuei Tschün-thsitu. in der Sammlung II. 4)
erwähnt und auf welche Klaproth und Buusen. als die älteste
der Welt nach den ägyptischen des alten Reiches . noch so
grosse Stücke geben, aus späterer Zeit sein mag. Wir be-
ziehen uns der Kürze wegen aut unsere Abb. : Die Glaub-
würdigkeit der ältesten chinesischen ü-eschichte, a.
d. S. B. d. Akad. 1866 I p. 524 fg., mit den Zusätzen 1867
I, 2 S. 247 fg. und jetzt auf unsere Abb. : China vor
4000 Jahrou. München 1869 8", a. d. S. B. I, 2 fg.
Diese Stücko enthalten die ältesten Nachrichten über
diese alten Kaiser. Der alte Schu-king enthielt noch einige,
die verloren gegangen sind. Wir kennen die Titel und
den Gegenstand derselben aus der Vorrede zum Schu-kinij
(Schu-siü) bei L^ gge T. 111 p. 1 fg.. welche Einig ; dem Con-
fucius ohne genügenden Grund zuschreiben . § 3 lautet da :
..der Kaiser (Schün) regelte die Gebiete, bestimmte die.
welche im Gebiete residiren sollten . gab ihnen die ver-
schiedenen Namen , vertheilte die Glassen. Dies? war be-
schrieben in den (verlorenen 3 Kapiteln) Kuo-tso. die Aus-
führung der Verwaltung, Kieu-kung. vielleicht die 9 Ab-
gaben (der Sinn des letzten Wortes ist nicht deutlich) in
9 Abschnitten (Pien) und dem Kao-yü, wovon die
Bedeutung ebenfalls ungewisi ist.
Im Lieder buche (Schi-king) werden Yao und Schün
nicht erwähnt, unter Yao eigentlich nur der \orstAnd der
JustizKao-yaoLu-sungimlV, 2, 3, häufiger sein Ackerminister
Heu-tsi, als der Ahn der dritten D. Tscheu, z. 1'. IV, 2, 4,
dann Yü; wir haben die Stellen im Zusätze zu u, obigen
64 Sitzung der philos.-pMlol Classe ro??i 8. Januar 1870.
Abb. S.-B. 1867 I. S. 250 schon angeführt und wie sie
einigermassen zur Bestätigung des Schu-king dienen könnten,
wenn sie diesem nicht entnommen wären.
Nach dieser Zeit werden diese 3 alten Musterkaiser und
ihre weisen Minister von Coufucius, seinen Schülern und
besonders Meng-tseu vielfach gefeiert. Wir verweisen der Kürze
wegen auf unsere Hist. Einl. zu Confucius u. s. Schüler
Leben, a. d. Abb. d. Akad. 1867 I. Cl. XL Bd. IL Abth. S. 353
bis 366 (5 — 18), wo wir die sie betreffenden Stellen zu-
sammrngestellt hüben. Ihre Aeusserungen können wohl nicht
als Quellen der Geschichte betrachtet werden ; wir bemerken
daher nur, dass sie sich im Ganzen auf den Schu-king
stützen , doch kommen bei Confucius und namentlich bei
Meng-tseu mehrere Mittheilungen vor, die nur aus der Tra-
dition geschöpft sein können. Dahin rechnen wie die Nach-
richt bei Meng-tseu von 9 Söhnen Yao's, die detaillirten
Nachrichten , über die Nachstellungen , welche Schün von
seinen Eltern und seinem Halbbruder erfuhr und von der
grossen Pietät, die er dabei zeigte, Yü's einfaches Leben
die Angaben über die Art ihrer Nachfolge u. s. w. Con-
fucius Zeitgenosse, Tsokieuming erwähnt Yao, Schün und
Yü, auch dessen Vater Kuen, s. Gaubil p. 99, 102, die Urnen
Yü's und deren Schicksal; s. Gaubil p. 100. Der Tscheu-pei
suan-king, dessen erster Theil nach Gaubil p. 121 fg. (?) aus
dem Anfange der D. Tsclieu ist, schreibt Yü die Kenntniss des
rechtwinkeligen Dreiecks zu (s. P. Premare p. CY u. die üebers.
der Schrift von Biot im Journ. As. 1841 Ser. III T. 11 p. 601,
den chines. Text im I-sse B. 151 f. 1 v.), aber auch schon
Pao-hi, Fu-hi besondere Kenntnisse ; das verdächtigt es !
Die Chronik des Bambubuches in ihren Angaben
über diese 3 alten Kaiser gibt für die einzelnen Data, welche
der Schu-king anführt, immer bestimmte Jahre an, z.B.
setzt sie den Erlass an die Astronomen Hi und Ho in Yao's
erstes Jahr, seine erste Inspectionsreise iu dessen fünftes
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 65
Jahr u. s. w., Bestimmungen , die wohl kaum historisch
sind. Einige neue Angaben, wie die Huldigung des Häupt-
lings der Zwerge in Yao's 29. Jahre, einige physische Phäno-
mene fügt sie auch noch hinzu. Die Noten zu dieser
Chronik geben noch allerlei Wundergeschichten über ihre
Geburt und Gestalt, welche Confucius und seiner Schule
noch fremd gewesen oder von ihr vernachlässiget zu sein
scheinen.
Der Sse-ki begreift Yao und Schün noch unter den
fünf Kaisern im U-ti Pen-ki B. 1 , Yü aber in B. 2 Hia
Pen-ki. Was Yao betritft, so sind die Angaben desselben
über ihn nach dem Anfange zu seinem Preise aus den
beiden ersten C. des Schu-kiug, dem Yao- und Schün-tien
entlehnt. Der Schluss 1 f. 13 möchte aus Meng-tseu V, 1,
5, 1 sein.
Schün betreffend B. 1 f. 13—21 beginnt mit einer
Genealogie desselben, wie man sie von Yao bei ihm nicht
iitidet. Was dann nicht aus dem Schu-king C. Schün-tien (II § 14
bis 27) ist, entnimmt er wohl Meng-tseu, so ist die Anekdoten
über die Verfolgung Schün's durch seinen Vater Ku-seu und
und seinen Halbbruder Siang aus Meng-tseu V 1, 2, 3, wie
er am Li-schan (Berge) ackerte, fischte und töpferte aus
Meng-tseu II, 1, 8, 3; die 9 Söhne Yao's, die dieser ihm
sandte, sind aus Meng-tseu V, 2, 6, 6 u. s. w. W^oher er die
Nachricht über die Grenzen des Reiches f. 19 und über den
Tod und das Begräbniss Schün's hat. weiss ich nicht ; man zeigt
noch die Gräber dieser alten Kaiser in China, ob nach einer
alten echten Tradition oder einer späteren Erfindung, wer
mag darüber entscheiden. Die Belehnung seines Halbbruders
f. 20 ist schon bei Meng-tseu V, 1, 3, 1.
Yü's Geschichte beginnt wieder mit seiner Genealogie.
Die folgenden Angaben über ihn sind aus dem Schu-king
C. Yao-tien § 11, Schün-tien § 17 und den C. Yü-kung
(f. 3—11), Kao-yao Mo und I-tsi. Die Anekdote, dass er
bei der grossen Ueberscliwemmung mehrere Jahre sein Haus
nicht betrat, ist wohl aus Meng-tseu III, 1, 4, 7; seine
Erhebung wird ebenso wie bei diesem erzählt. Zuletzt er-
[1870. 1. 1.] 5
66 Sitzung der philos.-philot Clause vom 8. Januar 1870.
zählt er noch seinen Tod auf einer Rundreise /u Hoei-lfi.
Man zeigt da noch Kaiser Yü's Grab.
Eine sehr reiche Sammlung späterer Nachrichten, Le-
genden, Fabeln und Erdichtungen über diese alten Kaisei'
hat der I-sse B. 9 — 12 zusammengestelh. D. 9 Thao
Thangki, handelt von Yao; B. 10 Yeu Yüki vuu Schün;
B. 11 Y^ii ping schui-tu vonYü's Wasserarbeiteu u. B. 12
Hia Yü scheu-schen nch noch von ihm. aber auch >chon
von seinem Nachfolger.
Es wäre nicht ohne Interesse, die verschiedei^en Nach-
richten, Legenden und Fabeln mit welchen später diesc alten
Kaiser und ihre Minister umgeben wurden, die Dialogen,
welche ihnen, namentlich bei den s. g. Philosophen (Tseu).
in den Mund gelegt werden, mitzulheilen ; wir raüssi.n aber
hier darauf verzichion und können nur au.'' einige der Schriften
— alle erst aus der Zeil der 5. D. Hau und später, denrn
sie entnommen sind, hinweisen, und etwa die Nachrichten
über Yao beispielshalber kurz andeuten. Ausser dem Schu-
king — Meng-t?eu und die Schüler des Con^'ucius werd-n eigen-
thümlicher Weise nicht angefüjirt — wohl aber der Ta-thai
Li-ki und der grosse Commentar zum Schu-king; (Schang-
schu Ta-tschu^^n) und Ti Yao Pei , ein angebliches Stein-
denkmal des Kaisers Yao, — von späteren Geschichtswerken,
ausser dem Sse-ki die s. g. Chronik Liü-schi's (Tschün-thsieu^^,
die schon erwähnte Chronik der Kaiser und Könige von
Hoang fu-mi,^) der unechte Y^o-tseu, die späteren Philosophon
Kuang-tseu, Tschuaüg-tseu, Schi-tseu, Hoai-nan-tseu u. A., dann
von Miscellaneen der Pe-hu-thung, der Sin-schu, Schue-yuen.
5) 26 verschiedene Abhandlungen , die ^^ele sonst nicht
bewährte historische Angaben über die alte Geschichte Chinas ent-
halten. Der Verfasser soll Liü-pu-wei aus der Zeit Thsin SchiHoang-
ti's (240 V. Chr.) sein: s. Han-schu K. 30 f. 20 n. Kat. 13 f- 2 v. (unter
Tsa Kia), vgl. Wjlie p. 126.
6) Dieses Werk aus d. D. Tsin, dessen Vf. 282 n. Chr. starb und
den Tao-sse sich zuneigte, existirt nach Gaubil Tr. p. 142 nicht mehr
ganz, sondern nur Fragmente davon bei andern Historikern, aber
desselben Verfassers Kao-sse tschuen haben wir in der oft er-
wähnten Sammlung II, 14. Es enthält kurze Biographien berühmter
Chinesen von Yao bis auf seine Zeit, 8 aus Yao's Zeit; siehe meine
Abh. über die Sammlung S. 291 fg. und Wylie p. 28.
Plath: QueUen der alten chines. Geschichte. 67
Po-voe-tschi. Tsieu-fu-lün, Ho-i-ki u- Scho-i-ki^), Lo-thao^),
Schan-bai-king^) , Ku-kin-tschu und Lün-heng. Der Tha-
thai Li-ki im I-sse 9 f. 1 spricht von Yao's Geburt nach
14 monatlicher Schwangerschaft seiner Mutter , von seiner
Gestalt u. s. w. und später f. 9. von seiner Frau.
Die Chronik der Kaiser und Könige erwähnt seiner
Söhn^' un 1 gibt für seine Geburt, Thronbesteigung, die Ueber-
tragung der R'-gentschaft an Schün und seinen Tod in sein^'^m
118. Jahre, im 98, seiner Regierung das bestimmte Jahr,
jedesmal mit dem Cycluszeichen an. Sie nennt auch den
Ort seines Begräbnisses Ko-lin. Eben diesen nennen auch
Me-tseu (Jieser mit näheren Angaben über seine Beerdigung)
Liu-schi's Tschhün-thsieu und der Schan-iai-king). In diesen
könnte man einige l)istori>che Data erhalten glauben, obwohl
kaum in den so bestimmten Zeitangaben.
Der Schue-yuen im I-sse f. 6 u. Hoai-nan-tseu nennen
die Hauptämter unter Yao und die Männer, welche sie
bekleideten. Die meisten sind aus dem Schu-king. Es
kommen aber auch einige vor, die sich dort nicht finden, und
die detaillirte Angaben über ihre Thätigkeit bei dem letztern,
sowie die über die Erfindungen zu seiner Zeit und die
Thätigkeit namentlich Heu-tsi's im Sin-iü ib. f. 6 v. sind
wolil mehr ein Produkt der Phantasie, als geschichtliche
Tradition; s. m. Abb. China vor 4000 Jahren S. 107.
Der Ajt ist auch wohl die Schilderung der Einfachheit
der Wohnung, Kleidung, Nahrung und Hauseinrichtung Yao's,
im Gegensatze zum Luxus späterer Zeiten, bei Hoai-nan-tseu
ib. f. 1. V. und bei Schi-tseu f. 2 und aus dem Lo-thao f. 2.
Ebenso wenig wird auf die Schilderung von Yao's
Regierung und sein Vordringen bis Kiao-tschi und zur
7) Diese 9 in der Sammlung I, 13; III, 3 u. 5: IV, 2: IV, 1 ; (s. S.80)
III, lOu. II u. IV, 7u. 8; s. m. Abb da u. Wylie p. 127. 67. 153. 128
u. 154.
8) D. i. die 6 Köcher, ein untergeschobenes Werk aus der Zeit
nach D. Han, angeblich von Liu-wang, Minister Tscheu Wen-wang'a
S. Kat. 9 f. 22 v. u. Wylie f. 72.
9) D. i. das classische Buch über Berge und Flüsse in ISK., eine
alte phantastische Geographie Chinas, angeblich aus Yü's Zeit, man
meint aus der D. Tscheu j siehe Katalog K. 14 f. 29, Wylie p. 35 und
Bazin im Journ. As. 1839 B. 8. Es ist in Berlin d. Ausgabe von 1667
in 23 Büchern in 4 Heften nach Schott's Entwurf S. 77.
68 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 8. Januar 1870.
Sandwüste (Lieu-sclia) im Sin-schu ib. f. 3 v. etwas zu geben
sein u. s. w. Für ganz erdichtet wird man die Reden und
Dialoge halten müssen, die ihm verschiedenthch beigelegt
werden. Die Geschichte der Hau (Han-schu) ib. f. sagt
schon : ,,In der Klasse der kleinen Literatur (Siao schue-
kia) ist ein Werk von Tsching-tsu in 11 Abschnitten (Pien) ;
dieses enthält Fragen von Yao, aber dipses ist keine alte Rede."
Sehr weitläufige Angaben aus der Chronik der Kaiser
und Könige, aus Tschuang-tseu und ähnliche aus Liü-schi's
Tschhün-thsieu, dann aus I'u-tseu, Han-fei-tseu, und dem Kao-
sse-tschuen hat der I-sse f, 7 bis 9 über einen Hiü-yeu, dem
Yao in seinem Alter die Herrschaft übertragen wollte, der
sich aber weigerte und in die Eins;imkeit entfloh, ebenso als
er ihn zum Vorstand der 9 Provinzen machen wollte. Es
soll sein Grab noch gezeigt werden und ein Werk : Copien
alter und jetziger Musik (Ku kin yo-lo) soll ein Gedicht ent-
halten, das Yao auf ihn machte. Weder der Schu-king noch
Confucius, seine Schüler und Nachfolger erwähnen aber seiner.
Endlich finden sich hier noch mancherlei Wunder-
geschichten und gute Wahrzeichen (Omina), welche
Yao's Regierung verherrlicht haben sollen, seltene Pflanzen,
die an ungewohnten Orten aufschössen, seltene Vögel, wie
der chinesische Phönix ( Fung-hoang), grosse geisterhafte
Schildkröten, glänzende Sterne, die am Himmel leuchteten u.
ein süsser Thau, der auf die Eide herabfiel. Der Scho-i-ki
ib. f. 5 führt zehn solcher glücklichen Wahrzeichen (Sui)
auf. Auch der Ho-i-ki ist weitläufig darüber. Wir finden
dergleichen auch aus dem Schang-schu tschung-lieu ib. f. 5
und einem besonderen Werke, welches die Chinesen über solche
Wahrzeichen haben, (dem Sung fu sui tschi), dann aus dem
Tien-kieu-tseu und dem Po-voe-tschi. Das alte etymologische
Wörterbuch der Schriftsprache, der Schue-wen, aus der Zeit
der D. Han, erklärt schon den Namen einer solchen Pflanze
von guter Vorbedeutung, welche zu Yao's Zeiten angeblich
wuchs.
Dieses mag als Andeutung dessen, was man in diesen
späteren Schriften über diese alten Kaiser findet, dienen.
Wir müssten zu weitläufig werden, wollten wir ähnliche auch
über seinen Nachfolger geben , oder sie ausführhcher mit-
theilen : doch ist es vielleicht von Interesse für die Geschichte
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 69
der Legenden- und Mytheubildung später einmal in ein
grösseres Detail darüber einzugehen. Confucius und seine
Schule haben, Rationalisten wie sie sind, dergleichen wenn
es auch vielleicht zu seiner Zeit sich schon vorfand, unbeachtet
gelassen ; es ist aber China ebenso wenig fremd, als dem
westlichen Asien, dem Europa seine Legenden verdankt.
3) Dürftige Nachrichten über die erste und zweite
Dynastie (2205 — 1122 v. Chr.).
Wir haben schon gesagt, dass wir über die folgenden
Kaiser, mit Ausnahme der Geschichte des Sturzes der
Dynastien fast gar keine Nachrichten haben. Es begreift
sich das, da der Schu-king, jetzt die Hauptquelle, kein
Gesichtswerk nach unserer Art, sondern mehr ein Spiegel der
Regierung zur Nachahmung oder Warnung sein sollte, deren
Confucius aus so alter Zeit nur wenige noch vorfinden mochte.
a) Aus der ersten Dynastie Hia (2205 — 1766 v. Chr.)
hat der Schu-king nur drei Stücke: 111,2 Kan-tschi. die
Rede (bei der Schlacht) von Kau, nach der Vorrede zum
Schu-king § 6 und Sse-ma-tshien von Yü's Sohn und Nach-
folger Khi, während Tschuang-tseu und Lieu-hiang in seinem
Schue-yuen B. 7 von Yü sprechen und auch Me-tseu sie
noch Yü zuschreibt. Andere wie Liu-schi's Tschün-thsieu im
I-sse B. 12 f. 9 setzten sie schwerlich richtig sogar erst unter
den späteren Kaiser Hia Siang; s. Legge T. 3 p. 153. Der
Text spricht nur vom Kaiser, ohne ihn zu nennen. HI, 3
U-tseu tschi-kho, d.i. der Gesang der 5 Söhne, eigentlich
Brüder (Thai-khang's), enthält ihre Klagen, als dieser Kaiser
ausartete, dem sie ihres Ahnherrn Yü weise Gründsätze vor-
halten. Der Kue-iü und Tso-tschuen citiren Stellen daraus,
man setzt das Cap. 21G9 v. Chr. Wir haben es mitge-
theilt in unserer Abhandlung China vor 4000 Jahren S. 130.
in, -i endlich Yn-tsching, geht auf den sonderbaren
Strafzug gegen die Astronomen Hi und Ho, die ihr Amt
vernachlässigt hatten, unter Kaiser Tschung-khang, (2159-2146
70 Sitzung der pTiilos.-philol. Classe vom 8. Januar 1870.
V. Chr.^, dem vierten Hia. Die folgenden 12 Kaiser der
1. D. werden im Schu-king gar nicht erwähnt, mit Aus-
nahme des letzten Kie beim Sturze der D. Die Vorrede
zum Schu-king § 6 — 8 kennt auch keine andern etwa ver-
loren gegangenen Stücke. Bei Confucius. seinen Schülern
und Nachfolgern wird ausser dem letzteren, dem Tyrannen
Kie, auch keiner weiter erwähnt.
Das Bambubuch bei Legge Prol. T. III p. 118— 127 ist
über diese Dynastie auch sehr kurz, doch erwähnt es manche
Einzelheiten über ihre Residenzen. Visitationsreisen, Anstell-
ungen u. s. w. wieder mit bestimmten Jahresangaben.
Unter Tschung-khang's Nachfolger Kaiser Siang brachen
Unruhen aus, er musste fliehen vor seinem Minister, den
tödtete sein Beamter Han-tso, der dann auch den Kaiser
Siang umbrachte und sich zum Kaiser aufwarf. Indess war
die Frau des ermordeten Kaisers schwanger und gebar
den Schhao-khang, d. i. den kleinen Khang, der nach 40
Jahren wieder auf den Thron gelangte. Wir kennen diese
Geschichte nur aus Tso-tschuen Siang-kung Ao. 4 ; s. Gaubil
Tr. f. 99. Meng-tseu IV, 4, 2, 24 und Lün-iü 14, 1. 6 er-
wähnen den J. aber nur als ausgezeichneten Schützen. Diese
Geschichte kommt nun auch im Banibubuche vor. Aus der
Zeit der folgenden Kaiser werden nur einzelne Kämpfe mit
Vasallenfürsten und barbarischen Stämmen oder deren Hul-
digung erwähnt. Tso-tschuen erwähnt noch des Grabes von
Ti-Kao und spricht von Khung-kia, auch derKue-iüTscheu-
iü 1 f. 30 V.
Der Sse-ki B. II Hia Pen-ki enthält über Yü's
sämmtliche Nachfolger nur zwei Blätter f. 14 — 16 v. ausser
dem, was dem Schu-king entnommen ist , fast nur die Namen
der Kaiser, nicht einmal mit Angabe ihrer Regierungsjahre,
selbst die Geschichte von Siang und seinem Nachfolger
Schhao-khang wird nicht einmal erzählt, nur von Khung-kia
wird sein Aberglaube und der Verfall der D. erwähnt. Den
Untergang der D. hat er schon in der Geschichte der 2. D. Schang.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 7 1
Aus dem I-sse gehören zwei Bücher hieher. B. 12 Hia
Yü scheu -sehen und B. ]3 Schhao-khang tschung
hing; ß. 14 Schang-Thang mie Hia enthält dann schon
die Vernichtung der D. Hia durch den Gründer der zweiten
D. Tsching-thang. B. 12 handelt fast ganz f. 1—8 v. von
Yü; von seinem Sohne und Nachfolger Khi nur f. 8 v. — 9 v.
Ausser dem Schu-king, dem Sse-ki und dem Bambubuche
sind hier noch Stellen aus den Schol. zum Tsu tse***) (tschü).
Aus Meng-tseu V 1. 6. 1 wi?=sen wir, dass Yü das Reich
seinem Minister Y hinterlassen wollte, aber das Volk folgte
nach seinem Tode nicht diesem, sondern seinem Sohne Khi.
Dieses wird auch hier berichtet, und ebenso im Yuei tsüe-
schu. Aus dem Banjbubuche wird angeführt, dass Khi ihn
tödtete, was in unserm nicht steht.
Aus dem Tao kien-lo^^) wird noch von einem kupfernen
Schwerte aus seiner Zeit berichtet. Auch von einer Musik
und Liedern aus seiner Zeit ist noch die Rede im Tsu-tse-
tschü. B. 13 gibt über T^chung-khang nur die Stelleu des
Schu-king, Sse-ki und des Bambubuches; der Tsu tse tschü
spricht wieder von der Musik des ersten.
Aus der Geschichte der späteren Han (Heu Han-schu)
wird des Abfalles der Barbaren f. 2 erwähnt. Die Geschichte
der Kaiser und Könige erzählt dann f. 2. v. die Geschichte
von J, seinen Vorfahren, seiner Ermordung durch Han-tso
und wie dieser den Kaiser Siang tödtete und den Thron
usurpirte, bis er wieder getödtet wurde und Schao-khang auf den
Thron gelangte. Auch aus dem Bambubuche und dem
Tsu-tse-tschü wird dieses berichtet. Aus der Chronik von
U und Yuei wird erwähnt, wie Kaiser Schhao-khang den \Vu-yü
niit Hoei-ki belehnte, um die Opfer Yü's fortzuöetzen. Von
den folgenden Kaisern gibt auch der I-sse nichts als die
Namen aus dem Sse-ki und dem Bambubuche.
B. 14 handelt mehr vom Stifter der zweiten D. Thang,
der die erste D. vernichtete, doch gibt er f. 2 noch Stellen
über den 14. Hia-Kaiser Khung-kia aus dem Sse-ki und
10) Es sind dies wohl die Gedichte aus dem Reiche Tsu ; siehe
Wylie p. 181.
11) Das Werk ist in der oft erwähnten Sammlung IV 26; s. m.
Abh. S. 324.
72 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 8. Januar 1870.
Liü-schi's Chronik; aus dem Tao kien lo eine Notiz über
ein eisernes Schwert aus seiner Zeit ; noch hat er eine Ge-
schichte von ihm aus dem Lie-sien tschuen^-).
Ueber den letzten Kaiser der ersten D. Kie folgt dann
nach der Stelle des Sse-ki eine aus der Chronik der Kaiser
und Könige, dann aus dem Lie-niü-tschuen namentlich über
seine Frau, die auch im Kue-iü sich findet, und noch einige
kurze Stellen über Kie aus Schi-tseu und Me-tseu f. 3.
b) D. Schang. lieber den Sturz des letzten Hia-
Kaisers und die Gründung der zweiten Dynastie
durch Tsching-thang hat der Schu-king B. IV im Schang-
schu schon mehr Dokumente. Es sind folgende: IV, 1
Thang-tschi, Anrede Thang's an sein Heer vor dem Kriege;
IV, 2 Tschung-hoei tschi-kao. Sein Minister Tschung-
hoei beschwichtigt da seine Bedenken wegen seiner Usur-
pation; IV, 3 Thang-kao endlich ist eine Proklamation des
neuen Kaisers Thaug nach seinem Siege.
Nach der Vorrede zum Schu-king § 9 — 14 sind mehrere
Capitel, die Thang betrafen, verloren gegangen. Es heisst
da § 9 von Sie (dem Ahn der 2. D. zu Yao's Zeit) an
wurde ihre Residenz achtmal gewechselt. Thang wohnte
erst in Po, wie sein Ahn und verfasste da (die beiden ver-
lornen C.) Ti-ko und Li-yo; § 10 als Thang die Vasallen-
fürsten züchtigte, begann er mit dem Häuptlinge von Ko
der nicht opferte und verfasste das (verlorene) C. Thang-
tsching (auf diese Begebenheit spielt Meng-tseu III, 2. 5 an);
§11 Y-yn kam von Po nach Hia, unwillig über dessen
Fürsten, kehrte er aber nach Po zurück. Als er in das
Nordthor eintrat, begegnete er Ju-kieu und Ju-fang. Dies
12) Es ist dies eine Biographie von 70 ihrer Unsterblichen, von
einem Tao-sse in 2 K., die Lieu-hiang unter der D Han zugeschrieben
wird , aber wohl erst aus dem 3. oder 4. Jahrhunderte nach Chr. ; s.
Katalog K. 14 f. 42 und Wylie p. 175. Das Werk ist in Berlin; s.
Schott's Verzeichniss S. 8.
Platli : Quellen der alten chines. Geschichte. 73
war Anlass zur Abfassung der beiden gleichnamigen (ver-
lorenen) Cap. ; § 13: Als er Hia besiegt hatte, wünschte er
dessen Opfer au den Geist des Feldes zu ändern, konnte es
aber nicht. Darauf bezogen sich die drei verlorenen C.
Hia-bche. I-tschi und Tschiu-hu; § 14: Nachdem Hia's
Heer völlig geschlagen war, verfolgte Thang es, griff es an
zu San-tsung und eroberte seine kostbaren Steine und
Gemmen. I-pe und Tschung-pe verfassten in Bezug darauf
(das verlorene) (J. Tien-pao; endlich verfasete nach § 17
Kao-schen (das verlorene) C. Ming-kiu.
Aus der Regierung von Thang's Nachfolger Thai-kia
sind auch mehrere C. nach der Vorrede zum Schu-king
verloren gegangen. Vorhanden ist noch IV. 4: Y-yn,
die Ermahnung des Ministers Y-yn, dann I\' 5 das C.
Thai-kia in 3 Abthlg., Ermahnungen des Ministers Y-yn
an den Kaiser Thai-kia, da der nicht gut that und er ihn
3 Jahre einsperrte und IV, 6.: Hien-yeu-y-te, eine Er-
mahnung des Ministers als der Kaiser die Selbstregierung
antrat. Verloren sind nach der Vorrede § 18 aus dieser
Regierungszeit die 2 (J. Sse-ming und Tsu-heu.
Im jetzigen Schu-king sind nun keine weiteren Documente
erhalten über die späteren Kaiser der 2. D. bis zum 17. Die
Vorrede des Schu-king § 21 — 26 erwähnt indessen mehrere
verlorene Gap. § 21: Als Yo-ting den Y-yn in Po beerdigt
hatte, wurde das C. Yo-ting verfasst, das die Lehren und
Thaten des verstorbenen Ministers enthielt; § 22: Als I-tsche
Premierminister von Kaiser Thai-meu war, wuchs sonder-
barer Weise im Hofe der Residenz Po ein Maulbeerbaum
und eine Kornähre. Der Minister erzählte Wu-hien davon
und der verfasste das verlorene C. Hien-i in 4 Abschn.;
§ 23: Der Kaiser sprach mit seinem Minister I-tsche darüber,
und so entstanden die verlorenen C. I-tsche und Y^uen-
Ming; § 24: Kaiser Tschung-ting verlegte seine Resi-
denz nach Hiao und auf diesen Anfess wurde das verlorene
74 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 8. Jatniar 1870.
C. Tschung-ting verfasst; §25: Kaiser ilo-tan-kia lebte
in Siaag und da wurde das uach ihm genannte verlorene
C. verfasst; § 26: üer Kaiser Tsu-y hatte Ungemach in
Keng und da wurde das nach ihm genannte verlorene C.
verfasst.
Die folgenden Cap. sind nun in unserem Schu-king er-
halten: IV 7, das G. Puan-keng, enthält 3 Proclamationeu
dieses 17. Kaisers der 2. D., als er seine Residenz verlegte
und das Volk murrte. Von seinen beiden Brüdern und
Nachfolgern gibt es kein Document. IV 8, Yue-ming in
3 Abschn., geht auf einen Traum des Kaisers Kao-tsung,
in welchem er den Minister Fu-yeu sah, den er dann auf-
suchen Hess. Aus der Zeit dieses Kaisers ist auch das C.
IV, 9 Kao-tsung yung ji, eine Vorstellung von Tsu-ki,
bei der Gelegenheit eines Opfers. Verloren ist nach der
Vorrede § 29 das C. Kao-Tsung tschi hiün, Ermahnung
an den Kaiser von demselben Tsu-ki.
Die folgenden Cap. sind schon aus der Zeit des Sturzes
der D. ; so IV, 10 Si-pe kan Li, als der Fürst des Westens
(der Stifter der 3. D.) Li erobert hatte, eilte Tsu-i zum
letzten Kaiser der zweiten D. , es ihm zu melden ; und
IV. 11 Wei-tseu enthält die Klagen dieses Prinzen der
zweiten D. über den Verfall derselben. Von 40 Gap., welche
diese D. betrafen, sind also nur 11 erhalten.
In der 5. Abtheilung des Schu-kings, dem Buche der
Tscheu, kommen noch einige Stellen vor, welche auf die
Kaiser der 2. D. sich beziehen; so im C. Li-tsching V, 19,
4 fgg. über den Gründer Thang; im G. Wu-i V, 15, 4 fgg.
werden die Kaiser Tschung-tsung, Kao-tsung und
Tsu-kia von Tscheu-kung gerühmt, — sie hätten daher 75,
59 und 33 Jahre regiert, während ihre vergnügungs-
süchtigen Nachfolger nur 10,7—8, 5 — 6 oder 3— 4 Jahre —
ebenso im C. Kiün-schi V, 16, 7 die würdigen Minister
der Kaiser Y-jn der Thang's, Pao-heng der Thaikia's,
Plath: Quellen d^r alten chines. Geschichte. 75
I-tsche, Tschin-hu und Wu-liien. die Thai-meu's;
dieser auch der Tsu-y's uud Kan-puau der W u-tiug's, was
eine genaue historische Kenütiiiss dieser Zeit, die uns ab-
geht, voraussetzt. V, 14, 7 wird gesagt, dass von Tsching-
Thangbis Ti-y die Fürsten ausgezeichnet waren, ebenso V, 18.
10 und V, 10, 9.
Das Liederbuch (Schi-king) ist erst aus der 3. D. ; in-
dessen dauerte uuter dieser die Kaiserfamilie der 2. noch
im Reiche Sung fort und in den Liedern aus diesem
Reiche Schang-suug werden die Ahnen derselben gefeiert
IV, 3. 3 uud 4 enthahen die älteste Nachricht über die
angebh'ch wunderbare Geburt des Stifters dt-rselben Sie,
der Minister unter Yao gewesen sein soll; dann erwähnt
das Lied einen Nachkommen desselben Siang-tu und be-
sonders den Stifter der D. Thang und dessen Thaten. Diesen
feiern auch IV 3. 2 und neben dem Kaiser Kao-tsung IV
3, 5, aber in späteren Liedern des Ahuentempels. Der Fürst
Thai-kung von Sung seit 799 v. Chr. soll deren 12 gesammelt,
Confucius abernur noch 5 vorgefunden haben, s. laGharmep.319.
Gonfucius und seine Schüler und Nachfolger beson-
ders Meng-tseu preisen namentlich den Stifter Tschiug-
thang und seinen ^linister Y-yn. Wir bezieheu uns der Kürze
wegen auf unsere historische Einleitung zu Confucius
Leben S. 19 — 23, wo wir alle sie betreffenden Stellen ge-
sammelt haben. Meng-tseu erwähnt speciell sein Verfahren
gegen den Fürsten von Ko, widerspricht der Legende, dass
Y-yn den Kaiser durch seine Kochkunst gewonnen habe, und
lässt dann Wai-ping, Tschuug-jin und Thai-kia auf ihn folgen,
den Y-yn dann 3 Jahre einsperrte, bis er sich besserte. Von
den folgenden Kaisern wird namentlich Wu-ting noch erwähnt.
Das Baiiibubuch spricht p. 128 — 141 von den Kaisern
der 2. D. Die Note zu Anfang gibt die Legende von der
wun'lerl aren Geburt des Ahnherrn der D. Sie; sonst gibt
es nur kurze Notizen, einige von Naturvorkommnissen, auch
76 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 8. Januar 1870.
einzelne Wunder oder gute Wahrzeichen werden berichtet.
Auf den Stifter lässt es, wie Meng-tseu Wai-ping und Tschung-
jin und dann erst Thai-kia folgen. Hier hat es die ab-
weichende Notiz, dass der Minister Y-yn ihn einsperrte und
sich des Thrones bemächtigte, bis jener im 7. Jahre entfloh
und darauf den Minister tödtete ; dreitägig anhaltende Nebel
veranlassten ihn aber Y-yn's Söhne wiedi^r zu Aenitern zu er-
heben. Die Notizen über die folgenden Kaiser sind sehr kurz
und heben vorzugsweise nur ihre Residenz in Po unter dem
ersten bis neunten, in Hiao unter dem zehnten bis zwölften,
in Keng unter dem dreizehnten, in Pe unter dem vier-
zehnten bis siebenzehnten, in Yen unter dem aclitzehnten
und in Yn unter dem 19. bis 30. Kaiser hervor. Aus der
Vorrede des Schu-king wissen wir, dass die verlorenen C.
desselben den W'echsel der Residenzen betrafen. Etwas
ausführlicher ist das Bambubuch über den 22, Kaiser Wu-
ting und den 24. Tsu-kia, unter jenem gibt die Notiz f. 13
die Gränzeu des Reiches an. Vom 27. Wu-y an bilden die
Thaten der Vorgänger des Stifters der 3. D. Tscheu schon
die Hauptbegebeuheiten.
Der Sse-ki ß. 3 Y'n Pen-ki beginnt mit der Legende
von der wunderbaren Geburt des Ahnherrn der D. Sie nach
dem Schi-king, und der Dienste, welche er unter Yao
nach dem Schu-king leistete, nennt dann seine Nachkommen
bis auf Tschiug-thang. Bis dahin wurde die Residenz acht-
mal gewechselt. Bei den Nachrichten über Thang und Y-yn
liegen die des Schu-king und Meng-tseu's zu Grunde. Vor
Thai-kia hat er dann f. 5, wie ^leng-tseu, die erwähnten
beiden kurzen Regierungen. Von Thai-kia wird seine Ein-
speirung und Besserung erwähnt; von seinen Nachfolgern
nennt er nur die Namen, ohne auch nur die Dauer ihrer
Regierung anzugeben. Fast nur, wo der Schu-king oder die
Vonede zum Schu-king einiges Detail hat, findet es sich
auch hier, so unter Kaiser Puan-keng, Wu-ting's Traum
f. 7 fgg., dann wieder die blossen Namen der Kaiser, nur
Flath: Quellen der alten chines. Geschichte. 77
von Wu-i wird f. 9 die Gottlosigkeit berichtet, wie er Pfeile
gegen den Himmel abschoss und dafür vom Blitze erschlagen
wurde. Wir haben die Stelle in u. Abh. üeber die Rehgion der
alten Chinesen I S. 20 bereits angezogen. Etwas ausführlicher
spricht er von dem letzten Kaiser dieser D. Ty-sin oder
Scheu f. 9 fgg.
Im I-sse handelt das ganze 14. Buch Schang Thang
mie Hia von dem Stifter der 2. D. Thang und dem Unter-
gänge des letzten Kaisers der ersten D. Kie. Er beginnt
auch mit der Legende von der wunderbaren Gebuit des Ahn-
herrn der D. Sie, nachdem Sse-ki, Lie-niü-tschuen^^), dem
Ku-sse-kao, Liü-schi's Chronik und dem Ho-i-ki, dem Suug
schu-fu-sui-tschi und dem Schi-king u. nennt dann seine Nach-
folger nach dem Ss(:-ki. f. 1 v. erzählt Tsching-thang's
Geburt nach der Chronik der Ktiiser und Könige und seine
angebliche Gestalt nach dem Lo-schu, Pe-hu-thung u. A.
Aus dem Sse-ki und Liü-schi's Chronik wird der Verlall der
ersten D. seit Khuug-kia und den iolgenden Kaisern erwähnt,
namentlich die Tyrannei des letzten Kaisers Kie und seiner
Frau nach dem Lie-niü-tschuen u. A. Eine Geschichte von
Thaug's Verfahren gegen den Pursten von King f. 3 v. aus
dem Yue tsue schu klingt ziemlich wie die gegen den Fürsten
von Ko bei Meng-tseu s. oben S. 75.
Die von Meng-tseu schon verworfene Anekdote, dass
Thang's Minister Y-yn ihn durch seine Kochkunbt gewonnen
habe, wird hier aus dem Sse-ki mitgetheilt, seine wunder-
bare Geburt aus Liü-schi ; wie Thang zu ihm kam aus dem
Tsu-tse tschü, Me-tseu u. A., dann aus der Chronik der
Kaiser und Könige, dem Shi-iü^*) und Han-fei-tseu, f. 4
wie er als Koch auftrat. Ausführlich ist Liü-schi neben
andern Erzählungen über ihr Zusammentreffen, auch Me-tseu
u. A. ; f. 6 schildert dann Kie's Tyrannei und Ausschweif-
ungen nach dem Siu-siü^*) und Schang-schu ta-tschuen^^)
F. 6. V. folgen Stellen aus Hoai-nan-tseu, Me-tseu und
13) Biographien berühmter Frauen von Lieu-hiang aus der D.
Han im I.Jahrhunderte, in7K.; s. Katalog K. ü f. 12 v. u. Wylie p. 28.
1-4) Beide Werke, der Sin-iü u. Sin-siü, sind in der Sammlung
III, 2 u. 4; s. m. Abh. S. 294 u. 296 u. Wylie p. 67.
15) 4 K.; s. Katalog K. 2 f. 11.
78 Sitzung der phiTcs-phtlöl. Classe vom 8. Januar 1870.
dem Sin-siü über Thang's erstes Auftreten, f. 7 wie dem
Tyrannen Kie von Thaug Vorstellungen gemacht werden,
der diesen aber gefangen setzen, ihn dann aber wieder los-
lässt nach der Chronik der Kaiser und Könige, dem Sse-ki,
dem Tsu-tse-tschü, dem Schang-schu ta-tschuen, dem Thai-
kung Kin hoei u. A. ; wie der Geschichtschreiber der Hia
zu Thang übergeht f. 7. v. nach Liü-schi's Chronik; wie
Lung-fung dem Tyrannen Vorstellungen macht, der ihn aber
tödtet nach dem Hau schi wai tschuen^^) und Fu-tseu f. 7 v.
dem Po-voe-tschi u. A. : f. 8 spricht von dem daraufifolgendpn
bösen Vorbedeutungen, dem Einstürze eines Berges u. s. w.
nach Thai-kung's Kin hoei und Hoai-nan-tseu u. A. ; f. 9
gibt angebliche Gespräche von Thang mit Y-yu aus Liü-
schi's Chronik. Schi-tseu und Stelh n aus Kuan-tseu, dem
Schue-yueu f. 9 fgg. u. A. ; Kie's Gefamren^chaft und Tod
erzählt er nach dem Sse-ki, Hoai-nan-tseu und der Chronik der
Kaiser und Könige; i. 11 v. gibt noch ein angebliches Ge-
spräch mit Thang aus dem Tscheu-schu^'). Es folgen
dann Stellen aus dem Schi-king und Schu-king und dem
Sse-ki f. 14 V., und ein ano;ebliches Gespräch Thang's mit
Po-sui aus Tschuang-tseu, f. 15 noch Stellen aus Han-fei-
tseu iiber die Farben und Abzeichen der D., aus dem Sse-ki,
Liü-schi's Chrunik, der Chronik der Kaiser und Könige und
Kuau-iseu. Unter Thang soll bekanntiich eine grosse sieben-
jährige Dürre gewesen sein. Die Stelle über diese aus
dem Schue-yuen, Siün-tseii. Liü-schi's Chronik, der Chronik
der Kaiser und Könige, Hoai-nan-tseu und Schi-tseu gibt
f. 15 V. F. 16 spricht von der Musik Thang's Ta-hu nach
Liü-schi , Han-schi wai-tschuen u. A. F. 16 v. gibt aus
Yo-tseu die augeblichen Namen von Thang's Ministern. Wi)-
haben die Stelle in u. Abb. l -eher die chronologischen Grund-
lagen der alten chines. Geschichte S. 39 bereits mitg th.nlt.
Dann folgen noch angebliche Gespräche des Kaisers mit
Y-yn aus dem Tscheu-schu und Schue-yuen f. 16 v. bis 19 v.
Aus dem Han-schu (30 f. 14v. u. 2 Iv.) werden 2 Werke, die solche
16) Es findet sich dieses Werk von Han-yng a. d. D. Han in der
oft erwähnten Sammlung I, 9; s. m. Abh. S. 7.
17) Eben da I, 6; s. m. Abh. S. 6,
Plath : Quellen der alten chines. Geschichte. 79
Gespräche mit Y-yn enthielten f. 18 v. nur angeführt; eines aus
der Classe der Tao---se Schriften (tao-kia) in 52 Abschnitten.
(Y-yn u-achi-eul) , das zweite aus der Classe der Siao-schue
(Y-yn schue) in 27 Aitschnitteu. Beidp sind natürlich erdichtet
und dann auch noch ein Werk Thien-y in 8 Abschnitten ;
f. 18 V. enthält noch angebliche Aussprüche von Thang aus dem
Sin-schu. Eine Wundergeschichte Liü-schi's, wie ui^.ter ihm
Korn in der Hallo weichst f. 19 erinnert an eine ähnliche
Geschichte unter Thai-wu.
Zuletzt folgen f. 19 v. Sprüche Thang's aus dem Kuei-
tsang und eine Notiz über sein Grab aus dem Houng-Jan,
E'icher, die ich weiter nicht kenne.
B. 15. Y-yn fu Thai-kia, d. i. (der Minister) Y-yn
unterstützt (den Kiii^fr) Thai-kia. Dieses kui'ze Buch ent-
hält nur Auszüge aus dem Schu-king. aus dem Sse-ki. dem
ßambubuche und einen aus der Chronik der Kaiser un 1
Könige über Y-yn's Tod unter Kais« r Yo-ting.
B. 16. Thai-wu Puan-keng tschi hien, d. i. die
Weisen (der Kais-^-r) Thai-wu und Puan-keng. Hier findet
man wied'>r nur Auszüge aus dem S'e-ki, dem Bambubuche,
u. der Vorrede zum Schu-king. Aus der Chronik der Kaiser
und Könige ist f. 1. v. die Wuuderc;eschichte entuomu;en,
wie Uüter Thai-wu ein Maulbeerbaum im Hofe wächst und
des Ministers Yn-tschi Erklärung de«>halb.
Ueber die folgenden Kaiser hat der I-sse nur Auszüge
au=; dem Sse-ki unl Bambubuche. Ueber Puan-k( ng foliren
dann f. 2 — 4 v. die Kapitel des Schu-kiug und zuuj Schlüsse
noch eine Stelle aus der Chronik der Kaiser und Könige
über seine VerL gung der Piesidenz nach Yn.
B. 17. W^u-ting tschung hi ig, d.i. (Kaiser) Wu-ting
wandelt in der rechten Mitte. Ueber die erstfU Kaiser vor ihm
gibt er wieder nur Auszüge üus dem Sse-ki und Bambubuche.
Dann folgt eine Stelle über Kao-tsun;?'? (d. i. Wu-ting's)
Traum, worin ihm sein Minister ang-^deutet wird, nach der
Chronik der Kaiser und Könige, dem Me-tseu und Ho-i-ki
und dann das bekannte Capitel des Schu-king. f. 3 wird
aus dem Schue-yuen erzählt . wie unter Wu-ting ein Maul-
beerbaum im Hofe wächst, ohne dass dieses Omen Schaden
brachte. Dieselbe Geschichte wird wiederholt aus dem
Schang-schu Ta-tschuen und aus demselben und dem Ku-kin-
8Ö Sitzung der philos.-philol. Classe vom 8. Januar 1870.
tschu^^) ein anderes Omen, wie ein Fasan sich beim Opfer
auf den Dreifuss setzt; f. 4 wird aus dem Li-ki C. 49
Sang fu sse tschi das Gescliiclitchen erwähnt, wie Kaiser Kao-
tsung angeblich 3 Jahre nicht gesprochen habe und dieses
erklärt.
lieber die folgenden Kaiser dann nur kurze Notizen aus
dem Sse-ki und dem Bambubuche. B. 18 handelt schon
von dem Emporkommen des Hauses der 3. D. Tscheu.
4a) Sturz der 2. Dynastie unter Scheu-sin und die
Gründung der 3. Dj-nastie unter Wen- und Wu-wang
und seinem Nachfolger Tsching-wang, und Regent-
schaft Tscheu-kung's während dessen
Minderjährigkeit.
Hier fliessen die Quellen des Schu-king im fünften
Theile, Tscheu-schu , d. i. dem Buche der Tscheu, schon
reichlicher. Wir müssen die einzelnen Stücke , die uns er-
halten sind, dem Inhalte nach andeuten.
Ueber die Ahnen der D. Tscheu enthält der Schu-king
kein näheres Detail, indess werden im C. Wu-tsching V, 3, 5
Kuiig-lieu , Thai-wang , Wang-ki und sein Vater Wen-wang
von Wu-wang gerühmt und im C. Wu-i (V, 15 § 8) die 3
letzten erwähnt. Als Minister Wen-wang's rüiimt Tscheu-
kung im C. Kiün-schi V, 16, 12: Ke-scho, Huug-yao, San-
i-seng, Thai-tien und Nan-kung-kuo. Nach dem Tso-tschuen
Hi-kuiig Ao. 5 war der erstere ein jüngerer Bruder Wen-
wang's. Die eigentlichen Dokumente beziehen sich aber
vorzugsweise nur auf den Eroberer Wu-wang und Tscheu-
kung unter Tsching-wang.
Die einzelnen Stücke sind nun diese: V, 1. Thai-
tschi in 3 Abtheilungen , d. i. die grosse Deklaration (Wu-
18) In der Sammlung IV, 1 ; s. m. Abh. S. 312, vgl. Wylie p. 128,
angeblich aus Saec. 4; das alte Werk soll al)er verloren und dies
eine Compilation eines ähnlichen Werkes aus der Zeit der späteren
D. Thang sein.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 81
wang's an der Fürth von Meng); V, 2. Mu-tschi, seine
Anrede au die Armee zu Mu , ehe er Schang bekämi^fte;
V, 3. Wu-tsching, d. i. die Vollendung oder Beendigung
des Krieges (eine andere Anordnung von Tschai-tschin
findet man bei Legge T. III p. 318); V, 4. Hung-fan,
der grosse Plan , enthält die Anleitung Ki-tseu's über die
Principien der Regierung; V, 5 Liü-ngao, d. i. die Hunde
von Liü , die Ermahnung des Grossbeamten Thai-pao , als
die Westbarbaren von Liü dem Kaiser grosse Hunde
schenkten; V, 6. Kin-teng, d. i. der metallumwundene
Koffer, bezieht sich auf Tscheu-kung, als dieser Bruder Wu-
wang's während dessen Krankheit für den Kaiser sich dem
Tode weihte; V, 7. Ta-kao, die grosse Verkündigung
(Tscheu-kung' s an Tsching- wang bei Wu- wang's Tode);
V, 8. Wei-tseu tschi ming, d.i. der Befehl an Wei-tseu,
(dem Sohne des letzten Kaisers der 2. Dynastie, dem eine
Herrschaft gegeben worden war); V, 9. Kaug-kao, d. i.
die Erklärung (an den Prinzen von) Kang (Wu-wang's
9. Sohne, bei der Gründung der Stadt Lo) ; V, 10. Tsieu-
kao, eine Ermahnung (an die Beamten der 2. Dynastie)
gegen Trunkenheit; V, 11. Tse-tsai, nach einem Zimmer-
holze genannt, enthält Ermahnungen, die Regierung betreffend,
an Tsching-wang ; V, 12. Schao-kao, ist eine Verkündung
des Fürsten von Schao (bei der Gründung der Stadt Lo) ;
V, 13. Lo-kao, die Ermahnung (betreffend) Lo (von
Tscheu-kung, geht auf dieselbe Begebenheit); V, 14. To-
sse, d. i. die vielen Beamten (der 2. D. Schang), enthält
Ermahnungen an diese; V, 15. Wu-i, d. i. kein Luxus,
ist eine Expektoration Tscheu-kung's gegen diesen; V, 16.
Kiün-schi, d, i. der Fürst Schi, enthält eine Ermahnung
desselben an ihn ; V, 17. Tshai tschung tschi ming, Erlass
(von Tscheu-kung) an (seinen jüngeren Bruder), den Fürsten
von Tshai (nach Niederwerfung des Aufstandes seines Vaters
mit den Fürsten von Kuan und Ho); V, 18. To-fang, wörtlich
[1870, LI.] 6
82 Sitzung der phüos.-phihl. Classe vom 8. 3'anu<xr 1870.
die vielen Gegenden, ist eine Anrede Tsclieu-kung's an Kaiser
Tsching-wang nach Unterwerfung der Stämme von Yn ; V, 19.
Li-tsching, heisst die Anordnung der Regierung, Tscheu-
kung erwähnt hier, wie sie unter der l.D.Hia, unter der 2. D.
Schang und unter Wen- und Wu-wang von der 3. D. Tscheu
war; V, 20. Tscheu-kuan, d. i. die Beamten der D. Tscheu,
(wie Kaiser Tsching-wang sie regelte). Thsai bemerkt p. 523,
wie sie mit den im Tscheu-li nicht übereinstimmten; V, 21.
Kiün-tschhin, bezieht sich auf diesen Grossen, der nach
Tscheu-kung's Tode Gouverneur des Osten wurde; V, 22.
Ku-ming erzählt Kaisers Tsching- wang's Ende und Testament
(1079 V. Chr.)
Dies sind die Cap. des Schu-king, welche die Stifter
der 3. Dynastie betreffen und die sich erhalten haben. Nach
der Vorrede zum Schu-king sind 8 Capitel aus dem Buche
der Tscheu verloren gegangen. Wir wollen die Notizen über
diese hier wieder hinzufügen. § 36 heisst es: Als Wu-wang
Yn erobert hatte, setzte er die Fürsten der verschiedenen
Staaten ein und vertheilte unter sie die Gefässe des Ahnen-
tempels. In Bezug darauf verfasste er das Cap. Fen-ki,
d. i. die Vertheilung der Gefässe. § 38 als der Fürst von
Tschao an den Hof kam (zur Aufwartung) , machte der
Chef (Pe) von Jui das Cap. Tschao-ming', der Hof-Befehl.
§ 42. Der Oheim des Kaisers, der Fürst von Thang, fand
zwei Aehren auf einem Stengel wachsen und brachte ihm
diesen dar; der Kaiser befahl, ihn an Tscheu-kung nach
den Osten zu senden und es wurde auf diesen Anlass
das Cap. Kuei-ho, d.i. das Korngeschenk verfasst. §. 43.
Nachdem Tscheu-kung es erhalten hatte, setzte er des
Kaisers Obliegenheiten auseinander und machte das Cap.
Kia-ho, d. i. das vortreffliche Korn. § 51. Nachdem
Kaiser Tsching-wang die Barbaren am Hoai-Flusse im Osten
besiegt und den Staat Yen vernichtet hatte, wurde das
C. Tsching-wang, d. i. die Vollendung der königl. Re-
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 8B
gierung, verfasst. § 52. Nachdem Tsching- wang Yen ver-
nichtet hatte und seinen Fürsten nach Phu-ku versetzen
wollte, meldete Tscheu-kung es dem Fürsten Schao-kung und
verfasste das C. Tsiang Phu-ku. § 56. Nachdem Kaiser
Tsching-wang die östlichen Barbaren geschlagen hatte, kam
Su-schin, ihm Glück zu wünschen. Der Kaiser machte ihn
zum Chef von Yung und verfasste das C. Su-schin tschi-
ming, d. i. der Erlass an oder die Bestallung von Su-schin.
§ 57 endhch besagt, als Tscheu-kung in Fung war und im
Sterben lag , wünschte er in Tschiug-tscheu begraben zu
werden , aber als er gestorben war , begrub ihn Kaiser
Tsching-wang in Fi und verfasste bei der Leichenrede das
C. Po-ku. Man sieht, es sind dies lauter abgerissene Stücke
aus dieser Zeit.
Ein merkwürdiges Stück zur Geschichte des Vorgängers
von Wu-wang und seines Bruders Tscheu-kung besitzen wir
noch im Y-king. Von jenem ist der älteste Text T. I
p. 163 bis T. II p. 371 (auch im I-sse B. 19 f. 13—15);
von diesem T. I p. 170 bis T. II p. 376 (auch im I-sse B. 23
f. 7-15). Es sind allerdings nur dunkle kurze Aussprüche, von
welchen aber namentlich die ersteren sich auf die Zeitbegeben-
heiten zu beziehen scheinen, s. P. Regis T. I p. 21 £f. und
35. P. Gaubil Tr. de la Chron. Chin. in den Mem T. XVI,
p. 77 sagt darüber : Wen-wang und Tscheu-kung haben in
ihren Texten schöne moralische Lehren , aber in ziemlich
dunklen und metaphorischen Ausdrücken gegeben. Sie wollten
vornehmHch die Unordnung zeigen, die zu ihrer Zeit herrschte.
Um diese Texte gut zu verstehen, muss man aber die Zeit-
geschichte kennen , auf welche sie offenbar anspielen. Die
s. g. Kua schreibt man gewöhnhch dem Fu-hi zu. Wen-wang
schrieb zu jeder der 64. Kua einen kurzen Text, sein Sohn
Tscheu-kung dann zu jeder Linie derselben zur Erklärung
einen etwas ausführlicheren Text. Man nennt diese Texte Y'ao.
Das Liederbuch (Schi-king), aus der Zeit der
84 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 8. Januar 1870.
3. D. Tscheu, enthält nun auch mancherlei zur Geschichte
derselben bis Ping-wang. Einige Lieder sind zum Lobe
Wen-wang's, Wu-wang's, Tscheu-kung's und Anderer, andere
aber auch Satiren auf die späteren entarteten Kaiser, s. unten.
Man sang die ersteren bei grossen Ceremonien und Festen.
Aber alle diese Stücke setzen eigentlich die Kenntniss der
Geschichte schon voraus, da in vielen, namenthch der letz-
teren die Kaiser oder Grossen, welche sie betreffen, nur an-
gedeutet sind. Der I-sse B. 18 ff. hat sie indess als geschicht-
liche Belege ausgezogen und folgt dabei namentlich der
Vorrede zum Schi-king (Schi-siü).^^) Wir heben hier
zunächst nur die hervor , welche auf die Ahnherren und
Stifter der 3. Dynastie deutlich Bezug nehmen. So wird im
Ta-ya III, 2, 1 der Ahnherr der D. Heu-tsi als Gründer
des Ackerbaues (2286 v. Chr.) gepriesen und seine wunder-
bare Geburt von der Kiang-yuen schon erzählt. (III, 3, 4
p. 178) und IV, 1, 1, 10 erwähnt seiner, aber als Schutzgeist
der Familie. IV, 2, 4 wird er und seine Mutter ebenso
verherrlicht. Dies ist in den Lu-sung, Gesängen aus Lu,
dem Reiche der Familie Tscheu-kung's,
Der nächste Ahn, der III, 2, 6 gefeiert wird, ist Kung-
lieu (1797 v. Chr.) Das Lied soll nach p. 304 von Tschao-
kung aus der Zeit von Kaiser Tsching-wang sein; dann
feiern III, 1, 3, III, 1, 7, IV, 1, 1, 5 und IV, 2, 4 den
Tan-fu, mit dem Beinamen Ku-kung, d. i. der alte Graf,
der später den Titel Thai-wang, d. i. der grosse König,
erhielt (1327 v. Chr.), und seine Gattin Kiang-niü (oder
Tscheu-kiang III, 1, 6) feiert III, 1, 3, aber auch die
19) In der Sammlung Han Wei thsung schu geben 1,7 der
Schi-tschuen und I, 8 Schi-schue, jener angeblich von Confucius
Schüler Tseu-kung, dieser aus der Zeit der D. Han, kurze historische
Andeutungen zu den einzelnen Liedern des Schi-king, s. m. Abh. über
die Sammlung, a. d. S. B. d. Ak. S. 7.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 85
Brüder Thai-pe und Wang-ki, seine Söhne, von denen
dieser (1231 v. Clir.) ihm nachfolgte und der Vater von
Wen-wang wurde, IIL 1. G auch Wang-ki's Frau, die
Mutter Wen-wang's , die Thai-jin, vor allen dann aber
"Wen-wang und Wu-wang, beide IIL 1, 1, 3, 7 und 8
und III, 3, 1 IV, 1,1,1. 2. 3. 4. und 7, angeblich auch III, 1,
4 und 5, obwohl er dort nicht genannt wird, beide III, 1,
2, 9 und 10; IV, 2, 4 p. 210, ohne ihn zu nennen ein
Ahnenlied. IV, 1, 2, 7 und 8 p. 312. Als Verfasser der
Lieder IV, 1, 1, 1, und 2 IV, L 2, 10 wird p. 309
und 313 Tscheu -kung angenommen. Einige von diesen
Liedern sind Todtenlieder , so das auf Tan-fu IV. 1, 1, 5
vergl. p. 310; IV, 1, 1, 10 auf Heu-tsi ; auf Wu-wang,
IV, 1, 2, 8, 10 und IV, 1, 3, 8. Auf T seh eu-kung bezieht
sich IV, 2,4 p.212. Andere Lieder werden noch sonst auf sie be-
zogen, ohne dass sie darin genannt sind, so I. 1. 1, angeblich
ein HocLzeitslied von Wen-wang's Tochter ; I. 1. 3 und 4, sollen
Wen-wang's Frau feiern. IV, 1, 3, 1. 2. 3, und 4 Lieder,
solche sein, welche Kaiser Tsching-wang gesungen hat nach
p. 313. Auf ihn gehen IV, 1, 1, 6 und 9 , IV, 1, 2, 2,
IV. 2, 4 p. 210 und andere, ohne bestimmte Zeitangabe.
Es bedarf diess aber immer einer Untersuchung im Einzelnen,
wobei denn die Lieder, wie gesagt, mehr eine Erklärung
aus der Geschichte erhalten . als dass sie als Quelle der
Geschichte dienen könnten.
Eine viel bedeutendere Quelle für die innere Ge-
schichte der 3. Dynastie in ihrer ersten Zeit der Blüthe
gewährt der 1. Theil des LiederbucLes, Kue-fuug. die Sitten
der Reiche, betitelt, kleine Lebensbilder, obwohl sie sich
immer nur auf einzelne kleine Vasallenreiche beziehen. Wir
wollen sie hier übei sichtlich erwähnen, da mehrere dieser
kleinen Reiche später nicht mehr vorkommen. P. I C. I
Tscheu-nan. ausdemsüdUchenTscheu, soll nach p.220Tscheu-
kung gesammelt haben. P. Amiot Mem. T. 13 p. 155 lässt Ode
86 Sitzung der phüos.-pMöl. Classe vom 8. Januar 1870.
1—5 von Wen-wang verfassen, C. 2, Tschao-nan, enthält
Lieder aus der Herrschaft des lürsten Tschao-kung, C. 3
aus Pi, dem nördlichen Theile des früheren Besitzes der
2. Dynastie in Wei-hoei-fu in Ho-nan, C. 4 desgl. im südlichen
Theile desselben Yung, C. 5 aus dem östlichen Theile des-
selben Wei, aber mehrere dieser Lieder sind, wie wir sehen
werden, erst aus einer späteren Zeit. (J. 6 sind Lieder aus
dem Kaisergebiete (Waug), aber auch schon aus späterer
Zeit; C. 7 aus Tsching, in Si-ngan-fu in Schen-si; C. 8
aus Thsi in Thsi-ngan-fu in Schan-tung; C. 9 aus dem an-
ders geschriebenen Wei in Ping-yang-fu in Schan-si; C. 10
aus Thaug, dem späteren Tsin in Schan-si. Es sollen
hier, wo einst Kaiser Yao herrschte, noch die Sitten seiner
Zeit sich erbalten gehabt haben. C. 11 schildert die Sitten in
Thsin, in Si-ngan-fu in Schen-si; C. 12 die in Tschin in
Kai-fung-fu, in Ho-nan; C. 13 die im kleinen Reiche Kuei
oder Ho ei ebenda, welches später Tsching vernichtete. C. 14
die von Tschao, in Yen-tscheu-fu , in Schan-tung und zu-
letzt C. 15 die von Pin, in Si-ngan-fu, in Schen-si. Diese
Lieder soll nach p. 271 Tscheu-kung für den Kaiser Tching-
wang verfasst haben , Ode 1 , ihn zum Ackerbaue zu er-
muntern, Ode 2 und 7, als er dem Kaiser verdächtigt worden
war , Ode 3 und 4, als Tscheu-kuiig gerechtfertigt mit dem
Heere heimkehrte , Ode 6 , als das Volk im Osten über
seine Anwesenheit sich freute (I-sse B. 22 f. 15 — 17).
P. n. Siao-ya sollen ältere Gedichte sein, die Tscheu-
kung gesammelt hat, doch auch spätere darunter nach la
Charme p. 275. Doch sind mehrere ohne bestimmte Per-
sonen- und Zeitangaben, z. B. II, 1, 2, 3, die Klage von
Soldaten, w^elche gegen die Tataren (Hien-yüu) ausziehen;
bei II, 1,7. 8 und 9 weiss man nicht, welcher Kaiser da ge-
meint und wer der erwähnte Feldherr Nan-tschung ist; Scho-
fang ist das jetzige Ning-hia in Schen-si nach p. 277;
II, 8, 5 p. 295 sind Klagen über den Verfall des Reiches;
i
Plath: Qudlen der alten chines. Geschichte. 87
II, 4, 10. II, 5, 9 sind auch unbestimmt. (Mehrere beziehen
sich auf spätere Zeiten, s. unten.)
P. in. Ta-ya, soll nach p. 298 Tscheu-kung verfasst
haben zur Belehrung Kaiser Tsching-wang's. Es enthält
den Preis der Ahnen der Tscheu ,s. oben. III, 2, 6 u. 7 sollen
von Tschao-kung verfasst sein, als Tsching-wang die Piegierung
selber antrat. ludess enthält auch dieser Theil spätere
Gedichte s. unten.
P. IV, 1, 1, 1 und 2 sollen nach p. 309 von Tscheu-
kung, 2 Namens Tching-^vaDg's sein; IV, 1, 2, 10 ent-
halten, wie gesagt, sein Lob Wu-wang's.
P. IV, 2, Lu-sung, Gedichte aus Lu, sollen nach
p. 315 erst von Hi-kung, dem Fürsten von Lu (seit 659
V. Chr.) sein.
P. IV, 3 endlich Schang-sung, zur Verherrlichung
der Ahnen der Fürsten von Sung aus der 2. Dynastie, sind
schon erwähnt. Man sieht aus dieser Uebersicht schon, dass
die Lieder des Schi-king nicht nur die Gründer der 3. Dy-
nastie betreffen, dass sie bis an die Zeiten des Tschhün-thsieu
hinabreichen, werden wir später sehen.
Confucius und seine Schüler und namentlich Meng-
tseu erwähnen rühmend oft die Ahnen und Gründer der D.
Tscheu : Heu-tsi, Kung-lieu, Thai-pe, Wang-ki, Wen-wang,
Wu-wang und Tscheu-kung, meist nach dem Schu-king, Schi-
king und Li-ki, aber auch zum Theile nach der Sage. Wir
brauchen aber hier in die Einzelheiten nicht weiter einzu-
gehen, da wir in der Hist. Einl. z. Confucius Leben S. 374
bis 388 (36—40) alle sie betreffenden Stellen derselben zu-
sammengestellt haben. ^°)
20J Wir erwähnen daher nur noch die moralischen Sprüche, die
Confucius nach dem Kia-iü C. 11 f. 2 ang'eblich auf dem Rücken einer
Statue Heu-tsi's im Ahnentempel in der Hauptstadt der Tscheu
88 Sitzung der pMos.-pMol. Classe vom 8. Januar 1870.
Noch eine Stelle über die Ahnen der Tscheu aus Kung-
tschung-tseu^O hat der I-sse B. 18 f. 5 v. Yang-yung fragt
da den Tseu-sse über den Titel Wen-wang's Si-pe, der An-
führer des Westens.
Tso-kieu-ming, Confucius Zeitgenosse, in seinem Tso-
tschuen geht nur auf die Zeit des Tschhüu-thsieu (722 — 481
V. Chr.). Sein Kue-iü im Abschnitte von den Kaisern (Tscheu-iü)
beginnt erst mit Kaiser Mu-wang (1001 — 946) und geht bis
King-wang (519-475), s. Gaubil Tr. p. 99 und 101; die
früheren Zeiten berührt er nur gelegentlich. So erwähnt
er, dass Heu-tsi Aufseher über den Ackerbau war, einer
seiner Nachkommen Pu-tschu, zu Ende der ersten D. Hia
die Stelle verlor, nach Pin (in Schen-si) sich zurückzog und
dort in der Nähe der Barbaren den Ackerbau trieb; s. Gaubil
Tr. p. 103. Er leitet aber die 3 ersten Kaiserfamilien schon
vom alten Kaiser Hoang-ti ab, die der 2. D. Schang von
Kaiser Schün, die der 3. D. Tscheu von Kaiser Ti-ko.
gesehen haben soll. Sie sind aber schwerlich echt , wie wir in den
Proben chin. Weisheit a. d. S. B. 1863 II, 2 S. 161 schon bemerkt haben;
der Wing-sin pao kien, C. 7 § 62 theilt sie nämlich mit. Unecht sind
auch wohl die dort angeführten 22 angeblichen Aussprüche Thai-
kung's, des Bruders Wu-wang's, von welchen der I-sse ganze Samm-
lungen anführt, wie B. 20 f. 36 und 36 v. Thai-kung Kin-kuei, d. i. Thai-
kung's Goldkiste, Thai-kung yn meu, d.i. Thai-kung's dunkle Rath-
schläge, und die schon S. 67 erwähnten Lo-thao, d. i. die 6 Behälter
oder Köcher Liü-wang's, vgl. auch den I-sse B. 20 f. 4 und 10
aus dem Schue-yuen. Aus dem Han-schu (s. K. 30 f. 14 v.) führt
der I-sse B. 19 f. 20 mehrere als Schriften der Tao-sse auf. Es
ist wohl nicht eigentlich ein Betrug oder eine Unterschiebung , son-
dern man kann diese Dialoge den Gesprächen , welche Cicero de
senectute und de amicitia dem Cato, dem Scipio und Lälius in den
Mund legt; vergleichen. Sie sind in ihrem Geiste gedacht , können
daher aber auch nur als literarische Produkte, nicht als historische
Quellen angesehen werden.
21) In der oft erwähnten Sammlung III, 1.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 89
Das Bambubuch p. 142 — 176 handelt von Tscheu Wu-
wang (nach ihm 1049 v. Chr.) bis Yn- (Nan-) Wang A. 20
(293 V. Chr.).
Zu Anfange hat die Note die Legende von Heu-tsi's
wunderbarer Geburt und Aussetzung, erwähnt dann Kung-
lieu und Ki-lie und einer Prophezeihung unter Hoang-ti
über die Gründer der Dynastie, gibt darauf die Legende über
Wen-wang's Geburt und Gestalt, hat Thai-pe's Auswanderung
nach U, die Legenden über Wu-wang's Geburt, seine wunder-
bare Gestalt, seinen Kampf mit dem letzten Kaiser der
2. D. Scheu , alles mit Wundergeschichten untermischt, die
der Text nicht hat. Dieser gibt blos die Hauptbegenheiten
von Wu-wang's und Tsching-wang's Regierung, mit genauer
Jahresangabe und einige neue Spezialitäten, z. B. W^u-wang's
Tod in seinem 94. Jahre, besonders aber unter Tsching-wang.
Die Note hat auch unter diesem mehrere Legenden. Nach
Legge p. 108 sind die Noten aber wahrscheinlich ein spät-
erer Zusatz, man meint mehrere von Tschhin-yo, der unter
der D. Leang (502 — 557 n. Chr.) eine Ausgabe des Bambu-
buches mit einem Commentar herausgab, Wylie p. 19 sagt: von
Tschhin-yo, aus d. D. Sung, das Originalwerk, sei aber lange
verloren und das jetzige gelte mit Grund für eine Fabrication.
Es ist das Bambubuch in der erwähnten Sammlung II, 1
und auch in einer andern. Ueber seine Glaubwürdigkeit
und abweichenden chronologischen Bestimmungen s. m. Abh.
Ueber d. chronolog. Grundlage d. alt. chin. Gesch. S. 37.
Im Sse-ki enthält B. 3 die Chronik der D. Tscheu
(Tscheu pen-ki). Sie beginnt mit Heu-tsi, dessen Ab-
stammung von Kaiser Ti-ko, seiner wunderbaren Geburt,
spricht dann von seinen Nachkommen , die einzeln genannt
werden, namentlich Kung-lieu, Ku-kung Tan-fu, Thai-
pe, der auswandert, Ki-lie und dann Tschang, d. i.
Wen-wang; über diesen ist er ausführlich, noch mehr
90 Sitzung der philos.-pMol Glosse vom 8. Janttar 1870.
über seinen Sohn Fa, d. i. Wu-wang, und seinen Kampf mit
dem letzten Kaiser der 2. Dynastie und über Tscheu-kung;
kürzer schon ist er über seinen Nachfolger Tsching-wang.
Der I-sse B. 18 — 22 enthält nun ältere wie spätere
Nachrichten im Auszuge. B. 18. Tscheu-schi-schi-hing,
d. i. das Haus Tscheu beginnt empor zu kommen, handelt
von den Ahnen der D. Tscheu 1) von Heu-tsi, nach dem
Sse-ki, dem ü Yuei Tschhün-thsieu, dem Tschhün-thsieu-ming-
pao, dem Schi-king mit der Vorrede, dem Schan-hai-king,
über sein Grab und die Wunder dabei u. s. w. aus dem
Ti-wang-schi-ki, über seine Frau und seinen Sohn. 2) Ueber
Kung-lieu und seinen Nachfolger nach derselben Chronik
von ü und Yuei, — nach dem Han-schu lebte er in der
10. Generationen vom Vorigen, — nach dem Schi-king, Sse-ki,
Schi-pen und dem Bambubuche; von seinen Nachfolgern
nennt er Kao-yü unter Yn Tsu-i A. 16, A-yü, (beide Für-
sten von jPin) unter Puan-keng A. 19 und Tsu-kan unter
Kaiser Tsu-kia A. 13. 3) Spricht er von Ku-kung Tan-fu
nach dem Sse-ki , Tschuang-tseu , dem Kin-yuan-yo-lo , dem
Schi-king und von dessen Frau nach dem Lie-niü-tschuen
und dem Heu-han schu, dann 4) von seinem Sohne Thai-pe
nach dem Sse-ki, demLün-heng und demHau-schi-uai-tschuen,
endlich von 5) Ki-lie nach dem Sse-ki und Bambubuche
und 6) von Wang-ki nach Tseu-sse im Kung-tschung-tseu.
B. 19. Wen-wang-scheu-ming, d. i. Wen-wang em-
pfängt des (Himmels) Mandat oder die Herrschaft. Zunächst
spricht er von seiner Mutter der Thai-jin nach dem Lie-
niü-tschuen und der angeblichen Prophezeihung schon unter
Hoang-ti über das Schicksal der Familie Tscheu, dann über
Wen-vrang's wunderbare Geburt nnd Gestalt, ganz wie in
der Note zum Bambubuche, nach dem Sung-schu-fu-sui-tschi,
dem Pe-hu-tung und Tschhün-thsieu-yuen-ming-pao, 2) schil-
dert er seine Pietät gegen seinen Vater nach dem Li-ki
C. Wen-wang schi-tseu 8 f. 27, Khang-tsang-tseu und dem
Sse-ki, 3) folgt das Lob Wen-wang's und seiner Verwalt-
tung aus Me-tseu und Liü-schi's Tschhün-thsieu, 4) schildert
er seine Frau Thai-sse nach dem Lie-niü-tschuen und
dem Sclii-king in, 1 mit der Vorrede (Schi-siü) u. a. 5) Pe-i
und Scho-tsi fallen ihm zu nach dem Sse-ki u. a. ; sein
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 91
angebliches Gespräch mit Yo-tseu^*) bei diesem und auch
mit Siu-kia, auf dessen Rath Scheu nicht hört nach Lieu-
hiang's Pie-lo. Andere angebhche Gespräche Wen-wang's mit
Yo-tseu noch aus dem Sin-schu . aus Yo-tseu und Lie-tseu.
Aus der Chronik der Kaiser und Könige u. a. -werden
4 Beamte des Kaisers: Thai Tien, Hung-yao, San -i- seng
und Nan-kung-kuo angeführt, die schon der Schu-king im
C. Kiün-tschi V, 16, 12 hat. 6) spricht der I-sse dann von
Wei-tseu, dem älteren Bruder Scheu's nach Liü-schi's
Chronik, dann von Scheu's Grausamkeit nach dem Lün-heng,
der Chronik der Kaiser und Könige, nach Siün-tseu und dem
Sin-schu. darauf von Wen-wang's Verhalten nach dem Tscheu-
schu,^^) dem Li-ki im C. 24 Tsi-i , namentlich seiner Pietät
gegen seine Ahnen, weiter von Scheu's Frau, der Tan-ki, nach
dem Sse-ki und dem BambuV-uche, von seinen Musikern nach
dem Schi-ming^*) und Ho-i-ki, von seinen Palästen. Gärten nach
dem Sse-ki, dem Bambubuche , Hoai-nan-tseu, der Chronik
der Kaiser und Könige, dem Lün-heng und Sin-siü. Auch
seine grausame Feuerstrafe wird da erwähnt, wie auch im
Lie-niü-tschuen , dann sein Zechen bis in die Nacht , sein
Luxus, unter anderm mit elfenbeinernen Essstöckchen nach
Han-fei-tseu und Ki-tseu. Aus dem Sse-ki, Hoai-nan-tseu
und Tsien-fti-lün wird die Grausamkeit erzählt, wie er eine
Geliebte tödtete und gekocht ihrem Vater sandte und ^Yen-
wang, der dies missbiUigt, gefangen setzt. 7) Im Gefäng-
niss verfasst Wen-wang dann die 64 Texte des Y-king
nach dem Kin-pao. Dabei wird der ganze Text des Y-king
von ^Ven-wang eingeschaltet f 13 ig.
8) \Vu-wang ist bekümmert und Hung-yao erlangt
seines Vaters Wen-wang's Befreiung durch eine Schöne und
andere Kostbarkeiten, die er dem Tyrannen darreicht, nach
dem Sse-ki, dem Ku-kin-yo-lo, dem Lo-thao, Hoai-nan-tseu,
dem Kin-pao und Schang-schu Ta-tschuen. Wen-wang's an-
22) S. über diesen m. Abb. Chronol. Grundlage S. 39. Pan-ku
B. 30 f. 14 V. bat Yo-tseu 22 Pien; es scbeint ein untergeschobenes
Werk der Tao-sse; ebenso das angebliche Werk Sin-kia's in 29 P.
23) In der Sammlung I. 6 ; s. m. Abb. S. 6. "Wylie p. 23.
24) In der Sammlung I, 20. Es ist ein etymologisches Wörter-
buch der chin. Tonsprache.
92 Sitzung der ^Jiilos.-phüol. Classe vom 8. Januar 1870.
geblicher Ausspruch über die gebotene Folgsamkeit eines
froruruen Sohnes und guten Unterthanes ist erst aus Liü-
schi's Chronik; dass er 7 Jahre in Fesseln war, sagt nur
der Sin-schu; er betreibt dann die Abschaffung der Feuer-
strafe und gewinnt so die Zuneigung des Volkes nach
Liii-schi's Chronik und Hau-fei-tseu und Coufucius pries ihn
dafür. Es folgt eine Stelle aus dem Yue-tsue-schu, dann nimmt
er Schi-kiug II, 1, 7, 8 u. 9 mit der betreffendeu Stelle
aus der Vorrede auf, darauf eine lange Stelle aus dem
Tscheu-schu.
9) f. 18. Thai-kung, der sich vom Tyrannen zurück-
gezogen hatte, wird von Wen-wang gewonnen und sein
Beamter nach dem Sse-ki, dem Schui-king-tschü^-) dem
Schue-yuen und Fu-tseu. Legenden von ihm gibt der I-sse
noch aus dem Lie-sien-tschuen, dem Sung-schu-fu-sui-tschi,
dem Tschu-tse tschü, dem Ting-lo^^) und Lo-thao; ab-
weichende Angaben haben schon der Sse-ki, der I-lin und
Ku-sse-kao und Legenden der I-schin-ki, Nachrichten über
ihn noch der Thieu-fu-lün, Pao-po-tseu und der Han-schi-
uai-tschuen; angebliche Gespräche Wen-wang's mit Thai-kung
werden noch aus dem Lo-thao angeführt.
10) f. 22 V. Wie Wen-wang den Streit zwischen den
Fürsten von Yü und Jui schlichtet, erwähnt schon der
Schi-king III, 1, 3, 3. und dann der Sse-ki; im Kia-iu K.
10 f. 26 lobt Confucius ihn desshalb,
11) Wie Wen-wang schon in seinem 42. Jahre den
Kaisertitel (Wang) angenommen habe, wie der Y-uei
und die Chronik der Kaiser und Könige sagt, ist irrig nach
der Note im I-sse; nach dem Li-ki ertheilte erst sein Sohn
Wu-wang seinen Vorgängern die Titel.
12) Es folgen dann allerlei Omina und Prognostica
über Tschang's Herrschaft nach Liü-schi's Chronik, dem
Schang-schu i-ming yen und Tschung-heu, Me-tseu, dem Kin-
pao, Tschhün-thsieu yueu-ming-pao und Sung-fu-sui-tschi, wie
auch die Note zum Bambubuche sie hat.
13) Wen-wang schlägt dann die Küen-Jung, die
25) Commentar z. d. klassischen Buche über die Gewässer, siehe
Wylie p. 43.
26) In der Sammlung lY, 27; s. m. Abh. S. 325, Wylie p. 115.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 93
Mi-siü u. Tsung und gründet die Residenz Fung nach dem
Sse-ki und dem Schang-schu Ta-tschuen, der in der Jahres-
angabe abweicht vom Sse-ki. Die Angabe de Mailla's (T. I
p. 242.) dass Kuan-su vom Angriffe auf Mi-siü abrieth,
Thai-kung aber zurieth, findet sich im Schue-yuen ; eine
Anekdote, die auf seinen Angriff auf Tsung Bezug hat, bei
Han-fei-tseu ; s. auch den Tscheu-schu.
14) Wie Wen-wang den Geisterthurm (Ling-thai)
baut, hat schon der Schi-king III, 1 8, den Meug-tseu I
2, 3 anführt, auch derSin-schu und Sin-siü, nur in der Zeit-
angabe verschieden. Hoai-nan-tseu rühmt ihn, wie er die
Gebeine derTodten beerdigt; s. auch den Tscheu-schu. Endhch
werden noch aus dem Lo-thao Gespräche Wen-wang's mit
Thai-kung angeführt.
B. 20. Wu-wang ke yn, d. i. Wu-wang besiegt (die 2.
D.) Yn. Wir erhalten hier wieder erst allerlei Legenden über
seine Geburt, den Traum seiner Mutter, wie die Note zum
Bambubuche zum Theil sie hat, aus dem Sin-schu, dem
Schang-schu tschung-heu, dem Pe-hu-tung, dem Tschhün-thsieu-
yuen-ming-pao und dem Sung-fu-sui-tschi.
2) wird Wu-wang's Pietät gegen seinen Vater wieder
nach dem Li-ki C. 8 geschildert.
3) Stellt er den Thai-kung, Tscheu-kung u. a. nach
dem Sse-ki an. Seine angeblichen Gespräche mit dem ersteren
nach dem Schue-yuen, dessgleichen mit Kuei-tu nach Kuan-
tseu, dann wieder angebliche mit Thai-kung über den Krieg,
der einen Ausspruch Kaiser Hoang-ti's anführt, ob dieser zu
unternehmen sei, aus dem Lo-thao u. a., aus Schue-yuen, aus
des erdichteten Thai-kung's Ping-fa, aus Pao-po-tseu und
eine lange Stelle f. 6 — 13 v. aus einem Buche San-lio^^),
die 3 Pläne, nach der Note ursprünglich von Thai-kung.
4) Dann wird das Opfer Wu-wang's erwähnt nach
dem Sse-ki, Hoai-nan-tseu und dem Lün-heng; aus demselben
die Legende, wie ein Fisch in sein Schiff springt, die auch
der Schang-schu Siuen-ki-khien und der Sung-fu-sui-tschi hat
27) S. Kat. K. 9 f. 23 v., wie der Lo-thao unter den Schriften über
Krieg (Ping-fa).
94 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 8. Januar 1870.
und noch andere wunderbare Phaenomene, wie eine Frau in
einen Mann verwandelt wird, ein Berg einstürzt, 2 Sonnen
erscheinen und andere Calamitäten in Folge von Scheu's
Tyrannei nach dem Lün-heng, dem Scho-i-ki, der Chronik
der Kaiser und Könige, Me-tseu, Thai-kung's Goldkasteu,
Schi-tseu, dem Tsu-tse tschü und den Noten zum Bam-
bubuche.
5) Auf den weisen Rath von Wei-tseu, Ki-tseu und
Pi-kan wird vom Tyrannen Scheu nicht gehört, nach dem
Sse-ki, Lün-heng, dem Ku-kin-yo-lo, Schi-tseu, dem Han-
schi-uai-tschuen und dem Tschung-lün^^). Die Ueppigkeit
und Grausamkeit Scheu's, seine Paläste, Lustgärten, malt wie-
der der Tschhün-thsieu Fan-lu*^) aus; wie er Pi-kan' s Frau
den Bauch aufschneiden lässt, erzählt die Chronik der Kaiser
und Könige, der Schui-king tschü und der Tsu-tse tschü.
Der Himmel straft ihn dafür durch Wu-wang nach Me-tseu
und dem Ho-i-ki.
6) Die Fürsten und Grossen fallen von Scheu ab, nach
dem Tsu-tse tschü , der grosse Annalist und der des
Innern gehen von ihm zu Wu-wang über n.'ich Liu-schi's
Chronik. Er fragt Thai-kung, ob er ihn angreifen solle, nach
diesem und nach Thai-kung's Goldkasten.
7) Wu-wang zieht gegen ihn nach dem Sse-ki, dem
Tsin-schu tschuen-i und Tscheu-schu. Angebliches Gespräch
desselben mit Thai-kung nach dem Lo-thao und Schue-yuen.
8) Er befragt das Loos; trotz der ungünstigen Zeichen
rückt er auf Thai-kung's Rath vor nach dem Sse-ki. Lün-
heng, Schi-tseu, dem Lo-thao, Ku-kin-tschü u. trotz mancher
Phaenomene und dem Abrathen San-i-seng's nach Han-schi-
uai-tschuen, dem Lo-thao , dem Schue-yuen, Hoai-nan-tseu,
und dem Po-voe-tschi. Es folgt dann das Cap. des Schu-
king V. 3.
9) A. 11 seiner Regierung in Tscheu, seinem Stamm-
lande, kommt es bei Meng-tsin zur Entscheidungsschlacht
nach dem Sse-ki und Hoai-nan-tseu. Der Ho-i-ki erzählt
wieder Wunder. Nach Liü-schi's Chronik sendet Yn den
Kiao-li an Wu-wang; ihr angebliches Gespräch wird rait-
28) In der Sammlung III, 12, von Siü-kan aus derD. Han; 3. m.
Abh. S. 305.
29) Ebenda I, 12, aus d. Zeit der Han; s. m. Abh. S. 277 (11).
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 95
getheilt. Nur der spätere Hoa-yang kiie-tschi^°) spricht von
seinen Hülfsvölkern Pa und Scliu in Sse-tschuen . ihren Ge-
sängen und Kriegstänzen.
10) Hoai-nan-tseu gibtals Grenzen von Scheu's Reich
sicher ungeschichtlich hnks im Osten das Meer, rechts die
Sandwüste, vorne Kiao-tschi, hinten Yeu-tu, ebenso über-
trieben Yo-tseu die Zahl seiner Krieger zu einer Million an,
obwohl der Sse-ki auch von 700,000 Mann spricht. Der
Lün-heng hat wieder Wundergeschichten. Es folgt Scheu's
Niederlage und Ende ; er verbrennt sich mit seinen Kost-
barkeiten im Hirschthurme (Lu-thai) nach dem Sse-ki und
Tscheu-schu. Die Chronik der Kaiser und Könige hat noch
eine Anekdote, wie das Volk von Yn räth, wer unter den
Anführern wohl ihr neuer Kaiser sei Pi-, Thai- oder Tscheu-
kung, bis zuletzt Wu-wang erscheint. Es folgt dann noch
Detail über Scheu's Ende, Wu-wang's Wafien, Fahnen u. s. w.
aus Me-tseu , dem Lün-heng[, Ku-kin-tschü , Schi-tseu , dem
Sin-schu uud Hoai-nan-tseu.
11) Liü-schi in seiner Chronik hat noch ein angebliches
Gespräch Wu-wang's mit den Grossen von Yn über den
Untergang ihrer Dynastie, das auch im Sin-siü sich belindet.
12) Es folgen die Nachrichten über Wu-wang's Ver-
fahren und die Rathschläge Thai-, Tschao- und Tscheu-kung's
nach dem Schang-schu Ta-tschuen und die Schilderung seiner
Uneigeunützigkeit nach Liü-schi's Chronik und Hoai-nan-tseu.
Aus dem Yue-tsue-schu (s. unten) wird die ganze Ge-
schichte vom 9. Jahre Wu-wang's bis zur Belehuung Wei-
tseü's mit Sung erzählt.
13) Aus dem Tscheu-schu gibt der I-sse seine angeblichen
Erlasse an verschiedene Beamte u. die Erträgnisse seiner Jagden.
14) Han-fei-tseu und Thai-kung's Goldkasten erzählen
die Unterwerfung der Stämme und Fürsten, die nicht hul-
digten. Die Entlassung des Heeres nach der Besiegung der
D. Yu erwähnt schon der Schu-king V. 3 und Liü-schi's Chro:iik.
15) Hoai-nan-tseu hat ein angebliches Gespräch Wu-
wang's mit Thai-kung, der dessen Bedenken, seinen Fürsten
bekriegt zu haben, beschwichtigt ; ein anderes angebliches
Gespräch beider, wie er zu verfahren habe, gibt Thai-kung's
30) In der Sammlung II, 9 ; s. m. Abh. S. 288.
96 Sitzung der phüos.-phüol Ölasse vom 8. Januar 1870.
Goldkasten, ein Gespräch mit Tscheu-kung über Yü's Re-
gierung der Tscheu-schu, sowie dessen Rath über die Ein-
theiluüg des Reichs und sein ganzes Verhalten.
16) Der Opfer, die Wu-wang darbringt, erwähnt dt-r
I-sse aus Schu-king V, 3, 4, dann der Li-ki im C. 16 Ta-
tschuen, der Tscheu-schu, Me-tseu und Tsu-tse tschü.
17) Nach dem Ta-tai Li-ki K. 6 Ti 59 fragt er
angeblich den Schang-fu nach den Priucipieu (Tao) Houng-
ti's und Tschuen-hiü's, der sagt sie ihm nach dem rothen
Buche (Tan-schu): auf jeder Thür, jeder Waffe, jedem Ge-
räthe. jedem Kleidungsstücke wurden angeblich moralische
Sprüche geschrieben und eingravirt (Wei-ming) nach diesem
und nach Thai-kung's Goldkasten (Kin-kuei) und dessen
Verborgenen Rathschlägen (Yn-meu) ; die Verbote der 5 Kaiser
(üu-ti) werden aus Thai-kung's Goldkasten angeführt.
18) Wie Pe-i und Scho-tsi lieber sterben, als dem
neuen nach ihrer Meinung usurpatorischen Kaiser zu hul-
digen, ist ein Thema, welches die Chinesen vielfach be-
handeln; der I-sse gibt die Stellen aus dem Sse-ki, dem
Thai-sse-kung^'), demTschhün-thsieu-schao-yang-pien, dem Ki-
mung-schu, demKu-sse-kao, dem Lie-tschuen, Liü-schi's Chronik
und dem Philosophen Tschuang-tseu. Wir haben die Stellen
aus dem Lün-iü und Meng-tseu, die hier vermisst werden,
in u. Histor. Einleit. z. Leben des Confucius S. 372 (24 fg.)
schon angeführt.
19) Auch Schang-yung weigerte sich nach dem Han-
schi-uai-tschuen von Wu-wang eine Stelle anzunehmen.
20) Wie Tscheu-kung die Musik Ta-wu mit panto-
mimischen Tänzen einführt, erwähnen Liü-schi's Chronik,
Siün-tseu und Hoai-nan-tseu. Confucius Gespräch darüber
mit Pin-meu kia im Li-ki C. 19 Yo-ki haben wir in u. Abh.
üeber den Cultus der alten Chinesen a. d. Abh. d. Ak. IX, 3,
S. 951 (117) schon mitgetheilt.
21) Zuletzt wird noch die Darbringung von Hunden
durch Fremde nach dem Schu-king V, 5 erzählt und noch
andere wunderbare Gaben nach dem Scho-i-ki.
B. 21. Tscheu kien tschu-heu, d.i. Tscheu gründet
31) So nennt Sse-ma-tsien seinen Vater Sse-ma-than, s.Remusat
Nouv. Mel. As. T. U p. 131.
J
Plath: Quellen der alten chiyies. Geschichte. 97
die Vasallen- Fürstenthümer, handelt erst von diesen im
Allgemeinen, wie die Nachkommen der alten Kaiser und
die Glieder seiner Familien solche Lehne erhielten, nach dem
Sse-ki (das C. des Schu-king Fen-ki ist verloren), Liü-schi's
Chronik und Han-schi-uai-tschuen , auch dem Li-ki C. Yo-ki
19 f. 35 V. (16 p. 106) und von den 5 verschiedenen Glassen
der Vasallenfürsten und dem Umfange ihrer Gebiete. Dann
spricht er von den einzelnen Lehenreichen nach dem
Sse-ki, Siün-tseu und wie namentlich Thsi unter Thai-kung
sich hob nach dem Yen-thie-liin,^^) Han-fei-tseu und dem
Tschhün-thsieu-fan-lu. Tscheu-kung wird mit Lu belehnt, das
er alsbald aber seinem Sohne Pe-kin abtritt. Die Rathschläge,
die er ihm ertheilt , werden nach dem Sse-ki , dem Schue-
yuen, Siün-tseu und dem Schang-schu Ta-tschuen erwähnt;
die verschiedenenen Principien der Regierung Thai-kung's in
Thsi und Tscheu-kung's in Lu nach Liü-schi's Chronik, auch
im Schue-yuen, angegeben. Die Verleihung der anderen Reiche
Pe-Yen's an Tschao-kung u. s. w. werden meistens nur nach
dem Sse-ki erzählt ; hier ist noch die Anekdote, wie Tschao-
kung unter einem Birnbäume Recht sprach nach dem Schi-
king (I, 2, 5), Han-schi-uai-tschuen, dem Schue-yuen, dem
Yo-tung-sching-i; dass er 108 Jahre alt wurde, beruht nur
auf dem Lün-heng. Die Verleihung ü's an Thai-pe wird
auser dem Sse-ki, auch nach dem Ü Yuei Tschhün-thsieu
und Fu-tseu erzählt. Dem Ki-tseu. aus der Kaiserfamilie
der 2. D., wird das C. Hung-fan im Schu-king zugeschrieben.
Dass Wu-wang ihn mit Tschao-sien (Nord-Corea) belehnt
habe, erwähnt nur der Sse-ki, dann der Schang-schu Ta-
tschuen, der Heu-Han schu und der Schui-king tschü. Wei-
tseu, ein Naclikomme der 2. Dynastie, wird mit Sung belehnt
Dach dem Schu-king V, 8, dem Sse-ki und dem Schang-schu
Ta-tschuen ; der Belehnung Thang's mit dem späteren Tsin
erwähnt nächst dem Sse-ki noch Liü-schi's Chronik. Die
i Belehnung mit Pa (in Sse-tschuen) wird nur aus dem Hoa-
i yang kue-tschi erzählt; wir übergehen die anderen Reiche,
, deren nur nach dem Sse-ki gedacht wird.
32) In der Sammlung III, 7; s. m. Abb. S. 299 fg.
[1870. I. 1.1 7
98 Sitzung der philos.-phüöl. Glosse vom 3. Januaf 1870.
B. 22. Tscheu-kung schi tsching, d. i. Tscheu-
kung führt die Regierung (während der ]\^nderjährigkeit von
Tschin g-wang , Wu-wang's Nachfolger). Die Hauptbegeben-
heiten sind diese:
1) Kuan- und Tshai-tscho, die Brüder Wu-wang's und
Tbcheu-kung's, wurden zu Aufsehern der Yu bestellt , nach
dem Bambubuche, dem Sse-ki, der Chronik der Kaiser und
Könige und dem Tscheu-schu.
2) Tscheu-kung hat bei Wu-wang's Erkrankung nach
dem Schu-king V, 6 und dem Sse-ki sich für ihn dem Tode
geweiht. üeber Wu-wang's Tod gibt es nach der Note
verschiedene Zeitangaben.
3) Nach dem Siu-schu wird erzählt, wie Tsching-wang's
Mutter, als sie mit ihm schwanger ging, sich verhielt (siehe
auch die Chronik der Kaiser und Könige).
4) Da er erst 13 Jahre alt war, wurde Tsclieu-kung
für ihn Regent. Wie dieser eigenthümlich ihn mit seinem
Sohne Pe-kin erzieht, der die Prügel bekommt, wenn der
junge Kaiser etwas versieht , erzählt der Li-ki (J. 8 f. 28 v.
und der Kia-iü C. 43 f. 22 v, (s. m. Hist. Einleit. z. Confucius
Leben S. 386 (38), der Sin-schu und Sse-ki.
5) Tscheu-kung's Ermahnung, als Schao-kung sich zurück-
ziehen will, wird aus dem Schu-king V, 16 berichtet.
6) Wie Tscheu-kung dem jungen Kaiser den männ-
lichen Hut ertheilt, erzählt der Ta-tai Li-ki und Ku-sse-
kao; nach dem Schang-schu Tsiuen fragt Tsching-wang Tscheu-
kung, wie der männliche Hut Schün's gewesen sei! Der
Scho-i-ki spricht von den Geschenken , die ihm dargebracht
wurden.
7) Verdächtigt zieht Tscheu-kung sich 2 Jahre nach
Osten zurück nach dem Schu-king, dem Sse-ki und dem
Yue-tsue-schu. In dieser Zeit soll er die 364 kurzen Texte
des Y-king verfasst haben. Dieser Theil des Y-king wird
hier dann im I-sse f. 7 — 15 ganz eingeschaltet, auch mehrere
Lieder des Schi-king, wie I, 15, 2 nach Han Schi-schue.
Der Himmel zürnt über seine Zurücksetzung, seine Ver-
dienste werden dann anerkannt und er kehrt zurück nach
Schu-king V, 16.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 99
8) Es folgt dann der Aufstand Kuan-u. Tshai-scho's,
die Tscheu-kung tödten lässt , nach dem Schu-king . dem
Schang-schu Ta-tschuen, dem Scbi-tscbuen.^^J dem Sse-ki,
dem Schue-yuen, auch Han-schi -uai-tschueu und dem
Tscheu-schu.
9) Die Anekdote, wie Tsching-wang dem Tscheu-kung
eine wunderbare Kornähre, die ilim gebracht, verehrte,
war in 2 verschiedenen G, des Schu-king enthalten (s. S. 82).
daraus hat sie wohl der Sse-ki.
10) Tscheu-kung bekriegt dann die Barbaren Hoai-i im
Osten nach dem Schi-king, dem Sse-ki und der Vorrede zum
Schu-king nach einem verlorenen Capitel desselben und der
Kaiserchronik.
11) Es folgen dann mehrere Capitel aus dem Schu-
king über die Leamtung, den Bau von Lo-yang; der
Sse-ki , Sui-tsao-tseu , der Tscheu-schu und Hoai-nan-tseu
erwähnen diesen. Der Tscheu-schu hat auch Angaben über
die Grösse der Stadt. Wie Tsching-wang da die neun Urnen
(Ting) Yü's aufstellt, erwähnt die Chronik der Kaiser und
Könige erst. Noch eine Angabe hat der Schang-schu Ta-
tschuen über sein Thun , ebenso Schi-tseu und Siün-tseu.
7 Jahre stand er dem Kaiser Tsching-wang zur Seite. Wie
er Gebräuche und Musik geordnet habe, erwähnt der Schue-
juen. Anderes über ihn gibt noch Liü-schi's Chronik, der
Pe-hu-tung, Siün-tseu ; Wundergeschichten berichtet wieder
der Sung-fu-sui-tschi und der Yen-thie-lün. Dass er bei
Uebergabe der Regierung an Tsching-wang nach Tsu ent-
flohen sei, bemerkt die Note f. 30 sei irrig. Aus Hoai-nan-tseu,
Sün-tseu, Schi-tseu und Yo-tseu werden noch Aussprüche
über ihn mitgetheilt, so auch aus Liü-schi's Chronik. Er
wollte in Tsching-tscheu begraben werden, der Kaiser begrub
ihn aber in Pi, nach einem verlorenen Capitel des Schu-
king und dem Sse-ki. Wie der Kaiser als Auszeichnung
ihm und seiner Familie kaiserliche Opfer . Musik . Fahnen
und Wagen bewilligte, berichtet der Li-ki im Cap. 25
Tsi-tung.
33) In der Sammlung I, 7; s. Anm. 19.
100 Sitzung der philos.-philol Classe vom 8. Januar 1870.
4b) Innere Einrichtungen und Organisation der
Dynastie Tscheu.
lieber die inneren Einrichtungen der beiden ersten
Dynastien haben wir nur sehr vereinz-^lte Nachrichten ; in-
dess bemerkte der Li-ki im C. Li-ki 10 f. 14 (9 p. 55), dass die
Gebräuche der 3 ersten Dynastien im Wesentlichen gleich
waren, siehe auch Meng-tseu I, 2, 23. Doch gab es auch Abweich-
ungen nach Meng-tseu III, 1, 3, 6, 10 und dem Li-ki an verschie-
denen Stellen. Üeber die der 3. D. Tscheu dagegen haben wir
weitere Nachrichten. Sie sind besonders in 4 Werken enthalten,
über die wir daher ausführlicher sprechen müssen. Es sind
dies der Tscheu-li, der J-li, der Li-ki und der Ta-tai Li-ki.
1) Tscheu-li heisst die Gebräuche des Tscheu; näher
bezeichnend ist der andere Titel des Werkes Tscheu-kuan,
d. i. die Beamten der Tscheu, denn dies Werk enthält eine
detaillirte Darstellung der Verwaltung dieser Dynastie, die
man auf Tscheu-kung schwerlich mit Recht zurückführt.
Tscheu-kung soll nämlich auch die 20 ersten Capiteln des 5. B.
des Schu-king verfasst haben, von welchem das letzte (V, 20)
Tscheu-kuan heisst, was freilich, wie P. Regis in der Ein-
leitung zum Y-king I p. 147 bemerkt, von der künsthchen
Organisation , wie sie dieses Werk enthält , sehr abweicht,
wie denn auch die souderbaien Bezeichnungen des Tscheu-li
für die 6 Ministerien, das des Himmels, der Erde, des
Frühlings, des Sommers, Herbstes und Winters (Thian-, Ti-,
Tschün-, Hia-, Thsieu und Tung-kuan) weder im Schu-king
noch im Schi-king, noch bei Confucius und seinen Schülern
vorkommen; das System müsste denn in späteren Jahren
erst ausgebildet sein. Tso-tschuen Wen-kung Ao. 18 f. 24,
S, B. 15 p. 474 sagt: Tscheu-kung tschi Tscheu h, d. i. Tscheu-
kung regelte die Gebräuche der Tscheu, womit freilich unser
Buch nicht gemeint ist. Biot T. I p. X und Mem. pres. par
divers savants ä l'Academie des Inscr. Paris 1852 4. Ser. I
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 101
T. 2 p. 9 hebt hervor, dass im Tscheu-li B. 9 f. 17 die Länge
des Mittagsschattens am Sommersolstiz mit dem Gnomon
von 8 Fuss in Lo-yang, der Hauptstadt der Tscheu gefunden
sei und will darin eine Bestätigung dafür, dass Tscheu-kuug
der Verfasser sei , gefunden haben , da Laplace für das
12. Jahrhundert v. Chr. die angegebene Länge zutreffend
gefunden habe, auch die 28 Sternbilder, die nach andern
Angaben Tscheu-kung bestimmt habe, erwähne 4er Tscheu-li.
Gegen diese Argumente hat indess neuerdings Weber in den
Abh. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1860 S. 264 nicht unwichtige
Einwendungen gemacht.
Gegen die Authenticität des Tscheu-li hat man ein-
gewandt, dass Confucius und seine Schüler ihn nicht citirten,
wie doch den Schu-king, Schi-king und Li-ki, indess sagt
Confucius im Tschung-yung C, 20, 2 und im Kia-iü C. 17 ,,die
Verwaltungsmassregeln Wen-wang's und Wu-wang's sind auf
Bambutafeln verzeichnet, lebten diese grossen Männer noch,
so würden ihre Verordnungen noch in Kraft sein, sie sind
aber gestorben und ihre Verordnungen vernachlässigt" und Biot
meint, Confucius habe im kaiserlichen Archive ein ähnliches
Werk gesehen, dessen Vorschriften aber für die Beamten
seiner Zeit nicht mehr anwendbar gefunden; wenn Meng-tseu
im 4. Jahrhundert v. Chr. V, 2, 2, 2 (II, 4, 9) sage, er habe
das Detail über die Abgaben und Aemter der D. Tscheu
nicht kennen lernen können, da die offiziellen Register, die
sie enthielten, durch die Feudal-Fürsten, denen sie unbequem
waren , vernichtet worden und er könne daher nur einen
Abriss davon geben, so gehe das nur auf die Copien, die sie
erhalten hätten und es könne immer ein Exemplar im kaiser-
lichen Archive oder in dem eines andern Fürsten sich
erhalten haben. Legge T. 1 Prol. p. 120 sagt, dass Nan-
kung-kuo oder Tseu-yung bei einem Feuer , das im Palaste
Lu Ngai-kung's (494 v. Chr.) ausbrach, alle seine Anstrengungen
darauf richtete, die Bibliothek zu retten und ihm die Er-
102 Sitzung der pMlos.-pMlol Classe vom 8. Januar 1870.
haltung eines Exemplars des Tscheu-li, der in Lu sich fand,
sowie anderer alter Denkmäler zu verdanken sei; Legge
gibt leider die Quelle, aus der er schöpfte, nicht an; im
Leben dieses Schülers des Confucius , im I-sse B. 95 , 4,
finde ich nichts der Art erwähnt.
Als Thsiu-schi-hoang-ti das Feudalwesen in China stürzte,
wurde auch dieses Werk 213 v. Chr. mit den andern King
verbrannt,^*) aber später bei der Wiederherstellung der
chinesischen Literatur unter Han Hiao-wen-ti (170 — 156
"V. Chr.) ein Theil und dann der ganze jetzige Tscheu-li
wieder aufgefunden und commentirt. Wir müssen uus wegen
des Näheren auf Biot's Einleitung zu seiner Uebersetzung
des Tscheu-li. Paris 1851 2. B. 8^ beziehen. Wir haben in
unserer Abb. üeber die Religion der alten Chinesen, a. den
Abb. d. bayer. Akad. d. Wiss. I. Cl. B. 9 Abthl. 3 S. 738 (8) fg.,
ausführlicher schon darüber ausgesprochen , auf welche wir
der Kürze wegen hier verweisen.
Wenn wir die Echtheit des Tscheu-li annehmen, so ist
damit nicht gesagt, dass nicht einzelne Stellen oder grössere
Abschnitte später verändert oder eingeschoben sein könnten.
Dies gibt auch Biot zu und ähnlich urtheilt Gaubil zum
Chouking p. 216: dans le livre Tcheou-li et dans le Li-ki
il y a bien de choses qui sont de lui (Tscheu-koug), mais il
est difficile de determiner au juste, ce qu'il a fait dans ces
deux ouvrages , und p. 258 : le livre Tscheou-li renferme
plusieurs morceaux composes par Tcheou-kong et par plusieurs
autres; — dans ce livre Tscheou-li il y a plusieurs morceaux
qui n'y ont ete mis que du tems de Han ; vergl. auch P. Regis
Einl. z. Y-king I p. 146 fg. und Wylie p. 4.
34) Wylie p. 4 sagt: In Thsin hatten nicht die Gebräuche der
D. Tscheu, sondern fortwährend die der D. Schang gegolten, daher
sein Hass gegen dieses Buch. Ich weiss nicht, woher es die An-
gabe hat.
Flath: Quellen der alten cJiines. Geschichte. 103
Den Abschnitt Tschi-fang-tscbi im Tsclieu-li B. 33 f. 1—59
finde ich auch im Tscheu-schu C. 8 f. 7 — 9 v., in der Samm-
lung I, 6. Dieses Werk soll mit dem Bambubuche und auderu
im Grabe des Fürsten von Wei 279 n. Chr. gefunden worden
sein, was aber wenig glaublich ist nach Wylie p. 23; s. m. Abb.
S. 6. Das Bauibubuch geht bis zum 16. Jahre von Kaiser
Yiu (Nan-wang) 298 v. Chr. , wäre also wohl bald darnach
im Grabe deponirt worden und wenn der Tscheu-schu gleich-
zeitig mit ihm , wäre das Vorhandensein des obigen Abschnittes
des Tbcheu-li um 298 v. Chr. constatirt.
Wir brauchen auf eine nähere Angabe des Inhalts des
Tscheu-li hier nicht einzugehen, da wir in uns. Abh. üeber die
Verf. und Verwah. China's unter den 3 ersten D. S. 526 f.
eine genaue Uebersicht der einzelnen Beamten der D. Tscheu
nach dem Tscheu-li schon gegeben und in uusern verschiedenen
Abhandlungen : Ueber die Kehgion und den Cultus. München
1862-64 — Ueber die Verfassung und Verwaltung. München
1865 — Ueber Gesetz und Recht. Müuchen 1865 — Ueber
Nalu'ung, Kleidung, Wohnung. München 1868 — und üeber
die Beschädigungen der alten Chin. München 1869, alle in 4°,
a. d. Abh. der Akad., das Material schon verarbeitet haben.
Die letzte Abtheilung des Tscheu-li ist verloren gegangen.
Wichtiger ist die Frage, in welcher Zeit diese Ein-
richtungen gegolten haben mögen? Soviel erhellt aus obigen
Angaben und aus der ganzen chin. Geschichte ihrer Zeit, dass
dieses zu Confueius und Meng-tseu's Zeiten nicht mehr der
Fall wai-. Wir können sie also nur in der Zeit von Tscheu-
kung 1122 V. Chr. bis kaum zu Anfang des Tschhün-thsieu
(722 V. Chr.) etwa als in Kraft bestehend uns denken und
hervorgehoben zu werden verdient , dass wir in dem ganzen
Werke auch keine Anspielung auf spätere Zeiten oder auch nur
eine Erwähnung der Einzelreiche, die zur Zeit des Tschhün-
thsieu und später zu Ansehen gelangten , gefunden haben.
Auf diese Zeilen passten die darin erwähnten Einrichtungen
104 Sitzung der pMos.-pMol. Classe vom 8. Januar 1870.
nicht mehr. Auch fragt es sich immer noch, ob diese auch
früher vollständig zur Geltung kamen und ins Leben traten,
oder sich darin erhielten ; wir haben sie daher hier erwähnt.
Bemerkenswerth möchte indess noch die Stelle im Tso-tschuen
Min-kung A. 1 , S. B. 13 S. 53 , auch im I-sse B. 40 f. 6 v.,
sein , wo es 660 v. Chr. heisst : Lu hält noch fest an den
Gebräuchen der Tscheu.
Das 2. Werk ist des I-li, — Decorum ritual übersetzt es
Wylie — mehr die Bräuche einzelner Klassen oder im Detail
Nachrichten über einzelne Gebräuche enthaltend. Die Zeit
aus welcher er stammt, ist ebensowenig bestimmt; auch
dieses Werk wird auf Tscheu-kung zurückgeführt.
Nach dem Bücherbrande brachte Kao-tang aus Lu im
2. Jahrhundert v. Chr. zuerst ein Werk Sse-li, The scholars
ritual, in 7 Abschnitten ans Licht. Damit stimmte die Ab-
schrift, die man dann mit dem Schu-king u. a. Werken in
der Mauer von Confucius Hause fand. Es hiess Li ku king,
alter Klassiker über die Bräuche, seit den Han aber I-li.
Da es noch nicht herausgegeben oder übersetzt ist
und wir auch nirgends eine genauere Angabe über dessen
Inhalt im Einzelnen finden, so wird die Angabe des Inhalts
der einzelnen C. nicht unangemessen sein. Das Exemplar
der Staatsbibliothek aus der Sammlung von 0. Martucci ent-
hält 17 C. in 13 Heften, der alte I-li soll 56 C. (pien) ent-
halten haben. Mehrere Werke, die sich auf ihn beziehen,
nennt der Katalog K. 2 f. 27 v. fg.
Heft 1 C. 1 Sse-kuan-li handelt von den Gebräuchen
bei Aufsetzung des männhchen Hutes eines Literaten; C. 2.
Sse-huen-li von den Hochzeitsgebräucheu eines Literaten;
Heft 2 C. 3 Sse-siang-kien-li von den Gebräuchen bei
den gegenseitigen Besuchen der Literaten; C. 4 Hiang-
yen-tsieu-li, von den Gebräuchen, wenn im Distrikte (alle 3
Jahre bei einen Festin) man Wein trinkt; Hft. 3 C. 5
Hiang-sche-li, von den Gebräuchen beim Bogenschiessen
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 105
im Distrikte; Hft. 4. C. 6 Yen-li, von den Gebräuchen bei
bei Festen; Hft. 5, C. 7 Ta-sche-i, von den Bräuchen beim
grossen Bogenschiessen ; Hft. 6 C. 8 Ping-li, von den Ge-
bräuchen bei Besuchen; Hft. 7. C. 9 Kung-sse Ta-fu li,
von den Gebräuchen, wenn der Kuug (etwa Grai) einen
Ta-fu (Grossbeamten) zum Essen einlud ; C. lOKbin-li, von
den Gebräuchen bei der Aufwartung (der Vasallen-Fürsten
beim Kaiser im Herbste); Hft. 8 C. 11 Sang-fu-li, von
den Gebräuche hinsichts der Trauerkleider; Hft. 9 C. 12 Sse-
sang-li, von den Gebräuchen bei der Trauer eines Literaten;
Heft 10 C. 13 Ki-si, nach den Anfangswörtern genannt,
ist nur die 2. Abtheilung des vorigen Capitels ; Heft
11 C. 14 Sse-iü-li, von den Gebräuchen des Sse-yü;
Hft. 12. C. 15 Te-seng-kuei-schi, von den (grossen)
Opfern , wenn man Rinder darbringt; Hft. 13. C. 16
Schao-lao-kuei-schi, von den kleinen Opfern (der Khing
und Ta-fu); C. 17 endlich Yeu-sse-tschhe, nur nach den
Anfangsworten genannt, ist wieder nur eine Unterabtheilung
des Vorigen.
Das 3. Werk, derLi-ki, würde das wichtigste sein, wenn
es der alte ächte Li-ki wäre, welchen Confucius nach Lün-iü
2, 16, 13 seinem Sohne zum besonderen Studium empfahl.
Nach dem Li-ki-ming-tsching im I-sse B. 19 f. 30 v. sah
Confucius die Gebräuche (Li) im Verfall , wie die Musik,
die Principien verwaist und er ordnete daher die 300 Li
und die 3000 J, den Schu-king und Schi-king revidirte er
und stellte die Musik fest. Dieses Werk ist verloren und
obwohl die Citate, welche Confucius und Meng-tseu aus
dem Li-ki anführen, in dem jetzigen Li-ki mit aufgenommen
sind, ist dies doch kein altes Werk, sondern es enthält viele
Cap. die auf eine viel spätere Zeit hinweisen. Als der Sturm,
der unter Thsin Schi-hoang-ti sich gegen die ganze alte
chinesische Literatur erhob, verbrauset und die D. Han zum
ruhigen Besitze des Landes gelangt war, suchte man mit
106 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 8. Januar 1870.
Eifer alle literarischen Ueberbleibsel der alten Zeit wieder
auf; in Sclian-tuug soll Kao-tang-seng zunächst 17 Cap. des
Li-ld, die in seinem väterlichen Hause sich erhalten hatten,
seinen Schülern überliefert haben ; 130 v. Chr. wurde einem
Binder des Kaisers Hiao-wu-ti, dem Fürsten von Ho-kien,
ein Li-ki in 131 C. gebracht, die 300 J. vorher von Schülern
des Coufucius verfasst sein sollten ; sie wurden dem Tribunale
der Gebräuche übergeben, dessen Vorstand Lieu-kiaug noch
andere Stücke, die man gefunden hatte, damit vereinigte,
so dass die Zahl der C. nach Einigen auf 214, nach Andern
garauf 250 gebracht wurde, aber Tai-te, der grosse Tai, der mit
seinem Neffen Tai-sching, dem kleinen Tai, sie zur Revision
erhielt, reduzirte sie nach Ausscheidung der unzähligen
Wiederholungen und Erweiterungen auf 85 Cap. Die früheren
Sammlungen sind verloren gegangen ; aus diesen machte
der kleine Tai später eine neue Reduktion von 46 C. ; zu
Ende der D. lian fügte Ma-juug noch 3 neu entdeckte C,
\uei-ling (Gap. 6), Ming-tang-wei G. 14 u. Yo-ki C. 19
hinzu, so dass die Zahl der Capitel auf 49 stieg; unter
der D. Suug Hess man C. 42, welches den Ta-hio enthielt,
wie G. 31 den Tschung-yung, weg, die jetzt in den 4 Büchern
enthalten sind, so dass der Li-ki jetzt aus 47 G. besteht;
die anderen 38 G., die man später wieder fand, sind dann
unter dem Namen des Ta-tai Li-ki besonders herausge-
geben worden. Die Turiaer Ak. d. Wissenschaften hat den
Li-ki chinesisch mit Gallery's franz. Uebersetzung heraus-
gegeben, da dieser aber mehrere G. ganz ausgelassen, andere
nur theilweise mitgetheilt hat, wird es zweckmässig sein, hier
eine Uebersicht^^) des Inhaltes aller einzelnen Capitel zu
geben.
35) W. Schott Entwurf und Beschreibung der chinesischen
Literatur. Berlin 1854. 4*^. S. 19fg. gibt eine Uebersicht des Li-ki,
die aber doch nicht so detaillirt ist.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 107
C. 1 u. 2. Kiü-li in 2 Abtb., der obern u. untern, spricbt
von allerlei Gebräucbeu; Kiu ist ein volles Gefäss. Die innere
Ehrerbietung (King), wird bier gelebrt, ist die Grundlage des
Li und die Cardiualtugenden erbalten durcb diese erst ihre
Vollendung. Es bandeln diese Capitel dann speciell von den
Piiicbteu gegen Vater und Mutter, gegen Aeltere, Höbere,
1-reunde und Gäste, von der notbwendigen Trennung der
Gescblecbtcr, den Trauergebräueben, Titeln, Verbeugungen,
Ausdrücken der Demutb, Bescbeidenbeit u. s. w. G. 3 u. 4
baben die Ueberscbrift Tan-kung von einem Manne aus Lu,
der zu Anfang genannt wird und enthalten kurze Gespräche,
Fragen und Antworten über allerlei Gegenstände des Li von
Confucius und seinen Schülern. (Von C. 3 gibt Callery nur
ein kleines Fragment, C. 4 auch nicht vollständig). C. 5
Wang-tscbi, d. i. die Regierung des Kaisers, bandelt von
der Eintheilung des Reiches und der Regierung, den Berufs-
ptiichten des Kaisers und der Grossen, den Privilegien der
verschiedenen Altersstufen unter den Beamten der 3. D.
Tscbeu. C. 6. Yuei-ling, die Monats-Erlasse, bericbtet,
Was der Kaiser, die Vasallenfürsten und Beamten in jedem
Monate zu thun haben, namentlich welche Opfer darzubringen
sind, wie er die Acker-Ceremonie vornimmt, die Collegieu
besucht u. s. w. (Callery's Ausgabe lässt Vieles aus).
Nach den meisten Chinesen, wie Gaubil bei Souciet Obs.
T. 3. p. 26 bemerkt, ist das C. von Liü-pu-wey, der unter
der 4. D. Thsin 245 v. Chr. starb; s. Anm. 5. Die Aus-
leger sagen , es enthalte Vieles , was mit den alten Werken
und Gebräuchen der Weisen sich nicht reime.
C. 7. Tseng-tseu-wen, das ist Tseng-tseu (ein Schüler
des Confucius) fragt (diesen und der beantwortet seine Fragen,
welche die Trauergebräuclie und den Abuendienst betreffen).
Nur die 2 letzten Fragen werden einem anderen Schüler Tseu-hia
in den Mund gelegt, (Callery bat dieses Capitel ganz ausgelassen).
C.8, Wen-wang scbi-tseu, d.i.Wen-wang als Erbprinz, spricbt
108 Sitzung der philos.-pTiilöl. Gasse vom 8. Januar 1870.
davon, wie die alten Musterkaiser ihre Söhne erziehen Hessen,
dass sie wieder solche würden ; sie mussten Pietät üben —
um dereinst die Väter des Volkes — und die Unterthanen-
Pflichten, — um einst gute Fürsten sein zu können; denn
nur wer den Menschen dienen (sse) kann, kann ihnen später
befehlen (sse). C. 9. Li-yün, d.i. die Phasen oder Wand-
lungen des Ceremoniells. Confucius entwickelt da die hohe
Bedeutung derselben ; die Ausleger aber erklären es für
zweifelhaft, ob die Aeusserungen von Confucius seien. C. 10
Li-khi, wörtlich die Gefässe (Khi) des Li; ü. 11 Kiao-te-
seng spricht von den Opfern, die im Kiao dem Himmel
vom Kaiser dargebracht wurden und überhaupt von den
kaiserhchen Opfern, (j. 12Nei-tse, gibt Vorschriften für das
Innere (das Familienleben), wie die Kinder sich gegen die
Eltern und Schwiegereltern zu verhalten haben (Callery
C. 11 hat nur ein kleines Fragment daraus mitgetheilt).
Es werden noch jetzt den Kindern im Siao-hio viele Vor-
schriften daraus vorgehalten. C. 13. Yü-tsao, gibt allerlei
Vorschriften über die Kleidung und Haltung der Beamten,
namentlich bei der Aufwartung am Hofe, (Callery hat es
nur sehr unvollständig gegeben) ; C. 14 Ming-tang-wei (Licht-
tempel der Ahnen, hat er ganz überschlagen), ebenso C. 15
Sang-fu-siao-ki, die kleine Abhandlung über die Trauer-
kleidung. C. IG. (bei C. 13) Ta-tschuen, die grosse üeber-
lieferung, spricht von einigen wichtigen Ceremonien beim
Opfer- und Familienmahle, C. 17. Schao-i enthält Regeln
für das Betragen der Jugend, beschränkt sich aber nicht
auf diese. C. 18 Hio-ki, die Abhandlung über die Studien,
gibt interessante Data über das Unterrichtswesen ^^) C. 19
Yo-ki ist eine Abhandlung über die Musik. C. 20 und 21
Tsa-ki sind Melanges, namentlich über Trauergebräuche
36) Meine Abb. Scbule, Unterriebt und Erziebung bei den
alten Cbinesen, aus den S. B. d. Ak. München 1868. 8. enthält die
Flath: Quellen der aiten chines. Geschichte. 109
(Callery gibt nur ein Paar Sätze daraus); C. 22 Sang-ta-
ki. die grosse Abhandlung über die Trauer, hat er ganz
ausgelassen. G. 23 Tsi-fa, des Opfers Regeln. Die Aus-
leger sagen, was sie enthält, ist wenig glaubwürdig, (Callery
hat es nur unvollständig mitgetheilt). C. 24. Thsi-i, von
des Opfers Bedeutung. C. 25 Tsi-tung. Allgemeines über
die Opfer. C. 2G King-kiai, die Eröffnung oder der Sinn
der King (classischen Schriften), erwähnt des Gebrauches des
Schi-kiug, Schu-king, Yo-king, Y-king, Tschhün-thsieu und des
Li-ki selbst beim Unterrichte, Die Stelle zeigt deutlich, dass
dies nicht der alte Li-ki sein kann ; die Ausleger bezweifeln
aber die Aechtheit der Aussprüche des Confucius, G. 27
(C. 22) Ngai-kung wen, fragt dieser Fürst von Lu Gon-
fucius über Gebräuche und der antwortet ihm. G. 28 (G. 23)
Tschung-ni (Confucius) yen-kiü enthält Unterhaltungen
des Confucius mit seinen Schülern Tseu-tschang, Tseu-kung
und Jon-ieu über die Bräuche; C. 29 Kung-tseu kien-kiü,
Unterhaltungen desselben mit seinem Schüler Tseu-hia in
den Mussestunden ; C. 30. Fang-ki, Abhandlung über -die
Dämme, Anweisungen des Confucius die Menschen ins rechte
Geleis zu bringen, gleichsam einzudämmen.
G. 31 enthielt früher, wie schon gesagt, den Tschung-
yung. G. 32 (G. 26) Piao-ki, zeigt wie der Weise durch
sein äusseres Benehmen schon sich Ehrfurcht und Vertriiuen
erwirbt. Der Titel von C. 33 (C. 27) Sche-y, das schwarze
Kleid, ist einer citirten Stelle des Schi-king entnommen und
enthält allerlei Aussprüche des Confucius. C. 34. Pen-
sang, von der Trauer (ist von Callery ausgelassen, so auch
C. 35 — 38); C. 35 Wen-sang, sind Fragen über die Trauer;
C. 36 Fu-wen, Fragen über die Trauerkleidung; C. 37
Data daraus, sowie m. Abb. Die bänslicben Verbältnisse der
alten Chinesen. München 1863. 8. aus andern Capiteln des Li-ki,
namentlich aus C. 12.8.44 u.s.w. und m. Abb. L'eber den CultuB
der alten Chinesen aus C. 11, 23, 24 u. a.
110 Sitzung der phUos.-pJiilol. Classe vom 8. Januar 1870.
Kien-tschuen, etwa Ueberlieferung aus den Musestunden
(Kien), C. 38 San-nien- wen , Fragen über die dreijährige
(Trauer). C. 39 (C. 28) Schen-i, handelt von der Verfer-
tigung dieses Anzuges. C. 40 T heu- hu. Hu ist ein Wein-
gefäss; Theu-hu ein besonderes Spiel. C. 41 (0. 29) Jü-
hing vom Wandel des Gelehrten, ist eine Deklamation, die
wohl von Confucius nicht herrührt. C. 42 enthielt früher
den Ta-hio. C. 43 (C. 30) Kuan-i, handelt von der Be-
deutung der Annahme des männlichen Hutes; C. 44 (C. 31)
Huen-i, von der Bedeutung der Heirath; (J. 45. (C. 32)
Hiang-yen-tsieu-i, von der Bedeutung des Weintrinkens
im Distrikte; C, 46. (C. 33) Sche-i, von der Bedeutung des
Bogenschiessens; C. 47 (C. 34) Yen-i von der Bedeutung der
Festins; C. 48. (C. 35) Ping-i. von der Bedeutung der
Besuche oder Aufwartungen und C. 49 endlich (das bei Callery
fehlt), Sang-fu sse-tschi, 4 Vorschriften über die Trauer-
kleidung. Man sieht aus dieser Uebersicht, wie mehrere
Capitel dieselben Gegenstände, wie der J-li, behandeln; sie
sind aber nicht alle alt, sondern enthalten zum Theil nur
Aussprüche von Confucius und seinen Schülern, die aber
immer nichts Neues, nicht ihre eigenen Satzungen, sondern
nur die alten geben wollen, wesshalb der Li-ki hier mit
aufgeführt werden kann. Der Text lässt vieles zu wünschen
übrig, es kommen verschiedene Wiederholungen derselben
Stellen vor; so in den C. 12, 17, 37 und 38 aus den ersten
beiden Capiteln. Mehrere Stellen gelten auch den Chinesen
für unecht und gefälscht.
4) Den Ta-tai Li-ki besitzt die Staatsbibliothek in
der Sammlung von Werken aus den D. Han und Wei
(Han-wei-tsung-schu I Nr. 11. Es sind 13 Abschnitte
(Kiuen) in 3 Hft. Wir haben die Uebersicht derselben in
unserer Abb. über jene Sammlung. München 1868 S. 8 — 11
schon mitgetheilt, wiederholen sie daher hier nicht, zumal
Plath : Quellen der alten chines. Geschichte. 111
viele Capitel Confucius und seine Schüler betreffen, andere
zur politischen Geschichte gehören.
Der I-ss e B. 23 u. 24 hat nun, was die innere Geschichte
betrifft, diese Werke besser geordnet und das Zusammen-
gehörige aus allen nach den Materien zusammengestellt, was
Confucius und seine Schüler, z. B. Tseng-tseu u. a., betrifft,
aber aus dem Li-ki u. Ta-tai Li-ki in B. 95, 1. 2. 4; das
Historische des Ta-tai Li-ki, z. B. K. 6 Ti 59 Wu-wang-tsieu-
tsu bei Wu-waug im I-sse K. 20 f. 35 fg.
B. 23 in 2 Abthlg. gibt erst einige Tabellen und dann
den ganzen Tscheu-li, aber den blossen Text, ohne alle
Erläuterungen und Zusätze.
B. 24 in 6 Abtheilungen gibt dann zunächst den ganzen
I-li, aber immer mit den entsprechenden Aljschnitteu aus
den betreffenden Capiteln des Li-ki und Ta-tai Li-ki, so
dass man hier alles in einer passenden üebersicht beisammen
hat. Es wird hier genügen, die Folge der Artikel nur kurz
anzugeben, da die Ausdrücke schon oben erklärt sind.
B. 24. 1 handelt 1) von den Kuan-li; 2) von den
Huen-li; 3) von dem Siang-kien-li; 4) von Hiang-
yen-tsieu-li; 5) von dem Yen-li.
B. 24,2. 6) V. d. Hiang-sche-li; 7) v. d. Ta-sche-i;
8) v.d.Theu-hu; vgl. Li-ki 0.40, Ta-tai Li-ki K.12 ; 9) v. d. Ping-
li, v?l. Ta-tai Li-ki K. 11; 10) v. d. Kung-sse Ta-fu-li.
B. 24, 3. 11) V. d. Kin-li; 12) v. d. Sang-li; 13) v.
d. Yu-li; 14) Tscheu-schu-sche-hoei; 15) v. d. Pen-
sang; 16) Thiao-tsang. vom Condoliren (diese 3 Ab-
schnitte sind nur nach Stellen des Li-ki).
B. 24, 4. 17) Sang-fu; 18) Kiao-sche-kien-sse;
von den Opfern Kiao und Sehe, nur nach dem Li-ki, Ta-
tai Li-ki u. s. w. , so auch 19) Miao-tschi, Anordnungen
für den Ahnentempel und 20) Tsi-i des Opfers Bedeutung.
B. 24, 5. 21) Te-seng-kuei-schi; 22) Schao-lao
kuei-schi; 23) Li-tung-lun; diese und die folgenden nur
nach dem Li-ki und Ta-tai Li-ki.
B. 24, 6. 24) Khiü-li; 25) Nui-tse; 26) Kiao-hio,
yang lao über die Anleitung zum Unterrichte und die Er-
nährung der Greise ; 27) Wang-tschi (Li-ki C. 5) und 28)
Yo-ki (Li-ki 0. 19).
(Schluss im nächsten Hefte.)
112 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 8. Januar 1870.
Herr Maurer hält einen Vortrag
„Ueber die Heensa-Pöris saga".
Die Classe genehmigt den Druck dieser Abhandlung in
den Denkschriften.
Herr Hof mann hält einen Vortrag
„Ueber Fergus, des normannischen Dichters,
Guillaum le Clerc'*.
Historische Classe.
Sitzung vom 8. Januar 1870.
Der Secretär der Classe Herr von DölHnger hielt
einen Vortrag über
,, Dante als Propheten,"
in welchem er sich zu zeigen bemühte, dass die in neuer
Zeit vielfach missverstandeneu und missdeuteten prophetischen
Stellen iu der Divina Commedia einen geschichtlich nach-
weisbaren inneren Zusammenhang haben, und aus einer in
Dante's Zeit und in Italien sehr verbreiteten Anschauungs-
weise und Erwartung hervorgegangen seien.
'filtni/slirnrlifi /S, 0 / /
m^
«
%i.
r^
Sitzmigsbericlite
der
küniai. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Mathematisch-physikalische Classe.
SitzTino: vom 5. Februar 1S70.
Herr Beetz bespricht eine von Herrn Professor v. B e-
zold eingeschickte Arbeit:
Untersuchungen ü b e r d i e e 1 e k t r i s c h e E n t-
1 a d u n g.
Im YerLiufe der weiteren Untersuchung über den vor
Kurzem beschriebenen*) Zusammenhang zwischen der Art der
Entladung und dem Charakter der durch dieselben erzeugten
Staubfiguren drängte sich mir vor Allem die Forderung auf.
die früher beobachteten Erscheinungen durch einen einfacheren
Apparat hervorzurufen, als der Ruhm korff sehe es ist.
Die ersten Versuche mit geladenen Lejdner Flaschen,
sowie mit der gewöhnlichen Elektrisirmaschine ohne Conden-
sationsvorrichtung zeigten bald, dass mit diesen Hilfsmitteln
1) Diese Berichte v. J. 1869. II 145 3. und 371
[1870. 1.2]
114 Sitzung der math.-phys. Gasse vom 5. Februar 1870.
immer nur einfache Figuren, beziehungsweise Entladungen
erhalten werden können.
Auch die Beobachtung des Funkens genügt, um die Ueber-
zeugung zu begründen, dass die Entladung, welche bei gut
leitendem, nur durch eine Funkenstrecke unterbrochenem
Schhessungsbogen alternirend ist, durch Einschalten der
Proboplatte^) in eine einfache verwandelt wird. Während
nämlich der Funke im ersteren Falle hellleuLht( nd ist, er-
scheint er im zweiten nur als schmale purpurne Linie mit
leuchtendon\ Punkte auf Seite der nositivv n Elektrode.
um demnach auch bei eingesch.ilteter Probeplatte alter-
nirende Entladungen zu erzielen , blieb mir kein anderes
Mittel übrig als die Anwendung ^^iner geeigneten Zweig- oder
Rück-Leitung.
Ist diese zur Erde führende Leitung coutinuirlich d. h.
nirgends durch eine Funkenstrecke unterbrochen, so ist zu
erwarten, dass die Entladung des Zuleiters, welcher die
Elektricität auf die Tafel führt, unmittelbar nach der
Ladung erfolgt, d. h. dass in diesem Zuleiter ein oder
mehrere Hin- und Flergänge der Elektricität statttiuden.
Bei den mit solchen Rückleitungen angestellten Versuchen
ergaben sich verschiedene ganz neue auffallende Thatsachen.
welche geeignet scheinen, als Ausgangspunkt für neue Forsch-
ungen zu dienen.
Bevor ich jedoch mit der Beschreibung dieser neuen
Thatsachen beginne, muss ich jene eines einfachen Versuches
vorausschicken, der zwar nichts wesentlich Neues lehrt, aber
jedenfalls zum Verständniss des Folgenden viel beiträgt :
Bringt mau die im üebrigen isolirte Belegung der
Probeplatte in leitende Verbindung mit der Elektricitäis-
quelle, während man die Nadel, die sonst als Zuleiter dient.
2) Unter Probeplatte will ich in der Folge die einseitig belegte
Tafel verstehen, auf welcher die Figuren gebildet werden.
V. Bezold: die elektr. Entladung.
115
zur Erde ableitet, so erzeugt eine positive Entladung auf
der Glasfläche eine negative Figur und umgekehrt.'
Isolirt man die Belegung vollkommen, während man auf
die obere, unbelegte Fläche zwei Zuleiter (Ä und S) aufsetzt,
deren einer mit der ♦Elektricitätsquelle Q (S. das Scliema F'ig. 1)
der andere hingegen Fig. 1.
durch einen Di aht E mit
der Erde verbunden ist,
so entsteht bei jeder
Entladung eine positive
und eine negative Figur
gleichzeitig.
Diese Versuche lehren, dass man eine positive
(negative) Ficrur erliält, wenn man entweder positive
(negative) Elektricität zuführt, oder negative (positive)
hinwegnimmt.
§ 1. Dies vorausgeschickt, sollen nun die oben er-
wähnten Versuche beschrieben werden. Einer der ersten
wurde nach folgendem Schema (Fig. 2) angestellt : Von
Fig. 2.
.^ J)
'"^
— >
1
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1
4
A
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2'
1
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t
dem positiven Conductor einer Elektrisirmaschine ging
ein Draht zu der einen Kugel eines Funkenmikrometer's
F. Vor der andern Kugel desselben waren zwei
Drähte abgeleitet, der eine (E) direkt zur Erde, der
andere (D) zum Zuleiter Ä. Die untere Belegung der
116 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
Tafel war durch den Drath E' ebenfalls mit der Erde ver-
bundenj» Nach meiner Meinung waren bei dieser Anordnung
zweierlei Resultate zu erwarten. Es schien mir nämlich
denkbar, dass entweder auf der Tafel gar keine Figur ent-
stehe, und sämmtliche Elektricität sofort durch den gut leiten-
den Draht zur Erde abgeleitet werde, oder dass höchstens
ein kleiner Theil derselben auf die Tafel gelange, und dann
wieder rückwärts durcli E zur Erde entladen werde. Ich
erwartete demnach entweder gar keine oder eine kleine
positive zusammengesetzte Figur d. h. einen gelben Stern
mit rothem Fleck.
Das Resultat war gerade entgegengesetzt : Es erschien
eine Figur, aber keine positive sondern eine negative,
ein rother unregelmässig gezackter Hing mit gelbem
strahligem Centrum.
Es hatte sich demnach der Entladungsstrom nicht nur
nicht auf die beiden Zweige vertheilt, sondern ^ie auf
kürzestem Wege durch Fy zur Erde abfliessende Elektricität
riss noch gleichnamige aus dem Zweige ÄE' mit sich fort.
Sowohl das höchst Auffallende, was dieser Versuch an
sich hatte, als auch der Umstand, dass derselbe in der eben
beschriebenen Weise nicht immer unzweideutig gelaug, in-
dem die Figuren häufig kaum erkennbar waren , Hess es
wünschenswerth ersclieinen, den Versuch mit einer anderen
Elektricitätsqiyplle zu wiederholen. Es wurde desshalb die
Elektrisirmaschine durch das Induktoriuni ersetzt, indem
der eine Pol desselben mit dem Funkenmikronieter der andere
aber mit der Erde verbunden wurde. Die Kugeln des Mikro-
meters wurden allmählig von einander entfernt.
So lange die Schlngweiten gering waren , entstanden
Figuren, welche mit der durch die Funkenstrecke schlagen-
den Elektricität gleichnamig waren. D. h. wenn der ne-
gative Pol des Induktoriums mit dem Mikrometer verbunden
war, entstanden negative Figuren und umgekehrt. Sowie
V. Bezold: Die elektr. Entladung. 117
jedoch die Sclilagweite grösser wurde, uahmeu diese Hguren
an Durchmesser ab. Während z. B. in einer Versuchsreihe
bei 1 mm. Schlagweite negative Figuren von etwa 15 mm. Durch-
messer erschienen, sank dieser Durchmesser bei 10 mm.
Schlagweite bis auf 2 mm. herab. Bei fortgesetzter Ver-
gi'üsserung der Funkenstrecke bheben die Figuren einige
Zeit ganz aus bis endlich bei Schlagweiten von mehr- als
15 mm. wieder solche auftraten und zwar von entschieden
positivem Charakter.
Es tritt demnach hier ein vollständiges Umspringen der
Erscheinungen ein. Während man bei kleinen Schlagweiten ein
Stromlaufschema hat, wie es in Fig. 2 durch die gestrichelten
Pfeile angedeutet ist, tritt bei grösseren Funkenstrecken ein
anderes, durch die ausgezogenen Pfeile bezeichnetes, an
dessen Stelle.
Experimentirt man mit positiver Elektricität, so hat
man zuerst positive Figuren, welche sich bei Vergrösseruug
der Funkenstrecke fortgesetzt verkleinern, dann eine Zeit
lang verschwinden , und endlich in negative übergehen.
Uebrigens tritt das Umspringen hier erst bei grösseren
Schlagweiten ein, als es der Fall ist, wenn man mit nega-
tiver Elektricität arbeitet.
Diese sowie manche ähnliche Differenzen in den Er-
scheinungen ji nach Art der angewandten Elektricität ver-
danken ihre Entstfhuug wohl dem Umstände, dass gleich
intensive Entladungen der beiden Eltiktricitäten Figuren
von ganz verschiedener Grösse hervorrufen. Daher mag
es auch rühren , dass so häuhg alternireude Entladungen
mit entschieden negativem Charakter^) Figuren hervorruleu,
welche man auf den ersten Blick für positive halten möchte,
während das Umgekehrte niemals eintritt. Denkt man sich
3) Unter einer alternirenden Entladung von positivem Charakter
verstehe ich eine solche, bei welcher die algebraische Summe der
entladenen Elektricitätsmeugen positiv ist, und umgekehrt.
118 Sitzung der math.-phys. Gasse vom 5. Februar 1870.
nämlich nacheinander eine negative und eine positive Ent-
ladung -auf dieselbe Stelle der Platte geführt, so niuss
erstere die letztere an Intensität weit übertreffen, wenn sie
nicht durch die Spuren der letzteren verdeckt werden soll.
So viele Einzelheiten jedoch bei diesem Versuche noch
zu erörtern sind, so zeigt doch das Mitgetheilte schon hin-
länglich, dass auch bei elektrischen S trömungen ähn-
liche Erscheinungen auftreten können, wie sie bei
der Bewegung der Flüssigkeiten unter dem Namen
von ,, Saugphänomenen" beobachtet, und z. B. in Gif-
fard's Injekteur oder bei dem bekannten luhalationsapparate
praktisch verwerthet werden.
§ 2. Diese eigenthümlichen Beobachtungen gaben die
Veranlassung zu weiteren Versuchen über die Verzweigung
elektrischer Entlau ungsströme.
Auch hier ergaL/en alternirende Entladungen constantere
Resultate als einfache und es wurde deshalb stets für eine
geeignete Rückleitung Sorge getragen. Dass ein einfacher
Draht zu diesem Zwecke nicht brauchbar ist, beweisen die
obigen Versuche, es wurde desshalb die Induktionsrolle des
Ruhmkorff's zur Rückleitung benützt. (S. Schema Fig. 3).
Fig. 3.
Wurde nun die ElektriärmascLine langsam in Drehung ver-
V. Bezold: Die ekktr. Entladung. 119
setzt, bis ein Funke übersprang, so erscLieneü auf der Tafel
die zusammengesetzten positiven Figuren mit grosser Regei-
mässigkeit.
"Wurde der Strom durch einen kurzen Draht D abge-
zweigt, nnd iier Zweigstrom ebenfalls durch einen Zuleiter
B auf die Tafel geführt, so erschienen, wie zu erwaiten
war, zwei vullkommen gleiche Figuren. Hatte hingegen der
Zweigdraht eine nur einigermassen beträchtliche Länge
(etwas mehr als 1 Meter), so zeigten die Figuren bereits
eine entschiedene Grössenverschiedenheit. Sobald nämlich
die Länge des Drahtes diese Grenze überschiitten hatte,
war die Figur bei B immer grösser als jene bei A, selbst
wenn man die Abzweigung ganz nahe am Ende des Zu-
leiters (1 cm. über der Platte) vorn ;hm. Bei Verlängerung
des Zweigdrahtes D wurde auch die Grössenditferenz zwischen
den beiden Figuren immer auffallender, bis sich endlich für
2)=: 6,4 m. und i^ = 4,0mm. {F ist die Länge der Funken-
tsrecke) die Figur bei Ä auf ein kleines Sternchen reducirte,
manchmal wohl auch ganz ausblieb.
Dieser Versuch zeigt augenfällig, dass die Ohm 'sehen
Gesetze nur für stationäre Strömungen nicht aber lür die
elektrische Entladung gelten, wie es ja auch alle theore-
tischen Untersuchungen bisher ergeben haben. Während
nämlich durch den ganz kurzen Zweig A gar keine Elek-
tricität auf die Platte geht, schlägt sie, wenigstens scheinbai-,
den viel hundertmal .längeren Weg durch den Draht D ein.
Verlängert man den Draht D noch mehr, so bleibt vorerst
innerhalb ziemlich weiter Grenzen die Erscheinung unvei-
äudert, und erst, wenn man die Länge desselben etwa auf
das Doppelte gebracht hat, wird auch die Figur bei A
wieder grösser, bis bei noch betiächthcheren Laugen die
Grössendifferenz der beiden Figuren wieder vollständig ver-
schwindet. Hiebei war es ganz gleichgiltig ob ein dicker,
oder dünner, besser oder schlechter leitender Diaht ange-
120 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
wendet, ob er in einer straff gespannten Schleife hin und
her oder im Bogen herumgeführt wurde. Mit Spiraldrähten
habe ich jedoch noch nicht experimentirt.
Bei der vollkommenen Neuheit der Erscheinung schien
es mir nun interessant das Verhalten des Drahtes D an ver-
schiedenen Stelleu zu untersuchen. Es wurde desshalb eine
Aenderuug getroffen, wie sie in Fig. 4 schematisch darge-
stellt ist. Auf die Tafel werden die Zuleiter A, B, C aufgesetzt,
Fig. 4.
welche durch zwei Drähte D und D' miteinander verbunden
sind. Wählt man nun die Länge dieser Drähte so, dass
bei C eine möglichst grosse, bei ji hingegen eine möglichst
kleine Figur entsteht, so wird die Figur bei B grösser als
jene bei A und kleiner als jene bei C. Ist jedoch die
Länge des Drahtes beträchthcher, so nähern sich die Grössen
der Figuren A und C der Gleichheit, während B bei rich-
tiger Wahl des Verhältnisses DjD' ganz klein wird, ja so-
gar ganz verschwindet. Bei einer Schlagweite von 4,3 mm
unddenLäugen J.i^== 50 cm. D = G,2m. D' = 8,1 m. waren
die Figuren bei A und C gross, während bei B nur ganz
kleine Steinchen erschienen.
Hebt man iigend einen der Zuleiter von der Tafel ab.
V. Bezold: Die elektr. Entladung.
121
so werden dadurch die Figuren au den übrigen Zuleitern
nicht im Geringsten geändert.
Dieser Versuch lehrt die neue Thatsache kennen, dass
die Verbindung des Zuleiters mit einem blind endenden
Drahte hinreicht, um die Figur, welche am Zuleiter ent-
steht, ganz wesentlich zu verändern, beziehungsweise dieselbe
zum Verschwinden zu bringen. Am belehrendsten wird das
Experiment, wenn man nahe beim Zuleiter A ein zweites
Funkenmikrometer f (Schema : Fig. 5) anbringt, dessen eine
Fig. 5.
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Kugel mit A verbunden ist, während die andere zu dem
Drahte D i'ührt. Stellt man alsdann das Funkunmikrometer/'
zuerst auf eine weite Distanz ein, und verringert man diese all-
mälich, so sieht man, wie von dem Augenblicke an, wo der
Funke bei /" überspringt, die Figur bei A eine andere wird,
beziehungsweise verschwindet. Beachtet man aber, dass bei
alternirenden Entladungen der Draht D sofort wieder voll-
ständig entladen wird, so ergibt sich, dass bei einem solchen
Vorgange Elektricität zuerst bis in das äusserste Ende des
Drahtes D hinein, uud sofort wieder herausgetrieben wird,
dass also hier Bewegungen stattfinden, welche einer Reflexion
vollkommen vergleichbar sind.
Diese Betrachtung führt zu einer Hypothese über die
122 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
eigenthümlichen Grössenveränderungen, welche die Staub-
figuren bei den beschriebenen Abzweigungen erleiden.
Werden nämlich elektrische Wellen in einen Draht
hineingetrieben, und müssen sie nach Reflexion am Ende
desselben auf demselben Wege wieder zurückkehren, so werden
die ankommenden mit den reflectirten Wellen interferiren
und hiedurch Erscheinungen hervorgerufen, welche den
bei Orgelpfeifen beobachteten analog sind. Die bisher
mitgetheilten Beobachtungen zeigen wirklich eine solche
Analogie in hohem Grade, und man darf es wohl wagen,
die Stellen des Drahtes, an welchen Maximal- od> r Minimal-
figuren erscheinen mit den Schwingungsbäuchen und Schwing-
ungsknoten zu vergleichen.
Die Hypothese, dass man hier Interferenz-Erscheinungen
vor sich habe, gewinnt noch dadurch an Wahrscheinlichkeit,
dass die Versuche nur mit alternirenden Entladungen in über-
zeugender Weise gelingen, während bei einfachen Entladungen
zwar ebenfalls Grössendifferenzen der verschiedene^ Figuren
beobachtet werden, aber lange nicht in so hohem Grade.
§ 3. Mit den eben beschriebenen Versuchen wurde noch
eine kleine Modification vorgenommen, welche abermals den
Ausgangspunkt für neue Untersuchungen bildete.
Verknüpft man nämlich das Ende des Drahtes D (Fig. 3)
wieder mit dem ersten Zuleiter Ä wie es in dem Schema
(Fig. 6) versinnlicht ist, so kann die Figur bei richtiger
Fig. 6.
V. Bezold: Die elektr. Entladung. 123
Wahl der Drahtlänge ebenfalls zum Verschwinden gebracht
WLrdea. Dieser Versuch bildete eigentlich den Ausgangs-
punkt für die säiumth'chen bisher mitgetheilten, ich habe
jedoch seine Beschreibung bis auf diese Stelle hier ver-
schoben, da er nicht dazu geeignet ist. das Verständniss der
obigen Experimente zu erleichtern. Ich selbst glaubte in
ihm zuerst ein Analogen des Savart' sehen Interferenz-
versuches für Schallwellen gefunden zu haben, und dachte
mir die Strombewegnng im Sinne der gestrichelten Pfeile
vor sich gehend. Die Experimente mit dem bhnd endenden
Draht, sowie der Umstand, dass der Abstand der beiden
Abzweigungspunkte auf A keinen entscheidenden Einfluss
äusserte, mussteu diese Ansicht erschültein. Um jeden
Zweifel hierüber zu beseitigen, unterbrach ich die Draht-
schleife D der Reihe nach an verschiedenen Stellen durch
eine Fuukenstrecke. Die Kugelu dieses zweiten Mikrometers
waren hiebei einander bis auf 0,01 bis 0.03 mm. genähert.
Ich dachte mir nämlich, dass es in dem Falle, wo der
Strom von beiden Seiten her in den Draht hereinstürzt, in
diesem Drahte eine Stelle geleu müsse, an welcher sich die
beiden Wellenzüge begegnen. Befindet sich die Funkenstrecke
gerade an dieser Stelle, so muss die Spannuiig auf beiden
Kugeln gleichzeitig dieselbe Höhe erreichen, und es ist
demnach an dieser Stelle kein Grund zur Entstehung eines
Funkens gegeben, während man an allen andern Stellen einen
solchen zu erwarten hat.
Der Funke blieb wirklich aus, wenn das Mikro-
meter in der Mitte der Schleife eingeschaltet
wurde und erschien sobald dasselbe nur um wenige
Decimeter von dieser Stelle nach der einen oder
andern Seite entfernt wurde. Hiemit ist nachgewiesen,
dass der Stromlauf durch die ausgezogenen Pfeile dar-
gestellt wird, und anderseits ist die kleine Verspätung
sichtbar gemacht, welche der elektrische Entladung 5-
124 Sitzung der matJi.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
ström bei dem Durchlaufen weniger Decimeter Draht
erleidet.
Vor Allem suchte ich nun nach den Bedingungen, unter
welchen dieser Veisuch über die Verzögerung am Schlagendsten
gelingt. Ich fand es dabei am Besten, direkt den Entladungs-
strom des Ruh mkorff sehen Apparates, mithin das Schema
Fig. 7, anzuwenden. Der iuducirende Strom wurde durch
ein Grove'sches Element erzeugt, und die Funkeustrecke im
Funkenmikrometer ungefähr F = 2 mm. gemacht, da weder
grössere noch kleinere Funkenstrecken so gute Resultate
lieferten.
Unter diesen Umständen war es für die Hervorbringung
des Funkens genügend, wenn der eine Draht D auch nur
um 1 Decimeter länger war, als der andere. Waren sie
hingegen gleich lang, so erschien niemals ein Funke. ^lan
Jiann ihn jedoch augenblicklich zur Erscheinung bringen,
wenn man durch Anlegen des Knopfes einer Leydner Flasche
an einen der Drähte die Symmetrie der beiden Stromwege stört.
Auch bei diesen Versuchen äusserten Material und Dicke
der Diähte nicht den geringsten Eintluss. Ob ich einen
versilberten Kupferdraht von 0,06 mm. Durchmesser oder
einen Eisendraht von 0,23 oder endlich einen Kupferdraht
von 0,80 mm. Durchmesser anwendete, immer blieb der
Funke aus, wenn nur die beiden Dräthe gleich lang waren.
V. Bezold: Die elelfr. Entladung.
125
Es ist mithin die FortpfKanzungsgeschwindigkeit
der Elektricität für alle (gespannten)^) Drähte die
gleiche.
In der bisher beschriebenen Form ist jedoch der Versuch
zieuilich unscheinbar, da man nur mit sehr kleinen Funken-
strecken des Hilfsmikrometers f arbeiten kann. Ich war
deshalb bestrebt, ihn in einer Weise abzuändern, welche ge-
stattet, denselben auch einem Auditorium sichtbar zu machen.
Versuche mit kleinen Geis sie r 'sehen Röhren führten
bis jetzt noch zu keinem entschiedenen Resultate. Dagegen
kann man die Verspätung wenigstens bei Verzögerungslängen
von einigen Metern recht schön auf folgende Art nachweisen.
Fig. 8.
Theilt man einen (negativen) Entladungsschlag am Besten
den eines Ruh rakorff sehen Apparates, ebenso wie oben gleich
hinter dem Funkenmikrometer in zwei Zweige und verbindet
man einen derselben mit der Belegung der vollkommen
isolirten Probeplatte, während man den andern durch den
Zuleiter Ä auf die obere unbelegte Fläche führt, so kann
auf der oberen Tafel eine positive, negative oder auch gar keine
Figur erscheinen, je nachdem der obere Zweig grösser, kleiner
oder ebenso lang ist als der untere. Und zwar müssen die
4) Spiralförmig gewundene Drähte werden vermuthlicli ein anderes
Resultat geben.
126 Sitzung der math.-pliys. Classe vom 5. Februar 1870.
Versuche in betiramtem Sinne ausfallen, wenn sie die Vor-
muthung bestätigen sollen , dass sie Zeitdifferenzen ihren
Ursprung verdanken. Wenn man sich Tiämlich dar.m erinnert,
dass es gleichgiltig ist. ob man positive Elektricität auf die
Platte führt oder negative hin wegnimmt, so versteht man.
dass eine positive Entladung eine positive Figur hervorruft,
wenn die Elektricität früher an die Spitze des Zuleitors an-
kommt als auf der Belegung d. h. Avenn D^ kürzer ist als
Dg. Gelangt hingegen die Entladung fi üher auf die Belogung.
so wird der Zuleiter von der Jnfluenzelektricität im entgegen-
gesetzten Sinne durchlaufen und es muss demnach auf der
Glasfläche eine negative Figur entstehen, sobald J)., kürzer
ist als I)^. Im Verlaufe der Bewegung muss diese Jnfluenz-
entladung im Drahte Dy auf die direct von F herkommende
Elektricität treffen, und hiedurch der Figur ein zusammen-
gesetzter Chitrakter aufgedrückt werden.
Zwischen diesen beiden Anordnungen mit ganz entgegen-
gesetzten Resultaten muss es aber offenbar solche geben,
bei welchen gar keine Figuren entstehen, da kein Grund
vorhanden ist, wesshalb eine solche der einen oder der anderen
Art zu Staude kommen sollte. Diess muss der Fall sein,
wenn die Elektricität von beiden Seiten her gleichzeitig ein-
trifft d. h. wenn J)j und D.^ gleich lang^"") sind.
Die Versuche entsprachen diesen theoretischen Voraus-
sagungen vollkommen. Man erhält mit jeder Elektricitätsart
Figuren der beiden Art. wenn man über die Längen der
Drähte richtig disponirt.
Diese Behauptung könnte freihch manchem, der den
Versuch nicht unter ganz günstigen Verhältnissen anstellf,
5) Eine kleine LängendifiFerenz zu Gunsten des obern Drahtes
kann vielleicht hiebei stattfinden, da die von unten kommende
Elektricität sich über die ganze Belegung ausbreiten muss.
v. Bezold: Die elektr. Entladung. 127
abgesehen von dem eintn Falle, wo wegen vollkommener
Gleichheit der beiden Zweige gar keine Figuren zu Stande
kommen, unrichtig erscheinen. Es kann nämlich eintreten,
dass sämmtliche Figuren auf den ersten Blick positiv zu sein
scheinen, unter welchen Verhältnisssen und mit welclier
Elektricitätsart man auch arbeiten mag.
Der Grund li.gt einfach darin, dass die zusammen-
gesetzten negativen Figuien in diesem Falle zu jener Gruppe
gehören, welche bereits einen stark positiven Charakter an
sich tragen, und selbst bei eingehender Bebchäftigung mit
denselben kaum als negativ erkannt werden können.
Der nach einem Polwechsel eintretende bedeutende
Grössenunterschied ist aber vollkommen hinreichend, um
jeden Zweifel über die wahre Natur der Figuren sofort zu
beseitigen und die Uebereinstimmung der Versuche mit den
theoretischen Voraussetzungen zu beweisen.
Alles zusammeugefasst, wurden nachfolgende Resultate
gewonnen :
1) Bietet man einer elektrischen FnHadung uac|h
Durchbrechung einer Funkenstrecke zwei Wege zur
Erde dar, einen kurzen und einen längern, durcli
eine Probeplatte unterbrochenen, so findet bei
kleinen Schlagweiten eine Theilung des Entladungs-
strouies statt. Bei grösseren Funkenstrecken hin-
gegen schlägt die Elektricitat nur den kurzen Weg
ein und reisst sogar aus dem andern Zweige gleich-
namige Elektricitat mit sich fort.
128 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
2) Sendet man einen elektrischen Wellenzug
in einen am Ende isolirten Draht, so wird derselbe
am Ende refleetirt. Die Erscheinungen, welche
diesen Vorgang bei alternirendea Entladungen be-
gleiten, scheinen ihren Ursprung der Interferenz
der ankommenden und reflectirten Wellen zu ver-
danken.
3) Eine elektrische Entladung pflanzt sich in
gleich langon Dräthen gleich rasch fort, ohne Rück-
sicht auf das Material, aus welchem diese Drähte
bestehen.
Goppelsröder : Bestimmung der Salpetersäure. 129
Herr Baron v. Liebig übergibt eine Abhandlung von
Herrn Prof. Dr. Friedrich Goppelsröder in Basel:
„Ueber eine schnell ausführbare und genaue
Methode der Bestimmung der Salpetersäure
sowie über deren Menge in den Trinkwassern
Basel's."
In meiner 1867 in den Verhandlungen der Natur-
forschenden Gesellschaft in Basel niedergelegten Arbeit über
die chemische Beschaffenheit von Basel's Grund-, Bach-,
Fluss- und Quellwasser habe ich hauptsächhch die für die
Hygiene wichtigen Punkte ins Auge gefasst, indem ich ver-
sprach sobald als möghch in ausführlicher \Yeise die Mengen
aller einzelnen Mineralbestandtheile der verschiedenen Wässer
zu bestimmen. In erster Linie interessirte mich die Menge
der Salpetersäure, zu deren Bestimmung ich jedoch vorerst
nach einer möglichst praktischen, schnell ausführbaren und
dennoch genauen Methode suchen musste. Einige der bis
jetzt empfohlenen Methoden sind zw^ar genau, aber zu um-
ständlich, um bei einer längeren Versuchsreihe Verwendung
fiuden zu können, andere wieder wären rasch ausführbar,
sind aber ungenau. Nun findet sich im IV. Hefte des
7. Jahrganges der Freseuius'schen Zeitschrift für analytische
Chemie S. 412 eine Arbeit von Prof. Dr. Marx über die
Bestimmung der Salpetersäure in Brunnenwässern. Marx
versetzt in einem etwa V* Liter fassenden Kochkölbchen
50 cc. des zu untersuchenden Wassers mit 100 cc. concen-
trirter reiner Schwefelsäure, welche langsam unter Bewegung
des Kölbchens zugesetzt wird, wobei der Inhalt sich auf
etwa 120° Celsius erhitzt. Dann wird unter Bewegung des
Kölbchens aus einer Bürette eine mit Wasser sehr verdünnte
Lösung von Indigoschwefelsäure zugegossen. Bei Anwesen-
heit von Nitraten wird diese sofort zersetzt und die Flüssig-
[1870.1.2.] 9
130 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
keit gelb. Beim ersten Tropfen zuviel zugesetzter Indigo-
lösung erscheint die Flüssigkeit grün, welches Ende der
Reaction sich bei einiger Üebung genau feststellen lässt.
Die Indigolösung ist mit Hilfe einer Lösung chemisch reinen
Salpeter sauren Kali's empirisch titrirt worden, d. h., man weiss,
dass 1 Cubikcentimeter Indigolösung so und so vielen Bruch-
theilen von Grammen salpetersauren Kali's, resp. SalpetT-
säure (NO^) entspricht. Man kann daher aus der verbrauchten
Menge von Cubikcendmetern der Indigolösuug die Menge der
Salpetersäure (NO^), z. B. in 1 Liter des untersuchten Wassers
berechnen.
Wie schon Marx hervorhebt , darf das Wasser nicht
auch andere leicht oxydirbare Stoffe enthalten, weil diese
durch die bei Einwirkung der Schwefelsäure auf die Nitrate
frei werdende Salpetersäure oxjdirt würden, somit weniger
Indigolösung zerstört würde. Dieser üebelstand ist da
namentlich zu befürchten, wo das Wasser in solchem Masse
verunreinigt ist, dass sich die Verunreinigung schon den Sinnes-
organen zu erkennen gibt. Die Titration muss rasch aus-
geführt und es muss dabei umgeschüttelt "werden. Die
Temperatur darf nicht unter 100° Celsius sinken. Gegen-
wart von Chloriden beeinflusst nicht das Resultat. Wenn
das Wasser mehr als 6 Milligramme Salpetersäure enthält,
so wird, wie Marx beobachtet hat, die Flüssigkeit zu stark
durch die Oxjdationsprodukte des ludigo's gefärbt, so dass
die Erkennung des Endes der Operation an Schärfe verliert.
^lit dieser, hinsichtlich der leichten Ausführbarkeit, sehr
praktischen Methode habe ich keine genügend genauen Re-
sultate erhalten können, wohl aber ist es mir gelungen durch
eine Abänderung dieselbe sehr genau zu machen, wie die
folgenden Resultate beweisen.
Titrestellung der Indigoschwefelsäurelösung.
Es wurden 2,0258 Gr. chemisch reines salpetersaures Kali
Goppelsröder : Bestimmung der Sälpetersäure.
131
in 2 Litern destillirten Wassers gelöst, so dass 1 Cubikcentim.
der Lösung 0,001013 Gr. salpetersauren Kali's (KO. NO^),
also 0,000541 Grammen Salpetersäure (NO^) entspricht.
Anderseits wurde eine verdünnte Indigoschwefelsäure-
lösung nach gewohnter Weise bereitet und filtrirt. Hierauf
wurde die Salpeterlösung ganz nach Marx's Vorschlag titrirt
und dabei die folsenden Resultate erhalten.
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132 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
Weit mehr Genauigkeit und üebereinstimmung der
Resultate erzielte icii durch folgende Abänderung der
Methode :
Zuerst wurde ein vorläufiger Versuch nach Marx's
Methode angestellt. Alsdann wurde eine gleich grosse Menge
der Salpeterlösung zuerst mit der beim Vorversuche gefun-
denen Menge Cubikcentimeter Indigolösung versetzt, und
hierauf erst wurde unter Umschütteln die Schwefelsäure
zugefügt. Gegen Ende des Zusatzes der nöthigen Menge
der Säure entfärbte sich die Indigolösung in's gelbe, ein
Beweis, dass nach dem von Marx vorgeschlagenen Operations-
gange zu wenig Indigolösung verbraucht wird. Jetzt wurde
mit Indigolösung bis zur grünen Färbung nachtitrirt. Bei
Anwendung der auf solche Weise verbesserten Methode
wurden die auf nachfolgender Tabelle verzeichneten Resultate
erhalten.
Goppelsröder : Bestimmung der Sälpetersäure.
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134 Sitsung der math.-pliys. Classe vom 5. Februar 1870.
Versuche
mit verschiedenen Wassern Basel's.
OeffenÜicher Brunnen an der Binningerstrasse, laufendes
Quelhvasser.
a. b. c. d.
1000 CG. Wasser
Cubikcentimeter Cubikcentimeter Cubikcenti- würden
Wasser.
Iiidigulösung.
meterbcüwe
feisäure.
centimeter la-
digolösung.
Vorversuch
50
6.5
100
130
Versuch 1
50
9
100
180
2
100
17.8
200
178
3
50
9
100
180 -
Grellinger Wasser, laufendes Quelhvasser.
Vorversuch 50 1 100 20
Versuch 1
50
3
100
60
2
50
3
100
60
3
100
6
200
60
Sodwasser Binningerstrasse Nr. 19.
Vorversuch 50 16.5 100
Versuch 1
2
50
50
19.5
19.5
100
100
330
390
390
Goppelsröder : Bestimmung der Salpetersäure. 135
Goldquelle, Steinenvorstadt, Grundwasser.
a. b. c. d.
Cubikcentimeter
Wasser.
Cubikcentimeter
Indigolösung.
Cubikcenti-
meterSchwe-
felsäure.
1000 CC. Wasser
würden
brauchen Cubik-
centimeter In-
digolüsung.
Vorversiich
50
8
100
160
Versuch 1
50
10
100
200
2
50
10
100
200
3
50
10
100
200
4
100
19.8
200
198
5
100
20
100
200
6
200
39.7
200
198.5
7
200
39.7
200
198.5
100
43.5
200
435
100
43.3
100
433
100
43.5
100
435
Loclibrunnen heim Stadthause, Grundivasser.
Vorversuch 50 19 100 380
Versuch 1
2
3
Loclibrunnen am Gerherherg, Grundwasser.
Vorversuch 50 20 100 400
Versuch 1
2
3
St. Älbanlochhrimnen, Grundivasser.
Vorversuch 50 8.5 100 170
Versuch 1 100 19.8 200 198
2 100 19.8 100 198
100
45
200
450
100
45
200
450
50
22.4
100
448
136 Sitzung der math.-phys. Classe voin 5. Februar 1870.
Oeffentticher Sod Steinenthorstrasse, Grunäivasser.
a. b. c. d.
Cubikcentimeter
Wasser.
Cubikcentimeter
Indigolösung.
Cubikcenti-
meterSchwe-
felsäure.
1000 CC. Wasser
würden
brauchen Cubik-
centimeter In-
digolösuDg.
Vorversuch
100
22.5
100
225
Versuch 1
100
27.5
200
275
2
100
27.5
100
275
3
100
27.6
100
276
4
100
27.5
100
275
Mheinwasser hei der oberen Fähre.
Vorversuch 100 3,5 100
35
Versuch 1
100
4.7
100
47
2
100
4.8
100
48
3
100
4.7
100
47
BTieinwasser hei der unteren Fähre.
Vorversuch 100 4 100
40
Versuch 1
100
5.3
100
53
2
100
5.4
200
54
3
100
5.4
100
54
4
100
5.5
100
55
5
100
5.5
ICD
55
Goppelsröder : Bestimmung der Salpetersäure. 137
OeffenÜicher Sod St. Joliannvorstaät, Ch-nndwasser.
a. b. c. d.
lOOÖ CC. Wasser
Cubikcenti-
CTibikcentimeter
"Wasser.
Cabikcentimeter
IndJgolösung.
meter Schwe-
felsäure.
wuraen
brauchen Cubik-
centimeter In-
digolösung.
Vorversuch
100
24.7
100
247
Versuch 1
100
27.7
100
277
2
100
27.7
100
277
3
100
27.8
100
278
4
100
27.7
100
277
Lochhrunnen Sattelgasse, Grundwasser.
Vorversuch 100 36.5 100 365
Versuch 1
2
3
100
42.3
100
423
100
42.3
100
423
100
42.3
100
423
Barfüsserplatz, öffentl. Brunnen, laufendes Quelhvasser.
Vorversuch 100 7.5 100 75
Versuch 1
100
9.7
100
97
2
100
9.8
100
98
3
100
9.7
100
97
4
100
9.7
100
97
138 Sitzung der math.-phi/s. Classe vom 5. Februar 1870.
OeffenÜicher Sod Theaterstrasse, Grrundwasser.
a. b. c. d.
Cubikcentimeter Cubikcentimeter
„ , . . 1000 CC. Wasser
Cubikcenti- würden
meterSchwe- brauchen Cubik-
Wasser.
Indigolösung.
feisäure.
centimeter In-
digolösung.
Vorversuch
100
31.8
100
318
Versuch 1
100
38.5
100
385
2
100
38.5
100
385
3
100
38.6
100
386
4
100
38.5
100
385
Sod des Hauses Nr. 24. Vordere Steinen.
Vorversuch 100 22.2 100 222
Versuch 1
2
3
100
25.5
100
255
100
25.5
100
255
100
25.4
100
254
Pumpiverkwasser, Grundivasser KleinhaseVs.
Vorversuch 100 4.5 100 45
Versuch 1
100
5.5
100
55
2
200
11
200
55
3
100
5.45
100
54.5
Goppelsröder : Bestimmung der Salpetersäure. 139
Oeffenflicher Brunnen Marktplatz, Grundwasser.
a. b, c. d.
„ ^.. . 1000 CC. Wasser
„ , ., . , „ CublkCentl- ivnrrlpn
Cubikcentimefer Cubikcentimeter „ , , " uraen
..... meterScnwe- brauchen Cubik-
Vorversuch
Wasser.
100
Indigolosung
32.5
feisäure.
100
centimeter In-
digolösung
325
Versuch 1
2
■200
50
80.5
20
200
50
402
400
Holheinplatz öffentl. Brunnen, Qtiellivasser.
Vorversuch' 100 7.8 100 78
Versuch 1
100
9
100
90
2
200
18
200
90
3
100
9
100
90
Bei solchen Untersuchungen ist es nicht gleichgültig, ob
das Wasser längere Zeit mit Luft zusammen gestanden hatte
oder nicht, indem bei Einwirkung des Sauerstoffes der Luft
auf stickstoffhaltige organische Substanzen deren Stickstoff
zuerst in salpetrige Säure, dann in Salpetersäure verwandelt
werden kann. Folgende Beispiele mögen zur Bestätigung
des Gesagten genügen. Das Wasser des St. Albanloch-
brunnens wurde, nachdem der Rest vom 7. September an
in halbvoller Flasche gestanden hatte, am 9. wieder unter-
sucht, 1000 Gebrauchten jetzt 205 statt wie früher bloss 196 CC.
1 40 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
Indigolösung, während 1000 CG. ebenso aufbewahrten Gerber-
lochbrunnwassers am 9. September 465 statt wie am 7.
450 CC. brauchten.
Umgekehrt kann durch Stehen eines Wassers in ver-
schlossener Flasche der Gehalt an Salpetersäure durch
Reduktion derselben durch die im Wasser enthaltenen or-
ganischen Stoffe abnehmen.
Bei der Titration der verschiedenen Wasser mit Indigo-
lösung blieb die Flüssigkeit vor Zusatz eines üeberschusses
derselben nur in wenigen Fällen farblos und wurde dann
durch den überschüssig zugesetzten Tropfen Indigolösung
blau; in den meisten Fällen färbte sich die Flüssigkeit gelb
bis braungelb und durch den Ueberschuss der Indigolösung
grün. Ersteres ausnahmsweise Verhalten zeigten die beiden
Rheinwasserproben.
Nach dem ursprünglichen von Marx vorgeschlagenen
Verfahren wird der Gehalt der Wasser an Salpetersäure zu
nieder gefunden. Ueberdiess stimmten in den meisten Fällen
bei verschiedenen Titrationsversuchen mit einem und dem-
selben Wasser die Resultate unter sich nicht überein; es
zeigten sich im Gegentheile erhebliche Differenzen.
Bei allen Versuchen wurde diejenige Menge von Schwefel-
säure angewandt, welche Marx vorgeschlagen hatte, wie
überhaupt alle die von Marx empfohlenen Vorsichtsmass-
regeln genau befolgt wurden. Die dazu gebrauchte chemisch
reine Schwefelsäure hatte die Stärke der englischen. Bei
Anwendung einer verdünnteren wird nicht die nöthige Wärme
entwickelt. Wenn nun auch das verbesserte Titrationsver-
fahren unstreitig viel genauere Resultate liefert, so sind doch
zwei wesentliche Punkte bei Berechnung des Salpetersäure-
gehaltes zu berücksichtigen. Erstens enthält alles destillirte
Wasser salpetersaures Ammoniak, oft auch salpetrigsaures,
zweitens enthalten die natürlichen Wasser sehr oft neben
GoppeUrÖder: Bestimmung der Salpetersäure. 141
den Nitraten, nicht nur Spuren, sondern auch erhebliche
Mengen von Nitriten. Die salpetrige Säure des zu unter-
suchenden Wassers wirkt auf die mit Schwefelsäure ver-
mischte Indigolösung ebenfalls oxydirend ein. Die für 1 Liter
des untersuchten Wassers verbrauchte Menge der Indigo-
lösung entspricht dann nicht nur der in dem Liter Wasser
enthaltenen Salpetersäure, sondern auch der vorhandenen
salpetrigen Säure. Da freilich, wo nur Spuren oder eine
sehr unbedeutende Menge von salpetriger Säure im Wasser
ist, kommt der Fehler nicht in Betracht, da hingegen, wo
im Verhältnisse zur Salpetersäure eine reichliche Menge
salpetrige Säure vorhanden ist, muss die Menge dieser in
einer besonderen Operation bestimmt werden, was wohl am
schnellsten und annähernd genau nach Ansäuren einer ab-
gemessenen Menge Wassers mit Schwefelsäure durch Titration
mit Kalipermanganatlösung geschehen kann, nachdem vorher
ohne Schwefelsäurezusatz die etwa vorhandenen leicht oxy-
dirbaren organischen Stoffe mit derselben Permanganatlösuug
titrirt wurden. Die Differenz der bei der zweiten und ersten
Operation gefundenen Zahlen entspricht dem uebermangan-
sauren Kali, welches zur Oxydation der salpetrigen Säure
nöthig war. Diese aber entspricht einer bestimmten Menge
der Indigolösung, welche von der bei der Titration des
Wassers mit Indigolösung gefundenen abgezogen werden
muss, um diejenige Menge von Indigolösung zu erhalten,
welche wirklich bloss der Salpetersäure entspricht.
Die in dem zur Verdünnung der Lösung des Indigos
in Schwefelsäure angewandten destillirten Wasser enthaltene
Salpetersäure sowohl wie auch die salpetrige Säure (beide in
Form von Ammoniaksalzen vorhanden) wirken natürlich auch
auf den gelösten Indigo oxydirend ein, sobald sich die Lösung
durch Vermischen mit Schwefelsäure erwärmt, was jedoch
gleichgültig ist, weil ja das Verhältniss der Indigolösung zu
142 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
Kalinitrat unter den gleichen Umständen ermittelt wurde
und sowohl bei der Titrestelluog als auch bei der Titration
von Brunnwässern etc. die Indigolösuns; dadurch um den-
selben Grad verdünnter erscheint. Die Menge von Salpeter-
säure und salpetriger Säure aber , welche in dem zum
Auflösen des Kalisalpeters angewandten destillirten Wasser
enthalten ist, d;irf nicht ausser Acht gelassen werden. Man
braucht bloss die Menge der Indigolösung zu bestimmen, welche
durch die in 1 Liter destillirten Wassers enthaltene Menge der
beiden Säuren zerstört wird, um die Menge der Indigolösung
zu kennen, welche für die in 1 Liter Saipeteilösung ent-
haltene Menge reinen salpetersauren Kali's nöthig wäre.
Das zur Darstellung meiner Salpeterlösung und Iniligo-
lösung angewandte destillirte Wasser gab die folgenden
Eesultate bei 4 Titrationen. Zuerst wurde nach Marx's
Vorschlag eine abgemessene Menge des destillirten Wassers
mit Schwefelsäure vermischt und hierauf jnit Indigolösung
titrit. Hierauf wurde eine der bei diesem Vorversuche ver-
brauchten Menge ludigolösung gleiche Menge zu einer gleichen
Menge destillirten Wassers gefügt, hierauf die nötaige Schwefel-
säure zugefügt und mitlndigolÖsung bis zurßläuung nachtitrirt.
Angewandte Verbrauchte 1 Liter destil-
„ , ~ Menge des destil- Menge der lirtes Wasser
Menge aar üiten W^assers ludigolösung brauchte Cubik-
Schwefelsäure: in Cubikcenti- in Cubik- centimeter In-
metern. centimetern: digolösung:
cc.
Vorveisuch 100 100 3.6 —
Versuch 1 100 100 5.3 53
2 200 100 5.7 57
100
5.3
100
5.7
200
10.6
200
11
3 200 200 10.6 53
4 400 200 11 55
Mittel aus den 4 Versuchen 54^2 entprechend 0,01508 Gr. NO^ •
1 Liter destillirtes Wasser enthält sonach 0,0151 Gr.
(NO 5) Salpetersäure, 1 Cubikcentim'^t'^r 0,0000151 Gr.
Goppelsröder: Bestimmung der Salpetersäure. 143
1000 Cubikcentiineter ludigolösung entsprachen, wie wir
oben sahen, bei der Titrestellung nach meinem verbesserten
Verfahren als Mittel von 10 Versuchen 511.9 = 512 CC.
SalpeterlösuDg. 1000 CC. Salpeterlösung entsprechen dem-
nach 1953 CC. Indigolösung, welche jedoch nicht bloss für
die Reduction der iu 1000 CC. Salpeterlösung enthaltenen
Menge KO. NO^. sondern auch für die Reduction der zur
Lösung dieses Salzes uöthigen Menge destillirten Wassers
(1000 CC.) nöthig waren. Nun brauchte 1 Liter destillirtes
Wasser als Mittel von 4 Versuchen 54.5 CC. ludigolösung, es
wären somit bei der Titrestellung der Indigolösung für die in
1 Liter gelöst enthaltenen 1.0129 Gr. KO. NO^ nur 1898.5 CC.
Indigolösung nöthig gewesen. Es entspricht demnach 1 CC.
Indigolösung 0.0005335 Gr. KO. NO^ = 0.0002881 Grammen
NO^, und nicht bloss 0.0002767 Gr., wie ohne Correction
gefunden wurdo.
Was nun die in verschiedenen Wassern BaseVs ent-
haltene Menge der Salpetersäure anbetrifft, so f.ind ich bei.
meinen bisherigen Untersuchungen die folgenden Resultate:
144 Sitzung der niath.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
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[1870. I. 2.]
10
146 Sitzung der math.-phys. Classe vom S.Februar 1870.
Bei den Wassern No. 4, 5, 9, 13, 15, 16, 18 und 20
fällt die Menge der salpetrigen Säure gar nicht, bei den
Wassern No. 2, 6, 24, 25, 26, 27 und 28 kaum in's Gewicht;
bei den Wassern No. 1, 3, 7, 10, 11, 14, 21, 22 und 23
muss das Resultat der doppelten Titration des Wassers
mit Kalipermanganat berücksichtigt werden, um sowohl die
Zahl für die Menge der Salpetersäure als auch der salpetrigen
Säure zu erhalten.
Bei sanitarischen Untersuchungen möchte freiUch in den
meisten Fällen die Angabe der für 1 Liter des Wassers
nöthigen Menge Cubikcentimeter Indigolösung genügen, weil
es sich ja stets um vergleichende Untersuchungen normaler
und durch städtisches Terrain etc. inficirten Wassers handelt.
Ueber die Bedeutung der Salpetersäuremenge für die
Beurtheilung eines Trinkwassers sind verschiedene Ansichten
ausgesprochen worden. Ich bleibe auch heute noch nach
zahlreichen weiteren Untersuchungen bei den in meiner 1867
erschienenen Arbeit über die verschiedenen Baslerwasser aus-
gesprochenen Ansichten und wiederhole hier bloss einige auf
diesen Punkt bezügliche Stellen.
Nirgends fehlen die Nitrate, ja selbst in ausgezeichneten
Quellwassern erhalten wir zum Theile starke Reactionen.
Die Nitrite sind oft gar nicht, oft in minimer, oft in grösserer
Menge vorhanden, je nach der Herkunft des Wassers.
Bei meinen bisherigen Untersuchungen fand ich, dass
reine Quellwasser höchstens eine schwache Reaction auf
Nitrite geben, meist nur eine spurenweise oder gar keine.
Die schon im Regenwasser enthalten gewesene Menge von
salpetriger Säure und diejenige, welche das hernach durch
den Boden rieselnde Wasser aus diesem aufnimmt, wird nach
und nach durch den im Wasser gelöst enthaltenen Sauer-
stoff und namentlich beim Durchrieseln durch das Gerolle
durch den Sauerstoff der Bo'lenluft (und durch den Sauer-
stoff des Eisenoxjdes) zu Salpetersäure oxydirt, wesshalb
GoppeUröder: Bestimmung der Salpetersäure. 147
wir in solchen bei ihrem Laufe durch den Boden nicht in-
ficirten \yassern wohl Salpetersäure, aber keine oder nur
in spärlicher Menge salpetrige Säure, gleichsam nur der
Verwesung entgangene Reste, antrefifen. Wenn aber ander-
seits Grundwasser durch mit organischen Stoffen imprägnirteu
Boden fliesst, so werden diese die im Wasser gelösten Nitrate
zu Nitriten, theilweise noch weiter reduciren, und wir treffen
dann in solchen verunreinigten Wassern eine mehr oder
weniger starke Menge von Nitriten uad oft gar keine Nitrate
an. Es mögen unter Umständen recht complicirte Vorgänge
im Boden während dem Laufe des Wassers stattfinden,
Oxydationen und Desoxydationen mit einander abwechseln,
je nach der Beschaffenheit der Schichten, durch welche das
Wasser läuft.
Ein mit Fäulnisstoffen in Berührung gekommenes Grund-
wasser wird, gleich darauf in Sodschachten heraufgepumpt,
ein schlechtes Trinkwasser sein; während seines späteren
Laufes kann es aber, wenn es durch reine Erdschichten
rieselt , und mit einer genügenden Menge Bodeuluft in
Berührung kommt, hierdurch so gereiniget werden, dass die
darin enthaltenen Fäulnissstoffe nach und nach der Verwesung
anheimfallen, und wenn auch die organischen Stoffe nicht
ganz verschwinden, so bilden sich doch aus den übelriechen-
den, übelschmeckenden und sogar gefärbten Fäulnissproducten
farblose, nicht riechende und nicht schmeckende Zwischen-
producte des Verwesungsprocesses ; dasselbe Grundwasser
wird somit an entfernten Stellen Trinkwasser von genügender
Reinheit zum Genüsse liefern. Während die ersten Sode
ein stark nitrithaltiges Wasser mit nur wenig Nitraten ent-
halten, so wird aus den mit auf solche Weise gereinigtem
Grundwasser gespiesenen Soden ein Wasser gepumpt, das
wenig oder gar keine Nitrite enthält, wohl aber stark auf
Nitrate reagiit. Immer beweist ein Gehalt an Nitraten und
Nitriten, welcher grösser als der in von städtischen Fäulniss-
10*
148 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
und Verwesungsheerden unabhängigen Quellen auf dem Lande
ist, dass eine Verunreinigung durch lokale Einflüsse statt-
gefunden hat, sei es nun durch Abtritte oder Dohlen, Gisternen
oder Ställe, durch Gewerbe oder durch sonstige Ursachen,
welche aufzuzählen überflüssig ist. Sicher ist der grösste
Theil der mit den Lochbrunnquellen und Soden der grossen
und kleinen Stadt Basel zu Tage geförderten Nitrate das
Product der Verwesung des Stickstoffes der menschHchen
und thierischen Abfälle, sowie des bei der Fäulniss gebil-
deten Ammoniaks. Die Menge des in Form von salpetriger
Säure (Nitriten) und Salpetersäure (Nitraten) alljährUch durch
das Grundwasser dem Rheine zugeführten Stickstoffs muss
eine sehr beträchtliche sein, deren Berechnung bis dahin
wenigstens unmöglich ist. Die Herren Prof. Pagenstecher sei.
und Apotheker Dr. Müller in Bern haben schon vor längerer
Zeit auf die beträchtlichen Mengen von Nitraten hingewiesen,
welche im Grundwasser Bern's alljährlich der Aare zufliessen
und die Herkunft auch aus den städtischen Infektionsheerden
abgeleitet.
Was die beträchthche Menge von Nitriten in einer Reihe
von unseren Sodwassern anbetrifft, so haben wir es also
hier entweder mit der noch nicht complet beendeten Ver-
wesung des Stickstoffs oder des Ammoniaks oder mit der
Desoxydation der Nitrate durch organische Stoffe zu thun.
Immer aber erregt die Anwesenheit einer über Spuren hinaus-
gehenden Menge Nitrits den Verdacht in mir, dass das
Wasser in erhebhchem Masse durch organische Stoffe ver-
unreiniget ist, und wenn nicht immer, so wird doch meist
diese Vermuthung bestätigt. Die Anwesenheit von Nitrit
ist für mich das Zeichen der chemischen Thätigkeit, respective
der Beweglichkeit der Atome der im W^asser enthaltenen
organischen Stoffe. Die Nitrite sind stets als Zwischenstufe
eines, sei es pro-, sei es regressiven chemischen Umwandlungs-
processes zu betrachten.
Goppelsröder : Bestimmung der Salpetersäure. 149
Hinsichtlich nun der Frage: welchen Einfluss üben
die Nitrite, und welchen die Nitrate im mensch-
lichen Körper aus? so steht deren Beantwortung allein
dem kundigen Physiologen und Pathologen zu. Auf die
Frage: sind wohl die Nitrate in der geringen Menge,
wie sie im Wasser genossen werden, und bei solcher
Verdünnung von nachtheiligem Einflüsse auf die
Gesundheit? glaube ich mit nein antworten zu können,
denn sie gehören jedem Wasser, auch dem besten Trink-
wasser als normaler Bestandtheil an und sind auch sonst
in Nahrungsmittelü und Getränken enthalten. Ob von den
Nitriten das gleiche gelten darf ? darauf wage ich gar nicht
zu antworten. Wenn auch die im Körper vorgehenden
Processe nicht immer ganz so vor sich gehen, wie wir es nach
unseren auf Versuche in Retorten und Kolben gestüzten
Theorien uns vorstellen möchten, so dürfen wir doch wohl
annehmen, dass die Nitrite im Körper sich eben so leicht
wie ausserhalb desselben verändern. Und abgesehen von
ihrem eigenen Verhalten hängen mit ihrer Anwesenheit im
Wasser organische Verunreinigungen zusammen, über deren
chemische Natur und desshalb auch über deren chemisch-
physiologisches Verhalten wir überaus wenig, ja fast
gar nichts wissen ; ein Wasser, welches grössere Mengen
Nitrit enthält, sollte desshalb vom sanitarischeu Standpunkte
aus betrachtet, verworfen werden, ebenso solches , welches
eine mehr als normale Menge von Nitraten enthält. Ueber
die Grenze kann man nun freilich verschiedener Ansicht
sein. Bei den Trinkwässern Basel's betrachte ich die in den
von auswärts in die Stadt geleiteten Quellwassern enthaltene
Salpetersäuremenge als die normale. Unmöglich kann ich
mit Alex. Müller, (siehe dessen Abhandlung ,,zur Geschichte
der Brunnenwässer grosser Städte" im Journale für praktische
Chemie Bd. 82 S. 465) annehmen, dass eine Menge von
4 Milligrammen Salpetersäure pro Liter im Wasser eine
150 Sitzung der mafh.-fhys. Classe vom 5. Februar 1870.
erhebliche, die Geniessbarkeit eines solchen Wassers beein-
flussende sei. Wenn aber 0. Reich (s. dessen Abhandlung
„die SaliDetersäure im Brunnenwasser und ihr Verhältniss
zur Cholera und ähnlichen Epidemien") in den Berliner
Brunnenwässern 200 — 675 Th. Salpetersäure (NO^) in
1 Million Theilen, also 2 bis fast 7 Decigramme im Liter
fand, so gibt uns eine solche unnormale Menge einen Anhalts-
punkt für den erheblichen, gewiss der Gesundheit gefähr-
lichen Grad der Verunreinigung des dortigen Grundwassers.
Auch das Grundwasser Basel's enthält, wie ich schon früher
durch viele qualitative Reactionen nachgewiesen habe, eine
unnormale ^lenge von Salpetersäure. Ich verweise auch auf
obige Tabelle,
Zum qualitativen Nachweise der Nitrite und Nitrate
in den Wassern gibt es wohl keine bessere, schneller und
sicherer zum Ziele führende Methode, als die in meiner
früheren Arbeit besprochene und angewandte von Schönbein,
wodurch mit leichter Mühe auch das relative Meugenverhältniss
beider approximativ ermittelt werden kann. Ich verweise
auf meine frühere Arbeit. Zur Bestimmung der Menge der
Salpetersäure empfehle ich als schnell zum Ziele führende
und genaue Methode die in dieser Arbeit beschriebene.
Wenn ich dadurch einen Fortschritt erreicht habe, so wünsche
ich selbst am meisten, dass es dem Fleisse der vereinten
chemischen Kräfte gelingen möge , eine ebenso schnell aus-
führbare aber von jedem Mangel befreite Methode aufzu-
finden. Periodische Untersuchungen über den Stand und
Gehalt des Grundwassers sind bekanntlich von grossem
Interesse, dieselben müssen aber in Kürze ausgeführt werden
können, da es sich hier um die Untersuchung mögUchst
vieler Wasserproben in möglichst kurzer Zeit handelt. Um
über die Verunreinigung eines Wassers durch Dohlen,
Cisternen, Abtrittgruben u. s. w. mit wenigen Mitteln und in
kurzer Zeit Aufschluss zu erlangen, empfehle ich auch heute
Goppelsröder: Bestimmung der Salpetersäure. 151
noch die in meiner früheren Arbeit genannten 5 Operationen,
füge aber heute eine 6. Operation bei, nämlich die Be-
stimmung der Salpetersäure nach oben beschriebener Methode.
Die 6 Operationen sind :
1) Die Bestimmung der Menge der festen Bestandtheile,
wobei sowohl die Menge des bei lOO^^C. getrockneten Piück-
standes eines Liters Wasser als auch der Verlust beim
Glühen desselben anzugeben ist. Sowohl die Farbe des
Rückstandes des Wassers als auch die Erscheinungen beim
Glühen sind zu beobachten.
2) Die Nitrit- und die vereinigte Nitrit- und Nitrat-
reaction nach Schönbein.
3} Die Titration mit Kalipermanganatlösung, mit und
ohne Schwefelsäurezusatz.
4) Die Reaction mit Silber- oder Goldlösung.
5) die Reaction auf Schwefelwasserstoff und Amiiioniak
(frei und gebunden).
6) Die Titration der Salpetersäure mit Indigolösung.
Dadurch erlangen wir einerseits Aufschluss ü-ber das
Mass der Verunreinigung, anderseits über den Grad der
Veränderlichkeit der organischen Stoffe, womit wohl deren
physiologischer Charakter auf's engste verknüpft ist.
Wenn einerseits die Ermittelung der Quantität der Ver-
unreinigungen eine gewisse Bedeutung hat. so ist ander-
seits die Ermittelung der Qualität derselben von grosser
Wichtigkeit. Es ist jedoch bis heute nur möglich über den
Grad der chemischen Wirksamkeit der verunreinigenden
organischen Stoffe Aufschluss zu erlangen, wozu mir die
Titration mit Kalipermanganatlösung mit und ohne Schwefel-
säurezusatz , die Schönbein'sche Nitritreaction, sowie die
Reduction einer Silber- oder Goldlösung praktische und
passende Mittel zu sein scheinen. Die Bestimmung der
Menge der festen Bestandtheile und des Glühverlustes sowie
die Bestimmung der Menge der NO^ hat ebenfalls einen
152 Sitzung der math.-pTiys. Classe vom 5. Felruar 1870.
entschieden praktischen Werth, um über das Mass der
Verunreinigung sich ein Urtheil zu bilden.
Die Reaction auf HS und N tP, frei und gebunden, dürfte
in den meisten Fällen zu einem negativen Resultate führen,
wenn nicht schon das Geruchs- und Geschmacksorgan die
Verunreinigung des Wassers erkannt hatte, wo dann aber
eine Untersuchung von Seite eines chemischen Experten vom
praktischen Standpunkte aus überflüssig ist oder bloss be-
stätigen soll.
Mit derselben Methode lässt sich auch die Menge der
Salpetersäure im Schnee, Regen, Eis u. s. w. bestimmen.
Ich werde in nächster Zeit über solche Bestimmungen, so-
wie auch später über periodische Untersuchungen der ver-
schiedenen Wasserquellen Basel's berichten.
^
Gümbel: Der Eiesmilkati etc. 153
Herr Gümbel hält einen Vortrag
..Ueber den Riesvulk au und über vulkanische
Erscheinungen im Rieskessel."'
Zu den merkwürdigsten topischen Eigenthümlichkeiten
in dem langen Zuge des fränkisch-schwäbischen-Jura-
gebirges gehört unstreitig der tiefe jetzt eingeebnete Kessel
des sog. Rieses. Schon der flüchtige Blick, welchen etwa
eine Fahrt auf der Eisenbahn zwischen Donauwörth und
Wassertrüdiugen über diesen Landstrich zu werfen gestattet,
muss uns auf das Aussergewöhnliche aufmerksam machen,
welches in dem jDlötzlichen Auftauchen einer weiten grossen,
fast kreisrunden Ebene mitten in der sonst vielkuppigen und
nur von engen Thalungen durchschnittenen ;;Alb'' uns vor
Augen tritt. Wie der leicht bewegte Spiegel eines grossen
See's breitet sich die braune fruchtbare Ebene des Rieses,
rings von hohen kalkfelsigen Steilrändern eingeschlossen und
nur von einigen kegelförmigen inselartigen Hügeln unter-
brochen im umfange von 18 Stunden vor uns aus. Lebhaft
erinnert dieses Bild im vergrösserten Maassstab an die
Maare der Eifel. Es ist daher sehr erklärlich, dass bei
den so sehr ins Auge springenden Eigenthümlichkeiten,
welche das Ries aufweist, dieses die Aufmerksamkeit der
Topographen und Geognosten schon frühe auf sich gezogen
hat. Unser unübertrefflicher Topograph Walther. der ein
so richtiges Gefühl für den Zusammenhang zwischen Ober-
flächengestaltung und ihrer tieferen geognostischen Ursache
bei so vielen Schilderungen verräth, spricht bereits von
Stauungen im uralten Seegrunde, vom Thalkessel und Becken
des Rieses, obgleich er nicht näher auf die tiefere Deutung
des ihm nicht unbekannten Trasses und der Bänke von Süss-
154 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
wasserkalk im Ries eingeht. Mehrfach stellte man die Ansicht
auf, dass das Ries vormals ein See gewesen sein müsse.
Die beiden im Ries heimischen Botaniker Schnitzlein und
Frickinger, welche als die besten Kenner der natürlichen
Verhältnisse dieser Gegend gelten, heben in ihrem so gründ-
lichen Werke über die Vegetationsverhältnisse des Land-
strichs zwischen Wörnitz und dem Altmühlthale, da wo sie
sich über die topographischen und geognostischen Verhält-
nisse aussprechen, bereits das Eigenthümliche dieses tiefen
BeÄens ausdrücklich hervor und erklären dieses als eine
auffallende Ausbiegung oder vielmehr Versenkung oder Ver-
rückung des Jura, welcher die Riesebene ihren Ursprung
verdanke. Auch sie theilen die Ansicht, dass das Ries vor
dem Durchbruche des Dammes bei Harburg ein See gewesen
sei und weisen bereits dem vulkanischen ., Basalttuff" (Trass)
welcher das Ries rings umgebe, die Wirkung der Versenkung
des Jura zu, während sie das hier stellenweis zugleich mit
Keuper vorkommende Urgebirge als durch Basalttuff gehoben
annehmen. In der vortrefflichen geognostischen Karte,
welche dem erwähnten Werke von Schnitzlein und Frick-
inger beigegeben ist, wurde auch der Ausgangspunkt für
die richtigere Auffassung der geognostischen Verhältnisse
der Riesgegend gewonnen , welche in neuster Zeit durch
wiederholte genauere Untersuchungen vielseitig erweitert
werden konnte.
Auch die interessanten geognostischen Verhältnisse
speziell hatten schon vor langer Zeit eingehendere Unter-
suchungen in der Riesgegend veranlasst. Um nicht von älteren
Beschreibungen zu sprechen, war es zunächst B. v. Cott»,
welcher 1834^) seine Beobachtungen über den Riesgau ver-
öffentlichte. Er bezeichnet die abnormen Gesteine des Ries-
1) N. Lehrb. f. M. u. G. 1834. S. 307.
Gümhel: Der BiesvülTcan etc. 155
gaues als ,, Basaltgebilde", deren Entwicklung sich durch
„vulkanische Tuffe" zu erkennen geben und durch rings
um die Riesebene liegende „Eruptionspunkte" sich be-
merkbar machen. Die in der Gegend schon damals übliche
Bezeichnung ,,Trass" glaubt Cotta besser durch den Namen
„vulkanischen Tuff" ersetzen zu können, da der wahre
Trass von Brotel-Thal zwar dem Riesgestein ähnlich, aber
nicht vollständig gleich sei. Bei der näheren Beschreibung
vulkanischen Tuffes erwähnt nun v. Cotta weiter als Einschlüsse
in demselben runde Bomben-ähnliche Klumpen, basaltische
Lava und Schlacken mit eigenthümlich Tau -ähnlich ge-
wundener Struktur, wie man sie auf der Oberfläche der
Lavaströme beobachte, glaubt ihre Entstehung aber durch
ein Hindurchtreiben durch unregelmässig gestaltete Klüfte
sich erklären zu müssen. Für wirkliche Bomben hatte
v. Cotta diese so auffallend geformte Stücke nicht erkannt.
Voith^) vervollständigte diese Angaben namentlich durch
d?n Nachweis des Vorkommens granitischen Gesteins und
Walz^) durch die Deutung der das Ries umgebenden juras-
sischen Gebilde. Später lieferte Prof. Schafhäutl eine
Abhandlung über die chemische Zusammensetzung des sog.
Riestrasses und nahm Veranlassung dabei einige geognostische
Bemerkungen beizufügen.*) Das Ries leitet auch er von
einer Einsenkung ab, die einmal vom Wasser ausgefüllt
gewesen sein müsse, läugnet aber darin jede vulkanische Thätig-
keit. Er nennt den sog. Trass des Rieses geradezu ,,eine
ursprüngliche Bildung, wie sie im wässerig-teigigen Zustande
gleich und mit den Graniten aus den Spalten der Erdober-
fläche gedrungen sei und nur, wo die Verwitterung begonnen
2) N. Jahrb. 1835. S. 169.
3) Beiträge z. Gang. d. Rieses im Corr. Bl. des Württemb.
landw. Vereins 1843 II, 55.
4) N. Jahrb. 1849 S. 641.
156 Sitzung der matJi.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
habe, erhalte die Bildung ein staubiges, pulveriges Ansehen,"
Das von Schnitzlein und Frickinger als Basalt bezeichnete
harte Gestein vom Wenneberg sei ,, nichts anderes als dichter
Trass ohne Olivin" und die von Andern vielfach für durch
Schmelzhitze verursachte Schlacken gehaltenen blasigen Massen
nur gleichsam ausgetrockneter wässeriger Teig, ähnlich wie
eine aus Wasserglas durch Entweichen des Wassers ent-
stehende blasige Kieselsubstanz.
Bei diesem Gegensatz von Ansichten, welche über die
Entstehung der vulkanischen Tuffgesteine des Rieses herrschen
und bei dem grossen allgemeinen geognostischen Interesse
für diese Tuffbild ang, welche in analoger Weise an so vielen
Stellen des schwäbisch-fränkischen Juragebirgs, aber immer
mehr oder weniger isolirt und auf kleine Flecken beschränkt,
auftauchen, im Ries aber zu einer grossartigen und mächtigen
Entwicklung gelangen, schien es wünschenswerth, dieselben
auf's Neue einer eingehenderen Untersuchung zu unterziehen.
Wenn wir uns hier darauf beschränken von den ge-
wonnenen Resultaten nur Einiges mitzutheilen, so geschieht
diess desshalb, weil die Erscheinungen im Ganzen ohne weiter
ausgeführte Schilderung der geognostischen Verhältnisse eines
grossen Theils der schwäbisch-fränkischen Alb sich nicht
erschöpfend behandeln lässt , letzteres aber für eine ander-
weitige Darstellung vorbehalten bleiben muss. Die Frage,
welche hier zunächst zu beantworten versucht werden soll,
bezieht sich daher nur auf den Ursprung der Riestuffe,
und was damit zunächst im Zusammenhange steht.
Vor Allem drängt sich bei der Beobachtung der tuff-
artigen Gebilde die Thatsache in den Vordergrund, dass,
wie verschieden auch immer die Lage der ungemein zahl-
reichen, in sehr viele jetzt isolirte Parthieen getheilten Tuff-
massen sein mag, ihre Gesteinsbeschaffenheit eine merk-
würdige Uebereinstimmung und Gleichförmigkeit erkennen
lässt. Wo immer der Tuff vorkommt , besteht derselbe
Gümheh Der BiesvulJcan de. 157
aus einer porösen aschenartigen Grundmasse, mit un-
zähligen Stückchen von glasigen oder steinigen schwarzen
Schlacken und feinporösen bimssteinartigen Massen,
selbst von ächten weissen gestreiften und faserigen Bims-
steinen, deren Substanz häufig ohne scharfe Grenze in die
Schlackenbrocken und selbst in die aschenartige Grundmasse
verläuft oder auch nicht selten in derbe pechsteinartige Glas-
masse übergeht. Daneben finden sich zugleich, wiewohl weniger
constant. grosse und kleine Brocken, von meist in der Zer-
setzung begrifienen ürgebirgs felsarten namentlich horn-
blendigem Gestein — Diorit, Dioritschiefer und Amphibolit
und Hornbleiidegneiss — eingebacken. Einzelne unr>igehuässige
Körner von Quarz und Feldspathsubstanz scheinen von auf-
gelockerten Urgebirgsfelsarten abzustammen. Im Uebrigen
aber kann man weder spiegelnde Feldspathkrystalle noch Augit
oder Magneteisen in unzweideutiger Weise in dieser Masse
entdecken. Auch ziemlich scharfkantige nicht ganz abgerollte.
aber meist an den Kanttn abgerundete Stücke von Jura-
kalk, welche in auffallender Weise fast durchgehends
dunkelgrau bis schwärzlich gefärbt sind, fehlen selten. Am auf-
fallendsten aber ist derEinschluss von eigenthümlich geformten
Brocken und Fladen, welch' erstere v. Cotta offenbar unter
den erwähnten tauartig-gewundeneu Stücken verstanden wissen
wollte. Viele dieser Einschlüsse kann man nur in Stücken und
zersprungenen Fragmenten aus dem Tuff herausschlagen oder
bereits durch Verwitterung aus dem Tuff herausgefallen an
der Oberfläche liegend beobachten. In nicht zerstückelter
Form gleichen sie in der Gestalt theilweise kleinen Dick-
rüben, theilweise gewissen oben abgeplatteten Schwämmen, sie
sind aber häufig seitlich zusammengedrückt und flügelartig
erweitert, so dass sich scharf zulaufende Ränder bilden, die
schraubenförmig gewunden oder niit wulstigen Vorsprüngen
versehen und zuweilen eingeschlagen einen halb offenen Canal
bilden. Ausserdem überziehen ähnlich schraubenförmig ver-
158 Sitzung der math.-phys. Clause vom 5. Februar 1870.
laufende Wülste und Linien die Oberfläche und es zeigen
sich kleine Querrisse, welche namentlich an den Stellen der
stärkeren Krümmungen häufig sind und unzweideutig einem
Bruch in der äussern schon fest gewordenen Rinde der
Stücke entsprechen, während das Innere noch weich und
formbar geblieben war. Diese Körper entsprechen in der
einen mehr rundlichen Form nach Gestalt und Bildung so
genau den sog. vulkanischen Bomben, dass man sie,
mit den Bomben unserer Vulkane zusammengehalten, nicht
davon unterscheiden kann. Die schraubenförmigen Wind-
ungen, Wülste und Streifen entstehen in Folge der drehen-
den Bewegung bei dem Fluge der noch weichen Masse durch
die Luft, wobei in Folge nach und nach eintretender Erhärtung
zugleich die Querrisse in der bereits erstarrten Rinde durch
die Abkühlung und ungleiche Ausdehnung sich bilden.
Diese Uebereinstiinmung solcher Ausscheidungen im Ries-
tuffe mit den Bomben noch thätiger Vulkane ist so gross,
dass wohl selbst der eifrigste Neptunist dieselbe aner-
kennen müsste.
Was die zweite, mehr abgeplattete schwammähnliche
Form anbelangt, so gleicht die Aussenfläche auch an diesen
jener der mehr kegelförmigen Bomben nur mit dem Unter-
schiede, dass der äussere Rand vielfach zerrissen, ausgezackt
und gelappt erscheint, während die Wülste und Streifen auf
der abgeplatteten Fläche wie verwaschen sich zeigen. Es
stellen diese ,, Fladen" Bomben vor, welche nicht hoch in die
Luft geschleudert noch in weichem Zustande zur Erde zurück-
fielen und beim Auffallen auf die feste Unterlage znsammeDge-
drückt und abgeplattet wurden, wie es bei dem sog. Schlackeu-
kuchen der Fall ist. Sehr bemerkenswerth sind gewisse
mehr unregelmässig geformte Bomben, deren abweichende
Gestalt sich aus dem Umstände erklärt, dass sie Bruch-
stücke von ürgebirgsfelsarten in sich schliessen und durch
diese gehindert wurden, sich genau nach dem allgemeinen
Gümbel: Der Biesvulkan etc. 159
Typus, den wir so eben beschrieben haben, auszubilden.
Solche Bomben mit ürgebirgseinschlüssen fiuden sich stel-
lenweise nicht eben selten und zeichnen sich häufig durch
kanalartig zusammengebogene Wülste aus.
Die jMasse nun, aus welcher diese Bomben bestehen,
ist nicht bei Allen vollständig gleich, doch besitzt die Mehr-
zahl einen steinigen Charakter; sie nähert sich theilweise
der Beschaffenheit der Pechsteins, vorwaltend scLliesst sie
sich jedoch mehr dem Felsit an, seltener gewinnnt sie ein
krystallinisches trachy tisch es Aussehen. In Glanz und Farbe
gleicht die vorherrschende Art am meisten gewissen Varietäten
des sog. Porzellanjaspis. Durch Gasporen ist sie meist
namentlich gegen Aussen blasig porös und rauh. Die Wand-
ungen dieser Poren sind durchgehends mit einem grünlicli-
weissen Häutchen überzogen. Mit Ausnahme kleinrundlicher
Quarzausscheidungen fehlen grössere porphyrartige Einspreng-
ungen fast gänzlich, während kleine, weissliche spiegelnde
Theilchen, die in der Grundmasse auftauchen, wahrscheinlich
einem Feldspath angehören. In Dünnschliffen beobachtet
man jene stromartigen Zeichnungen, welche für die 11 hy-
olithe so sehr charakteristisch sind und auf das Unzwei-
deutigste Zeugniss ablegen von den Bewegungen innerhalb
der erstarrenden Masse. Ein uuregelmässiges Netzwerk von
helleren Streifchen, welche bald sich vereinigen, bald sich
wieder verzweigen, jedoch in ihrer Gesammtausdehnung einer
gewissen Längemichtung folgen, umschliesst sehr ungleich
grosse, in der Richtung des Stroms in die Länge gezogene
Maschen, während die u.ugebende Gesteinsmasse aus wasser-
heller oder bräunhcher amorpher Gesteinssubstanz, wie bei
den vulkanischen Gläsern, besteht. Mit den hellen Streifchen
zeigen sich dunklere verflochten , welche von sehr zahl-
reichen, ziemlich wirr durcheinanderliegenden langen Kystall-
nädelchen (Mikrolithen) erfüllt und durch diese Einschlüsse
undurchsichtiger, d. h. dunkler erscheinen, während die
160 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 5. Februar 1870.
helleren Streifcben frei oder arm an Mikrolithen sind. Neben
den ziemlich langen und gleich dicken, der Länge nach oft
wie sägeartig zackigen Krystallnädclchen sieht man noch
viele kleine pulverförmig rundliche Körnchen, welche durch
ihre stellenweise Anhäufungen dunklere Flecke erzeugen. Ein-
zelne lichtere Stellen scheinen vorherrschend aus wasser-
heller Quarzsubstanz , die unter dem Polarisationsapparat
gleichmässigeu Farbenwechsel zeigt, und aus bräunlicher
Glassubstanz, die keinen Farbenwechsel wahrnehmen lässt, zu
bestehen. Regelmässige und häufige feldspathartige Aus-
scheidung konnte ich auch in den Dünnschliffen nicht ent-
decken, es zeigen sich stellenweise nur unregelmässige weisse
opake Körner, die von fremdartigen Einschlüssen abzu-
stammen scheinen. Dagegen treten häufig Bläschen von
runder Form hervor, welche sowohl in den wasserhellen, wie
bräunlichen Einschlüssen vorkommen. Damit ist die Aehn-
lichkeit der Substanz unserer Riesbomben mit den rhyoli-
ti sehen Gesteinsmassen der vulkanischen Gebilde unzwei-
deutig festgestellt, wie solche von Zirkel^) so meisterhaft
geschrieben worden sind. Aehnlich verhalten sich auch die
im Riestuffe eingeschlossenen Schlacken, welche die Lapilli
der Eruptionen darstellen. In der Kegel ist ihre Substanz
noch ganz glasartig. In Dünnschliffen solcher obsidian-
artiger Lapilli sah ich sehr häufig Trichitenbüschel, wie ein
Knäuel von verwirrten Haaren, deren Spitzen etwas über
die zusammengeballte Masse hervorstehen. Es bleibt nur
noch die abweichende Beschaffenheit einiger bimssteinartig
porösen Bomben hervorzuheben, welche von jeuer der steinigen
Bomben durch die glasige Beschaffenheit der zwischen der
porösen dunklen, selbst in dünnsten Schliffen kaum durch-
scheinenden Massen in dünnen , mehr oder weniger pa-
rallelen, den Jahrringen im Holz ähnlichen Lagen auf-
5) Zeitschr. d. geol. Ges. 1867. S. 737.
Gümbel: Der EiesvulJcayi etc. 161
tretenden Lamellen sich auszeichnen. Die Glasstreifen be-
stehen aus durchsichtiger bouteillenbrauner durch zahlreiche
Risse zertheilter Masse ohne merkliche Einschlüsse, während
die dunklen Streifen selbst bei grösster Vergrösserung neben
den zahlreichen Poren nur unregelmässige Körnchen und
pulverförmig zusammeugesetzte Klümpchen von tiefbrauner
Farbe , welche eben die sie einschliessende Masse in so
hohem Grade undurchsichtig machen, aufzuweisen haben.
Zugleich sind zahlreiche unregelmässig geformte Körner von
opaken Quarz, vielleicht auch noch von andern Mineralien,
dieser Masse in den dunklen Streifen eingemengt. Hier, wie
überhaupt bei allen vulkanischen Bomben, entspricht die
Längenausdehnung der eingeschlossenen Blasenräume der
Richtung , in welcher das Material nach und nach eine
Streckung erlitt ; man beobachtet sogar Blasenräume mit
gewundener Form, ganz in der Art, wie die Bombe äusser-
hch gedreht ist. Am auffallendsten zeigen sich bei den fladen-
förmigen Schlackenkuchen die Hohlräume ausgeprägt, indem
sie genau die zusammengedrückte Form der ganzen Masse
angenommen haben und meist linsenförmig breit und niedrig
gestaltet erscheinen.
Mit der Fesstellung dieser tauartig gewundenen Brocken
der Riestuffe als vulkanische Bomben, d. h. als vul-
kanisch geschmolzene Lava, welche zur Zeit der vulkanischen
Thätigkeit im weichen Zustande aus irgend einem Punkte
der Eruption emporgeschleudert worden sein muss, haben
wir für die Entstehung der Riestuffe einen, nach ihrer
ganzen Natur vielleicht uunöthigen, aber gleichwohl augen-
scheinlicheren und unzweideutigeren Beweis, als jeder andere
wäre, gewonnen: Die Riestuffe sind vulkanische Tuffe
und Produkte der Eruption eines früheren Vulkans
in der Riesgegend. Es wird dadurch im hohen Grade
wahrscheinlich, dass für die längs des Albrandes von Stelle
[1870. 1. 2.] 11
162 Sitsung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
zu Stelle vorfindlichen ähnlichen TuflPgebilde ein gleicher
Ursprung angenommen werden darf.
Die Riestuffe bestehen demnach aus einer Grundmasse,
die der vulkanischen Asche entspricht, aus in dieser
eingeschlossenen Lapilli, die in Form von Schlacken
und Bimssteinen ausgebildet sind und endhch aus mehr
zerstreut vorkommenden vulkanischen Bomben und
Schlackenkuchen. Dazu gesellen sich nun noch fremd-
artige Einschlüsse der ürgebirgsgesteine — hauptsächlich
Granit und hornblendige Gesteine, selten Schiefer — ferner
Fragmente von Keuper, Lias, Oolith und Jurakalk. Die
granitischen Gesteine sind häufig sehr zersetzt, aufge-
lockert, rauh, oft trachitähnlich geschmolzen oder stark ge-
brannt. Da viele auch mit Schlackenmasse umhüllt sind,
so ist es unzweideutig, dass sie aus der Tiefe mit empor-
geschleudert worden sind.
Die Tuffmassen bilden im Grossen und Ganzen keine
regelmässigen Lagen und Schichten, sondern mehr Haufen-
werke von kuppiger Form. Die Abgrenzung verschiedener
Regionen innerhalb dieser Massen, welche sich durch Wechsel
der Farbe und oft auch an der Häufigkeit der Einschlüsse
bemerkbar macht, nähert sich daher dem Schalenförmigen
wie sie ein Haufwerk zeigen würde, welches durch üeber-
einanderschütten von der Zeit nach verschiedenen Massen ent-
standen ist. Dieser vorheri sehende Mangel an einer regel-
mässigen schichtenartigen Ausbreitung scheint nur als ein Be-
weis dafür augesehen werden zu dürfen, dass man solche Tuffe
als Trockentuffe anzusprechen habe, d. h. dadurch entstan-
den sich denken muss, dass sie durch stellenweise üeberein-
anderhäufungen von vulkanischem Eruptionsmaterial gebildet
wurden, ohne dass sie ins Wasser gelangten, und vom Wasser
in mehr horizontale Lagen ausgebreitet wurden. Die Zersetzung
und Umbildung, welche sie inzwischen durchgemacht haben, ist
nur eine Folge ihrer Durchtränkung durch Tagewasser oder
Gümbel: Der EiesvulJcan etc. 163
durch Quellwasser. Es ist diese desslialb meist auch nur sehr
gering und beschränkt sich in Grossen auf die Neubildung von
Kalkspath, welcher häufig in den Blasenräumen der Schlacken,
die Wandungen auskleidend und nach innen mit ausgebildeten
Krystallspitzen in den Hohlraum ragend, vorkommen. Es
ist daher der Tuff meist locker gebUeben, selten so fest
verkittet, dass er zu einem dauerhaften Baustein sich eignet.
Doch kommen auch offenbar geschichtete und durch das
Wasser verarbeitete Lagen vor. Die vorherrschenden Farben,
grau, gelb röthlich und grünlich, welche die Tuffe besitzen,
entsprechen vielleicht verschiedenen Eruptionen.
Für die vulkanischen Tuffe des Rieses, welche wir ihrer
Gesteinsnatur nach Rhyolith- und Liparit-Tuffe nennen
können, haben wir nun weiter zu untersuch-^n, in welcher
Zeit die eruptive Thätigkeit des Iliesvulkans gesetzt werden
darf und wo etwa dessen Eruptionspunkt sich befunden
haben mag. Daran schliesst sich die weitere Frage, ob
auch andere Spuren vulkanischer Thätigkeit sich in den
geognostischen Verhältnissen des Rieses wahrnehmen lassen.
Vulkanische Tuffe kommen in dein Ries und seiner Um-
gebung an ungemein zahlreichen Punkten vor, aber stets sind
sie auf eine geringe Verbreitung beschränkt und scheinbar
ohne Verbindung zerstreut abgelagert. Sie sind aber nicht
bloss im Ries selbst oder auf den Rand desselben ange-
wiesen, sondern greifen weit über die nächste Nachbarschaft
hinüber. Vorherrschend legen sie sich in Vertiefungen des
Jurakalks , oft in spaltenartige Einschnitte des letzteren an,
oder sind an die flachen, dem Wasserstoss entgegengesetzten
Gehänge älterer Felsmassen angelehnt. Nie werden sie von
Jurakalk oder noch älterem Gesteine, wenn dieses nicht dis-
locirt ist, bedeckt, dagegen enthalten sie, wiewohl nicht
sehr häufig, Fragmente von Jurakalk und stehen zuweilen
mit eigenthümhchen Kalkbreccien in näherer genetischer
Verbindung, welche ein Glied der tertiären x4.blagerungen
11*
164 Sitzimg der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
ausmacheo. Mit den tertiären Schichten selbst finden
sie sich an mehreren Punkten in Zusammenlagerung und
zwar werden sie von den jüngeren kalkigen Schichten, weiche
innerhalb des Riesbeckens entwickelt sind, überlagert.
Damit ist ihr relatives Alter ziemlich genau festgestellt. Die
besten Aufschlüsse, welche diese Art der Lagerung er-
kennen lassen , findet man zunächst bei Nördlingen an der
Ostseite des Marienberges an den Kellern und in den alten
Steinbrüchen an dem Stofifelsberg, dann oberhalb M. Offingen
und in Lieiheim selbst. Der tiefere Untergrund der Hügel-
reihe, welche von Nördlingen in südlicher Richtung hervor-
tritt und in die einzelnen Erhebungen des Marien- Stoffeis-
Fuchsberg u. s. w. bis zum Schmähinger Kirchberg und
Aalbuck sich bemerkbar macht, besteht aus Urgebirgsmassen
in gehobener Lage. In dem Profile neben dem von 0. zwischen
Marien- und Stoffelsberg zur Höhe ziehende Wege sieht man
zu tiefst wohlgeschichtete Dioritschiefer (mit Pistazitadern)
in St. 9 mit 45° NW, einfallend und von einem Pegmatit-
gange durchsetzt. Ueber diesen stark zersetzten Urgebirgs-
stock breitet sich 3 — 5' mächtig eine Lage von Quarzsand-
stein aus, der nach oben Urgebirgsblöcke aufnimmt, und
endlich einem wahren Blockwerk von meist scharfkantigen
wirr durcheinander liegenden Urgebirgsstücken verschiedener
Art Platz macht. Diese grossbrockige ürgebirgsbreccie be-
steht vorherrschend aus hornblendehaltigen ürgebirgsgesteins-
arten, Diorit, Hornblendeschiefer, Horublendegneiss neben
Granit, welche unten durch ein sandiges Bindemittel, nach
oben von feinem Urgebirgsgrus und endlich von vulkanischer
Asche verkittet oder zu einer Gesteinsmasse verbunden sind.
Diese Lage wird nun unmittelbar vom Süsswasserkalk bedeckt,
der in seinen untern Bänken die Helix des Horizontes von
Zwiefaltern, in den oberen Cypris in Unzahl enthält. Endlich
zeigt sich an dieser Stelle noch Diluvial geröll und zu oberst
Löss, welche den Tertiärkalk bedecken. Ein ähnlicher Auf-
#
1
Giimbel: Der BiesmilJcan etc. 165
schluss war fi-üher an den Kellern und auf der Höhe des
Miirienfelsens vielfacli zu sehen, jetzt sind die Profile durch
Mauerung meist wieder verdeckt.
Aehnlich verhält sich das Profil in Lierheim, welches
um so wichtiger ist, weil hier sehr schöner, grobkörniger rother
Granit deutlich als anstehendes Gestein die Unterlage aus-
macht, auf der zunächst eine bunte grossbrockige Breccie
theils aus Urgebirgsfragmenten. theils aus Jurakalk, Keuper
und Dogger gebildet sich ausbreitet und nach Oben in
vulkanischen Tufi übergehend, auf halber Höhe des Wegs
im Dürfe von sandigem Kalk voll der charakteristischen
Rieshehx {Helix LartetUy) bedeckt wird in vollständiger
Uebereinstinimung, wie am Stoffelsberg. Solchen Urgebirgs-
breccien aus oft gigantischen Brocken bestehend begegnen
wir fast überall im Ries, wo Tuffe entwickelt sind. Besonders
merkwürdig sind diese Breccien, wenn Urgebirgsgrus die
Zwischenräume zwischen den einzeken Brocken ausfüllt und
die durch kieselige oder kalkige Infiltrationen erhärtete Masse
em ähnliches Aussehen, wie das Urgebirge selbst gewinnt. Es
entstehen auf diese Weise Urgebirgsbreccien, welche sich
oft schwierig von normalen, durch unzähhge Klüfte zer-
sprengten, vielfach in kleinen Parthieen verschobenen und
breccienartig zertrümmerten, dabei oft durch Zersetzung sehr
unkenntlich gewordenen ürgebirgsfelsarten , wie sie im Ries
so häufig sind, unterscheiden. Namentüch ist diess bei
gewissen regenerirten Graniten der Fall, bei welchen
rothgefärbte Tuffe das Bindemittel abgeben. Am schönsten
fand ich solche regenerirte Granite am Wege zwischen Lier-
heim und Appenhofen. Erst genauere Untersuchungen lehren
6) Nach der Mittheilung und Bestimmung Sandberger's an zahl-
reichen Exemplaren; die ich im Gesammtgebiete des norddanubischen
Süsswasserkalks gesammelt habe und nicht E.elix sylvestrina.
166 Sitzung der math.-phys. Classe vom S.Fehmar 1870.
uns bei solchen Vorkommnissen die heterogenen Arten von
Urgebirgsfelsarten, welche in Brocken dicht aneinander ge-
drängt liegen, und die Ungleichheit der Streichrichtungen
bei krystallinischen Schieferstücken als zuverlässiges Unter-
scheidungsmerkmal solchen regenerirten Urgebirgs er-
kennen, wenn nicht vielleicht irgend ein Stück grellrothen
Keuperlettens oder weissen Jurakalks, welche sich mit an-
deren Brocken von benachbarten Sedimentgebilden zuweilen
auch den Urgebirgsfragmeuten beigesellen , als Verräther
sofort uns in die Augen sticht und vor längerem Zweifel
bewahrt.
Misslich bleibt die zuverlässige Unterscheidung bei schlecht
aufgeschlossenen Profilen, wenn Breccien unmittelbar auf an-
stehendem Urgebirge aufruhen, oder wo nur Blöcke auf der
Oberfläche zerstreut sich finden, so dass es nicht in allen
Fällen sicher zu ermitteln ist, ob man anstehendes Gestein
oder nur lose Brocken vor sich habe. Das Gestein in diesen
Breccien zeigt sich oft in hohem Grade zersetzt und auf-
gelockert. Unter allen das lehrreichste Beispiel findet sich
in einem Hohlweg an der Südseite des Spitzbergs, wo durch
Benützung des Granitgruses als Sand der Hohlweg beider-
seitig zu einer Art Sandgrube erweitert wurde. Hier stösst
mau auf mächtige Massen granitischer Gesteine, mit welchen
hornblendehaltige Stücke, hie und da auch ein Brocken von
Keupersandstein und grellfarbigem Keuperletten in chaotischem
Durcheinander vergesellschaft sind. Alles ist in hohem
Grade zersetzt und aufgelockert, so dass sich die granitischen
Stücke wie lockerer Sand heraushauen , die quarzarmen
hornblendigen Fragmente, welche nicht selten von Pistazit-
schnüi'chen durchsetzt sind, wie Thon oder Seife schneiden
lassen. Besonders merkwürdig ist, dass bei dieser völligen
Umsetzung die Hornblende nicht, wie gewöhnlich, in eine
Eisenoxydhydratsubstanz verwandelt wurde und dem Ganzen
eine schmutzig braune Färbung mitgetheilt hat, sondern ihre
J
Gümbel: Der Riesvidkan etc. 167
dunkelgrüne Farbe beibehaltend in eine grünerdeartige Sub-
stanz, oder auch in eine lichtgelblich grüne fettig anzufühlende
Nontronit-älmliche Mineralmasse übergeführt erscheint, neben
welcher das weisse Zersetzungsprodukt des Feldspaths theils
als Kaolin, theils als ein Steinmark-artiges Mineral grell sich
abhebt. Findet sich daneben ein rother Streifen von Keuper-
letten, so gewinnt das Ganze ein äusserst buntes Aussehen.
Diese und ähnhche Zersetzungen und Umbildungen begleiten
die Urgebirgsbreccien, wo sie sich finden, in bald höherem,
bald geringerem Grade durch das ganze Ries. Ganz frische
Urgebirgsstücke zu erhalten, hält daher sehr schwer, und
selbst in dem anscheinend an wenigsten angegriffenen rothen
Granit von Lierheim zeigt sich der schwarze Glimmer z. Th.
in eine Rotheisensubstanz verwandelt.
Was das Verhältniss dieser Breccie zu dem vulkanischen
Tuff anbelangt, so weist schon das Auftreten von Tuffmasse
gleichsam als Verkittungsmittel der Breccien auf einen
genetischen Zusammenhang hin. Deutlicher noch stellt sich
dieses Verhältniss durch den allmähligen Uebergang von
Breccien in auflagernden Tuff fest, wie es sich au mehreren
Orten beobachten lässt, indem die Urgebirgsfragmente nach
oben seltener werden und dafür die Tuffmasse die Ober-
hand gewinnt. Auch die stellenweis reichliche Beimengung
von Urgebirgsbrocken im Tuff entspricht demselben Ver-
hältnisse. Es ist nicht zweifelhaft, dass ein guter Theil der
Urgebirgsfragmente in den Breccien durch vulkanische Thätig-
keit aus der Tiefe nach Art der Bomben emporgeschleudert
wurden. Ein Beweis hiefür liegt in der Thatsache, dass
viele der beschriebenen Bomben Urgebirgsstücke eingeschlossen
enthalten oder doch mit solchen verbunden, gleichsam an
dieselbe angeschmolzen sind. Daraus erklärt sich wohl auch
der Fund vereinzelter Urgebirgsstücke entfernt von Tuff-
oder Breccienablagerungen auf den Platten der benachbarten
Juraberge. Auch zeigen viele (nicht alle) in dem Tuff ein-
168 Sitzung der math.-phys. Gasse vom 5. Februar 1870.
geschlossene Urgebirgsfragmente eine eigenthümliche Art
der Umwandlung, welche darin besteht, dass Feldspath und
Quarz opak, der Glimmer zerrissen, das ganze Gestein rauh,
trachytartig geworden ist. Solche Veränderungen können
wohl zum Theil auch als Folge einer Umänderung durch
Feuchtigkeit betrachtet werden. Indess treten hier Erschein-
ungen hinzu, welche wenigstens andeuten, dass der Zustand
vieler solcher Urgebirgstücke mit der Annahme einer erlittenen
Einwirkung von Wärme nicht im Widerspruche steht.
In Uebereiustimmung mit der aus den Profilen von
Stoffelsberg und von Lierheim gefolgerten Lagerungsweise
des vulkanischen Tuff über allen älteren Sedimenten und
selbst über dem offenbar bereits tertiären Sande steht auch
das Profil in einer Sandgrube neben der Strasse ober-
halb M. Offingen. Im Grunde dieser Grube beobachtet
man auf der N. Seite mittelkörnigen röthlichen Granit,
welcher sich gegen die Höhe des Strassengehänges auf-
wärts zieht und von einem Gange Pegmatit-artigen Granits
durchsetzt wird. Der Granit sieht gewissen Varietäten des
Spessarts sehr ähnlich und enthält in feinsten Pünktchen ein
Orthit-ähnliches Mineral. Ein schmaler Schwerspathgang durch-
zieht an dieser Stelle den Granit. Der S. Theil des Unter-
grundes ist aus grauem Glimmergneiss gebildet. Granit
und Gneiss endigen nach Oben mit einer sehr unebenen
bald vorspringenden, bald vertieften Oberfläche. Diesen Un-
ebenheiten folgend legt sich darüber Quarzsandstein, der
in eine Art Quarzbreccie verläuft und grosse Aehnlichkeit
mit dem sog. Braunkohlensandstein besitzt. Erst auf diese
ebenfalls sehr uneben abgegrenzte Sandsteinlagen folgt der
vulkanische Tuff, der unten vollgespickt ist mit Urgebirgs-
fragmenten und an einzelnen Punkten fast reine Urgebirgsbreccie
darstellt, nach oben dagegen in reinen Tuff verläuft. Dieser
Tuff' wird oben in einer nahezu horizontalen, schwach welligen
Lage von zu unterst sandigen wohlgeschichteten Bänken eines
i
Gümbeh Der Riesimllcan etc. 169
Süsswasserkalks voll Ctjpris und PalucUnen (der kleinen
Litoi'meUa acuta) bedeckt, denen höher dann unregelmässige
Süsswasserkalkmassen von wulstiger schaliger Abson-
derung — die sog. Schalenkalke — folgen.
Nach diesen Nachweisen ist der geogn ostische Horizont
der vulkanischen Tuffe zwischen den Quarzsandstein und
den Cy^mkalk einzustellen. Aus Gründen, die au einem
andern Ort ausführlich besprochen werden sollen, ist dieser
gewissem Braunkohlensandstein vergleichbare Quarzsandstein
bereits vom miocänem Alter, während die Cypris und
lÄtorinellen enthaltenden Kalke im Alter den Litorinellen
Kalken im Maynzer Becken entsprechen. Wir haben also
anzunehmen, dass die Thätigkeit des Riesvulkans in die
Mitte der Miocänzeit fällt und, wie die Erscheinungen uns
belehren, von veihältnissmässig kurzer Dauer war, wenn wir
nicht gewisse Erscheinungen als deren Folgen noch hinzu-
rechnen, nämlich die Entstehung der Schalenkalke, über
welche später einige Bemerkungen folgen werden.
Sind diese vulkanischen Tuffe das Erzeugniss der
Eruptivthätigkeit von vulkanischen Erscheinungen, so fragt man
wohl mit Recht nach den Bestand des Vulkans selbst. Ein
solcher fehlt aber jetzt im ganzen Ries ohne allen Zweifel;
nirgends bemerken wir irgend einen vulkanischen Schuttkegel,
eine kraterähnliche Bildung oder Lavaströme. Das Einzige,
was ausser den Tuffen an vulkanische Bildungen erinnert, ist das
oft genannte Gestein vom Wenneberg, welches z. Th. als Basalt, ^)
z. Th. als dichter Trass beschrieben wurde. Dieses Gestein
kommt zwischen gneissartigen Urgebirgsfelsmassen in einem
gangartigen Stocke vor und scheint nach den bisherigen
Aufschlüssen, welche man durch Steinbruchsarbeit gewonnen
7) In der Bavaria habe ich dieses Gestein ebenfalls als Basalt
bezeichnet, ein Irrthum, der erst jetzt bei näherer Untersuchung
sich ergeben hat.
170 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
hat, nicht oberflächlich gelagert, sondern in die Tiefe nieder
zu gehen. Ein Steinbruch hat eben jetzt die zur Pflasterung
für Nördlingen benützte Gangmasse bis zur Tiefe von 18'
verfolgt. Das Gestein ist schwarz mit einem Strich in's
Graue, sehr hart, aphanitisch, dicht-steinig mit nur spär-
lichen MineralausscheiduDgen, hauptsächhch von runden Quarz-
theilchen und Glimmer. Der Quarz ist theils wasserhell,
theils dunkel und gelbhch gefärbt; letztere Theile wurden
früher wohl für Olivin angesehen. Neben dem Quarz ist
am häufigsten brauner Glimmer ausgeschieden. Seine matte
Farbe, sein zerrissenes Aussehen und der Mangel an elastischer
Biegsamkeit in dünnen Blättchen spricht für einen hohen
Grad begonnener Zersetzung. Weisse Krystallausscheidungen
zeigen sich nur hie und da. Ein Theil derselben kann als
Feldspath gedeutet werden, ein Theil sieht zeolithartig aus
und ein Theil besteht aus Kalkspath, da er sich unter Brausen
in Säuren löst. Sehr vereinzelt stellen sich dunkelgrüne
weiche grünerdeartige Ausscheidungen ein, welche in runden
hell umsäumten Parthieeu auftreten. In den sehr schwierig,
in zureichend durchsichtigen Blättchen herzustellenden Dünn-
schliffen löst sich, abgesehen von den so eben erwähnten
grösseren Ausscheidungen, die ganze anscheinend dichte oder
im höchsten Grade feinkörnige Grundmasse in ein wirres
Haufwerk von breiten, der Länge nach gestreiften Nadeln
auf, die bei gekreuzten Nicol'schen Prismen gleichmässige
Farbenwandelung zeigen und orthoklastischem Feldspathe
entsprechen. Eine eigentliche Grundmasse neben diesen
im Vergleiche mit den Mikrolithen ziemlich grossen Nadeln
konnte ich nicht deutlich gesondert sehen. Einzelne sechs-
seitige Querschnitte deuten auf Apatit. Grünliche stängliche
Ausscheidungen, die zwischen den Feldspathnädelchen einge-
streut liegen, lassen beim Drehen des einfachen Nicol'schen
Prisma's sehr bestimmt eine Verdunklung der Färbung er-
kennen, dürfte demnach als der Hornblende zugehörig an-
Gümbel: Der Eiesvullcan etc.
171
gesprochen werden. Magneteisenthei leben sind nicht sicht-
bar. Pulverig körnige , in lockere Klümpchen zusammen-
gehäufte oder auch einzelne zerstreut vorkommende braune,
bei gekreuztem Nicol'schem Prisma in der Tiefe der
Farbe wenig veränderliche Theilchen Hessen sich bei einer
300 maligen Vergrösserung nur als aus kleinen Körnchen be-
stehend erkennen, neben welchen Poren in grosser Anzahl
zugleich sichtbar werden. Das Gestein braust ziemlich lebhaft
mit Säuren, was auf einen gewissen Grad der Zersetzung
hinweist, aber möghcherweise auch nur durch Infiltration
von kohlensaurer Kalkerde aus dem benachbarten und über-
lagernden Süsswasserkalke sich erklären Hesse.
Wir besitzen zwei Analysen dieses Gesteins vom Wenne-
berg, eine von Prof. Schafhäutl und eine von Herrn Röthe,
Lehrer der Chemie an der Gewerbeschule in Nördlingeu,
welche im Wesentlichen zusammenstimmen. Darnach be-
steht das Gestein aus:
nach Schafhäutl
nach Piöthe
Kieselsäure
. . 63,04 . . .
. . 64,21
Thonerde . .
. . 10,51 . . .
. 15,88
Eisenoxyd . .
. . 5,10 . . .
. 2,69
Eisenoxydul
. . — ...
. 1,21
Kalkerde
. . 2,14 . . .
. . 3,91
Bittererde .
. . . 7,43 . . .
. 2,24
Kali . . . .
Natron . . .
; 1 6,70 ; ; ;
3,90
. 1,99
Wasser^) .
. . 5,08 . . .
. 3,47
100,00 99,50
Diesem seiner chemischen Zusammensetzung nach schhesst
sich das Gestein dem Porphyrit und Liparit an. Im Zusammen-
hang mit seinem geognostischen Auftreten möchte ich das-
8j In beiden Analysen ist der Antheil; den Kohlensäure an der
Zusammensetzung nimmt, nicht bemerkt, ein Theil des Glühverlustes
ist also auch auf Kohlensäure zu beziehen.
172 Sitzung der math.-phys. Classe vom S.Februar 1870.
selbe der mannigfach modificirten Reihe des letzteren zuweisen.
Am nächsten steht ihm der Gesteinsbeschaffenheit nach die Sub-
stanz der steinigen Bomben. Eine Analyse, die ich theil-
weise durch Herrn Dr. Loretz vornehmen liess, lieferte
auch nach der chemischen Zusammensetzung den Beweis sehr
naher Uebereinstimmung , indem eine steinige Bombe vom
Schmähinger Berg enthielt:
Kieselsäure 66,686
Titansäure 0,890
Thonerde 15,700
Eisenoxyd 5,390
Bittererde 1,880
Kalkerde 3,970
Kali 1,131
Natron 4,473
Wasser und Kohlensäure (Glühverlust) . 0,452
100,570
Vergleichen wir damit nach den Analysen von Prof.
Schafhäutl und Röthe^) die Zusammensetzung
1) der schwarzen schlackigen Ausscheidungen im Ries-
tuff (Seh.);
2) des gelben porösen Antheils derselben Masse (Seh.) ;
3) des gelblichen Theils im Riestuffe von Otting (Seh) ;
4) des als Wassermörtel benützten Tuffes von Mauren
am Ries nach Röthe;
I. IL III. IV.
Kieselsäure 65,15 67,55 64,91 63,25
Thonerde 10,85 15,06 10,88 13,77
Eisenoxyd 5,10 4,08 5,26 3,59
Kalkerde 2,35 1,97 2,21 3,13
Bittererde 7,85 0,18 7,71 1,68
Kali 5,25 6,70 5,31 3,72
Natron 1,57 2,70 1,59 0,20
Wasser 1,95 1,30 2,00 10,85 (Glühverl.)
100,07 99,53 99,87 100,19
9) N. Jahrb. 1863 S. 169.
ij
Gilmbel: Der Eiesvullcan etc. 173
so finden wir ein so nahe gleiches Verhältniss der Bestand-
theile, dass dadurch die Zusammengehörigkeit des Wenne-
berggestijins mit dem Riestuff auch von dieser Seite ausser
Frage gestellt wird. Dagegen ergeben sich unter den sog.
Vulkan-Tuffen anderer Gegenden wenig Analogien. Haupt-
sächlich weichen die Riestuffe durch ihren hohen Gehalt an
Kieselsäure ab und zeichnen sich zugleich durch Thonerde-
und relativ grösseren Kaligehalt aus. Die vulkanischen
Aschen noch thätiger Feuerberge enthalten nur 47 — 59^/0
Kieselsäure und vorwaltend Natron neben wenig Kali, und
ähnlich verhält sich auch Puzzulan. Die Palagonit- und
Basalttuffe erreichen in ihrem Kieselsäuregehalt kaum 50°/o
und der oft mit dem Riestuff zusammengestellte Trass nur
49 — 57 V Kieselsäure und enthält grosse Mengen von Wasser.
Am nächsten stehend erweist sich der Trachytt uff namentlich
jener des Siebengebirgs, welcLer annähernd gleichen Kiesel-
säure- und Alkaliengehalt besitzt. Dadurch ist der engere
Anschluss unseres Tuffs an die trachjtischen Eruptivmassen
angedeutet und wir dürfen denselben mit um so grösseren
Rechte als Rhyolithtuffe bezeichnen. Auch lässt die
schalig-körnige Absonderung des glasigen Antheils der
Schlacken eine entschiedene Annäherung am Pechstein nnd
Perlstein erkennen.
Wir betrachten das derbe Wenneberggestein als die
gangförmig auftretende Lavaform der Eruptionen, welchen
andererseits die Riestuffe ihren Ursprung zu verdanken
haben.
Ehe wir über den örtHchen Ursprung des Riestuffs
weitere Mittheilungen machen , dürfte hier die geeignete
Stelle sein, die unserer früheren Bezeichnung der Riestuffe
als vut^anische entgegenstehende x4.usicht des Herrn Pro-
fessor Schaf häutl anzuführen. Professor SchafhäutP°)
10) N. Jahrb. 1849 S. 641.
174 Sitzung der math.-ph'ys. Classe vom S.Feh'iiar 1870.
betrachtet Alles, was man im Ries Granit oder Gneiss nennt,
so wie sie z. Th. auch als sog. zersetzte Massen bezeichnet
werden, als eine ursprüngliche Bildung in dem Zustand,
in welchen sie sich noch heute finden, entstanden. Diese
Bildung sei nur eine Fortsetzung jener vom bayerischen
Walde; im Ries habe der nach und nach vertrocknende
Granitbrei einen kleineren Raum eingenommen, in Folge
dessen sei die nicht mehr unterstützte Decke eingebrochen
und habe an den dadurch entstandenen Spalten durch den
Druck der zusammenbrechenden Kalkmasse den granitischen
und dann den Pechstein-artigen Teig herausgepresst. Das
zugleich mit empor gedrungene Wasser, reich an kohlen-
saurer Kalkerde habe dann das Material zu den Süsswasser-
kalkablageruugen geliefert, welches in solcher Menge un-
denkbar durch die Flüsse hergebracht sein könne. Die
Unmöglichkeit, dass der sog. Trass des Rieses von
einen Granit -Magma abstamme, hat bereits Delesse^^)
schlagend aus der Differenz ihrer Zusammensetzung nach-
gewiesen. Es ist in dieser Beziehung nichts weiter zuzufügen
nöthig. Was aber die sonstige theoretische Vorstellung der
Tuffbildung, des Süsswasserkalkabsatzes und der topischen
Entstehung des Rieses anbelangt, so widersprechen derselben
alle Beobachtungen der Lagerung, des Verbandes der Gesteine
namentlich der Tuffe mit den Urgebirgsfelsarten, insbesondere
auch die Art und Weise der Ausbildung der Kalkmassen,
wie sich aus dem bereits frülieren Mitgetheilten zur Genüge
ersehen lässt. Um nur an einem Beispiele den Widerspruch
anzudeuten, welcher zwischen der theoretischen Annahme
und der Thatsache, wie sie die Beobachtung an die Hand
gibt, hervortritt, mag es genügen, daran zu erinnern, dass
die Bildung der granitischen Gesteine des Riesgegend
11) N. Jahrb. 1850. S, 314.
i
Gürribel: Der EiesvulJcan etc. 175
Tonjenei' der Riestuffe, wie es nach der Zwischenlagerung
auf's unzweideutigste nachweisbar ist, durch die unendlich
langen Zeiten der Primär- und Sekundärperiode und sogar
auch noch eines guten Theils der Tertiärperiode von ein-
ander getrennt liegen, anstatt ein und demselben Erguss Ton
Material anzugehören.
Die auffallendste geognostische Erscheinung, welche
sich im Riesgebiet in grossartigsten Maassstab zu erkennen
gibt, ist die höchst beträchtliche Dislokation fast aller hier
Yorkommenden Gesteiuslagen. Denken wir uns einen Augen-
bhck in die Zeit vor der Riesbildung zurückversetzt, so er-
streckte sich damals zweifelsohne das Juragebirge ohne
Unterbrechung vom Hahnenkamm quer über die jetzige
Riesgegend zum schwäbischen Härtfeld und reichte südhch
über den jetzt abgebrochenen Rand, dessen Senkungsspalte zur
Zeit die Donau zu ihrem Flussbett erhalten hat, weit noch
nach Süden fort. Nordwärts folgten in aufsteigender Alters-
folge die verschiedenen Jura-, Dogger- und Liasstufen bis
zum Keuper, an dessen vorragenden Höhen sie sich an-
lehnten. Der allgemeinen Einsenkung nach S. zu entsprechend
verflachen sich sämmtliche Schichten vom Keuper weg in
südhcher Richtung so stark, dass in der Donaugegend bereits
die oberste Jurastufe nahe bis zur Thalsohle eingesenkt er-
scheint, während die tiefere Juraschichtenlage des Schwamm-
kalkes am Hesseiberg noch eine normale Höhe von etwas über
2000 Fuss aufweist. Die allgemeine Beckensenkung reicht je-
doch nicht hin, die Höhenlage der Gesteine im Ries, so wenig,
wie das plötzliche Aufhören der jurassischen Gebilde am
Donauthale zu erklären. Hier hat eine andere Einwirkung
stattgehabt. Der plötzliche, gewaltsame Abbruch des Jura-
gebirgs am Douauthalrande steht im Zusammenhange mit
einer Versenkung eines anderen grösseren Theils der Kette
in die Tiefe der Donauhochebene, wie ich an anderen Orten
176 Sitzung der mafh.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
gezeigt habe^^). Aus dem Fehlen der älteren, d. h. oli-
gocäneu Tertiärablagerungen an diesem südlichen Jurarande
und aus der unverrückteu Lagerung der nächst jüngsten
neogenen oder miocänen Ablagerungen daselbst ist mit Grund
zu schhessen, dass dieser Abbruch und diese Versenkung einer
grossartigen Jurafelsmasse z^vischen die oligocäue und mio-
cäne Zeit fällt. Mit dieser Senkung stand aber stellenweis
eine Hebung im Zusammenhange wie diess z. B. bei Donau-
wörth längs des Gebirgsrandes zu sehen ist, an welchen
öfters selbst Liasschichten zwischen Jurakalk eingeklemmt
bis zu Tag emporgeschoben lagern ; während daneben und
darüber die Meeresmolaste voll Ostrea Gingensis ganz
ruhig und unverrückt ausgebreitet ist. Werfen wir einen
nur flüchtigen Blick in's Ries, so ergibt sich sofort die
Analogie mit den Erscheinungen am Donauthalrande, und
wir gewinnen für die scheinbar unmotifirt und vereinzelt
stehende geologische Erscheinung der ßiesbildung hiermit
einen innigsten Zusammenhang mit einem der grossartigsten
Phänomene der Tertiärzeit, der Bildung und Ausfüllung der
Donauhochebene, welche in die Oberflächengestaltung aller
mitteleuropäischen Länder tief einschneidet. Es ist jene
wichtige Zeit, innerhalb welcher der bis dahin dem Osten
allein zugewendete Wasserabzug der ganzen Nordalpen sich
in das dreighedrige Wassergebiet der Donau, des Rheins
und der Rhone theilte.
Im Ries und in der durch das jetzige Wörnitzthal an-
gezeigten Gebirgszerspaltung, die vom Ries in mehreren
Parallellinien bis zum Donauthalraude durchreicht und in
ähnlicher Weise radienförmig rings um das ganze Ries tief
über die benachbarte Gegend sich erstreckt, lagern die hetero-
gensten, verschieden -alterigen Gebilde in nahezu gleichem
12) Bavaria Bd. III Buch IX S. 3, 5 u. b. w.
Giimhd: Der Biesvulkan etc. 177
Horizonte, Granit neben Keuper oder L^as oder Dogger oder
jüngstem Jurakalk, die älteren Gesteine an vielen Stellen
über jüngere geschoben, während eine ältere von den Dis-
lokationen unberührt gebliebene Ablagerung, als der neu-
tertiäre Süsswassersandstein , nirgends zu entdecken ist.
Stellen wir diesen Sandstein im Alter jener Meeresmolasse
am Donaurande gleich, ^ie es ihre Lagerung unter dem Süss-
wasserkalke andeutet, so haben wir hier vollständige zeitliche
üebereinstimmung zwischen den Erscheinungen, welchen der
Rieskessel seine Entstehung zu verdanken hat. mit jeuer
Katastrophe, welche den Abbruch des Juragebirgs am Douau-
thalrande bewirkte. Genau dasselbe Alter ist auch für die
Riestuffe uuchgewiesen worden, und es ist daher sicher be-
gründet, wenn wir den Riestufi' mit der Bildung des Ries-
kessels und demgemäss die letztere mit vulkanischer
Thätigkeit in genetischen Zusammenhang bringen. Die
Riestuffe sind nicht Ursache der Entstehung des Rieses, son-
dern Folgen derselben vulkanischen Erscheinungen, welche
auch die Rieseintiefung bewirkten. Betrachten wir nun die
das Ries umgebenden Gesteine älterer Zeit, so sind für dasselbe
die zwei Verhältnisse von ganz besonderer Wichtigkeit, welche
sich auf das Vorkommen von krjstallinischen Felsarten
und auf dit- Lagerung der jurassischen Gebilde beziehen.
Man hat das Erscheinen von granitischen Gesteinen
im Ries vielfach in der Art gedeutet, dass dieselben nur
als aus der Tiefe hervorgeschleuderte Fragmente ohne Zu-
sammenhang mit einem tieferen ürgebirgsmassiv anzusehen
seien. Die Untersuchung fast aller Stellen , an welcher
solche ürgebirgsfelsarten in und am Ries sich zeigen, lässt
mich diese Auffassung nicht theilen , sondern führt vielmehr
in zahlreichen Fällen zu der Annahme, die zu Tag tretenden
Gebirgstheile nur als das obere, zur Oberfläche gehobene Ende
grösserer, unter dem jüngeren Gestein lagernder Urgebirgs-
massen anzusehen. Hierzu bestimmen mich die Beobachtungen
[1870. L 2.] 12
178 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Febmar 1870.
der oft örtlich sehr ausgedehnten Verbreitung solcher ür-
gebirgsfelsmassen, die Art ihrer Lagerung unter sich und
zu den benachbarten Gebilden, sowie ihre Gesteins-
beschaffenheit.
In dem grossen Einschnitte am Reisberge zunächst W.
von Nördlingen beobachtete ich bei dem Bau der Eisen-
bahn fast längs der ganzen Sohle des Einschnitts ein un-
unterbrochen fortlaufendes ürgebirgsmassiv , welches vor-
herrschend aus Dioritschiefer und Hornblendegneiss bestehend
regelmässig in St. 9 mit 70" südöstliches Einfallen zeigten und
ganz den Eindruck eines Ürgebirgsmassiv machten, um so
mehr, als auch auf der Gegenseite des Berges bei der Loden-
walkmühle dasselbe Gebilde ansteht und unzweifelhaft mit
ersterem im Zusammenhang stehend einen ganzen Berg aus-
macht. Einen solchen Bergstock, wie ihn der Reisberg dar-
stellt, für ein blosses Fragment zu halten, scheint mir nicht
zulässig. Auch rings um die Marieuhöhe und den Stoffels-
berg finden sich namenthch durch die vielen Keller in lehr-
reichen Profilen aufgeschlossen grossartige, zusammenhängende
Urgebirgsfelsmassen. Sie zeigen am Engelwirthskeller das-
selbe Streichen, wie am Fuchswirthskeller des Stoffelbergs
bei bald NW. bald SO. Einfallen. Es wechselt hier GHiumer-
gneiss mit Hornblendegneiss; doch bleibt auch in dieser
Gruppe, wieamReisberge, Dioritschiefer vorherrschend. Granit-
gänge und Adern durchschwärmen die krystallinischen Schiefer
und verstärken den Eindruck des anstehenden Urgebirgs
wesentlich. Auch in anderen Gegenden des Rieses stossen
wir ganz auf dieselben Verhältnisse. Oberhalb M. Offingen
z. B. liefert der auf der Nordseite einer Grube anstehende
Granit mit Pegmatit und Schwerspathgängen im Verhalten
zu dem an der Südseite entblössten Glimmergneiss ganz das
Bild, wie wir es so tausendfach sich in Urgebirgsdistrikten
wiederholen sehen. Weniger günstig für unsere Annahme
scheint für den ersten Augenblick das Verhalten von Gneiss-
Gümbel: Der EiesviiHian etc. 179
schichten am Keller von Itzing zu sein. Hier steht an einer
hohen Wand in grossen Massen Gneiss an, der von dünnen
Grauitadern durchsetzt wird. Unter dieser Gneisswand aber
gewahrt man eine Parthie von wirr durcheinander liegenden
Crgebirgsfelsbrocken von Gneiss in verschiedenen Varietäten
und von Granit durch einen granitartigen Sand zu einer
Breccie verbunden, welche die Unterlage der Gneissmasse
auszumachen scheint, und demnach durch das Unterteufen
unter die Gneissmasse letzterer den Stempel eines wenn
auch kolossalen abgerissenen Felsblockes aufdrücken würde.
Nähere Untersuchung der im Keller fortsetzenden Gebilde
lehrt aber, dass diese Breccie seitlich an den Gneissstock
angelehnt ist und nur in eine ünterhöhlung des letzteren
hineinrage.
Was nun im Allgemeinen den Charakter dieser Ur-
gebirgsfelsarten anbelangt, so ist derselbe durch das Vor-
herrschen von Hornblende-haltigem Gestein und röth-
lichem Granit ausgezeichnet. Dasselbe ist auch bei allen
den Bruchstücken der Fall, welche als Einschlüsse in den
ßreccien im Ries eine so grossartige Verbreitung gewinnen
zum Beweise ihrer Zusammengehörigkeit zu einem ursprüng-
lichen Urgebirgsmassiv. Suchen wir aber eine Analogie der
Gesteinsbeschaffenheit mit anstossenden Urgebirgsdistrikten,
so finden wir dieselbe annähernd nur in dem Gestein vom
Odenwald und Spesshart, während eine weit entferntere Aehu-
lichkeit mit jenem des ostbayerischen Grenzgebirgs besteht.
Mit diesen Urgebirgsparthieen treten aber nirgend älteie
sedimentäre Gebilde in Verbindung. Das älteste Gestein,
welches ausserdem im Ries bis jetzt beobachtet wurde, ist
Keuper und zwar so viel sich aus kleinen Bruchstücken
beurtheileu lässt, Stücke der jüngeren Stufen desselben.
Üeberall treten die Urgebirgsmassen in unregelmässigen
Verband zu den ihnen auf- und angelagerten Keuper-, Lias-,
Dogger- und Juraschichten und es lässt sich in allen ein-
12*
180 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
zelnen Fällen aus den gegenseitigen Zusammenlagerungs-
verhältnissen nachweisen, dass die Gebilde nur in Folge von
erlittenen Dislokationen in so abnormem Verbände sich be-
finden können. Weder Lias noch Dogger oder Jurakalk
hat sich im Ries auf einem granitischeu Untergrunde ab-
gelagert, wohl aber ist diess der Fall bei den Tertiärgebilden.
Die Urgebirgbfelsarten haben mithin nicht ursiDrünglich in
der Lage, in der wir sie jetzt sehen, die unmittelbare Basis
der Riesgegend ausgemacht, und sind etwa einfach in Folge
der Zerspaltung der jurassischen Berge entblösst worden,
sondern sie müssen aus tieferem Untergründe gewaltsam
emporgeschoben worden sein. Diese Vorstellung wird durch
die Thatsache bekräftigt, dass auch der Keuper, der Lias
und vielfach selbst der Dogger, welche in dem Ausbruch
des Rieskessels an so vielen Stellen in abnormen Verbände
auftauchen, an solchen Stellen sich nicht vermöge des ihnen
zukommenden geognostischen Horizontes im Vergleich zu
der Entwicklungsstufe des den Riesrand umrahmenden Jura-
kalks vorfinden könnten, und dass man auch bei ihnen noth-
gedrungen ein Emporgeschobensein aus tieferer Lage vor-
aussetzen muss. Die ununterbrochene Fortsetzung der Lias-,
Dogger- und Juragebilde in geogno&tisch-normaler Lage im
N. des Rieses von Thaunhausen über den Oettingerforst zum
Hahnenkamm, die uuverrückte Stellung, welche die ver-
schiedenen Stufen des Jurakalks, ihre Einsenkung gegen S. ab-
gerechnet, westlich und östlich vom Ries zeigen, liefern ferner
den uuzwt-ideutigen Beweis, dass dieses abnorme Aneinander-
stossen der verschieden-alterigen Felsmassen auf gleichem
Horizonte im Ries sich nicht durch eine blosse Senkung
erklären lässt. Für die Jurakalke wäre diess allerdings zu-
lässig, weil viele Stücke derselben jetzt tiefer vorkommen,
als ihre abnorme Lage im Gebirge ist; aber bei Gebilden,
wie der Lias und der Keuper, welche im Ries höher liegen,
als es nach ihrem geognostischen Horizonte der nächsten
Gümld: Der EiesiiiUcan etc. 181
Nachbarschaft möglich gedacht werden darf, kann ihr Vor-
kommen auf relativ höherem Niveau doch wohl nicht durch
eine Versenkung bewirkt worden sein.
Wir sehen im Ries als erste auffallende Erscheinung
mithin eine hebende Dislocirung, welche bewirkte, dass
Urgebirgsfelsmassen aus unbekannter Tiefe bis zum Niveau
der jurassischen Schichten, Keuper, Lias und Dogger stellen-
weis bis zu jenem des Jurakalkes verrückt wurden. Diese
Hebungserschninung ist als die Fuudamentalursache ^ der
Bildung und Gestaltung des Riesbeckens anzusehen. Hat
aber eine Hebung stattgefunden, so müssen sich an diese
noch vielfache andere Erscheinungen angereiht haben. Eine
solche Hebung kann nicht gedacht werden, ohne dass auch
die Schichten der Nachbarschaft in Mitleidenschaft gezogen
worden sind. Vrir beobachten in der That rings am Ries-
rande in den jurassischen SchicLten die auffallendsten Schichten-
Störungen, welche sich bis auf sehr beträchtliche Entfernungen
erstrecken. Zunächst weisen die Beobachtungen in zahl-
reichen Stellen nach, dass die Jurakalkschichten vorherrschend
in der Richtung vom Innern des Rieskessels wegfallen und
zwar ungefähr radienförmig, me es bei einer Hebung etwa
von der Mitte des Rieses aus der Fall sein müsste. So fallen
z. B. die Jurakalkbänke bei Heroldingen nach S. u. SO, bei
Gössheim rein nach 0., beiWemding nach NW., bei Ehingen
nach NW., ebenso bei Hausen, Fremdingen, und Dirgeuheim,
bei Uzmemmingen und Hohlheim nach SW., bei Edernheim
und im Aalbuch nach S., ebenso am Hahnenberg und bei
Lierheim. Doch fehlt es nicht an sehr zahlreichen Aus-
nahmen und namentlich begegnen wir vielfach einer dem
Rieskessel zugewendeten Einfallrichtung, auf deren Erklärung
wir später zurückkommen werden. Indess darf man auf
diese Schichtenstellung kein zu grosses Gewicht legen, weil
nach der ersten Aenderung in den Schichten lagen durch
vielfache, spätere, nicht immer deutlich erkennbare Einwirk-
182 Sitzung der math.-phys. Classe mm 5. Februar 1870.
ungen z. B. Auswaschungen etc. wohl öfter nachträgliche
sekundäre Disloch'uugen , Rutschungen, Ueberschiebungen,
Gleitungen unter sehr verschiedenen Einfallrichtungen sich
werden ereignet haben. Es zeigt sich daher das ganze
Gebirge der Nachbarschaft wie zerstückelt ; zahllose Spalten
streichen radienförmig durch die Gesteinsschichten und nicht
selten stossen wir auf spiegelglatte parallelgestreifte Rutsch-
flächen, längs welcher einzelne Gebirgstheile aneinander
verschoben wurden.
Als eine weitere Erscheinung, welche mit einer Erhebung
im Ries in Zusammenhang gebracht werden muss, ist das
Vorkommen und die Bildung sehr zahlreicher Breccien, so-
wohl von Urgebirgsfelsarten, als auch von Kalk namhaft zu
machen. Eine Betheiligung von Urgebirgstrümmern an der
Zusammensetzung der vulkanischen Tuffe des Rieses haben
wir schon früher zur Sprache gebracht. Noch häufiger als
im Tuffe bilden solche scharfkantige Urgebirgsbrocken zu-
sammengehäuft, anstatt durch Tuff, durch ürgebirgsdetritus,
granitischen Sand und Kieselerde verbunden mächtige Lagen
neben den gehobenen Urgebirgsgruppen. In vielen Fällen
stellen sie wahre Reibungsbildungen vor. In andern Fällen
erscheinen sie vermengt mit anderen Gesteinsstücken des
Keupers oder jurassischer Bildungen selbst, wie bei Wem-
ding, über normal horizontal gelagertem Jurakalk abgesetzt.
Dass solche ürgebirgsbreccien über Jurakalk, welcher sich
noch in seiner normalen Höhenlage befindet, nicht durch
eine Senkung entstanden sein können, ist an sich klar, wie
denn überhaupt alle Erscheinungen, welche bei solchen Ab-
lagerungen im Ries zum Vorschein kommen, übereinstimmend
auf ihre Entstehung in Folge dislocirender Hebungen
hinweisen.
Wie die ürgebirgsbreccien verhalten sich auch viele
Kalkbreccien. Sie sind das Erzeugniss einer gewaltigen
Zerrüttung und Zertrümmerung, welche die Kalkfelsmassen
Gümbel: Der Eiesviilhan etc. 183
erlitten haben. Nachweislich geschah diess zu einer Zeit,
welche annähernd mit jener der Entstehung der Urgebirgs-
breccien und der Tuffbildung zusammenfällt, wenigstens einer
gleichen Bildungsperiode angehört. In vielen Fällen ist die
Breccie unzweideutig und sichtbar als Reibungsbreccie der
nächst benachbarten Jurakalkfelsmassen zu erkennen. Südlich
von Lierheim gegen den Thiergarten ist eine solche Bildung
entblösst, die statt vieler anderer als belehrendes Beispiel
dienen kann. Die Breccie ist hier in Lagen entwickelt,
welche mit den anstehenden Jurakalksclichten zu wechseln
scheinen, aber in der That nur bei der steilen Aufrichtung
der Kalkbänke zwischen den bald vorstehenden härteren,
bal 1 zurücktretenden , weicheren , daher tief unterhöhlten
Lagen eingefügt sind, so weit die Hohlräume Platz gewährten.
Die anstehenden Jurakalkschichten vom Alter der tiefsten
Lagen, welche Ammonites tenuilobatus enthalten, sind der
Art zertrümmert, von Passen und RutscLflächen durchzogen,
dass sie selbst ein Breccien-ähnliches Aussehen gewinnen,
welches um so täuschender ist, als diese Klüfte häufig wieder
durch Kalksubstanz ausgefüllt und dadurch das Bild einer
Breccie in hohem Grade nachgeahmt wird. Nicht selten tritt
die Kalkbreccie direkt und unmittelbar mit dem vulkanischen
Tuff in Beziehung.
Wir sehen eine solche Verbindung sowohl in dem grossen
alten Tuffbruche bei Altenbürg, als am Heerhof in der Art,
dass die Kalkbreccie zwischen Jurakalk und Tuff eingeklemmt
erscheint und Stücke des Breccienmaterials selbst noch in
den Tuff" mit übergehen. Die Breccienbilduug ging dem-
nach der Ablagerung des Tuffs unmittelbar voraus und ver-
hält sich genau so, wie die ürgebirgsbreccie. Eine höchst
bemerkenswerthe Eigenthümlichkeit dieser Kalkbreccie, an
welche Tuffmassen sich anscliHessen, und zwar nur dieser, ist
ihre grauliche Färbung. Sie rührtvon dem Gehalte des Kalkes
an bituminösen, d. h. organischen Beimengungen her, welche
184 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870. dU
durch eine Erhitzung bis zu einem gewissen Grade verkohlt
wurden. Genau denselben Farbenton nehmen die an sich
weissen oder gelblich weissen Jurakalkstücke aus den nächst
anstehenden Felsen der Schichten mit Ammonites tenuüobatus
an, wenn wir sie künstlich mindestens bis zur Temperatur
der schwachen Rothgluth erhitzen. Wir haben durch diese
Färbung gleichsam einen Thermometer, welcher uns über
den Höhengrad der bei der Bildung der Breccien und des
Tuffs stellenweise herrschenden Wärme Aufschluss ertheilt.
Eine andere höchst bemerkenswerthe Erscheinung, welche
mit dem Vorkommen dieser Breccien verknüpft sich erweist,
bietet sich uns in den Exemplaren von Belemniten, welche
oft mehrfach quer entzwei gebrochen, in den Bruchstücken
etwas seitlich verschoben und wieder zusammengekittet sind.
Solche Brüche zeigen meist gleichzeitlich eine entsprechende
seitliche Verschiebung, so dass förmlich treppenförmige Formen
entstehen. Derartige auffallende Bildungen deuten darauf hin,
dass , wie die JBe?ewin«Ye;i-Einschlüsse, so jeder Theil der
Felsmassen wiederholt einer zertrümmernden Kraft ausgesetzt
war, welche die zerstückelten Felsmassen überdiess noch in
Bewegung setzte, sodass die einzelnen Stücke in ihrer Lage
verschoben wurden. So kann es wohl der Fall sein, dass
manche dieser Breccienbildungen nichts anderes sind, als
völlig zertrümmerte und durcheinander gerüttelte Lager-
massen von Jurakalk, welche durch kalkiges Kittmittel wieder
zu festen Felsmassen verbunden wurden.
Neben diesen Erscheinungen, welche an die Wirkung einer
hebenden dislocirendun Kraft geknüpft gedacht weiden müssen,
treten ebenso unzweideutige Senkungserscheinungen im Ries
auf. Wenn wir Schwammkalk aus den höchsten Lagen der
Ammonites tenuilohatus-^chichten und plumpen Felsenkalk,
der in diesen Gegenden den Dolomit fast ganz verdrängt hat,
nicht nur neben einander lagernd, bondern selbst in gleichem
Horizonte mit Dogger, Lius oder Keuper finden tief unter-
Gümbel: Der RiesvulJcan etc. 185
halb des ihnen nach ihrer geognostischen Stellung in dieser
Gegend zukommenden Horizontes, so können wir an gross-
artigen Senkungen nicht mehr zweifeln. Am augenschein-
hcLsten tritt eine solche Senkung am Nordrande des Rieses
hervor, wo in einem mit dem Rande des Rieskessels fast
gleichlaufenden Bogen von Fremdingen über Schopfloch,
Hausen, Dornstedt bis zum Wörnitzthal Lias, Dogger und
selbst die untere Stufe des Jurakalks durch deutlich er-
kennbare Verwerfungsspalten bis in das Niveau des Burg-
sandsteins des Keupers gegen den Rieskessel zu herab-
gezogen sind, sodass Jurakalk in abnormer Stellung neben
dem unverrückten Keupersandstein liegt. In einer breiten
Zone reihen sich hier Verwerfungen an Verwei fungen bis zum
Nordraude des Rieses an , und es wechseln in schmalen
Streifen die verschiedenen jurassischen Gesteine mit Keuper
ab, es liegen selbst wiederholt ältere Gesteinsschichten auf
jüngeren auf. Auch die früher schon erwähnten, in vielen
Schichtenparthieen beobachteten, dem Innern des Rieses zuge-
wendeten Falhichtungen sind auf Rechnung erlittener Senk-
ungen zu schreiben. Längs des Rande^ der Rieseintiefung
erklären sich solche Einsenkungen auf die natürlichste Weise.
Mag der Rieskessel entstanden sein wie immer, durch Hebung
odor Senkung, so werden sich an den Bruchrändern viele
überhängende oder leicht zu unterwaschende Schichten ge-
bildet haben, die zu Bruch gehend dem Innern des Kessels
zu niederstürzten und dadurch einen Schichteneinfall in dieser
Richtung annahmen. Auch hiedurch gelangen wiederum
ältere Schichten zuweilen auf jüngere.
Haben wir im Vorausgehenden eine Uebersicht über die
geognostischen Verhältnisse der Umgegend des Riesgrundes zu
gewinnen gesucht, so erübrigt nur noch specieller auf die Bildung
der eigentlichen Rieseintiefung einzustehen. Es wäre wohl völlig
unnöthig hier die Bemerkung voranzustellen, dass diese Ein-
tiefung niclit als direkte Folge der zuerst erwähnten Hebungs-
186 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
erscheinungen betrachtet werden könne \ aber es verknüpfen
sich damit gleichwohl Erscheinungen, welche als vorbereiteude
bezeichnet werden müssen. Dass diese Hebung eine gross-
artige Zertrümmerung aller im Umfang des Rieskessels früher
ausgebreiteten Gebilde im Gefolge hatte, wird schon durch
die grossartige Entwicklung der Breccien nachgewiesen. Mit
dem Maas einer solchen Zerstücklung muss aber auch der
Grad der Zerstörung der Felsmassen gleichen Schritt halten.
Jedenfalls hat die Wirkung der oberflächlichen Zerstörung
und der Wasserflutheu einen guten Antheil an der Er-
niedrigung des früher gehobenen Gebirgstlieils gehabt. Wenn
auch die Wörnitz noch nicht ihr jetziges Spaltenthal ge-
wonnen hatte, um Gerolle massenhaft aus diesem Trümmer-
haufen fortzuschaffen, so gab es doch andere Ausflusskanäle,
wahrscheinlich in östhcher Richtung, vielleicht durch die breite
Thalung der Schwab und eine Fortsetzung über Fünfstetten
und Itzing ins jetzige Usaelthal. Auch ist es sogar nicht
unwahrscheinlich, dass ein Wasserabfluss in nördlicher Richtung
dem jetzigen Flusslauf entgegengesetzt zur Altmühl früher
einmal stattfand , deren ungewöhnliche Thalentwicklung
zwischen Gunzeuhausen und der Thaleuge bei Dietfurth für
einen früher beträchtlich grössern Wasserzufluss, als der jetzige
ist, zu sprechen scheint.
Ein solches Fortführen von Schuttmassen hätte aber,
wie grossartig es immer gedacht werden mag, nur bis zur
Sohle der damaligen Wasserrinnsale wirksam sein können.
Diese Schwellen müssen früher aber eher höher, als tiefer, ,
wie heutigen Tages angenommen werden. Nun finden wir i
aber den Rieskessel nicht nur bis zu diesem Niveau, sondern,
wie viele tiefe Bohrungen unzweifelhaft kennen lehrten,
bis zu beträchtlicher Tiefe, stellenweis zu etwa 200 Fuss,
unter diesen Schwellenrand ausgetieft, wenn auch nachträg-
lich wieder durch Tertiärschichten zum Theil ausgefüllt.
Diese Auskesselung unter dem Niveau der jetzigen Thalung
Günibel: Der Riesmükan etc. 187
kann daher auf andere Weise, als durch eine der Hebung
nachfolgende Senkung nicht erklärt werden. Hier stehen
wir nun an dem Punkte, die Mitwirkung einer Thätigkeit
anzurufen, deren grossartige Kraftentfaltung wir bereits
in der Entstehung der weit verbreiteten vulkanischen Tuffe
nachzuweisen versuchten. Wir haben den Zeitpunkt dieser
vulkanischen Thätigkeit, welcher die Tuffbildung entstammt,
früher genauer festgestellt. Können wir für die Zeit der
Rieseintiefung ebenso eine bestimmte geognostische Stunde
ermitteln, und zeigt es sich, dass beide Bestimmungen auf
gleiche Zeiten hindeuten, dann möchte es wohl gestattet
sein, die Entstehung der vulkanischen Tuffe und der Ries-
vertiefung von der gleichen geognostischen Thätigkeit abzu-
leiten, welche sich erwiesener Massen auch heut zu Tage
noch nach beiden Richtungen hin in analogen Wirkungen
äussert. Das ist die vulkanische Thätigkeit, deren Vor-
handensein wir durch den Nachweis vulkanischer Bomben,
Lapilli und Schlacken ganz ausser allen Zweifel gestellt
haben. Ein wirklich thätiger Vulkan war mithin im
Ries vorhanden. Jetzt ist er mit Ausnahme seiner Aus-
wurfsprodukte spurlos verschwunden und dieses Verschwinden
kann nur als Folge einer späteren Rücksenkung in die Tiefe
gedacht werden.
Betrachtet man das Ries in seiner Beschaffenheit im
Untergründe, wie dieser durch die Schächte und Tiefbohr-
ungen nach Braunkohlen bei Dürrenzimmern, Heuberg,
Bettendorf und Ehringen aufgeschlossen wurde, so sehen wir
in demselben grünlich-grautn, z. Th. plastischen Thon wechseln
mit Mergel, bituminösem Thon, Braunkohle und kalkig-tuffigen
Lagen. Die Thonschichten enthalten z. Th. Cypris^ wie die
Süsswasserkalke, die Braunkohlenthone Pflanzenreste. Auch
der Einschnitt einer Kellergrabung auf der Höhe beim
Fuchsbrückl zwischen Deiningen und Nördlingen lieferte
ähnliche Thonlagen und Braunkohlen mit ziemlich gut er-
188 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
haltenen Pflanzeneinschliissen, wie sie gleichgeartet auch in
den Braunkohlenlagen am Riesrande oberhalb Wemding be-
obachtet wurden. Im höchsten Grade auffallend ist das Fehlen
entschiedener und mächtiger fester Süsswasserkalkschichten
in der Tiefe der Riesebene, wie sie der mächtigen Entwick-
lung in den inselartigen Aufragungen und am Riesrande, wo
Süsswasserkalke grosse Hügel in mächtigen Massen über-
decken z. B. am Wallerstein, oder Marienhöhe, Stoffels-,
Spitzberg, Hahneuberg, Wenneberg, Kirchenberg, Überholz,
Mühllteig, Katzenstein u. s. w, entsprechen würden. Nur
kalkreiche ^lergel und mächtige tuffige Kalklagen wurden
aufgeschlossen. Die Cyprissclidlen liegen hier auch nur im
thonigen Gest-in. Das tiefste Gestein, welches bei 200'
gefunden wurde, verhielt sich wie Granitgrus.
Aus diesen Thatsachen ergeben sich wichtige Folger-
ungen. Die Hauptmasse des die Tiefe des Rieskessels aus-
füllenden Braun kolilenthons ist eine mit der Bildung der
Süsswasserkalke der höheren Lagen zwar gleichzeitige
aber heterogene Ablagerung. Diese Schichten liegen horizontal
und lassen nirgends Spuren von Aenderungen in ihren Lagen
bemerken, sie sind erst nach der Einkesselung entstanden,
welche die Eintiefung des Rieses darstellt. Da die Hebungs-
erscheinungen, wie wir gesehen haben, vor der Bildung der
Tuffe und Sandsteine, die Eintiefungen dagegen vor der
Entstehung der Süsswasserkalke stattfanden, so stellt sich
das Ereigniss, welches dem Ries seine letzte massgebende
Form aufdrückte, als nahe gleichzeitig mit der Ablagerung
der vulkanischen Tuffe heraus und es dürfte demnach kaum
als gewagt anzusehen sein, die Entstehung des Rieskessels einer
Rücksenkung in I olge jener durch die Eruption der vulkani-
schen Asche, Lapilli und Bomben erwiesenen vulkanischen Ele-
mente zuzuschreiben. Wo jener jetzt verschwundene Eruptions-
mittelpunkt zu suchen sei. darüber können nur Vermuthungen
aufgestellt werden. Am wahrscheinlichsten lag derselbe
Crünibel: Der EiesvulJcan etc. 189
nahe im Mittelpunkt des fast kreisförmigen Gebirgsaus-
schnittes, welcher in der Form des Rieses sich bemerkbar
macht und auf den auch die ringsum ständig wechselnden
Streich- und Einfallsrichtungen der dislocirten Schichten, ob
dieselben einwärts oder auswärts geneigt sind, hinweisen.
Dieser Mittelpunkt wäre in der Gegend von Klosterzimmern
zu suchen, in dessen Nähe unbedenklich die grösste Ein-
tiefung vor der Schwellenspreugung bei Harburg gesucht
werden muss. Denn sehen wir einen Augenblick ab von
dem gegenwärtigen Abzug des Wassers durch die Wörnitz
und suchen uns ein Bild zu schaffen von der Vertheilung
der Wasseradern vor dem Durchbruch der Wörnitz, so lässt
die radienförmige Richtung der kleineren Seitenbäche in
der Umgebung des Rieses einen entschiedenen Gesammtzug eben
nach der bezeichneten Gegend des Rieskessels durchschimmern.
Auch trifft die Verbreitung der Braunkühlenablagerungen im
Ries hauptsächlich auf jene ursprünglich tiefste Gegend
zwischen Deiniugen, Heuberg, Schwörsheim, Wechiugen, nach
welcher der Zug der kleineren Bäche gerichtet ist. Dass
sich dieser Lauf der Gewässer nach der Durchbrechung des
Dammes bei Harburg zu Gunsten der Richtung des Haupt-
wasserabzugkanals durch die Wörnitz jetzt vielfach geändert
zeigt, bedarf keiner näheren Erläuterung.
Was im Ries noch besonders auffällt, ist die Art der
theilweisen Ausfüllung der früheren kesseiförmigen Eintiefung.
Hier tritt uns die Gesteinsbildung innerhalb der Ebene des
Rieses und jene auf den inselartigen Hügeln und am Rande
derselben in sehr verschiedener Weise entgegen. Um zuerst
jene uachjurassischen Ablagerungen zu erwähnen, welche von
meist saudig-quarziger, theilweise thonig-sandiger Beschaffen-
heit sind, und insbesondere ihren eigenthümlichen Charakter
in der Bildung von äusserst harten Quarzsandsteinen — sog.
Brauukohlensandsteinen, glasirten Sandsteinen — besitzen, so
zeichnet sich die Umgegend des Rieses vor den anderen an die
190 Sitmng der math.-phys. Olasse vom 5. Februar 1870.
Donau angrenzenden Gegenden des Juragebirgs höchstens
durch die grössere Verbreitung dieser saudigen Gebilde aus.
Zu denselben gehört auch der durch Eisenoxjd röthlich ge-
färbte und durch den Einschluss gröberer Quarzkörner dem
Porphyr-ähnliche Sandstein im Jungholz auf dem Stettberg
bei Harburg, welcher von Schnitzlein und Frickinger
früher als wirklicher Porphyr angesprochen und auf der
Karte eingezeichnet wurde. In gleiche Kategorie stellen sich
auch manche sandige und kieselreiche Eisenerz- und Bohnerz-
ablagerungen auf dem JurajDlateau der fränkischen Alb. Doch
fehlt es hier auch nicht an zahlreichen Kalkabsätzen mit
Land- und Süsswasserschneckeu, oft mit Bohnerzen in un-
mittelbarer Zusammenlagerung, welche über das Eichstätter
Gebirge, ja selbst bis über diejurassischen Berge ins Keupergebiet
hineinragen, wie z. B. auf dem Bubenheimer Berg bei Gunzen-
hausen und in dem Steinbruch des durch seine zahlreichen Knochen-
eiuschlüsse berühmten Süsswasserkalks bei Georgsgemünd. Es
muss demnach eine über einen grossen Theil der Alb bis
nach Burglengenfeld hin hereinragende, jung tertiäre Wasser-
überdeckung angenommen werden, welche von der Donauseite
her vielfach buchtenartig in das Juragebirge einschnitt. ^^) Einen
nähern Nachweis hierüber zu geben, ist hier nicht die Ab-
sicht. Es genügt an diese Thatsache zu erinnern, um etwa
dem Auftreten von sandigen und kalkigen Gebilden im Ries
selbst den Charakter des Aussergewöhnlichen, welchen das-
selbe für den ersten Augenblick zu haben scheint, zu nehmen
und mit einer allgemeinern geognostischen Erscheinung der
fränkischen Alb in Zusammenhang zu bringen. Die als Aus-
füllungsmassen in und am Ries entwickelten Gesteinsmassen
gehören mithin einem Kreis von weit verbreiteten Ablager-
ungen an, sie weisen gleichwohl Abweichungen auf, welche
13) Geog. Beschreib, d. Alb. Grenzgebirgs. S. 791.
Oümbel: Der Eiesvtilkan etc. 191
sie von jenen scheiden und in der Eigenthümlichkeit der
speziellen Verhältnisse des Rieskessels begründet sind. Hierher
gehört in erster Linie, abgesehen von den vulkanischen Tuf-
fen, deren Natur im Vorausgehenden bereits näher erörtert
wurde, die Art der Süsswasserkalkablagerungen auf den insel-
artigen Aufragungen in dem Ries und z. Th. auch am Innen-
rande desselben. Wir haben die Reihenfolge vom Urgebirge
oder älterem Sedimentärgestein als Basis solcher Ablager-
ungen, zu der darauffolgenden Sand- und Süsswasserquarz-
Bildung, den Breccien, und vulkanischen Tuffen bis zum
Süsswasserkalk bereits namhaft gemacht und erwähnt, dass
eine diesem Süsswasserkalk genau entsprechende Kalkmasse in
der Tiefe der Riesausfüllung fehlt. Dieser Kalk beschränkt sich
der Hauptsache nach auf die Riesinseln und den Riesrand.
Hiermit ist eine Eigenthümlichkeit der Kalkbildung angedeutet,
welche verbietet anzunehmen, dass sie als eine einfache Se-
dimentbildung aus einer seeartigen Wasseranstauung, wie
man bisher allgemein annahm, anzusprechen sei. Betrachtet
man die Kalkmassen selbst näher, so bemerken wir in Ueber-
einstimmung mit dieser Folgerung, dass eine deutliche, regel-
mässige und über grössere Strecken gleichbleibende, mehr
oder weniger horizontale Schichtung bei diesen Kalkmassen
an den meisten Stellen fehlt, und dafür eine eigenthümliche
schalenförmige üeberrindungsschichtung eintritt, ähnlich wie
wir eine solche bei grossen Kalktuffablagerungen finden. Nur
an vereinzelten Stellen und hauptsächlich in den tieferen
Lagen macht sich eine bankweise Absonderung, welche als
Folge direkter Sedimentirung gedeutet werden kann, geltend.
Auch das Poröse und Tuffartige des Kalks, das Vorkommen
von Tropfstein -ähnlichen Zapfen, Zacken und Rinden, von
Zusammenhäufuugen feiner Röhrchen, welche wie Ueberrind-
ungen von Pflanzen — Algen und Gräser — sich verhalten,
das Alles erinnert so lebhaft an Kalktuff bildungen der Ge-
genwart, dass wir den Bildungs-Vorgang dieser eigenthüm-
192 Sitzung der math-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
liehen Rieskalke kaum anders, als jenem analog uns denken
können, durch welclien der Kalktuff heutzutage aus Quell-
wässeru ausgeschieden wird. Wir glauben sogar nicht selten
ganz die Ercheinung wiederzuerkennen, welche die sog. Sprudel-
schalen darbieten, da wo oft dünne gewölbähnlich geformte
Decken dichten festen Kalks über weiche, poröse, durch die
atmosphärischen Einflüsse oft völlig aufgelockerte und fortge-
führte Kalkmassen sich ausspannen. Gleicnwohl aber um-
schliessen diese KalkeWasserthierüberreste in Unzahl: Paludina
od. Lüorinella acuta \i. Cyprisfaha, neben verschiedenen Arten
von Helix und 3ielanopsis. Namentlich giebt es ganze Bänke,
die fast nur aus C?/pns-Schalen bestehen, andere, in welchen
die Algen-artigen Incrustationeu besonders häufig sind, ent-
halten Paludinen in grösster Menge. Dieses Vorkommen
schliesst die Entstehung Jer Kalkmassen weit über dem Hori-
zont eines stagnirenden Wassers durch Quellen, welche etwa am
Ufer emporgedrungen wären, aus und macht es wahrscheinlich,
dass sie an seichten Uferstellen in der Nähe des Landes oder
auf Inseln, die vielleicht als Untiefen nicht ganz über den
Wasserhorizont hervorragten, gebildet wurden. Dass hier
von keinen allgemeinen Niederschlägen aus dem Seebecken
die Rede sein kann, beweist der Maugel an bedeutenden
Kalklagen in dem die Tiefe des Rieses ausfüllenden Schichten-
system. Vielmehr scheint es wahrscheiuhch, dass das Material
Quellen entstammte, welche besonders reich aa kohlensaurer
Kalkerde waren. Diese Vorstellung schliesst nicht aus, dass der
Absatz des Kalks nach Art des Kalksiuters, Schale auf Schale
aufbauend bald in mehr horizontalen Lagen, bald hoch in Ge-
wölben bis über das Niveau des Süsswassersee's fortdauerte
und dass auf solche Weise kegelförmige Kalkkuppen und Kalk-
1 iffe im See entstanden, indem der Ausfluss der Quelle mit der
Erhöhung der Kalksinterbildung gleichfalls sich höher stellte.
Noch glaubt man zuweilen, wie an dem mächtigen Fels von
Wallerstein, die Kanäle erkennen zu können, durch welche
Gütnbel: Der EiesviMan etc. 193
die Quellen durch die Kalkmasse aufwärts gestiegen sind.
An manchen Stellen mag die Kalkausscheidung direkt am
Ufer in sumpfiger Gegend erfolgt sein, oder doch bald mit
dem Ufer zusammengewachsen sein, oder wohl auch,
wo Cijiyris und LitorineUa fehlen, von Anfang an sogleich
auf dem Festland stattgefunden haben. Solche Vorstellungen
passen sehr gut zu dem Einschluss von Vogelresten
und Nagerknochen, welche im Rieskalke des Hahnenbergs
gefunden werden. Im Ganzen müssen diese an gelöstem Kalk
so sehr reichen Quellen als Mineralquellen betrachtet werden,
mit deren Wassererguss höchst wahrscheinlich auch Kohlen-
säure in grosser Menge mit ausströmte. Es genügt hier
anzudeuten, wie nahe es liegt, den Ursprung solcher Quellen
mit den vulkanischen Erscheinungen in der Riesgegend in
Zusammenhang zu bringen. Zu einer gleichen Annahme, dass
der Kalk hauptsächlich durch das Hervortreten gewisser
Arten von Mineralquellen gebildet wurde, führt uns auch
mit zwingender Nothwendigkeit die Zusammensetzung des
Süsswasserkalks selbst. Schon Röthe hat in seinen schönen
Untersuchungen^*) über die chemische Zusammensetzung der
in der Riesgegend vorkommenden Kalke und Dolomite bei
dem Tertiärkalk den hohen Gehalt an kohlensaurer Bitter-
erde und damit die dolomitische Natur nachgewiesen. Röthe
fand in dem Kalkstein vom Fuchsberg bei Nördlingen :
Kohlensaure Kalkerde .... 68.621
Kohlensaure Bittererde .... 28,647
In Salzsäure unlöslicher Theil . 0,980
Glühverlust 1,671
99,919
Dieser Gehalt entspricht am nächsten einer Zusammen-
setzung aus 2 Ca U und 1 Mg C.
14) 9. Jahresbericlit des naturhist. Vereins in Augsburg für 1367.
S. 75.
[1870. L 2.] 13
194 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
Um die allgemeinere Verbreitung dieser dolomitischen
Natur bei dem Rieskalke noch bestimmter nachzuweisen, liess
ich eine Probe des Kalks von dem isolii teu Fels der Marien-
höhe bei Nördlingen (I) und von der allerhöchsten Felsspitze
des Wallersteins — diese noch mit Litorinellen — (II) durch
Hrn. Dr. Loretz untersuchten. Die Analyse lieferte folgendes
Ergebniss :
ISüsswasserdolomit von II. Süsswasserkalk von
dem isolirten Felsen der dem höchsten Theil des
Marienhöhe bei Nord- Felsen von Wallerstein.
lingen.
Kohlensaure Kalkerde .
65,21
95,20
Kohlensaure Bittererde .
32,57
1,90
Kohlensaures Eisenoxydul
0,81
0,60
In Salzsäure unlöslicher
Rückstand ....
1,30
1,20
99,89 98,90
Das Verhältniss zwischen kohlensaurer Kalk- und kohlen-
saurer Bittererde in dem Gestein von der Marienhöhe nähert
sich dem Verhältniss 3 CaO 00^ + 2 MgO CO^ in der Art,
dass man das Gestein in der entsprechenden Wt^ise zusam-
mengesetzt annehmen darf. Indessen kommen auch, wie die
Analyse des Gesteins von Wallerstein lehrt, mehr oder weniger
reine Kalkfelsbildungen vor.
Es ist wohl nicht anzunehmen, dass die jungen Kalk-
massen des Felsen auf der Marienhöhe, welche frühzeitig
aus der W^asserbedeckung gelangten und ringsum kein höheres
Gebirge zur Nachbarschaft haben, erst nachträglich den Ge-
halt an kohlensaurer Bittererde aufgenommen haben. Es ist
in diesem speziellen Falle kein vernünftiger Grund aufzufinden,
diese Süsswasserdolomite für etwas anderes, als ursprüngliche
Absätze anzusprechen. Dieser Charakter scheint den gleich-
alterigen Ablagerungen am Nordrande der Donau über weite
52,64
55.66
42,90
42.84
0,91
0,90
4,45
0.50
Giimbel: Der Biesvull-an etc. 195
Strecken eigen zu sein, denn G. Leube'^) erwähnt bereits
einen tertiären Süsswasserdolomit von Dächingr-n bei Ulm,
dessen Lagerungsverhältnisse ich ähnlich, vrie die der Tertiär-
kalke am Riesrande fand. In verschiedenen Lagen enthält
dieser kreideartige Dolomit von Dächingen ^^)
Kohlensaure Kalkerde 56.12 58,45
Kohlensaure Bittererde 36,12 29,19
Kohlens. Eisenoxjdul 1,06 0,61
Thon 6,70 11,75
Die Betheiligung der kohlensauren Bittererde an der
Zusammensetzung dieser dolomitischen Gesteine wird leicht
begreiflich, wenn wir. wie im Ries nachgewiesen wurde, die
Kalkablagerungen als aus Mineralquellen entstanden, betrach-
ten dürfen.
Für den Bestand solcher Mineralquellen im Ries ent-
deckte ich einen handgreiflichen Beweis in dem grossen Süss-
wassersteinbruch am Spitzberg, in welchem die schalige Aus-
bildung des Kalks ganz besonders schön zu beobachten ist.
Ich fand nämlich eine Spalte im Kalke aufgeschlossen, deren
Wandung mit einer dicken Rinde von in mehreren Lagen
über einander abgesetztem Brauneisenstein bedeckt sich zeigte.
Nach oben erweiterte sich der Kanal zu einer umgekehrt
kegelförmigen Vertiefung, welche mit anscheinend ockrigem
und derbem Brauneisenstein ausgefüllt war. Das Ganze lässt
kaum einen Zweifel, dass diese Ausfüllungsmasse als ein
Absatz aus einer durch die Spalte aufgestiegenen, eisenhaltigen
Quelle zu betrachten sei. In diesem Absatz von mulmigem
Brauneisenstein fand ich nun kopfgrosse Ausscheidungen von
pechähnhch glänzendem Eisensinter, dem Pittizit ähnlich,
hauptsächlich aus arsensaurem Eisenoxyd bestehend. Die
15) Neues Jahrb. von L. und Bronn. 1840. S. 372.
16) Geogn. Besch. d, Umg. v. Ulm von G. Leube 1839.
18*
196 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
Bildung dieses sonst seltenen, meist nur auf Metallerzgängen
neben Arsenverbiudungen bekannten Minerals aus früher vor-
handenen Arsenikeisen ist hier vollständig undenkbar. Dagegen
sprechen alle Umstände des Vorkommens, der noch sichtbare
Quellkanal und die Art der Absätze, die ganz dem einen
Quelle gleichkommt, dafür, dieses Mineral mit dem ockrigen
Brauneisenstein als Erzeugniss eines Mineralwassers anzu-
sprechen, analog dem an vielen Orten nachgewiesenen Arsenik-
gehalte der von Eisensäuerlingen abgesetzten Ockerkrusten
z. ß. von Rippoldsau, Lamscheid im Broklthal, Cannstadt,
Ems, Schwalbach, Wiesbaden, Pyrmont u. s. w.^'') Mit der
Ablagerung des Süsswasserkalkes hatte die Gesteinsbildung
im Ries ihr Ende noch nicht gefunden. Auch die Quartär-
periode hat ihren Autheil au der fortschreitenden Veränderung
der Erdoberfläche in diesem Gebietstheile genommen. Eine
mächtige braune Schlammschicht, welche sich innerhalb der
ganzen Riesebene über dem tertiären Untergrund in hohen
Lagen ausbreitet, und selbst über die liöheren Hügel, wenn
auch minder mächtig hinüberreicht, begründet wesentlich den
Segen der Fruchtbarkeit, dessen sich das Ries in so hohem
Grade erfreut. Dieser Schlamm entspricht in seiner jetzigen
Beschaffenheit nach allen Beziehungen ganz genau demLöss.
Er besitzt nicht bloss ganz dieselbe braune Farbe, die Eigen-
thümlichkeit der vertikalen Abblätterung, des Einschlusses
von braunen oder schwarzen Kuöllchen aus Eisenoxydhydrat
17) Nach der im ehem. Lab. des hiesigen Polyt. durcLHrn. Putz
vo^genommenen Analysebesteht dieser Pittizit aus Arsensäure 31,3;
Eisenoxyd 28,0; Kalk 10,0; Wasser 26,0; Mg 0,08; Ba 0,15 in Salzs.
unlösl. 2,6 ; Verlust und Kohlens. 1,90 zus. 100,00. Ausserdem fand
ich einen namhaften Vanadiugehalt, einen Gehalt an durch I]ssigs.
zersetzbaren Ca. CO,"(2,28°/o) etwas Phosphorsäure und dem Eückstande
(bis 6°/o) hauptsächlich aus eisenhaltigem Thon bestehend.
Gümbel: Der Biesvulkan etc. 197
und Manganoxyd bestehend, ebenso auch von grösseren, oft
bohlen Kalkknollen, die unter demNamenLösskindchen bekannt
sind, wie im rheinischen Löss, sondern lässt auch, wie letzterer,
eine eigentliche Schichtung veruiisseo, und giebt nur durch
bankweise wechselnde Farbenunterschiede die Natur
einer Sedimentbildung zu erkennen. Seine physikalischen
Eigenschaften sind im üebrigen genau die des Lösses. Auch
enthält er dieselben oiganischen Einschlüsse, wenn auch nur
in zwei Arten Succinea ohlonga und Piqxt muscorum^ aber
diese in grosser Menge. Endlich liegt er, wie am Stoffels-
berg zu sehen ist, auf Geröll auf, welches unbedenklich als
quartcäres angesehen werden darf. Der Rieslehm ist mithin
unbezweifelt dem Rhein- und Donaulöss gleichzustellen, wenn
auch seine chemische Zusammensetzung etwas abweicht. Wir
verdanken Prof. Röthe in Nördlingen^^) eine Analyse des
Lösses von einer Stelle oberhalb der Eisenbahnbrücke bei
dem Bahnhof von Nördlingen. Derselbe besteht nach dieser
Analyse aus
Kieselerde 65,395
Thonerde 18.403
Eisenoxyd 5,842
Kalkerde 0,459
Kohlens. Kalkerde 1,481
Bittererde 1,620
Kali 0,872
Natron 1,113
Glühverlust 4,503
99,688
Hier ist die geringe Monge Kalkerde gegenüber der
Ausscheidung von Kalkknollen um so auffallenderjals das Ries
rings von Kalkfclsen eingeschlossen ist. Aus diesem Grunde
veranlasste ich Ilrn. Röthe zur Vornahme von Analysen
18) Schulprogramm der Landw. u. Gew. in Nördlingen 1864.
198 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
des Lösses aus verschiedenen Lagen einer Lehmgrube
zwischen der Marienhöhe und dem Todteuberg beiNördlingen,
deren Resultate ich durch dessen Güte bereits mittheilen kann
l. Unterste gelbe Lage;
IL etwas höhere, röthliche sandige Lage;
IIL oben
i gelblich-braune
Lage;
IV. oberste tiefb
raune Lage unmittelbar unter der
Ackererde ;
V. LÖSS
aus der
Ziegellehmgrube
bei M. Offii
igen.
L
II.
III.
IV.
V.
Kieselsäure
61,166
66,066
60,066
66,500
66,500
Thonerde
12,833
12,900
11,933
14,433
13,600
Eisenoxjd
3,900
5,266
3,733
4,913
3,400
Kalk
1,479
2,600
2,439
1,466
2,600
kohlensaure
Kalkerde
9,502
—
9,513
—
—
Bittererde
1,201
1,613
2,186
1,800
2,450
Wasser
7,176
10,963
7,410 1
Hnmus \'^)'J ' '
9,218
Alk. Phosphors
;.
Sand U.Verlust
1,833
.00,000
0,592
100,000
2,720
100,000
0,911
100,000
2,232
1
100,000
Die Resultate dieser Untersuchung
: erklären nun völl-
ständig die frühere Analyse, da es sich zeigt, dass die verschie-
denen Lagen im Löss eine merklich verschiedene Zusammen-
setzung besitzen und schichtenweise fast frei von kohlen-
saurer Kalkerde sind. Dasselbe gilt von der 5. Probe, zu
welcher ich das Material aus der Lehmgrube bei M. Offingen
gesammelt hatte. Hier enthält der Löss keine Conchylien
und keine Knöllchen.
Herr Prof. Röthe hat auch die Kalkknollen (Löss-
kindchen) aus der untersten (I) und mittleren Lage (III)
derselben Lehmgrube, sowie die kleinen Bohnerz-ähnlichen
Körnchen, welche oft stahlblau gefärbt einen grossen Gehalt
Gümlel: Der Eieimdkan etc. 199
an Mangan vermuthen Hessen, gleichfalls aus derselben Lehm-
grube analysirt. Sie bestehen demnach :
I ni
In Salzsäure unlöslichen Rückstand
(Thon) 24,620 23,700
Durch Salzsäure zersetzt:
Kieselerde 0,120 0,100
Thonerde und Eisenoxyd . . 0,300 0,500
Kohlensaure Kalkerde . . . 73,700 74,740
„ Bittererde . . . 0,861 1,134
Phosphors., feucht u. Verlust. 0,399 —
100,00 100,000
Diese Lösskindchen des Rieslösses bestehen demnach,
da der durch Salzsäure unzersetzte Theil der beigemengten
Lösssubstanz angehört, wesentlich aus kohlensaurem Kalk mit
etwas kohlensaurer Bittererde, verunreinigt durch Lössthon.
Die Bohuerz-ähnlichen, Mangan-haltigen Körnchen zeigten
sich dagegen zusammengesetzt aus :
1) in Schwefelsäure löslich:
Kieselerde 0,381
Manganoxydul .... 2,594
Kalkerde 0,407
Bittererde 1,143
Eisenoxyd 28,084
Thonerde 8,217
2) der in Schwefelsäure nicht lösliche Rückstand
Kieselerde 46,807
Thonerde 2,035
Eisenoxyd 0,687
Manganoxyd Spuren
Glühverlust 10,959
101,316
Sie gehören mithin in die Kategorien der Quellerze oder
200 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Februar 1870.
Sumpferze, zeichnen sich aber von dieser durch ihren hohen
Gehalt an Mangan besonders aus.
Mit der Ablagerung des Quartärgerölls, welches, wo es
vorkommt, unmittelbar auf Süsswasserkalk oder älterem
Gestein aufruht, und der Beschaffenheit nach mit dem Geröll
des Donauthales Aehnlichkeit besitzt, war die direkte Ver-
bindung des Rieskessels mit der Donauthalung eingeleitet
und es scheint der völlige Abfluss der Wasseranstauung erst
nach der Diluvialzeit eingetreten zu sein. Es ist in hohem
Grade merkwürdig, dass die Sage von Ringen spricht, welche
im Felsen des Wallersteins zum Anbinden von Fahrzeugen
befestigt gewesen sein sollen. In dieser Richtung Hess sich
nur sicher stellen, dass alluviale Ablagerungen, Flusssand
und schwarze moorige Erde auf aie nächste Gegend der
Wörnitz in geringer Höhe über den gewöhnlichen Wasser-
stand beschränkt sich zeigen, was jedoch eine höhere Wasser-
anstauung noch in der historischen Zeit nicht gerade aus-
schliesst. Die schwarze moorige Erde, welche sich auf die
Niederung der Wörnitz beschränkt, verhält sich ganz so,
wie der feine an organischen Einschlüssen reiche Schlamm,
wie er beim Ablassen von Teichen dem letzten Wassertümpel
nachzieht und zum Absatz gelangt. Diess scheint die letzte
Ablagerung gewesen zu sein, mit welcher das Ries aus einem
früheren See in ein reiches Fruchtland sich verwandelte und
dem Menschen eine herrliche Wohnstätte bereitete, deren gün-
stiger Einfluss sich auch in der körperHchen Entwicklung und
geistigen Begabung der Riesbewohner deutlich abspiegelt.'^)
18) Bei Corr. dieser Zeilen erhalte ich Deffners interessanten
Aufsatz „der Buchberg bei Bopfingen." Obwohl ich schon während
meiner Untersuchung im Ries mit der hier entwickelten Ansicht
bekannt war, konnte ich gleichwohl nirgends eine sie bestätigende
Tbatsache feststellen; vielmehr ergab sich mit zwingender Nöthigung,
alle die zahlreichen gestreiften und iiolirten Rutschflächen als Dislo-
kationserscheinungen aufzufassen.
Plath: Qttellen der alten chines. Geschichte. 201
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 5. Februar 1870.
Herr Plath übergibt die Fortsetzung seiner Abhandlung :
„Ueber die Quellen der alten chinesischen
Geschichte, mit detaillirter Analyse des
Sse-ki und J-sse."
5) Die Nachfolger Wu-wang's bis zum Verfalle der
Kaisermacht (1115— 720 v. Chr.).
Der Schu-king enthält über diese Zeit nur wenige
Dokumente; aus Tsching-wang's Regierung zwar mehrere,
aber noch aus der Zeit der Regentschaft Tscheu-kung's, die
wir früher schon angeführt haben , aus der Zeit seiner
Selbstregieruug nur 2: V, 21 Kiün-tschin, einen Erlass
an diesen Nachfolger Tscheu-kung's im Gouvernement von
Lo-yang und V, 22 Ku-ming; dieses betrifft schon des Kaisers
Tod, sein Testament und seine Bestattung. Aus der Regierung
seines Nachfolger Khang-wang (1078 — 52) sind auch nur
2 da : V, 23 Khang-wang tschi kao, Erlass von Khang-
wang und V, 24 Pi-ming Befehl an (den Vasallenfürsten von)
Pi. Aus der Zeit des folgenden Kaisers Tschao-wang
(1052 — 1001) ist kein Dokument da; aus der seines Nach-
folgers Mu-wang (1001—946) gibt es nur 3: V, 25 Kiün-
ya, ein Erlass an diesen Grossbeamten, V, 26 Kiung-ming,
Befehl an (? einen Vasallenfürsten) Kiung und V. 27 Liü-hing,
eine Strafverorduung an (den Fürsten von) Liü. Aus der
Regierung der 7 folgenden Kaiser : Kung-wang (946 — 34),
Y-wang (934—909), Hiao-wang (909—894), Ye-wang
202 Sitzung der philos.-pMöl. Classe vom 5. Februar 1870.
(894—878), Liwang (878—827), Siuen-wang (827—781)
und Yeu-wang (781 — 770) gibt es gar keine Dokumente;
aus der Zeit seines Nachfolgers Ping-waug (770 — 19) nur
nochlrV, 28 Wen-heu tschi ming, Befehl an (den Fürsten)
Wen-heu (von Tsin 780—46). Die beiden letzten Dokumente
des Schu-king betreffen nur Vasall enfür st eu: V, 29 Mi-
Bchi ist ein Erlass von Pe-kiu von Lu, dem Sohne Tscheu-
kung's (1115 — 1063) aus Anlass seiner Ex^jedition gegen
Mi und V, 30 Thsin-schi, ein Erlass (des Fürsten) Mu-
kung (659 — 21) von Thsin (in Schen-si, schon aus der
Zeit des Tschhün-thsieu). Damit endet der Schu-king.
Verloren sind nach der Vorrede auch keine weiteren Ur-
kunden.
Der Schi-king enthält viele Gedichte, die auf Tsching-
wang bezogen werden und zum Theil von Tscheu-kung
verfasst sein sollen, doch gehen sie wohl auf die frühere
Periode seiner Regentschaft oder sie verherrlichen nur die
Gründer der Tscheu ; so IV, 1, 1, IV, 1, 3, lu. s. w.; wir haben
sie oben S. 81 schon erwähnt. Die folgenden Kaiser werden
nicht genannt, noch wird auf sie auch nur angespielt, bis
auf Li-wang (878 — 41) und Siuen-wang (827 — 781),
unter welchen der Verfall der Kaisermacht eintrat. Auf
jenen bezieht man den Tadel III, 2, 9 u. 10 und III, 3, 1
u. 3; auf diesen II, 3, 4 u. 3 p. 280; III, 3, 8 p. 308, 9,
5 u. 6 (p. 306), 7 u. 4 (p. 306) ; II, 3, 4, 5 u. 6 (p. 280) ;
II, 3, 7 (?) 8 u. 9 ; II, 4, 1 u. 3 (p. 282) und II, 4, 5. III, 3,
lOu. 11 sollengegen Yeu-wang (781 — 70) und die Pao-sse
gerichtet sein, ebenso II, 4, 7, 8 und 9, nach Andern aber
ersteres auf Huan-wang's Zeit (seit 719—696) gehen (la
Charme p. 283), auf Yeu-wang's Zeit auch II, 5, 3, 4, 5 u.
6 (nach la Charme p. 287 geht II, 5, 4 aber auf das Reich
Tscking zur Zeit des Tschhüu-thsieu) , dann II, 6, 4 ; II, 7, 6 u.
III, 3, 2 sollen von Wu-kung von Wei (812—758 V Chr.) sein.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 203
Indess werden die Kaiser hier selten genannt, nur die Ausleger
sehen Satiren und Anspielungen auf sie und ihre Zeit darin, die
aus der Zeitgeschichte mehr einer Erläuterung bedürfen, als
dass sie als Quelle derselben gelten könnten.
Confucius und Meng-tseu betrachteten Li-wang und
Yeu-wang als die, von welchen der Verfall der Prinzipien
der D. Tscheu ausging, — wie vor in uns. Hist. Einleit. zu
Confucius Leben S. 401 (53) bemerkt haben, — doch ohne
in ein Detail einzugehen.
Confucius Zeitgenosse Tso-schi hat in seinem Kue-iü
in dem ersten Abschnitte Tscheu-iü C. 1 zehn Dokumente
aus der Regierung von Mu-, Kung-, Li-, Siuen- und Yeu-
wang. — Diese werden immer nur nach den Anfangsworten
bezeichnet , wo die allein unverständlich sind , deuten wir
den Inhalt anderweitig an; es sind folgende: Mu-wang
tsi'ang tsching Kiueu-Jung, d. i. Mu-wang will die
Hunde-Jung (einen Barbarenstamm) bekämpfen. Der Kue-iü
gibtMeu-fu's Vorstellung dagegen. Kung-wang yeu iü King
schang, d. i. Kung-wang (sein Sohn) reiset auf dem King-
(flussej. Li-wang nio, kue jin pang wang, d. i. Li-
wang ist grausam (847), des Reiches Leute schmähen den
Kaiser; Li-wang yue Yung-i-kung, d. i. Li-wang hat
Gefallen an Yung-i-kung (einen seiner Favoriten); Tschi
tschi loen, d. i. die Unruhen Tschi's. Siuen-wang tsi
wei pu tsi tsien meu. d. i. Siuen-wang, als er den Thron
bestiegen, beackert nicht die 1000 Morgen (meu) (816; er
wollte die bekannte Ackerceremonie nicht vollziehen, s. Gaubil
Tr. p. 39). Lu Wu-kung i Ko iü Hi kien wang, d. i.
Lu's (Fürst) Wu-kung besucht mit (seinen Söhnen) Ko und
Hi den Kaiser (Siuen-wang). Gegen den Rath seines Mi-
nisters ernannte der Kaiser dessen Jüngern Sohn zum Nach-
folger in Lu. Dieser (Y-kung) wurde aber bald getödtet
und sein älterer Bruder Fürst. Gegen den (Pe-yü) zog der
204 Sitzung der philos.-philol. Glosse vom 5. Februar 1870.
Kaiser und setzte auf Empfehlung Hiao-kung, Y-kung's Jüngern
Bruder, ein (805); vgl. Maiila T. II p. 38—41. Siuen-wang
liao min iu Thai-yueu. (Nach der Niederlage seines Heeres
durch die Klang- Jung) stellte Siuen-wang (789 gegen
den Rath seines Ministers) eine Volkszählung in Thai-yuen
an. Yeu-waug san nien Si-Tscheu san tschuen kiai
tscheu, d, i. (unter) Yeu-waug Ao. 3 (798) bewegten sich
die 3 Flüsse (der King, Wei und Lo) iu West-Tscheu. Die
folgenden Abschnitte gehen schon auf die Zeit des Tschhün-
thsieu. Man sieht, das sind nur wenige vereinzelte Do-
kumente.
Der Sse-ki K. 4 f. 13 v. — 23 ist über diese Regier-
ungen sehr kurz und hat wohl nur wenig andere Nachrich-
ten vor sich gehabt, als die des Schu-king, Schi-king und
Kue-iü.
Das Bambubuch p. 147 — 158 gibt noch einige Eiu-
zelnheiten, namentlich aus der Geschichte der Vasallenfürsten,
erwähnt einige Naturphänomene, Palastbauten; unter Mu-
wang hat es ein weiteres Detail über seine Kriegszüge nach
Westen und Norden, namentlich die Note p. 151; die Flucht
Kaiser Li-wang's, die Regentschaft von Tscheu- u. Schao-
kung, die seinen kleinen Sohn retten und dann auf den
Thron erheben, wird hier, wie im Sse-ki, erwähnt, sowie
auch das Auftreten der Pao-sse unter Yeu-wang.
Der I-sse B. 25 — 28 sammelt nun alle Nachrichten,
welche diese und andere spätere Quellen etwa bieten.
B. 25 Tsching, Khang ki schi, handelt zunächst von
Tsching- (1115—1078) und Khang-wang (1078—1052).
Ausser den Stellen des Schu-king, Schi-king und Sse-ki findet
man unter jenem noch angebliche Gespräche des Kaisers mit
Yo-tseu über den Weg oder die Principien (Tao), das Reich zu
erheben, aus dem Sin-schu und aus dem Schue-yuen ein Ge-
spräch mit Yu-i über die Regierung , dann noch einige
Stellen aus Liü-schi's Chronik, aus dem Han-schi uai-tschuen,
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 205
und Kin-pao über Geschenke, die ihm von den Yuei-tschang^')
(in Kiao-tschi oder Cocliiuchina) gebracht wurden und andere
ähnliche, auch einige Wundergeschichien aus dem Sin-iü. dem
Ku-kin-tschü. dem Sung-fu-sui-tschi. dem Lün-heng, Scho-i-
ki, Ho-i-ki und dem Tscheu-schu. Ueber Khang-wang gibt
er nur was der Schu-kiog, Sse-ki u. das Bambubuch haben und
dann noch eine Stelle aus dem Heu-Han schu.
B. 26 hat den Titel Mu-wang ming kuan hiüu hing,
Mu-waug erlässt an die Beamten ein Strat'edikt. Vorher
gehen aber noch einige Nachrichten über Tschao-wang
(1052-1001), ausser dem Sse-ki und dem Bambubuche aus
dem Thsu-tse tschü, der Chronik der Kaiser und Könige, der
Chronik von Liü-schi, dem Tao-kien-lo und Schang-schu-
tschung-heu. üeber Mu-wang (1001—946) ist er ausführ-
licher. Ausser den Nachrichten des Schu-king, Kue-iü, des
Bambubuches und Sse-ki hat er namentHch detaillirte Nach-
richten über dessen angebliche Züge nach Westen und
Norden, zum Theil mit Wundern ausgespickt nach dem
Scho-i-ki und Ho-i-ki, Lie-tseu, Po-voe-tschi, Siün-tseu, Schi-
tseu, dem Heu-han schu und Tscheu-schu ; dann nimmt er
ganz auf ein besonderes Werk: Mu thien-tseu tschuen,
d. i. die Ueberlieferung vom Himraelssohne (Kaiser) Mu,
welches seine Züge nach Westen und Norden im Detail
berichtet. Es findet sich dieses Werk in der schon erwähnten
Sammlung von Werken aus den D. Han und Wei II, 2 und be-
steht aus 6 Abschnitten (Kiuen). De Mailla erwähnt es Pref.
37) Zur Rückkehr soll Tscheu-kung ihnen angeblich den Wagen,
der nach Süden zeigt (Tschi nan tschi). d. i. den Compass, mit-
gegeben haben, Legge T. III P. 2 p. 535 fg. zeigt aber den späten
Ursprung und die Ausbildung der Legende. Die älteste Xaehricht
in Fuh-schang's Schang-schu ta sehnen spreche nur von der Gesandt-
schaft und den Geschenken, die sie brachten, ebenso, nur wunderbarer
ausg-'schmückt. Han-yng's Han-schi uai tschueu. Des Wagens, der
nach Süden zeige . erwähne dabei erst Tschung-hoa's ku kin tschü
aus der D. Tsin ; er lege die Erfindung aber schon Hoang-ti bei ;
Hang-kien, aus der Zeit der spätem Han, aber Tscheu-kung und
so auch ein Tao-sse Kuei-ko-tseu. Vergl. m. Abh. : Ueber die Samm-
lung S 312.
206 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 5. Februar 1870.
T. I p. LXXXIV. Der Kaiser soll nördlich bis zur Gobi
und im Westen bis zum Gebirge Küen-lüu vorgedrungen sein
und die Si-waug wu, d. i. die Mutter des Königs des \Yesten
(die auch der Schan-hai king erwähnt), besucht haben. Das
Werk wurde angeblich unter Tsin Wu-ti A. 6 (281 n. Chr.)
im Grabe eines Fürsten von Wei gefunden, De Maiila sagt,
es sei aber so voller absurder, extravaganter und offenbar
falscher Erzählungen nach dem ürtheile der chinesischen
Commission , die es prüfen sollte , dass es keinen Glauben
verdiene, s. m. Abh. S. 284. Wjlie p. 153 meint, es möge
im 2. oder 3. Jahrhunderte v. Chr. geschrieben sein. Die
Vorrede ist von Siüu-hiü aus der D. Tsin, der Commentar
von Ko-po.
Dieser Züge Mu-wang's nach Westen bis Persien gedenkt
auch ein persischer Schriftsteller Abdallah nach der üeber-
setzung eines Abrisses der chinesischen Geschichte, wie Gaubil
Tr. p. 37 bemerkt. Aus dem Li-tai-ki-sse hat Pauthier S. 96
bis 101 der Ueb. die Nachricht über diese Züge mitgetheilt.
Ueber Kung-wang, seinen Sohn (946 — 934), hat der I-sse
ausser dem Sse-ki und Kue-iü nur eine Notiz aus der Chronik
der Kaiser und Könige.
B. 27. Siuen-wang tschung hing. Ueber die ersten
3 Nachfolger Kung-wang's, Y- (934— 910), Hiao- (909— 894)
und Ye-wang (894-878) gibt er fast nur die Notizen des Sse-
ki und Bambubuches. Von Y'^-w'ang datirt der Sse-ki schon den
Verfall der Dynastie; die Dichter schreiben Satiren auf die
Fürsten, andere beziehen diese aber auf Li-waug (878 — 41).
Aus dem Kue-iü werden über diesen die betreffenden Ab-
schnitte mitgetheilt, ausserdem nur noch eine Stelle aus dem
Tscheu-^chu, dann über die Ilegeutschaft (Kung-ho, 841 — 27)
die Stellen aus dem Sse-ki und Kue-iü, Lu-lien-tseu und Liü-
sehi's Chronik; ebenso bei Siuen-wang (827—781) die
betreffenden Stellen des Sse-ki, Han-schu, Schi-king mit der
Vorrede (Schi-siü) und Kue-iü. Noch hat er Stellen aus
dem Kin-tsing-yng, dem Kin-tschao, Lün-heng, Li-niü-tschuen u.
Kin-lo. Bemerkenswerth ist f. 10 — 11 v. die alte Insciirift
mit Umschreibung in neue Charaktere (f. 12 — 16) aus einem
Werke Schi ku wen. d. h. Charaktere auf Stein und Trom-
meln; Gaubil Tr. p.40 sagt, man sehe in Pe-king im kaiser-
Hath: Quellen der alten chines. Geschichte. 207
liehen Colleg noch Steindenkmäler aus der Zeit Siuen-wang's^^)
in alten Charakteren , von welchen eine Abbildung nach
Frankreich geschickt sei; es scheint damit diese mitgemeint
zu sein. Lie-tseu hat noch angebliche Gespräche Siuen-wang's
mit Kung-i-pe und Anekdoten , auf die aber wohl wenig zu
geben ist, ebenso wie auf die folgenden aus dem Schue-yuen
und Me-tseu.
B. 28. Lie-kue-tschuen-schi, gibt schon eine Ge-
schichte der einzelnen Vasallenreiche, erst im Allge-
meinen und dann des Beginnes der einzelnen bis zu Anfange des
Tschhün-thsieu (722 v. Chr.), nemlich die Lu's, Thsi's, Yen's,
Sung's, Wei's, Tschin's, Tsai's, Tsao's, Ki's, Tsin's, Thsu's,
U's und Thsin's. Es sind nur die kurzen Nachrichten aus
dem Sse-ki mit wenigen Zusätzen bei Lu aus der Chronik
der Kaiser und Könige, der Geschichte der Han, dem Kue-
iü, dem Lie-niü-tschuen ; bei Thsi aus Schi-king I, 8 u. Li-ki
C. Tan-kung; bei Wei aus Schi-king I, 3, 4 und 5; bei
Tschin desgleichen aus I, 12; bei Tsin aus I, 10; bei
Thsu aus dem Ta-tai Li-ki, dem Schi-pen , Ku-sse-kao und
Han-fei-tseu ; bei Tshin aus Schi-king I, 11, dem Han-schu,
Lie-niü-tschuen und dem I-schin-ki.
B. 29. Tsching-thsiü-tchhe-koei, spricht noch von
Begebenheiten im kleinen Reiche Tsching, nach Schi-king I,
7 und I, 13 und dem Kue-iü K. 5, Tsching-iü, dem Schue-
yuen, Schi-pen und Han-fei-tseu, ausser dem Bambubuche
und Sse-ki.
B. 30. Tscheu schi thung tsien, d. i. das Haus
Tscheu wird nach Osten übertragen. Hier sind ausser
Stellen des Schi-king H, 8, 3, wie Kaiser Siuen-wang 824
dem Fürsten Schin Sie verleihet, II, 4 u. 5, II, 7 u. 6,
38) Es werden da 10 Trommeln aus der Zeit Siuen-wang's auf-
bewahrt; man findet die Inschriften derselben in alten Charakteren
mit einer Umschreibung derselben in die heutigen in dem chines.
Werke Kin-schi-tshui-pien d. i. Sammlung von Inschriften auf Metall
und Stein von Wang-tschang, inl60 B. von der D. Hia bis zur D. Kin,
das in Berlin in einer Ausgabe vom Jahre 1S05 ist. S.W. Schott's
Verz der chines. Bücher der k. Bibl. zu Berlin 1840. 8*^. S. 60 und
Wylie p. 64
208 Sitzung der philos.-ijliUol. Cla3se vom 5. Februar 1870.
11, 8, dann I, 6, die wenig oder gar nicht dahin gehören,
noch einige aus dem Lie-uiü-tschuen , dem Heu-Han schu,
dem Schi-pen, Ku-sse-kao, Li-schi's Chronik u. a.
G) Die Zeit des Tschhün-thsieu (722—479 v. Chr.).
Usurpationen in den Einzelreichen, Kampf der ein-
zelnen Vasallenfürsten unter einander, mit nur zeit-
weiligem Üebergewicht einzelner (der 5 Pa).
Tschhün-thsieu, d. i. Frühling und Herbst, ist der
Name einer dürftigen Chronik des Confucius, welche die
Begebenheiten von 12 Fürsten seines Vaterlandes Lu, von
Yn-kung bis Ngai-kung Ao. 14 (722-484 v. Chr.), mit genauer
Angabe der llegierungsjahre , Monate und Tage nach dem
GOtägigen Cjclus, enthält, auch die der Sonnenfinsternisse, 3^)
die der chronologischen Bestimmung wegen wichtig sind,
aber auch die gleichzeitigen Begebenheiten in den anderen
kleinen Reichen des damaligen China erwähnt. Die Cyclus-
zeichen nach den Jahren sind, wie schon anderswo bemerkt,*")
erst später hinzugesetzt. Nach seinem Vorgange haben dann
auch Spätere ihre Chroniken so genannt. Nach Meng-tseu
IV, 2, 21, 1 gab es solche Chroniken auch von Tsin und
Thsu , die noch wunderlichere Namen hatten , indem jene
Tsching, d. i. das Viergespann, diese nach einem wilden
Thiere Tao-uo hiess; sie haben sich aber nicht erhalten.
Auch diese Chronik wurde unter Thsin Schi-hoang-ti ver-
39) Ein Yerzeichniss aller gibt A. Wylie Eclipses recorded
in Chinese Works, im Journal of the Nord-China branch of the R.
As. See. Shang-hai 1868. 8°. New. Ser. N. IT p. 87— 159.
40) s. m. Chronol. Grundlage der alten chines. Geschichte, München
1867. 8. a. d.S.B. 1867 II, 1. S. 35fg.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 209
brannt , aber später wieder aufgefunden , s. P. Regis. Einl.
zum I-king I, p. 148 — 162. Die sehr dürftige Chronik ist
noch nicht herausgegeben; man kann eine chines. Probe mit
üebersetzung von Bayer in Comm. Acad. Petrop. T. 7 p. 335
fgg. sehen. Es gehören dazu noch die Commentare von
Ko-leang und Kung-yang. Nach P. Regis. I, 152 kam
dieser zum Vorschein unter Han "Wu-ti (140 — 87 v. Chr.),
jener unter Siuen-ti (71 v. Chr.). Kung-yang, nach der An-
merkung zum Han-schu B. 30 f. 6 v. mit Namen Kao, war
aus Thsi, Ko-leang aus Lu uud sie lebten nach den 72 Schü-
lern des Confucius , vgl. auch Gaubil Tr, p. 104. Wylie
p. 5 sagt, sie sollen Schüler Tseu-hia's gewesen und ihre
Werke mehrere Geschlechter hindurch mündlich überliefert
worden sein. Der Commentar Kung-yung's solle zu Anfange
der D. Han, der Ko-leang in der Mitte des I.Jahrhunderts
V. Chr. niedergeschrieben worden sein.
Der Tso-tschueu ist kein solcher Commentar, wie
man gewöhnlich sagt, enthält vielmehr eine Reihe von ein-
zelneu Geschichten aus der Zeit des Tschhün-thsieu und nach
der Folge desselben. Wir wissen im Ganzen nur wenig von
dem Autor. Sein Famihenname war Tso, sein Name Kieu-
ming; er war aus Tschung-tu in Schan-tung und Geschicht-
schreiber von Thsu in Hu-kuang — der Han-schu B. 30 f. 6 v.
sagt in Lu (Lu Thai-sse), — ein jüngerer Zeitgenosse des
Confucius , nach einigen sein Schüler oder Gehilfe. Man
schreibt ihm 2 Werke zu: diesen Tso-tschuen und den
Kue-iü.
Die Staatsbibliothek hat in der Sammlung von Mar-
tucci eine vollständige Ausgabe von Confucius Tschhün-thsieu
(der da King, Classiker, heisst), mit dem folgenden Tschuen
von Tso-schi in 60 Abschnitten (Ti) und 33 Heften — in
dem Exemplare der Staatsbibliothek fehlt leider in Heft 32
Ti 57 f. 10 bis Ti 58 f. 13 — in kl. 8°, Eine andere Aus-
11870. I. 2.] 14
210 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Februar 1870.
gäbe in der Sammlung Ku - wen - thsi - tschung - tsuen - tsi in
29 Heften enthält nur einen Auszug von ihm. wie von den
übrigen darin enthaltenen Schriften'*^), ohne den Text des
Confucius. Die üebersetzung, welche Pfizmaier in den
Sitzungsberichten philos.-hist. Cl. der Wieu.x\kad. B. 13, 14, 15,
17, 18, 20, 21, 25 und 27 von einem Tso-schuen — nach
B. 27 S. 113 in 8 Khiueu und 6 Heften — gegeben hat, ist
auch nur ein solcher unvollständiger Auszug. Die Zusammen-
stellung der üebersichteu, wie beide Auszüge sie vor den längern
Erzählungen haben , würde den besten Begriff von dem
Werke geben, aber in dem vollständigen Exemplare fehlt
sie. Da dieses Werk immer nach der Folge der Fürsten
von Lu und der Jahre ihrer Regierung citirt wird , geben
wir diese hier an mit dem Bande der Wiener-Sitzungsberichte.
in welchen Pfizmaiers Üebersetzung im Auszuge enthalten
ist. Die 12 Fürsten von Lu sind: 1) Yn-kuug (722—711,
S. B. 1854 13 S. 297f.), 2) Huan-kung (711 — 693),
3) Tschuang-kung (693—661), 4) Min-kung (691— 659,
alle3S.B. 13 S. 430 fgg.), 5) Hi-kung (659-626, S. B. 14
S. 425 f.), 6) Wen-kung (626—608, S. B. 15 S. 424 f.),
7) Siuen-kung (608—590, S. B. 17 S. 127), 8) Tsching-
kung (590—572, S. B. 17 S. 253 fgg.), 9) Siang-kung (572
—541, S. B. 18 S. 115 und 20 S.486f.), 10) Tschao-kung
(541—509, S. B.20 S. 514 fg. 21 S. 156und 25 S. 161f.) , 11)
Ting-kung (509—494, S. B. 27 S. 68 f.) und 12) Ngai-
kung (494—467, S. B. 27 S. 113 f.). Der Tso-tschuen be-
schränkt sich nicht auf Lu, sondern gibt auch gleichzeitige
Begebenheiten in den andern Vasallenreichen. Die Ansicht
von Pfizmaiers wenn auch unvollständiger üebersetzung kann
einen Begriff davon geben.
Von dem 2. Werke Tso-schi's, dem Kue-iü, d. i. Reden
aus den Reichen , stand uns lange nur der Auszug zu Ge-
41) Es sind: 1) Tso-tschuen siuen 8Hft.; 2) Kue-iü 2Hft.;
3) Tschen-kue-tse2Hft.;4) Si-y Han-wen4Hft.; 5) Kung-yang-
tschuen und Ko-leang tschuen 2 Hft.; 7) Sse-ki Siuen 3 Hft.
und 8) Thang, Sung pa ta kia lui siuen SHefte.
Flath: Quellen der alten chines. Geschichte. 211
böte; wir verdanken jetzt eiue vollständige Ausgabe in
5 Heften und 21 Kiuen*^) der Güte des Herrn Prof. Julien
in Paris. Es ist nach den einzelnen Pieichen, verschieden vom
Tso-tschuen geordnet.
Es zerfällt in 8 Abschnitte: K. 1—3 Tscheu-iü;
K. 4 und 5 Lu-iü; K. 6 Thsi-iü; K. 7 — 15 Tsin-iü;
K. 16 Tschiug-iü; K. 17 und 18 Thsu-iü; K. 19 ü-iü
und K. 20 und 21 Yuei-iü, d. h. immer Reden aus (dem
Kaiserreiche der) Tscheu, aus Lu, Thsi u. s. w. Um den
Charakter des Werkes zu zeigen, geben wir die Inhaltsanzeige
noch einiger Abschnitte*^) an; der beschränkte Piaum erlaubt
42) So hat derHan-schu B. 30 f. 7: Kue-iü 21Pien, ebenso der
Katalog 5f. 25: Kue-iü 21 K.; dieser erwähnt noch anderer Werke, die
sich auf ihn beziehen. Der Auszug hat nur 8 Kiuen.
43) Die ersten 10 Abschnitte des Kue-iü in K. 1, die Kaiser Mu-,
Kung-, Li-, Siuen- und Yeu-wang betreffen, sind schon oben S. 203
verzeichnet. Der Tscheu-iü schang K. 1 enthält dann noch die Ab-
schnitte :
Hoei-wang san nien Pien-pe, Schi-so, Wei-kue tschü
eul li wang Tse-tui. Dieser geht auf die Usurpation Tse-
tui's unter Hoei-wang Ao. 3 (673). Die 3 genannten waren
Grosse, die ihn unterstütztea. Vgl. Tso-tschuen (Lu) Tschuang-
kung Ao. 20, K. 8 f. 21, S. B. 13 S. 31, de Maiila D p.99.
Schi-u nien yeu schin hiang iü Sin, d. i. in (seinem)
15. Jahre kam ein Geist herab in Sin.
Siang-wang (des vorigen Sohn, 651 — 18) sendet (sse) Tschao-
kung kuo und den Annalisten des Innern (ki nei-sse) Ko (an)
Tsin Hoei-kung (seit 650) mit der Bestallung zum Fürsten
(ming), vgl. deMailla T. II p. 125, wo aber irrig Schao-u-kung
und Nui-sse-ku steht.
Siang-wang sendet (sse) den Thai-tsai "Wen-kung und den
Annalisten des Innern (ki nei-sse ) Hing an Tsin "Wen-kung mit
der Bestallung (ming). Ygl. de Maiila T. II p. 133 (Ao.636),
wo aber falsch Wang-tse-hu und Hing-sie steht.
212 Sitzung der phßös.-phihl. Ctasse vom 5. Februar 1870.
nicht, alle anzuführen, es bedürfte auch, um sie zu verstehen,
ein Eingehen in die Einzelgeschichte.
Das Banibubuch S. 158 — 167 fährt fort in seiner
Chronik, die an die Folge der Kaiser geknüpft ist, aber im
Ganzen sehr dürftig , nur kurze Notizen aus der Geschichte
der einzelnen Reiche gibt.
Was die genealogische Geschichte der einzelnen
Reiche betrifft, so gibt der Sse-ki eine Chronik der be-
deutendsten. "Wir wollen diese hier anführen und, da Pfiz-
maier eine Anzahl dieser Bücher des Sse-ki übersetzt hat
— meist in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, —
auf diese anbei verweisen. Ti 4. Tscheu pen-ki enthält die
Chronik der Kaiserfamilie der Tscheu, Ti 5 Tshin pen-ki,
die vom Reiche Tshin (in Schen-si),^"^) Ti 31. U Thai-pe
Schi-kia, die der Fürstenfamilie Thai-pe's in U, (in Kiaug-
nan), übersetzt von Pfizmaier, Geschichte des Reiches U. Wien
1857 in40, a. d.Denkschr. d. Wien. Akad. Bd. 8; Ti32. Thsi
Thai-kung Schi-kia, die Geschichte der Familie Thai-
kung's von Thsi (in Nord-Schan-tung), S. B. 1862 B. 40 S.645
K. 2. Unter Siang-wang im 13. Jahre (schi-san nien, d. i. 638)
greifen Tsching's Leute (jin fa) Hoa an.
Im 17. Jahre (Schi-tsi nien) führte der Kaiser das Heer der
Nordbarbaren herab (wanghiang Thi sse), Tsching anzugreifen
(fa). Vgl. Tso-tschuen (Lu) Hi-kung Ao. 24 (636) K. 14 f. 21 v.,
S. B. 14 S. 55.
Tsin Wen-kung befestigte (ki ting) Siang-wang in (der Stadt)
Kia und der belohnte ihn mit dem Lande.
Als der Kaiser aus Tsching kam (tschi tseu Tsching), beschenkte
er (tse) mit (den 2 Städten im Kaisergebiete) Yang und Fan
Wen-kung von Tsin u. s. w.
44) Ti6und7 sind dann SchiHoang-ti und Eul-schi (seines
Sohnes) Pen-ki ; die folgenden Ti 8 — 12 betreffen schon die Geschichte
der D. Han; Ti 14 — 22 sind chronologische Tafeln über die
S Dynastien und Ti 23—30 betreffen die innere Geschichte Chinas';
s. unten S. 238.
plath'. Quellen der alten chines, Geschichte. 213
bis 696; Ti 33. Lu Tscheu-kung Sclii-kia, Geschichte
des Hauses Tscheu-kuog's von Lu (in Süd-Schan-tung), S. B.
Bd. 41 S. 90; Ti 34. Yen Tschao-kung Schi-kia, Ge-
schichte des Hauses Tschao-kung's in Yen (in Pe-tschi-li),
S. ß. Bd. 41 S. 435 fg.; Ti 35. Kuen (u.) Tsai Schi-kia,
Geschichte des Hauses von Kuen und Tsai. Ti 36. Tschin
(und) Ki Schi-kia, Geschichte (der kleinen Reiche) Tschin
und Ki (beide in Ho-nan, wie auch Tsai). Ti 37. Wei
Khang-scho Schi-kia, Geschichte des Hauses Khang-scho
iü Wei, S. B. 41 S. 435 fg. Ti 38. Sung Wei-tseu Schi-
kia, Geschichte des Hauses Wei-tseu's von Sung, (wie Wei,
auch in Ho-nan). Ti 39. Tsin Schi-kia, Geschichte des
Reiches Tsin (in Schan-si), S. B. B. 43 S. 74— 152. Ti 40.
Thsu Schi-kia, Geschichte des Hauses Thsu (iü Hu-kuang),
S. B. 44, 1. S. 68—140. Ti 41. Yuei Schi-kia, Geschichte
des Hauses Yuei (in Tsche-kiang), S. B. 1864 Bd. 44 S. 197
bis 219. Ti 42. Tsching Schi-kia, die Geschichte des
Reiches Tsching (in Ho-nan). Ti 43. Tschao-, Ti 44 Wei-
(anders geschrieben als das obige), und Ti 45 Han Schi-
kia. (Es sind dies die 3 Reiche, welche später au die Stelle
des Reiches Tsin in Schan-si traten.) Die Geschichte des
ersten hat Pfizmaier übersetzt : Geschichte des Hauses Tschao.
Wien 1858 4°., aus d. Denkschriften Bd. 9 ; endlich Ti 46,
Tien-king-tschung, Geschichte der Familie Tien (in Thsi),
welche später die Familie Thai-kung's dort verdrängte; dies
war aber schon nach den Zeiten des Tschhün-thsieu 391 v. Chr.^^)
Von Lu gibt Pan-ku, der Geschichtschreiber der Ost-
Han, K. 21 f. 18 — 21 eine vollständigere Liste der Fürsten
als der Sse-ki. Zur Geschichte von Thsu gehört noch das
Leben von U-tse-siü im Sse-ki B. 66.
Ueber U und Yuei haben wir noch 2 spätere Geschichts-
werke in der schon oben erwähnten Sammlung von Werken
aus den D. Han und Wei IL 4 und 3. Das erste ist U Yuei
45) Ti 47. Kung-tseu Schi-kia, die Geschichte des Confucius,
s. unten. S. 231. Die folgenden Bücher, T. 47 — 60, die Geschichte der
Fürstenfamilien aus der Zeit der 4. und 5. D. Thsin und Han, gehören
nicht zur alten Geschichte nach unserer Begrenzung derselben.
214 Sitzung der philos.-xthilöl. Classe vom 5. Februar 1870.
tschhün-thsieu, d. i. die Chronik von ü und Yuei, vgl.
den Katalog 6 f. 22 v. Der Verfasser ist Tschao-hoa oder
Ye aus der Zeit der 2. oder Ost-Han (25—220 n. Chr.).
Gaubil Tr. p. 140 nennt ihn un auteur illustre, Legge T. III,
iProl. p. 67 sagt dagegen: Tschao-i {jo) war ein Tao-sse-
Mönch zu Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr., sein Werk ist
voll lächerlicher Geschichten (er gibt eine Probe davon)
und es sei daher nicht glaubwürdig, was er über die In-
schrift Yü's auf dem Berge Ku-leu sage. Da wir den Inhalt
beider Werke in uns. Abh. Ueber die Sammlung chinesischer
Werke aus der D. Han und Wei, a. d. S. B. d. Ak. I, 2
S. 285 — 287 bereits angegeben haben, wiederholen wir sie
hier nicht.
Der I-sse B. 2 gibt in 70 Büchern, B. 31—100 nun
die in diesen und andern spätem Werken enthaltenen Nach-
richten aus der Zeit des Tschhün-thsieu, unter dem Titel
Tschün-thsieu ki thsi-schi kiuen. Es ist keine streng
chronologische Geschichte, aber die Geschichte ist auch nicht,
wie im Sse-ki, nach den einzelnen Pieichen blos abgetheilt,
sondern er verbindet eine chronologische Folge mit der Er-
zählung der Hauptbegebenheiten nach den einzelnen Reichen.
Wir geben die üebersicht seiner einzelnen Bücher nach den
Ueberschriften , obwohl die nicht immer Alles darin Ent-
haltene umfassen. AYie bei solcher Aneinanderreihung von
lauter verschiedenen Fragmeuten wird auch manches mitein-
gereiht, was nicht gerade zu dem Abschnitte gehört. Den
Tschhün-thsieu des Confucius selbst hat er hier nicht mit-
aufgenommen, da er diesen vollständig in dessen Leben
B. 86, 3 f. 3 v. bis 37 mittheilt. Seine Hauptquellen sind
immer der Tso-tschuen, derKue-iü und die Commentare
von Kung-yang und Ko-leang tschueu zu Confucius
Tschhün-thsieu, dann der Sse-ki und das Bambubuch, so
dass wir diese, namentlich den ersten, nicht bei jedem Buche
anzuführen brauchen, sondern nur die Quellen, >die er sonst
noch ausgezogen hat; wo es keine solchen gibt, setzen wir
nichts hinzu. Auch die eiuzelntn Stellen anzuführen, würde
uns zu weit führen.
B. 31. Yn-kung von Lu (722 fg.) nimmt den Thron
ein (sche-wei), hat nur noch einige Stellen aus dem Schue-
Flath: Quellen der alten chines. Geschichte. 215
yuen, B. 32. Tschuang-kung von Tsching (743—700)
dringt in Hiii ein (ji Hiü) , fast nur noch Stellen aus dem
Schi-king I, 7, 2 — 4. B. 33, Wei Tscheu-yü Siuen-
kiang tschi loen, handelt von den Unruhen in Wei (in
Ho-nau) unter Tscheu-iü, der den Fürsten Huan 718 tödtete.
Hier werden viele Stellen des Schi-king aus I, 5, 3, 9 und
I, 3, 6, 7, 10, 11, 14 bis 19 ausgezogen auch eine Stelle
Han-fei-tseu's. B. 34. Schang-kung's (719 — 709) und
Min-kuug's (691 — 681) von Sun g Ermordung (tschi scha).
Aus dem Schue-yuen und dem Li-ki C. Tan-kung sind hier
noch einige Stellen. B. 35. (Kaiser) Huan-wang greift
(fa) Tsching an (707); aus Schi-king I, 7, 6 — 9 folgen
einige Stellen. B. 36. Die Wirren (loen) der Wen-kiaug
(der Frau des Fürsten Huan-kung) von Lu (711 — 693).
Aus Schi-king I, 8, 6, 9—11 und Li-ki C. Tan-kung werden
ein Paar Stellen angezogen. B. 37. Thsi vernichtet (mie)
(das kleine Reich) Ki. B. 38. Li-kung von Tsching
(? 696 fg.) bemächtigt sich mit Gewalt der Reiche (tschuan
kue). Er gibt noch Stellen aus dem Schi-king Tsching-fung
I, 7, 9 — 21 und eine aus Han-fei-tseu. B. 39. (Das Neben-
reich von Tsin) Kio-uo vereinigt (680) mit sich (ping) Tsin.
Hier nimmt er Stellen aus dem Schi-king Tang-fung I, 10,
2 — 10 auf. B. 40. Die Unruhen (loen) Khing-fu's in Lu.
Aus Liü-chi's Chronik wird noch ein angebliches Gespräch
Tschuan-kung's von Lu (693 — 661) mit Yen-ho berichtet,
nach der Note hat der Kia-iü aber ein solches zwischen
Ting-kung (509 — 494) mit Yen-hoei ; man sieht wie unzu-
verlässig diese späteren Geschichten sind. Noch hat er ein
Paar Notizen über jenen Fürsten aus Schin-tseu, dem Schue-
yuen und dem Li-ki über die Beerdigung jenes (661 v. Chr.).
B. 41. Wang-tseu-ke Tseu-thui tschi loen. Die Un-
ruhen (loen) (im Kaiserreiche) von Tseu-thui, dem Sohne
Tschuang-waug's. der Hoei-wang verdrängte (675 — 672).
B. 42. Der Fürst (Tseu) von Thsu (Wu-wang 740-689 und
seine Nachfolger Tsching-wang (671 — 625) und Mu-wang
(625 — 613) greifen mehrere (kleine) Reiche an und vernich-
teten sie (fa mie tschu kue). Er zieht noch einige Stellen
aus Liü-schi's Chronik, dem Lie-niü-tschuen, Hoai-nan-tseu,
dem Schue-yuen und dem Han-schi uai-tschuen herbei. B. 43.
216 Sitmng der philos.-pJiilöl. Classe vom 5. Februar 1870,
Hi-kung von Wei (ia Ho-nan, 668 — 660) verliert das Reich
(wang kue) ? Hier gibt er noch Stellen aus dem Schi-king
I, 4, 2 — 10 und I, 5, 6 und 10, dem Li-ki C. Tan-kung,
dem Lie-niü-tschuen über seine Frau, aus Han-fei-tseu und
dem Sin-schu. B. 44 1 — 4 in 4 Abthlg. (Die Thaten) des Ge-
waltherrschers (Pa) von Thsi Huan-kung (685 — 643
und seines Ministers Kuan-tseu). Aus dem Schi-king wer-
den I, 8, 8 und 7 ausgezogen, dann Stellen aus Liü-schi's
Chronik, Han-fei-tseu, dem Han-schi uai-tschuen, Schue-yuen,
Lie-niü-tschuen, Sin-siü, Li-ki C. Tsa-ki, Schang-schu-tschung-
heu, aus Siün-tseu, Tschuang-tseu, Hoai-nan-tseu, besonders
aber reichliche Auszüge enthält beinahe das ganze Buch 44,
3 und 4 aus Kuan-tseu. Diesem Minister Huan-kung's
von Thsi , der 645 v. Chr. starb , schreiben die Tao-sse
Werke zu, die aber nicht zuverlässig sind nach Gaubil
Tr. p. 104; Premare Diso. prel. z. Chou-king p. LIX äussert
kein Bedenken. Ein Kuang-tseu (Tschung) wird unter den
10 s. g. Philosophen (Tseu) aufgeführt und man rechnet
seine Schriften zu der Classe, die über Gesetze handeln (fa-
kia), s. unten S. 236. Da mir die Tseu nicht zu Gebote stehen,
weiss ich nicht, ob der ganze Kuan-tseu im I-sse aufgenommen
ist. Es ist aber wohl die Frage, ob die Dialoge, die ihm
mit dem Fürsten Huan-kung in den Mund gelegt werden,
von ihm sind oder sie nur als ein literarisches Produkt unter
seinem Namen wohl noch aus alter Zeit zu betrachten seien;
Wylie p. 74 meint , jedenfalls habe das Werk viele Zusätze
nach seinem Tode erhalten ; es seien jetzt 24 Bücher ur-
sprünglich in 86 Sectionen , wovon aber 10 verloren seien ;
Die Sache verdient eine besondere Untersuchung. B. 45.
Tsin (unter Hien-kung, 676 — 650) vernichtet (mie) (das
kleine Reich) Hao. Der Schi-king I, 10, 11, der Sin-
schu und Schue-yuen werden aufgeführt. B. 46. Lu's Leute
(jin) preisen (sung) Hi-kung (659 — 626). Hier findet man
Auszüge aus Schi-king Lu-sung IV, 1, 1 — 4. B. 47. Sung's
(Fürst) Siang-kung (650—636) strebt nach der Würde
eines Pa (tu Pa). Hier sind ein Paar Stellen aus Schi-king
I, 5, 7 mit der Erklärung und aus Han-fei-tseu und Li-ki
C. Tan-kung. B, 48. Die 5 Söhne fu-tseu, Huan-kung's) von
Thsi (t 643 v. Chr.) streiten sich um den Thron (tseng-li).
Flath: QiKllen der alten chines. Geschichte. 217
Er hat noch Stellen aus Han-fei-tseu, Liü-schi's Chronik und
Kuan-tseu. B. 49. Die Unruhen (loen) des Kaisersohnes Tai,
(des Bruders Siang-wang's 649). Ausser dem Kue-iü hat er
nur eine Stelle aus dem Sin-iü noch. B. 50. Mo-kung's von
Tsching Thronbesteigung (627). Er hat nur eine Stelle
aus Me-tseu noch. B. 51, 1 und 2. Die Thaten des Gewalt-
herrschers (Pa) Wen-kung von Tsin (637 — 627), in 2. Ab-
theilungen. DieersteAbth. betrifft mehr seine Vorgänger, Hien-
(676—650) und Hoei-kung (650 fg.). Der I-sse zieht aus
den Kue-iü, Han-fei-tseu, eine Stelle aus Schi-king I, 10,
12, dann aus Li-ki C. Tau-kung, dem Lie-niii-tschuen und
Liü-schü's Chronik, u. in Abth. 2 aus dem Kue-iü, Fu-tseu,
Hoai-nan-tseu, Han-fei-tseu, Schi-king 1. 11, 9undl, 14, 2 — 4,
Han-schi uai-tschuen, Liü-schi's Chronik, dem Sin-siü, Schue-
yuen, Kin-tsao und Lie-sien-tschuen (der Tao-sse Biographie)
Stellen aus. B. 52. Wei Yuen-hiuen keu-sung bezieht
sich auf Yuen-hiuen in Wei, der bei seinem Fürsten angeklagt
war, dessen Bruder auf den Thron erheben zu wollen (631);
vgl. de Maiila T. H p. 140. B. 53. Lieu-hia-hoei's^^j
aus Lu AVeisheit. Der I-sse zieht aus dem Kue-iü, dem Schue-
yuen, Liü-schi's Tschhün-thsieu, Tschhüu-thsieu-fan-lu, Lie-niü-
tschüen, Fung su-tung. Fu-tseu, Hoai-nan-tseu, Han-schi uai
tschuen und Kia-iü Stellen aus. B. 54. Mu-kung von
Thsin (659 — 620), Gewaltherrscher über die West- Jung
(Barbaren). Aus Liü-schi's Chronik und dem Schue-yuen,
werden die Anekdoten erzählt, wie sein Minister Pe-li-hi sich
angeblich bei ihm einführte, denen Meng-tseu V, 1, 9 schon
widersprach. Noch hebt er aus dem Kue-iü, Hoai-nan-tseu,
dem Kao-sse-tichuen. Schu-king V, 30, Schi-king I. 1, 11,
6, 7 und 10, Han-fei-tseu, Sin-schu, Lün-heng und Lie-sien-
tschuen Stellen aus. B. 55. Ling-kung's von Tsin Er-
mordung (scha, 606). Er gibt Stellen aus dem Kue-iü, Schi-
king I, 11, 8, Schue-yuen und Liü-schi's Chronik. B. 56.
Hia-schi's Unruhen (loen) in Tschin ('unter Ling-kung
613— 598j. Er hebt aus den Kue-iü. Sin-schu, Schi-king I,
46) Dieser Weise wird von Confacius u. Meng-tseu öfter erwähnt,
z.B. Lün-iü 18, 2 u. 8 §1, 15, 13, Meng-tseu II, 1, 9 und YII, 2, 15.
218 Sitzung der philos.-phihl. Glosse vom 5. Februar 1870.
12, 9, Schue-yuen und Kia-iü. B. 57. Tschuang-wang von
Tlisu (613 — 590) kämpft als Gewaltherrscher (tseng pa). Er
hat noch Stellen über ihn aus dem Lie-niü-tschuen, Sin-siü,
ü Yuei tschhün-thsieu, Liü-schi's Chronik, Han-fei-tscu, Siün-
tseu, Hoai-nau-tseu , Han-schi uai-tschuen, Wang-sün-tseu,
Schue-yuen, Tschuang-lie-tseu, Sün-scho-ugao-pi, Kin-tschao
und Scho-i-ki. B. 58. Tsin vertilgt (mie) die rothen (tschi)
Ti (Barbaren). Er hat eine Stelle aus Lie-tseu. B. 59.
Tsin Thsi mo-yen tschi i. Mo-yen ist ein Hügel. Er
zieht aus den Kue-iü, Sin-schu, Han-fei-tseu und Schue-yuen.
B.60. Kampf zwischen Thsin und Tsin (wei tsching), nach
dem Kue-iü, Tso-schuen und Thsu-tse tschü. B. 61. Kampf
(tschen) zwischen Tsin und Thsu zu Yen-liug (in Ho-nan
575), mit Stellen aus dem Kue-iü, Hoai-nan-tseu und Han-
fei-tseu. B. 62. U thung schang kue, U erhebt sich
zum grossen Reiche, nach dem ü Yuei tschhün-thsieu und
Yuei-tsiue schu, dem Han-schi uai-schnen, Li-ki C. Tan-kung,
Schue-yuen und Sin-siü. B. 63. Tscheu kung yue, eine
üebersicht der verschiedenen Grossen (kung), die im Kaiser-
reiche Tscheu auftreten (612 fg.). B. 64. Tao-kung von
Tsin tritt wieder auf (fo) als Pa. Der I-sse hat Auszüge
aus dem Kue-iü, Liü-schi's Chronik, dem Schue-yuen und
Han-fei-tseu. B. 65. Tseu-tschin führt in Sung die Re-
gierung (wei tschiug). Citirt wird noch Han-fei-tseu, Li-ki
C. Tan-kung über Trauer, Liü-schi's Chronik, der Schue-yuen
und Han-schi uai-tschuen. B. 66. Thsu vernichtet (mie, die
kleinen Reiche) Yung und Schu (611). B. 67. Wei Sün
ning fa li, bezieht sich auf das Reich Wei (in Ho-nan).
Die Stelle aus Lie-niü-tschuen auf Tiug-kung's (588 — 576)
Frau u. aus Kung-tschung-tseu gibt er ein Gespräch Tseu-kung's
mit Confucius über Sün-wen-tseu , den Minister von Wei.
Noch hat er Stellen aus dem Li-ki C. Tan-kung, dem Sin-
iü und Liü-schi's Chronik. B. 68. Lu's Entfremdung
(Streit, yuen) mit (den kleinen Reichen) Tschü und Kiü.
Aus Li-ki C. Tan-kung eine Stelle über die Trauer ; in der
Stelle aus dem Kia-iü fragt Tseu-lu Confucius nach Tsang-
wen-tschung. B. 69. Thsu U ling-yn tai tsching. Thsu's
Ling-yn (dies war da der Amtsname des Minister's) wechseln
in der Regierung. Der I-sse hat Stellen aus Liü-schi's
Plath: Quellm der alten chines. Geschichte. 219
Chronik, dem Schue-yuen, Han-fei-tseu und Kue-iü. B. 70.
Die Unruhen (loen) von Thsui und King in Thsi. Erst
aus dem Kia-iü eine Stelle , dann aus Hoai-nan-tseu , dem
Schue-yuen , Lie-niü-tschuen , Ku-kin tschü , Kin-tsao , Han-
schi uai-tschuen, Sin-siü; Han-fei-tseu. Liü-schi's Chronik und
aus Yeu-tseu, oder wie andere lesen Ngan- (Gan-) tseu's
(Yng) (Minister in^^) Thsi). B. 71. Tschin eul khing tschi
loen, d. i. Unruhen der beiden Khing in Tschin. Die Ueber-
schrift entspricht dem Inhalte nicht ganz ; es ist nur 1 Blatt aus
Tso-tschuen Siang-kung A. 20 fg., Ko-leang und Kung-yang.
B. 72. Tschu-heu me ping. die Vasallenfürsten weisen
die Waffen zurück. (Dieselbe Quelle A. 25 und Li-ki C. Tan-
kung). B. 73. Sung-kung ki tschi tsching. Das kurze C.
hat ausser Tso-tschuen Ting-kung A. 8 fg. nur noch eine Stelle
aus dem Se-yuen-yao-lo und dem Lie-niü-tschuen , (die du
Halde H. p. 670 übersetzt hat). B. 74. Tseu-tschan als
Minister (siang, im Reiche) Tsching (s. über ihn m. Hist. Einleit.
zu Confucius Leben S. 426). Er hat Stellen über ihn noch
aus Liü-schi's Chronik, Han-fei-tseu, Schi-tseu, dem Schue-
yuen, Kue-iü, Theng-si-tseu, Han-schu und Lie-tseu. B. 75.
Ling-kung's von Wei (in Ho-nan) Thronbesteigung (li, 534 bis
492). Er gibt noch Stellen aus dem Li-ki C. Tan-kuug,
Schi-pen. Schue-yuen, Sin-siü, ^Yang-sün-tseu, Hoai-nan-tseu,
Tschuang-tseu, dem Tschen-kue-tse (s. unten S. 224), Lie-niü-
tschuen (bei du Halde H p. 666) und Ho-i-ki. B. 76. Die Un-
ruhen (loen) unter Ling-wang von Thsu (540 — 528). Ausser
dem Kue-iü hat er Stellen aus dem Schue-yuen, Han-fei-tseu,
Lu-hen-tseu, Sin-schu, Scho-i-ki, aus Me-tseu und Li-ki C.
Tan-kung. B. 77. Yen-tseu (oder Ngan-tseu) als Minister
47) Meng-tseu erwähnt ihn öfter I, 2, 4, 411, 1, 1; s. m. Hist. EinL
zu Confucius Leben S. 397, 407, 435. Ueber seine Chronik (Tschhün-
thsieu in 6 K.) s. Han-schu B. 30 f 12 und den Katalog C. 6 f. 10.
Viele Auszüge enthält daraus auch der I-sse B. 77. Wylie p. 28 sagt
Gan-tseu war ein Schüler Me-tseu's, des Gegners von Meng-tseu,
das Werk sei eine Biographie desselben, man wisse nicht von wel-
chem Verfasser — Premare Disc. prel. z. Chou-king p. LXXXH nennt ihn
den Verfasser des Buches. — man habe aber guten Grund anzu-
nehmen, dass das Werk mehrere Jahrhunderte vor Christus alt sei
220 Sitzung der philos-philol Classe vom 5. Februar 1870.
(siang) in Thsi (547—489) in 2 Abth. Er hat noch Stellen
aus dem Schue-yuen , Sin-siü , Han-schi uai-tschuen , Hoai-
nan-tseu, Lie-niü-tschuen , Liü-schi's Chronik, Han-fei-tseu,
Me-tseu, Tseu-lioa-tseu und besonders reiche Auszüge aus
dem Werke unter Yen-tseu 's Namen, s. oben Anm.47. B, 78.
Tsin schi tschu heu, Tsin (Ping-kung 557 — 531) vernach-
lässigt die Vasalleufürsten. Der I-sse gibt Stellen aus dem
Kue-iü, Li-ki C. Tan-kung, Han-fei-tseu, Sin-siü, Schue-yuen,
Kao-sse-tschuen , Hoai-uan-tseu, Ho-i-ki, Sung-fu-sui-tschi,
Liü-schi's Chronik, Han-schi uai-tschuen und Lie-niü-tschuen.
B. 79. Tschin-schi tschuen Thsi. Die Familie (des
Fürsten) von Tschin begibt sich nach Thsi. Er zieht noch
aus Schi-king I, 12, 6 — 6, den Lie-niü-tschuen, Yen- (oder
Ngan-) tseu, Han-fei-tseu , Kung-tschung-tseu , Kue-iü , Li-ki
C. Tan-kung, Schue-yuen, Sin-siü, Han-schi uai-tschuen und
Hoai-nan-tseu, aber wie schon bemerkt, beziehen diese Stellen
sich nichts weniger als immer auf den Gegenstand der Ueber-
schrift. B. 80. San Ho an jo Lu. Die 3 Hoan (mächtige
Familien da) schwächen Lu. Er hat noch Stellen aus dem
Kue-iü, Han-fei-tseu, Li-ki C. Tan-kung, Tsa-ki (20 fg.) und
Jü-tsao (c. 13), Hoai-nan-tseu, Schi-pen, Tschuang-tseu, Sin-
lün und Sin-siü. B. 81. Sung-kung tso fei hing. Verfall
und Erhebung der Familie des Fürsten von Sung. B. 82. Wang
Tseu-tschao tschi loen. Unruhen im Kaiserreiche nach
dem Kue-iü, Tscheu-schu, Schi-tseu, Tsün-iü-lün, Schue-yuen,
Han-fei-tseu und Hoai-nan-tseu.'*^) B. 84. Tsching ver-
nichtet (mie) (das kleine Reich) Hiü (503). B. 85. Tsin
vernichtet (mie) (die kleinen Reiche) Fei und Ku. Er gibt
Stellen aus dem Kue-iü und Hoai-nan-tseu.*^) B. 87. Tsin
khing fa hing, in zwei Abth.. die Minister in Tsin erheben
sich. Er gibt Stellen aus Schi-king I, 9, 1 und 3 — 7, dem
Schi-pen , Han-fei-tseu , Kue-iü , Schi-tseu , Lie-niü-tschuen,
Sin-siü, Lie-tseu, Schue-yuen, Kia-iü, Han-schi uai-tschuen,
Tschuang-tseu, Liü-schi's Chronik, dem Schui-king tschü,
48) B. 83 über Lao-tseu s. unten S. 235.
49) B. 86 in 6 Abschnitten über Confucius Leben s. unten S. 231
B. 86 — 111 des I-sse sind verbunden in Band 3.
i
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 221
Tsclien-kue-tse und Me-tseu. B. 88. Lu pei tschin kiao
puan, Lu's Grossbeamter (Yang-ku) rebellirt. Ausser Tso-
tschuen Stellen aus dem Kia-iü und Han-fei-tseu. B. 89.
U dringt ein (ji) in Yug (Tschu's Hauptstadt). Er gibt Stelleu
aus dem U Yuei tschhün-thsieu, Yuei tsue schu, Liü-schi's
Chronik, Schue-yuen, Han-fei-tseu, Sin-iü, Han-schi uai-tschuen,
Kue-iü , Siu-lün , Sin-schu , Lie-niü-tschuen , Hoai-nan-tseu,
Po-Yoe-tscbi , Scbo-i-ki , Sin-siü und f. 22 — 33 den ganzen
Sün-tseu; über diesen s. unten S. 237. B. 90. King-kung
von Sung (516—450) vernichtet (mie) (das Reich) Tsao.
Er hat noch Stellen aus Liü-schi's Chronik, dem Ho-i-ki
und Han-schu. B. 91. King-kiang's von Lu Weisheit (hien),
nach dem Lie-niü-tschuen, Kue-iü, Han-schi uai-tschuen, Kung-
tschung-tseu und Li-ki C. Tan-kung. B. 92. In Wei (in
Ho-nan) kämpfen Tschuang-kung und Tschü-kung, Vater
und Sohn, um das Reich (tseng-kue 492—476). Der I-sse
hat noch Stellen aus Kung-tschung-t&eu , dem Li-ki C. 25
Tsi tung und dem Tschen-kue-tse. B. 93. Thsu's König,
Hoei, vernichtet (mie) (das Reich) Tschin (477 v. Chr.).
Er hat Stellen aus Li-ki C. Tan-kung, dem Schue-yuen, Lie-
niü-tschuen, Han-fei-tseu, Han-schi uai-tschuen, Sin-siü, Liü-
schi's Chronik, Hoai-nan-tseu, dem Sin-schu und Kue-iü.
B. 94. Pe-kung's in Thsu Unruhen (loeu). Die Stelleu sind
aus einem Gespräche des Coufucius mit Tseu-kung bei Han-
fei-tseu, dem Schue-yuen, Hoai-nan-tseu, Kung-tschung-tseu,
Lie-tseu, dem Kue-iü, Sün-tseu, Sin-siü, Han-schi uai-tschuen,
Lie-niü-tschuen und Tschuang-tseu.^°) B. 96. in 2 Abtheil-
ungen. Yuei vernichtet (mie) (das Reich) ü (472 v.Chr.).
Ausser dem Yuei tsue-schu, dem ü Yuei tsclihün-thsieu und
dem Kue-iü hat er Excerpte aus Hoai-nan-tseu, Han-fei-
tseu, dem Schue-yuen , Sin-schu , Liü-schi's Chronik , dem
Lün-heng , Me-tseu , Schui-king tschü , Han-schi uai-tschuen,
Sin-lün^^) und Sin-siü, Lie-sien-tschuen , Fu-tseu, Kung-
tschung tseu, dem Y^ang-iü-king, Scho-i-ki und Ho-i-ki. B. 97.
50) Ueber B. 95 in 3 Abthl., das von Confucius Schülern handelt,
».traten S. 231.
51) In der Sammlung III, 16, s. m. Abh. darüber S. 308.
222 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Februar 1870.
Wang tschao kiao Lu, der Verkehr des Kaiserhofes
(von Ping-waug bis King-wang) mit Lu. B, 98. Siao
kue kiao Lu, über den Gesandtschaftsverkehr mehrerer
kleinen Reiche mit Lu zur Zeit des Tchhün-thsieu. Es
sind Ki, Teng, Sie, Seu, Tscheu, Ko, Teng (anders ge-
schrieben) , Tsao , Meu , Ko , Klein- (Siao) Tschü , Siao,
Kuai, Kao, Kiai, Tsching, Tan und die Barbaren Jung und
Pe-ti ; nur sehr kurze Notizen , so auch B. 99. die Notizen
aus der Zeit des Tschhün-thsieu über die Opfer (Kiao-
sse) die Schaltmonate (So-iun), die Jagden (Seu-scheu),
die Erbauung von Stadtmauern (Tsching-tscho) und
allerlei Calamitäten (Tsai-i) in Lu, nach dem Tso-
tschuen und Kue-iü, endlich B, 100. Tschhün-thsieu I sse,
d. i. im Tschhün-thsieu ausgelassene Begebenheiten, sammelt
noch allerlei Notizen über Vorkommnisse in dieser Zeit aus
dem Siu-schu, Li-ki C. Tan-kung, Liü-schi's Chronik, dem
Schue-yuen, Lün-heng, Lie-tseu, Sin-siü, Lie-sse-tschuen, dem
Lie-niii-tchuen, Han-schi uai-tschuon, Khiüe-tseu, Schi-tseu,
Hoai-nan-tseu , Tsclmang-tseu , Han-fei-tseu , Fung-su-tung,
Schui-king tschü, Schi-pen, Scho-i-ki, Tschuen-tseu, Me-tseu
und Lie-sien-tschuen.
7) Die Zeit der streitenden Reiche (Tschen-kue) 479
bis 255 v. Chr. Politische Verhältnisse.
Wir haben gesehen, wie die Menge der kleineren Reiche
allmählig von den grösseren verschlungen wurden ; es blieben
ohngefähr zu der Zeit, wo Confucius Chronik von Lu endet
oder bald nachher neben einigen kleineren nur noch 6 grössere
Reiche, deren Fürsten nun nicht mehr, wie früher die
s. g. Gewaltherrscher (Pa) , um zeitweihge und wechselnde
Hegemonie kämpften, sondern einen beständigen Kampf um
die Oberherrschaft über ganz China führten, bis es endlich
Thsin Schi hoang-ti gelang, das Werk seines Vorgängers zu
vollenden und ganz China unter seine Herrschaft zu bringen,
und so statt der Feudalmonarchie die absolute Monarchie
zu gründen. Man nennt es die Zeit der streitenden Reiche,
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 223
Diese Reiche waren Thsin in Schen-si, Hau, Wei und
Tschao, — welche an die Stelle des früheren Tsin in
Schan-si getreten waren , aber dessen Gebiet sehr erweitert
besassen, — Tsu in Hu-kuang, Kiang-nan u. s. w., Thsi in
Schan-tung und Yen in Pe-tschi-li. Es bestanden ausserdem
noch Lu in Schan-tung , ^Yei in Ho-nan , und eine Zeitlang
Sung ebenda, die aber keine Rolle weiter spielten, ebenso-
wenig als die Kaiser in Tscheu.
Was die Quellen für die politische Geschichte die-
ser Zeit betrifft, so kommen hier zunächst aus dem Sse-ki, —
der hier für uns erste Quelle wird, — die schon angeführten
Partikulargeschichten dieser Reiche im Sse-ki B. 5 und 6,
34j 43, 44^ 45 und besonders 46, die Geschichte von Thsi
unter der Familie Tien in Betracht. Ausser den Fürsten
treten aber in dieser Zeit auch bedeutende Feldherrn, Staats-
männer und Philosophen auf, von welchen besondere
Biogi'aphien im Sse-ki sich finden. "Wir geben hier daher
die Liste derselben , und da Pfizmaier einige derselben in
den S. B. der Wiener Akademie übersetzt hat, verweisen
wir auf die betreffenden Bände. Nähere Nachrichten über
die Einzelnen zu geben , erlaubt die gebotene Kürze nicht.
Die ersten Biographien im Sse-ki fallen noch in die frühere
Periode. ^^)
ß. 68. Schang-kiün, der Fürst von Schang (Minister
TshiuHiao-kung's (361—337), S. B.29, S. 98— 119. Der Han-
schu B. 30 f. 17 V. hat unter den Fa-kia ein Werk von Schang-
52) So Sse-ki B.61 Pe-i; B. 62 Ktian-tscliun g und Yen-
yng; B. 63Lao-tseu und Tschuang-tseu; Schin-pu-yen und
Han-fei-tseu; B. 64 Sse-ma-siang; B. 65 Sün-tseu und U-ki
(S.B. 30 S. 267— 273); B. 66 ü-tseu-siü u. B. 67 Tschung-ni ti-
tseu, d. L Confucius Schüler. Auf die Litteraten darunter werden
wir später noch zurückkommen.
224 Sitzung der pMos.-phüol Classe vom 5. Februar 1870.
Idün 29Pien; B. 69. Su-tai, S. B 32 p. 642 fg.; B. 70.
Tschang-i, S. B. 33 S. 525 fg.; B. 71. Hoa-li-thsi und
Kan-meu; B. 72. Jang-heu, S. B. 30 S. 155 — 165;
B. 73. Pe-ki und VVang-tsin;^^) B. 75. Meng-tschang
kiün, der Fürst von Meng-tschang (Minister in Thsi), S. B.
31 S. 66— 87; B. 76. Ping-yuen kiün^^) und Jü-khing,
der Minister von Jü, S. B. 31 S. 87—104; B. 77. Sin-
ling, S. B. 48 S. 172 — 192; B. 78. Tschhün-schin, S.
B. 31 S. 101— 120; B. 79. Fan-hoei, S. B. 30 S.227— 273;
B. 80. Lo-i, Feldherr von Tschao 408 v. Chr., S. B. 28
S.55— 87; B. 81. Lien-po, Lin-siang, S. B. 28 S. 69— 87;
B. 82. Tieu-tan, S. B. 28 S. 65— 69; B. 83. Lu-tschung
lien und Tseu-yang, S. B. 35 S. 221— 247. Der Han-
schu B. 30 f. 13 hat von jenem 4 Pien. B. 84. Kiu-yuen
(Minister und Dichter in Thsu) und Ku-i; B. 85. Liü-pu-
wei, s. oben Anmkg. 5. Die folgenden B. 86 u. s. w. ge-
hören schon in die Zeit der nächsten 4. D. Thsin.
üeber die Zeit der streitenden Reiche haben wir dann
ein besonderes späteres Werk Tschen-kue-tse, die Ge-
schichte der streitenden Reiche. Der Han-schu B. 30 f. 7
hat schon Tschen-kue-tse 33 Pien. Nach dem Katalog K. 5
f. 25 V. fg., vgl. Wylie p. 25 fg. ist sie verschieden bearbeitet
worden. Der Verfasser ist nicht bekannt, aber Lieu-hiang
unter den Han revidirte sie und sie erschien später mit
mehreren Commentaren ; der älteste von Kao-yeu ist aus
der Zeit der D. Han, aber zum Theil verloren; ihn ersetzte
Yao-hung unter den Sung, dann ist eine Ausgabe da von
Pao-pen und eine von Kiao-in in je 10 K. ; ebenso
53) B. 74. Meng-tseu und Siün-khing, s. bei den Literaten
S.233 fg..
54) Der Han-schu B. 30 f. 13 hat die Werke von Ping-yuen kiün
7 Pien, von Jü-schi einen Tschhün-thsieu in 15 Pien.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 225
die von Wu-sse-tao aus der D. Yuen: Tschen-kue tse
kiao tschu in 10 K. ; vgl. Bazin im Journ. As. Ser. IV T. 15
p. 108. Der Auszug in einer Sammlung in der Staats-
bibliothek in 2 H. ist oben S. 210 erwähnt. Ich verdanke
jetzt Herrn Prof. Julien in Paris eine Ausgabe in 12 K. und
5 starken Heften. Das Werk ist wie der Kue-iü nach den
einzelnen Reichen abgetheilt: Kiuen 1 über das westhche
(Si) Tscheu; K.2 über das östliche (Tung) Tscheu; K. 3
über Thsin; K. 4 über Thsi; K. 5 über Thsu; K. 6 über
Tschao; K. 7 über Wei; K. 8 über Han, K. 9 über Yen;
K. 10 über Sung; K. 11 über Wei (in Ho-nan) und end-
lich K. 12 über das kleine Reich Tschung-schan. Vor jedem
Kiuen bis auf dem ersten ist eine Uebersicht der einzelnen
Artikel, die es enthält. Der beschränkte Raum erlaubt aber
nicht, in ein näheres Detail einzugehen.
Der I-sse behandelt nun die Geschichte der streitenden
Reiche in 50 Büchern (B. 101 — 150) Tschen-kue ki u-schi
(50) Kiuen. Wir geben wieder die Titel der einzelnen an,
mit Angaben der Schriften, denen er die einzelnen Notizen
entnimmt, ausser dem Sse-ki, dem Bambubuche und dem
Tschen-kue-tse, die er natürlich immer auszieht.
B. 101. San khing feu Tsin, d. i. die 3 Minister
theilen (das Reich) Tsin (375 v. Chr.). Aus dem Schi-pen
gibt er die Genealogien derselben, dann hat er noch Stellen
aus dem Schue-yuen , aus Han-fei-tseu . Liü-schi's Chronik,
Sin-siü, Hoai-nan-tseu. dem Kao-sse-tschuen , Han-schi uai-
tschuen, Han-schu, Fu-tseu und Kin-tshao. B. 102. Tien-
schi tshuan Thsi, d. i. die Familie Tien usurpirt Thsi
(386). Er hat noch Stellen aus Han-fei-tseu , Lie-tseu,
dem Schi-pen, Li-ki C. Tan-kung und Me-tseu.^^) B. 104.
Lu Mu-kung jung hien, d. i. Mu-kung von Lu (409 — 376)
bedient sich der Weisen. Die Notizen sind aus Kung-tschung-
55) B. 103 in 2 Abthl. über die Literaten Yang-tschu und
Me-thi s. unten S. 233 ig.
[1870. 1. 2.] 15
226 Sitzung der phüos.-phüol Classe vom 5. Februar 1870.
tseu, Han-fei-tseu, Li-ki C. Tan-kung und Tsa-ki, Liü-schi's
Chronik, Lie-niü-tschuen, Han-schi uai-tschuen, dem Kin-tshao,
Schue-yuen und dem Sin-schu. B. 105. U-ki sse Wei,
siang Thsu, d. i. U-ki dient in Wei und wird Minister in
Thsu. Die Quellen sind ausser dem Sse-ki B. 65 f . 5 , Han-
fei-tseu, Liü-schi's Chronik. Kuan-tseu, Siiin-tseu (auch im
Sin-siü) und U-tseu oder U-ki selber, von dem wir noch
eine Schrift über das Kriegswesen haben, s. unten S. 237.
B. 107. Thsu Kiang-i (u.) Tschao-hi-siü tschi yuen^^)
betrifft die Feindschaft der Genannten in Thsu. Er citirt
noch den Han-fei-tseu und Lie-niü-tschuen. ß. 108. Thsi
Wei-wang kiang kue, d. i. Wei-wang von Thsi (378 — 342)
unterdrückt die Reiche, Er excerpirt ausser dem Sse-ki
B. 46, den Schue-yuen. Lie-niü-tschuen, Tsu-yang-schu, den
Sin-siü und den Sse-ma-fa , ein Werk über die Kriegskunst,
(s. unten S. 237). B. 109. WeiHoei-wang schi kue, than
ping, d. i. der König Hoei-waiig von Wei (370 — 334) re-
giert das Reich und spricht über Waffen, Er excerpirt noch
Liü-schi's Chronik, H;m-fei-tseu, Wei-liao-tseu, den Schue-
yuen, Fu-tseu, Han-schu, Tschuang-tseu und den Han-schi
uai-tschuen. B. 110. Thsu Tseu-fa yung ping, Tseu-fa
aus Thsu bedient sich der Waffen. Die sonstigen Notizen
sind aus Hoai-nan-tseu, Siün-tseu, Lie-niü-tschuen und Schue-
yuen. B. lU. Schin-pu-hai siang Han, d. i. Schin-pu-
hai als Minister in Han. Er excerpirt noch den Hoai-nan-
tseu, Han-fei-tseu, Schin-tseu, Liü-schi's Chronik, Tschuang-
tseu, den Schue-yuen und Lün-heng.^'^) B. 115. Wei-yang
pien Thsin fa, d. i. Wei-yang verändert die Gesetze von
Thsin. Der Sse-ki B. 68 (S. B. 29) handelt von ihm. Dann
spricht von ihm Liü-schi's Chronik, Han-fei-tseu, der Sin-
schu, Han-schu, Hoai-nan-tseu, der Sin-siü, Schi-tseu und
Schang-tseu. B. 116. (Die Feldherrn von) Thsi Tien-ki
56) B. 106. Tseu-sse, Meng-tseu yen hing, Tseu-sse's und
Meng-tseu's Reden und Thaten, s. unten S. 232 bei den Literaten.
57) Der I-sse der Staatsbibliothek ist wieder verbunden ß. 112
in Bd. 2, B. 113—127 in Bd. 4.
B. 112 in 2 Abth. über Lie-tseu und Tschuang-tseu, ebenso
B. 113 über Pien-thsio und Wen-tschi (2 Aerzte), s. unten S. 235
und 238 bei der Literatur, so auch B. 114.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 227
und Sün-pin zermalmen (pho) Wei (353). Er excerpirt noch
Tschuang-tseu, Liü-schi's Chronik und den Seliue-yuen.
B. 117. (König) Wei-wang von Thsu (339—328) zermalmt
(pho) Yuei. Der I-sse excerpirt noch den Yuei-tsue-schu,
Liü-schi's Chronik, den Schue-juen, Han-fei-tseu und den
Hoa-yang kue tschi.^^) B. 118. Su-thsin ho tsung, (der
Redner) Su-thsin sucht (die Reiche gegen Thsin) zu vereinigen,
s. Sse-ki B. 69, S. B. 32. Der Lün-heng wird noch ausge-
zogen. B. 119. Thsi Siuen-wang hao sse, d.i. der König
Siuen-wang von Thsi (342 — 323) liebt die Literaten. Er
excerpirt noch Liü-schi's Chronik, den Sin-siü, Han-schi uai-
tschuen, Han-fei-tseu, den Lie-niü-tschuen (übersetzt im du
Halde II p. 655) , Schue-yuen, Lu-lien-tseu, Hoai-nan-tseu,
Sin-lün, Schin-tseu, Weu-tseu, Lao-tsching-tseu , Lie-tseu,
den Kin-tshao, Kao-sse-tschuen und Lie-sse-tschuen. B. 120.
Tschang-i siang Thsin lien-heng. Von Tschang-i, dem
Minister in Thsin, handelt der Sse-ki B. 70. Noch hat der
I-sse Stellen aus Han-fei-tseu und dem Lie-niü-tschuen (bei du
Halde II p. 668). B. 121. Tsing-hiaug kiün siang Thsi,
d. i. der Fürst von Tsing-hiaug als Minister von Thsi (unter
Thsi Wei-wang 378 — '342); er hat noch eine Stelle aus Han-
fei-tseu. B. 122. Tscheu fen tung si, d. i. (das Kaiser-
reich) Tscheu theilt sich in ein östliches und westliches;
Kao-wang (seit 440) gab nämlich seinem Jüngern Bruder
Ho-nan. Der I-sse excerpirt noch die Chronik der Kaiser
und Könige, den Schi-pen wegen der Genealogie, Liü-schi's
Chronik, den Han-schu, Schue-yuen, Tschuang-tseu und Han-
fei-tseu. B. 123. Thsin ping Pa Schu, d. i. Thsin ver-
einigt mit sich Pa und Schu (in Sse-tschuen, 316 v. Chr.,
unter Hoei-wen-wang , vgl. de Maiila T. II p. 289 fg.). Der
I-sse excerpirt noch den Hoa-yang kue tschi, Ting-lo,-^) Heu-
Han schu und Schui-king tschü. B. 124. Yen Kuai jang
kue tschi ho, Kuai in Yen bringt des Reiches Unglück
(315 fg.) Han-fei-tseu wird noch ausgezogen. B. 125. Wei
Sse-kiün tschi schi, die Regierung von Sse-kiün in Wei
(in Ho-nan) 324 — 282. Er zieht noch Han-fei-tseu und Liü-
58) Aus der D. Tsin, in der Sammlung 11, 9; s. m. Abb. S. 288.
59) In der Sammlung IV, 27 j s. m. Abb. S. 325 u. vgl. Wylie p. 115.
15*
228 Sitzung der phüos.-pMol. Glosse vom 5. Eebruar 1870.
schi's Chronik aus. B. 126. Hoa-li-tsi, Kan-meu siang
Thsin,d. i. Hoa-li-tsi und Kan-meu als Minister in Thsin, s.
Sse-ki B. 71. Ausgezogen werden noch die vorigen, ß. 127.
Der König Wu-ling von Tschao (325 — 298) legt die Tracht
der (Barbaren von) Hu (Hu fu) an und greift (kung) (das
Reich) Tschung-schan an, s. Pfizmaiers Geschichte von Tschao
S. 29fg. Es werden noch ausgezogen Liü-schi's Chronik,
Han-fei-tseu, Hoai-uan-tseu, Ho-kuan-tseu , der Schi-ming,
Schui-king tschü und Schi-pen.^°) B. 129. Han-kieu ki-se
tseng 11, bezieht sich aufHan Siuen-wang (332 — 311). Aus-
gezogen wird noch Han-fei-tseu. B. 130. Lie kue nan
Tscheu, die Reiche bedrängen Tscheu. Excerpirt wird noch
die Chronik der Kaiser und Könige und der Fa-yen.®^)
B. 131. Thsu Siaug-wang khe sse iü Thsin, der König
Siang-wang von Tschu stirbt als Gast in Thsin (262 n. Chr.)^^).
B. 133. Meng-tschang kiün siang Thsi, d. i. (der
Fürst von) Meng-tschang als Minister in Thsi. Von ihm
handelt der Sse-ki B. 75, S. B. 31, Stellen über ihn hier noch
aus dem Schue-yuen, Sin-siü, Han-schi uai-tschuen, Han-fei-
tseu und Lie-sse-tschuen. B. 134. Der König Min-wang
von Thsi vernichtet (mie) Sung (285 v. Chr.) Excerpirt
werden noch Han-fei-tseu, Liü-schi's Chronik, Lie-tseu und
der I-schin-ki. B. 135. Lo-i wei Yen pho Thsi, d.i. Lo-i
vonwegen Yen zermalmt Thsi. Der Sse-ki B. 80, S. B. 28 gibt
seine Biographie. Der I-sse excerpirt noch den Lie-niü-tschuen,
Liü-schi's Chronik, Kung-tschung-tseu , Schue-yuen, Sin-siü
und Hoai-nan-tseu. B. 136. Wei-yen siang Thsin, d. i.
Wei-yen als Minister von Thsin. Sein Leben hat der Sse-ki
B. 72 , S. B. 30. Hier sind noch Stellen aus der Chronik
der Kaiser und Könige, dem Lün-heng, Han-fei-tseu, Hoai-
nan-tseu, Liü-schi's Chronik, dem Schue-yuen, Lie-niü-tschuen;
dann handelt er vom Fürsten von Tschin-schin, dessen
Leben im Sse-ki B. 78, S. B. 31, er hat aber nur noch eine
60) B. 128 (in Bd. 3) über den Philosophen Ho-kuan-tseu,
s. unten S. 236.
61) In der Sammlung UI, 8; s. m. Abh. S. 300 und Wylie p. 69.
62) B. 132 von Khio-yuen, dem Minister von Thsu und Dichter
(Sse-ki B. 84) s. unten S. 238 bei den Literaten.
Flath: Quellen der alten chines. Geschichte. 229
Stelle aus dem Lie-niü-tschuen. B. 137. TschaoLien, Lin,
Tscliao-tsche tung wei. Lien-(po's)u.Lin-(siang's)Lebenhat
derSse-ki B. 81 (S. B.28). Hier noch eine Stelle aus Liü-schi's
Chronik. B. 138. Fan-hoei siang Thsin, d. i. Fan-hoei als
Minister von Thsin. Sein Leben im Sse-ki B. 79, S. B. 30 ; hier
nur noch ein Paar Stellen aus Han-fei-tseu, dem Schue-yuen
und Liü-schi's Chronik. B. 139. Thsin Pe-ki, Tschan g-ping
pho Tschao, d. i. Pe-ki und Tschang-ping (die Feldherrn)
von Thsin zermalmen Tschao; s. im Sse-ki B. 44; es wird
f. 4 noch excerpirt Yen-yeu san-tsiang-siü. B. 140. Der Fürst
von Ping-yuen als Minister (siang) von Tschao. Sein Leben
im Sse-ki B. 76, S. B. 31.^^) Der I-sse excerpirt noch-Liü-
schi's Chronik , Kung-tschung-tseu , Hoai-nan-tseu , Lie-tseu,
Tschuang-tseu, Han-fei-tseu, Kung-sün-lung-tseu*'"^) und Lieu-
hiang's^^) Pin-lo. B. 141. Wei Sin-ling kiün tschi hien,
die Weisheit des Fürsten von Sin-ling in Wei, Sein Leben
im Sse-ki B. 77 , S. B. 28 ; hier ist noch eine Stelle aus
dem Lie-sse-tschuen. B. 142. Tschao Kien-sin kiün
tschung, d. i. die Gunst des Fürsten Kien-sin in Tschao;
nur nach dem Tschen-kue tse.^^) B. 144. Tschün-schin
kiün siang Thsu, d. i. der Fürst von Tschün-schin als
Minister in Thsu. Der I-sse hat noch Stellen aus dem Yuei
tsue-schu und Han-fei-tseu. B. 145. Lie-kue i-sse. Er
excerpirt noch ausgelassene Begebenheiten aus einer. Reihe
von Reichen nach Han-schi uai-tschuen , dem Sin-siü , Liü-
schi's Chronik, Schue-yuen, Sin-schu, Kin-lo, Kin-yuen-
yao-lu, Kin-tsing yang, Kin-thsao, Lie-niü-tschuen und Fung-
63^ Der Han-schu B. 30 f. 13 hat von Ping-yuen kiün ein Werk
in 7 Pien.
64) Nach Wylie p. 126 ein Philosoph aus dem Ende der D.
Tscheu; er hielt die Attribute der materiellen Gegenstände, wie
Farbe, Härte, für besondere Existenzen und auf einmal könne der
Geist nur eine Eigenschaft eines Gegenstandes erfassen; fühle er
die Härte, so sehe er nicht die Farbe! Der Han-schu K. 30 f. 18
kat von ihm ein Werk in 14 Pien. S. Anm. 71.
65) Aus der D. Han im 1. Jahrhundert v. Chr. ist Verfasser der
schon oben erwähnten Werke Sin-siü und Schue-yuen in der
Sammlung HI, 4 und 5 u. a. Werke; s. m. Abh. S. 296 fg.
66) B. 143 in 2 Abth. über Siün-tseu's Werke s. unten S. 233
bei der Literatur.
230 Sitzung der pMos.-philol. Classe vom 5. Februar 1870.
schang-ki. B. 146, in 2 Abthl. , handelt von Liü-pu-wei
als Minister (siang) von Thsin. Der Sse-ki spricht von ihm
B. 85. ß^) B. 148. Thsin ping thien hia, d.i. Thsin ver-
einigt mit sich das ganze Reich. Excerpirt werden noch Sün-
tseu, Kung-tschung-tseu, Hoai-nan-tseu, Lie-niü-tschuen, der
Po-voe-tschi, der Fuug-so-thung, Yen-tan-tseu, Lie-sse-tschuen,
Lün-heng, Han-schi uai-tschuen, der Schui-king tschü und
San-fu-hoang-tu. ^ ^)
8) Die Literaten und innere Verhältnisse zur Zeit
des Tschhün-thsieu und Tschen-kue (seit 722).
Es werden auch schon in den früheren Perioden einzelne
Geschichtsschreiber (sse) — s. m, Abh. Verfassung und Ver-
waltung, a. d. Abh. d. Ak. X, 2 S. 579 fg. — und Dichter
im Schi-king genannt; wir haben mancherlei literarische
Denkmäler im Schu-king, den Tscheu-li, I-h, Li-ki und
Ta-tai Li-ki mehr oder weniger erhalten, die oben schon an-
geführt sind, aber keine eigentlichen Literatur -Werke von
einzelnen Schriftstellern. Die ältesten Texte des I-king von
Wen-wang und seinem Sohne Tscheu-kung sind schon oben
angeführt. In der Zeit des Tschhün-thsieu und der streiten-
den Reiche dagegen muss es deren schon manche gegeben
haben. Eine reiche Liste zeigt der Katalog alter Werke, wel-
che Lieu-biang unter derD. Han im 1. Jahrhundert v. Chr.
von Werken, die damals zusammengebracht wurden, verfasste
und die Pan-ku, der Geschichtsschreiber der Han, im (Tsien-)
Han schu K. 30 mittheilt, vgl. Journ. As. 1869. Indess
67) Er gehört also auch schon zu den Literaten, (so auch B. 147,
Han-fei-tseu, in 2. Abth.) S. s. g. Chronik (Liü-schi's Tschhün-thsieu
in 26 B.), — aus welcher B. 146, 1 f. 4—35 v. und 146, 2 f. 1—24 v.
grosse Stellen mitgetheilt werden, — ist schon oben Anm. 5 erwähnt.
68) B. 149. Thsin Schi hoang-ti wu tao. d. i. Thsin Schi
hoang-ti ohne Princip , und B. 150 Thsin-wang, der Untergang
der (4. D.) Thsin, gehören nach unserer Annahme schon zur neueren
Geschichte.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte, 231
werden mehrere von diesen Werken nicht mehr vorhanden
sein ; noch wenigere sind uns zugänglich. Wir müssen uns
daher auf die Nachweisung dieser und der Biographien der
Verfasser derselben hier beschränken.
Der erste ist Confucius. Sein Leben gibt der Sse-ki
B. 47 Kung-tseu Schi-kia. Die s. g. Hausgespräche des-
selben, Kia-iü, würden wichtiger sein, wenn sie die echten
wären; s. aber unsere Abb. Ueber die Quellen zum Leben
des Confucius und namentlich seine s. g. Hausgespräche, a. d.
S. B. der Akad. München 1863. 8. Der I-sse B. 86 hat in
4 Abthl. alle Nachrichten über Confucius gesammelt. Von
Confucius selbst haben wir eigentlich keine Schrift ausser
seinen Commentar zum I-king, den der I-sse B. 86, 2
f. 2 — 32 mittheilt, so wie seine Chronik, den Tschhün-
thsieu, in B. 86, 3 f. 8 — 37. Im Lün-iü, Li-ki und Kia-iü u. s. w.
sind nur Aussprüche von ihm und Gespräche mit seinen
Schülern; wir werden diese im Leben des Confucius mit-
theilen.
üeber die Schüler des Confucius hat der Sse-ki ein
besonderes Buch 67 Tschuug-ni (d.i. Confucius) Ti-tseu
Lie-tschuen, ebenso der Kia-iü K. 38 Thsi-schi-eul
ti-tseu kiai über die 72 Schüler des Confucius. Der I-sse
B. 95 Kung men tschu tseu Yen hing, d. i. Confucius
Schüler Reden und Thaten , sammelt in 3 Abth. alle Nach-
richten über die Schüler desselben ; wir w^erden auch diese in
Confucius und seiner Schüler Leben mittheilen. Von den
4 Büchern (Sse-schu) ist das erste Ta-hio oder die grosse
Lehre nach der gewöhnlichen Annahme bis auf den ersten §
von seinem Schüler Thseng-tshan (geboren 505 v. Chr.) ^^),
69) Von ihm ist auch der Hiao-king, oder das Buch von der
Pietät, das der I-sse daher in dessen Leben B. 95, 1 f. 20 — 23 v. ganz
aufgenommen hat. Der neue hat 18 Abschnitte (tschang), der alte
in Japan 22. Xach den Schol. zum Han-schu B. 30 f. 9 v. hatte
232 Sitzung der phüos.-pMlöl. Gasse vom 5. Februar 1870.
während einige es Confucius Enkel Khung-ki oder Tseu-sse
zuschreiben, s. Legge Prol. T. 1 p. 26. Das 2. Werk, der
Tschung-yuug, d. i. die unabänderliche Mitte, ist von diesem
seinem Enkel Tseu-sse, s. Legge Prol. I p. 36. Das 3te der
Lün-iü oder die Gespräche zwischen ihm und seinen Schülern,
soll nach der Geschichte der Literatur im Han-schu von
seinen Schülern zusammengetragen sein, doch ist dies nicht
klar, s. Legge Prol. T.I p. 15. Der I-sse B. 106 handelt von
Tseu-sse's und Meng-tseu's Worten und Thaten (Tseu-sse,
Meng-tseu yen hing). Meng-tseu's (371 — 288) Denkwürdig-
keiten enthält das 4te der 4 Bücher ; verfasst scheint es von
ihm aber nicht zu sein, s. Legge T. II p. 11. Der Han-schu B. 30
f. 12 m. d. Schol. citirt noch von Confucius Schülern und den
Schülern derselben folgende Werke : Lu-tseu 18 Pien; Tschi-
tiao-tseu 12 Pien, (s. Legge Prol. Ip. 124); Mi-tseu 16 Pien,
nach der Note ist dies Mi-pu-thsi oder Tseu-tsien, (s. Legge
Prol. I p. 119); King-tseu, sein Schüler, 3 Pien; Schi-tseu
aus Tschin, Schüler der 70 Schüler, 21 Pien; Li-khe 7 Pieu,
(er war Tseu-hia's Schüler und Minister von Wei Wen-heu
(423—386 V. Chr.); Kung-sün-ni-tseu, Schüler der 70,
28 Pien u. Mi-tseu aus Thsi, nach den 70 Schülern, 18 Pien.
Von allen diesen wird wohl aber nichts mehr vorhanden sein.
Man würde daher sehr irren, wenn man meinte, was wir
haben, wäre der ganze Reichthum der alten chinesischen Litera-
tur gewesen. Neben Confucius orthodoxer Schule, die am Herge-
brachten hing, gab es aber auch noch^a bweichendeSysteme.
Wir denken sie in einer Abh. : die Bewegung der Geister
in China in den letzten 500 Jahren v. Chr. darzustellen.
der alte 1871 Charaktere, der jetzige nur über 400. Eine Ueber-
setzung geben P. Amiot Mem. T. 4 und P. Noel in Sinensis imperii
libri classici 6. Pragae 1711 in 4''. Vgl. Remusat N. Mel. As. T. II
p. 106 und I p. 280 über Thseng-tseu und über Tseu-sse T. II.
p. 110 fg. Der Han-schu hat noch B. 30 f. 12 v. Tseu-sse 23 Pien.
Plath: Quellen d^ alteyi chines. Geschichte. 233
Wir haben noch unter den 10 s. g. Philosophen (tseu) den Siiin-
(khing-)tseu, der zu den Literaten (Jü-kia) gerechnet wird,
aus Tschao, zur Zeit des Königs Siang von Thsi 271 — 264, der
noch bis zur Zeit der D. Thsin lebte. Man hat von ihm
nach Julien Introd. zu Lao-tseu p. I. noch 5 Hefte über Po-
litik und Moral. Der Han-schu B. 30 f. 12 v. hat Siün-
khing^") tseu 33 Pien; vgl. W. Schott Entwurf S. 47 fg. Der
Sse-ki B. 74 f. 5 sq. spricht von ihm: Meng-tseu, Siün-
khing lie-tschuen und der I-sse B. 143 Siün-tseu
tschu-schu gibt sein Werk. Er ist merkwürdig, indem er
von Meng-tseu ganz verschiedene Principien aufstellt; während
dieser nämlich davon ausging, dass die Natur des Menschen
von Haus aus gut sei, statuirte er, dass sie von Haus aus
böse sei. Legge Prol. T. H p. 81 — 91 theilt aus seiner
Schrift den Abschnitt Sing ngo pien, von der Bösheit der
Natur (auch im I-sse B. 143 f. 26 v.) mit; s. auch Rev.
Griffith The Ethics of the Chinese, with special reference to
the Doctrines of Human Nature and Sin, in d. Transact.
of the North-China Brancli of the Royal Asiat. Soc. 1859
Novmbr.
Zur Secte der Literaten gehört auch Wen-tschung-
tseu, nach einigen ein Schüler des Confucius, Juhen sagt
Meng-tseu's , von dessen Werken sich auch ein Heft unter
den 10 Philosophen (tseu) findet.
Zu den Gegnern Meng-tseu's , gegen welche er wieder-
holt eifert, gehörten Yang-tschu und Me-thi; von jenem
spricht Meng-tseu in, 1, 5 u. 2, 9 VII, 1, 26 und VII, 2, 26,
und über Me-thi III, 1, 5 III, 2, 9 VII, 9, 26; ihre
Lehren waren zu seiner Zeit sehr verbreitet. Yang-tschu
70 j Wylie p. 66 nennt ihn Siün-hoang, er habe ein Werk in
20 B. hinterlassen; Khing ist Titel: Minister.
234 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 5. Februar 1870.
wollte nach ihm keine besondere Vorrechte des Fürsten an-
erkennen; Me-tseu lehrtu allgemeine Menschenliebe statt
Pietät, wie Confucius Schule. Legge Prol. T.II p. 95 — 100 gibt
eine Stelle aus Yang-tschu und p. 103 — 119 einen grösseren
Abschnitt aus Me-tseu's Werke von der allgemeinen Liebe
(ngai khien); der I-sse B. 103 gibt in 2 Abth. beider Reden:
Yang-tschu, Me-thi tschi yen und noch die Stellen über
sie aus dem Sse-ki, Lie-tseu, Tschuang-tseu , Schue-yueu,
Hoai-nan-tseu , Liü-schi's Chronik, Hau-fei-tseu , dem Lün-
heng, Hu-fei-tseu und Sui-tschao-tseu. Aus Me-tseu gibt der
I-sse Stellen B. 103, 1 f, 10—32 u. 103, 2 f. 1 v. — 17.
Der Han-schu B. 30 f. 18 v. hat Me-tseu 71 Pien, der
Katal. 13 f. 1 Me-tseu 15K.") Er war nach den Schol. zum
Han-schu Ta-fu in Sung und lebte nach Confucius.
Von seinen Schülern hat d. Han-schu von Siuj-tschao-tseu
6 Pien, von Hu-fei-tseu 3 Pien, von Tienkieu-tseu (nach
d. Schol. vor Han-fei-tseu) 3 Pien und von Ngo-tseu 1 Pien,
Wylie f. 125 setzt Me-tseu ins 5. Jahrh. v. Chr. Das Werk
unter seinem Namen in 15 Büchern soll von seinen Schülern
zusammengetragen sein, von den 71 Abschnitten seien 18
verloren ; es handle von Moral und Politik. Die letzten
20 Abschnitte von Militär-Taktik seien aber so dunkel und
unverständlich, dass man meine, der ursprüngliche Text sei
nicht erhalten. Auch Ngan- oderYen-tseu soll nach Wylie
p. 28 sein Schüler gewesen sein (s. über ihn oben Anm. 47).
Ein Zeitgenosse des Confucius, der aber ganz anderen
Principien folgte, sich aus der Welt zurückzog, satt Aemter
71) DerKat. 13 f. 1 fg. rechnet Me-tseu, Yn-wen tseu aus der
D. Tscheu 1 K., wie Schin-tseu, zu Meng-tseu's Zeit, s. VI, 2, 8,
IK., Ho-kuan-tseu 3K, Kung-sün-lung-tseu aus der D. Tscheu
3K. (s. Anm. 64), Kuei-ko-tseu 1 K. (von dem Auszuge im I-sse
B. 114 f. 1— lOv.), wie Liü-schi's Tschhün-thsieu (s. S. 230 u. Anm. 5)
aus der D. Thsin, Hoai-nan-tseu aus der Zeit der D.Han (s. S. 236)
zu den Tsa-kia, Polygraphen oder vermischten Schriften.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 235
und Ehreu zu suchen und zum Tao, dem ewigen Urwesen,
eigentlich Wege, zurückzukehren lehrte, war Lao-tseu,
eigentlich Li-pe-jaug mit Namen, den die spätere Sekte
der Tao-sse als ihr Haupt betrachtet, obwohl er mit deren
Aberglauben nichts zu thuu hat. Wir haben von ihm noch
den Tao-te-king, den Prof. Julien Le livre de la voie et
de la vertu, chinesisch mit Uebersetzung Paris 1842 in 8°
herausgegeben hat^*). Der I-sse hat den Tao-te-king in B. 83.
Eine kurze Nachricht über ihn und seine Schüler oder
Nachfolger, Tschuang-tseu, Schin-pu-yen und Han-
fei-tseu gibt der Sse-ki B. 63, Lao, Tschuang, Schiu,
Han-lie-tschuen. Aelter als diese Schüler ist Lie-tseu,
der 398 v. Chr. sein Werk noch vor Tschuang-tseu, der
ihn öfter citirt, herausgab. Wir haben sein Werk nach dem
Han-schu B. 30 f. 15 in 15 Pien in 2 Heften unter den
10 Philosophen noch ; aus seinen Werken und denen
Tschuang-tseu's theilt der I-sse B. 112, 1 u. 2 Lie,
Tschuang tschi hio die Lehre von jenem K. 112, 1 f.
1— 22 v., die von diesem K. 112, 1 f.22v.fg. und K.112, 2,
ich weiss nicht ob Stücke oder die ganzen Werke — da
sie mir nicht zugänglich sind — mit. Tschuang-tseu war
Zeitgenosse des Kaisers Hien-wang's 368 — 20 v. Chr. und
Verfasser des berühmten Nan-hoa-king und 2 satyrischer
Schriften wider die Schule des Confucius. Der Han-schu
ebenda hat Tschuang-tseu 52 Pien und B. 30 f. 14 v.
dann noch folgende Schüler Lao tseu's: Wen-tseu 9 Pien,
nach den Scliolien aus Confucius Zeit, Yuen-tseu 13 Pien
72) Nach dessen Uebersetzung ist die englische Uebersetzung
des Textes von John Chalmers The speculations on Metaphysics,
Polity and Morality of the old Philosopher Lau-tsze. London 1868.
8. gemacht. Reinhold vonPlänkners deutsche Uebersetzung: Lao-
tse Tao-te-king, der Weg zur Tugend. Leipzig 1870. 8. will Julien
meistern, der Titel des Buchs ist aber schon falsch übersetzt.
236 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 5. Februar 1870.
(aus Tschu), Kuen-yn-tseu 9 Pien, Lao-tsching-tseu
18Pien. Han-fei-tseu, von derselben Schule, blühte unter
Kaiser Ngan-wang, der ihn 397 v. Chr. als Gesandten nach
Thsin schickte; sein Werk unter denen der s. g. 10 Philosophen
in 4 Heften, handelt vornehmlich von Strafen und Gesetzen
vvesshalb ihn Ma-tuau-lin den Gesetzgelehrteu (Fa-kia) bei-
zählt. Der Han-schu B. 30 f. 17 v. hat Han-tseu 55 Pien,
der Katalog 10 f. 1 v. 20 K. Der I-sse B. 147 schang
und hia: Han-fei hing ming tschi hio gibt, ich weiss
nicht, ob sein ganzes Werk. Zu dieser Schule gehört auch
Ho-kuan-tseu, der lOte der Philosophen aus dem Lande
Thsu, Zeitgenosse Yang-tschu's und Me-thi's; von seinem
Werke hat sich aber nur 1 Heft verstümmelt erhalten. Der
I-sse B. 128 enthält seine Reden, Ho-kuan-tseu tschi yen
vgl. Katalog B. 13 f. 2. Kuau-tseu. der 5te der Tseu, blühte
480 V. Chr. im Reiche Thsi, s. S. 216;''^) man hat von ihm
389 Essai's über National-Oekonomie, Krieg u. Gesetze,
welche Lieu-hiaug unter der D. Han in 86 K. abtheilte; es
sind jetzt 8 Hefte in 24 Kiuen, wie Kat. 10 f. 1. Man rechnet
ihn auch zur Schule der Gesetzgelehrten (Fa-kia). Der I-sse
gibt Auszüge aus ihm B. 89 f. 22—33 und B. 44. Aus
dieser Klasse nennt der Han-schu B. 30 f. 17 v. noch Li-
tseu Minister Wei-wen-heu's (423—386), 32 Pien;
Schang-kiün 29 Pien, Kat. 10 f. 1 v. 5 K., (Auszüge im
I-sse B. 115 f. 3— 6 u. 8— 22v. vgl. Sse-ki B. 68, S.-B. 29
S. 98; s. oben S. 223); Schiu-tseu oder Pu-hai 6 Pien,
73) Der 7te dieser Philosophen von derselben Schule Hoai-nan-
tseu, ein Enkel des Kaisers Han Kao-ti, der erst 179 — 156 v. Chr.
blühte, ist aus späterer Zeit. Der Han-schu B. 30. f. 21 hat von ihm
zwei Werke; — er rechnet ihn zur Classe der Polygraphen (Tsa-kia), —
eines in 33 Pien ist verloren, das 2te, 8 Hefte in 21 K. , ist auch in
der Sammlung III, 6; s. m. Abhdl. S. 249 und Wylie p. 126.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 237
Minister Han Tschao-heu's (359 — 32) , vgl. Sse-ki B. 63
f. 5. Katalog B. 13 f. 1 v. , Auszüge im I-sse ß. 111 ; Tschu-
tseu aus Tschao 9 Pien u. Tschin-tseu 42 Pien — die der
I-sse B. 119 f, 9v. bis 13 auszieht — vor Schin- und Han-tseu,
die ihn anführen. Der Katalog K. 10 f. 1 v. hat unter den
Fa-kia noch Theng-si-tseu aus der D. Tscheu 1 Kiuen.
Noch haben wir einige alte Werke über Kriegskunst
(Ping-kia) von Sün-tseu u. U-t^eu, von deren Verfassern
der Sse-ki B. 65 handelt, sowie den Sse-ma-fa, welche 3
Amiot Mem. T. 7 übersetzt hat. Vergl. Gaubil Tr. p. HO.
Stellen aus Sün-tseü hat der I-sse B. 89 f. 22 — 33. Sün-
tseu oder Sün-wu war ein Officier im Dienste U's im
6. Jahrhundert V. Chr.; seine Abh. über Militär-Taktik ist in
13 Abschn. U-tseu oder ü-ki schrieb im 4 Jahrh. v. Chr=
Der Kat. 9 f. 23 hat U-tseu 1 K. Sein Werk handelt in
6 Abschn. von den National-Resourcen — der Schätzung der
feindlichen Macht — der militärischen Coutrolle — Dis-
cussion über Militärbeamte und von der Aushebung von
Truppen. Der Sse-ma-fa, nach dem Kat. 9 f. 23 1 K.,
wurde im 4. Jahrh. v. Chr. auf Befehl des Fürsten von Thsi
aus älteren Werken compilirt. In 5 Abschnitten handelt
es von der Wurzel des Wohlwollens — der Theorie der
Autokracie — den festgesetzten Titeln — strengen Aufmerk-
samkeit auf die Stationen und der Verwendung der Masse ;^*)
s. Wylie p. 72 fg.
Der I-sse B. 113 gibt auch noch Nachricht und Aus-
74) Der Han-schu B. 30 f. 28 hat von Werken über den Krieg:
1) ü, Sün tseuPiug-fa 82 Pien. 2) Thsi Sün-tseu 80 P. 3) Kung
sün yung 27 P. 4) U-ki 48P. 5jFan-li 2 P. 6) den Ta-fu Tschung
2 P. (beides waren berühmte Generäle Keu-tsien's von Yuei) und 7)
Han -sin 3 P. Es fragt sich aber, ob dies wirklich Werke derselben
waren oder nur unter ihren Namen verfasste. Sie sind auch wohl
nicht mehr erhalten. Der Katalog K. 9 f. 21 hat unter den Schrift-
238 Sitzung der pJiilos.-phüol Classe vom 5. Februar 1870.
Züge aus den Werken von 2 Aerzten Pien-tshio und Wen-
tschi. Es gab kaiserliche Aerzte nach Tscheu-li V f. 1 — 16,
und fürstliche nach Meng-tseu 11, 1, 2, 3 z.B. in Thsi.
Erwähnung verdienen hier noch die Thsu-sse, s. den
Katalog K. 15 f. 1 fg., Wylie p. 181. Es sind dieses Poesien von
ausgezeichneten Männern des Königreiches Thsu in Hu-kuang.
Die ersten sind von Khio-yuen, Minister von Hoai-wang (328
bis 2 98); s. Sse-ki B. 84, sein Leben. Vom Volke geliebt, dem
Könige unentbehrlich wurde er verläumdet und verlor seinen
Posten. Zurückgezogen dichtete er den Li-sao, d. i. die An-
wandlung des Schmerzes , worin er unter Allegorien einen
König aufsucht, der den vollkommenen Herrschern der alten
Zeit gliche, aber zuletzt ihn zu finden verzweifelt. Rathlos
brachte der König Verderben über das Land; sein Heer wurde
von Tshin geschlagen und das Land verwüstet. Tshin veran-
lasste dann den König zu einer Zusammenkunft. Trotz des
Rathes "von Khio-yuen ging er hin und er wurde da bis an
seinen Tod zurückgehalten. Khio-yuen tadelte den Jüngern Sohn
des Königs Tse-lan, der zu der Reise gerathen; der verklagte
ihn beim neuen Könige und er wurde südlich vom Kiang
verbannt. Hier dichtete er noch die 9 Gesänge, die
Himmelsfragen, die 9 Capitel, die ferne Wanderung,
die Wahrsagerwohnung und den Fischervater, den Re-
gierungsgrundsätzen der alten Könige wieder Eingang zu
verschaffen. Da ihm das nicht gelang, wollte er den Unter-
gang seines Vaterlandes nicht erleben , stürzte sich , einen
Stein im Busen, in den Mi-lo Fluss und ertrank 250 v. Chr.
Jährlich am 5. des 5. Monats feiert das Volk da noch seinen
stellern über den Krieg noch den San-lio 3 K. (s. oben Anm. 27)
und den Wei-liao-tseu, 5 K. aus d. D. Tscheu. — Diesen hat der
Han-schu B. 30 f. 20 aus der Zeit der 6 Reiche, aber unter den
Tsa-kia.
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 239
Todestag; die Topographie von KiaDg-ling gibt seine alte
Wohnung imd den Ahnenterupel seiner Schwester Niü-siü und
der Stein , auf dem seine Kleider ausgeklopft wurden , wird
noch gezeigt.
A. Pfizmaier: das Li-sao und die 9 Gesänge, 2 chi-
nesische Dichtungen aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., Wien
1852 fol.; aus den Denkschriften der Wiener Akademie B. 3 gibt
eine deutsche üebersetzung derselben, der I-sse B. 132 f. 3 v.
bis 8 mit dem Commentare von Wang-y den chinesischen Text
des Li-sao und den der 9 Gesänge (khieu kho) f. 9 — 12,
dann die Himmelsfragen (thien-wen) f. 12 — 15; die ferne
Wanderung (yuen-yeu) f. 15 — 17; die Wahrsagerwohnung
(po-kiü) f. 17 — 18; den Fischervater (yü-fu) f. 18 und
noch andere f. 19 fg. Den Thai-tschao schreiben nach den
Schol. f. 27 V. einige ihm, andere King-tschha zu. Es ist
dies ein anderer dieser Dichter aus Thsu ; ein dritter aus der-
selben Zeit oder etwas später ist Suug-iü. Die Stelle des
Sse-ki über beide gibt der I-sse 1. c. f. 28, dann noch eine über
diesen aus dem Sin-siü, die auch im Han-schi uai tschuen.
Der Han-schu B. 30 f. 22 v. hat Khio-yuen pu, 25 Pien,
Thang li pu, 4 Pien (nach den Schol. auch ein Mann
aus Thsu) und Sung-iü pu. 16 Pien. Gedichte von diesem
hat der I-sse B. 132 f. 29 — 44. Lieu-hiaug sammelte die
Gedichte aus Thsu (Thsu-sse) , zuerst im 1. Jahrhundert
n. Chr. Sie sind dann später verschiedentlich commentirt
und herausgegeben worden, s. Wylie p. ISl; in Witn sind
2 Ausgaben.
Ausser ihrer politischen und poetischen Bedeutung werfen
diese Gedichte auch auf die Sagengeschichte, diu Religions-
verhäitnisse und die üulturgeschichte Thsu's ein eigenes neues
Licht. Es werden z. B. in den 9 Gesängen durch Zauberinnen
mit Musik und Tanz 8 Götter und ein Dämon herbeigerufen,
so: der Tung-hoang Thai-i (der Kaiser des Ostens, der
240 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Februcvr 1870.
grosse Eine), der Wolkengott, die Königin des Siang(-FIusses),
die Gebieterin (fu-pin) des Siang (Yao's ältere und jüngere
Töchter, Gemahlinnen Schün's), der grosse Schicksalsgott
(Ta sse ming , der oberste der 3 Thai-Sterne) , der kleine
Schicksalsgott (Siao-sse ming, der 4te Stern des Sternbildes
Wen-tschang), der Fürst des Osten (Tung-kiün, d.i. der Sonnen-
gott), der alte (Gott (des) Hoang)-ho und der Bergdämon (Schan-
kuei). Den Manen der erschlagenen Krieger wird geopfert.
Andereinnere Verhältnisse. Unter diesem Titel fassen
wir zusammen was der Sse-ki B. 23 — 30 und der I-sse
B. 151 bis zum Schlüsse B. 160 noch hat. Die 8 ßücher
Pa-schu, Zweige der Wissenschaft, des Sse-ki handeln für
die Zeit der ganzen alten Geschichte vom Ritual, der Musik,
den Gesetzen, der Zeitbestimmung, der Himmelskunde, den
Opfern, den öffentlichen Bauten, besonders der Kanäle, den
Maasen und allen ihren Veränderungen bis unter den Han : B. 23
Li-schu, von den Gebräuchen; B. 24 Yo-schu, von der
Musik; B. 25 Liü-schu; B. 26 Li-schu, von der Zeit-
bestimmung. Die 4 Bücher Sse-ma-tsien's sind aber verloren
und die 2 letzten von Tschu-schao-sün, B. 23 durch Siün-tseu's
Li-lün, B. 24 durch den Yo-ki ersetzt. B. 27 Thien-kuan-
schu, von der Himmelskunde; B. 28 Fung-schen-schu,
von Opferplätzen ; B. 29 Ho -khiü-schu, von Wasserbauten
und B. 30 Ping-tschün-schu von Maas und Gewicht.
Im I-sse ist B. 151 Thien-kuan-schu, mit 11 Tafeln
der Gestirne. Es wird nicht nöthig sein, aus diesen und
den folgenden Büchern alle die vielen schon genannten oder
nicht genauer bekannten Schriften, aus welchen er Excerpte
gibt, anzuführen. Wir heben hervor den ersten Theil des
Tscheu-pei-suan-king f. Iv.'^), Sse-ki B.27, Han-schu, Hoai-
nan-tseu, Tschhün-thsieu-yuen-ming-pao.
75) Es soll nach Wylie p. 86 aus d. D. Tscheu sein: der erste
Theil ein Dialog zwischen Tscheu-kung und Schang-kao, einem Mi-
Flatly. Quellen der alten chines. Geschichte. 241
B. 152 hat den Titel Liü-li-tung-kao und ist aus
Sse-ki B. 25 Han-scliu u. s. w.
B. 153 Yuei-ling, enthält zu Anfange den kleinen
Kalender der Hia, llia-siao- tsching. — den wir aus dem
Ta-tai Li-ki K. 26 Ti 47 kennen, übersetzt von BiotN, Journ.
As. 1840, Ser. III, T. 10 p. 551 — 60 und jetzt von uns in
u. Abh. Die Beschäftigung der alten Chinesen, a. d, Abh. der
Ak. München 1869 4. p. 141 (39) fg. — dann Auszüge aus
dem Tscheu-schu f. 3 — 6, darauf f. 6 — 17 das Kap. 6 des Li-ki
C. Yuei-ling und f. 17 fg. aus Tschuang-tseu den Abschnitt
die vier Jahreszeiten (Sse schi) mit Zusätzen aus Andern.
B. 154 in 2 Abth. Hung-fan u. hing-tschuen, von
den 5 Elementen, enthält nur Pan-ku's Han-schu B, 27
ü-hing tschi,
B. 155. Ti-li-thu, enthält erst geographische Karten
China's aus der ersten Zeit, dann die der neun Provinzen nach
demC. des Schu-king Yü-kung, die unter der 2.D.Schang; un-
ter der 3. D. nach Tscheu-li B. 33 Tschi-fang schi; dann unter den
West-Tscheu; zur Zeit des Tschün-tsieu ; zur Zeit der streiten-
den Fieiche und zuletzt der Provinzen der 4. D. Thsin. Da-
rauf folgen unter dem Titel Ti-li-tschi geographische
Nachrichten aus verschiedenen Autoren, dem Eul-ya, Schi-
ming, Hoai-nan-tseu u. a. Aus dem Ti wang scLi-ki gibt er
f. 5 — 7 V. die angebliche Grösse und Bevölkerung Chinas
von der ältesten Zeit an bis zur 4 D. Thsin ; s. m. Abh.
üeber die Glaubwürdigkeit d, ältest. chin. Geschichte.
München 1866 8°, a. d. S.-B. 1866 L, 4 S. 571 fg.; zuletzt
7 — 17 V. die Geographie der einzelnen Reiche aus
dem Han-schu B. 28 hia f. 17 — 27 und dem Po-voe -tschi.
nister der D. Tschau, handelt von den Eigenschaften des recht-
winkeligen Dreiecks ; der zweite , ein Dialog zwischen Yung - fang
und Tschin-tseu über Astronomie, ist zum Theil aus späterer Zeit;
der letzte spricht von der runden Gestalt der Erde , dem Wechsel
der Temperatur und der Länge der Tage nach der Breite des Orts.
Vgl. E. Biot Traduction et explication du Tscheu-pei, ancien ouvrage
astronomique, im Journ. As. 1841. Ser. III. T. 11. p. 593—640 nach
dem ganzen Text im Tsin-tai-pi-schu. S. Fourmont's Catalog p. 304.
[1870. I. 2.] 16
242 Sitzung der philos.-'p'hildl. Classe vom 5. Februar 1870.
B. 156. Tsching-schi schi-pu sind Denkwürdig-
keiten aus der Geschichte des Schi-king nach der Folge der
Bücher f. 1 — 9. Dann folgt f. 9 v. fg. Schang-schi-u
(5) Pien, eine Liste der Kaiser der 2. D., auf die man
Schi-king Schang-sung IV. 3 bezieht; darauf f. 11 — 21 v.
Tscheu-schi san pe lo pien, der Reihe der Kaiser der
3. D. Tscheu, auf welche man die Lieder des Schi-king B. 2
und 3 Siao- u. Ta-ya bezieht.
B. 157 Schi-ho-tschi, über Nahrung und Güter. Erst
Erklärung von Ausdrücken aus den alten Wörterbüchern u.
a. Werken, dem Eul-ya, Schue-wen, Siao-eul-ya, Po-ya u.
Schi-ming'^^) dann sächliche Nachrichten aus dem Han-schu
B, 24 1 u. 2, dem Sse-ki, Siang pei-khing, Han-schi uai-
tschuen u. a.
ß. 158. Sui-iü-thu, gibt erst Abbildungen von den
verschiedenen Kuei (Abzeichen der Fürsten) u. Geräthen mit
Beschreibungen und dann den ganzen Anhang des Tscheu-li
B. 40 — 44 Khao-kung-ki über die Gewerbe, statt des ver-
lorenen Theils des Tscheu-li (die früheren Bücher des Tscheu-H
gab der I-sse bereits 13. 23, 1 u. 2).
B, 159, 1. schaiig enthält sehr Mannigfaltiges, erst 9 Bl.
Abbildungen von Gefässen mit Beschreibungen, dann
besonders Auszüge aus dem Pe-hu-tung u. a. über Bücher,
f. 20 Proben der verschiedenen chinesischen Charaktere,
von Tsang-hi(?, dem angeblichen Erfinder der Schrift, aus
Yü's Zeit, der (Siegel -Charaktere) des Tschheu-sse, der
Bücher zu Cont'ucius Zeit, der von Li-sse und der Bureau-
Schrift (Li schu) unter der D. Thsin.
B. 159, 2. (hia) Kuan fu handelt von der Kopfbe-
deckung und der Tracht und hat Stellen aus dem Heu-
Han schu, Pe-hu-tung, Schue-yuen und den erwähnten alten
Wörterbüchern, dann Tscheu-kiü, d. h. von Schiffen und
Wagen, nach denselben Werken, darauf Kung-schi, von
Palästen und Häusern, auch mit Stellen aus den genannten
Wörterbüchern und dem Fang-yen, einer alten Dialektologie^^);
76) Die letzteren 3 finden sich in der Sammlung I, 17, 19 und 20.
77) Fang-yen, in der Sammlung I, IS, zeigt die verschiedene
Sprache in den einzelnen Reichen wohl zur Zeit des Tschhün-thsieu
Plath: Quellen der alten chines. Geschichte. 243
weiter f. 10 Ki-yung, vom Gebrauche der Gefässe nach
denselben und einigen anderen Werken. Sehr dürftig sind
die letzten Abschnitte Yen-schi, von Trank und Speise,
Tsao-mo, von Kräutern und Bäumen und Niao-scheu,
von Geflügel und Wild. Ausführlicher ist dieses alles in
den grossen chin. Eucycloj^edien, aber nicht beschränkt auf
die alte Zeit. Unsere Abb. : die 4 grossen Encyclopedien
der Chinesen wird darüber die näheren Nachweise geben.
B. 160 endlich Ku kin jin piao ist Pan-ku's Han-
schu ß. 20 f. 1 — 69 und enthält eine Uebersicht sämmt-
licher Kaiser, Vasallenfürsten, Staatsmänner u. s. w.
des alten China von Fu-hi bis zu Ende der 4. D. Thsin.
Manche Einsicht in die innern Verhältnisse gewähren
noch die Sammlungen alter Gefässe und der In-
schriften darauf durch die Chinesen. Pauthier im Journ. As.
1868. Ser.VIT. 11 p. 362— 5 nennt 10 chin. Werke darüber.
Uns stehen nur 2 davon zu Gebote.
Den 1) San li thu, Tafeln (Abbildungen) zu den 3 Li
, (dem Tscheu-li, I-li und Li-ki, s. S. 100 fg.) von Ni-tshung
I yi, V. J. 962, der schon oben erwähnt ist, hat die Staatsbiblio-
thek; es ist auch in Berlin nach Schotts Verzeichniss S. 63.
2) Lo king thu khao, von Yang kia unter der D.
Sung 1165, mit 322 Abbildungen.
3) Khao ku thu, von Po ku thu u. Liü Tu fang
unter der D. Sung, Abbildungen alter Vasen. Daraus giebt
, solche Thoms im Journ. of theAs. Soc. of London. T. L
! 4) Siao tung tsi ku lo, von Wang-kien a. d. Sung.
Von 292 alten Inschriften sind 126 aus der 2 D. Schang,
133 aus d. D. Tscheu, 23 aus d. D. Han, dann 36 Siegel,
eines angeblich von Yü.
und der Tschen-kue. Er unterscheidet Yen mit Tschao-sien,
(Tai), Lu, (besonders Ost-) Tshi, Tsin (Tschao, Han und Wei),
Tshin, Sung, Wei (in Ho-nan), Tsching, Tschin, Thsu (King),
ü und noch andere Unterabtheilungen.
16*
244 Sitzung der pMos.-pMlöl. Classe vom 5. Februar 1870.
5) Tsclmng ting khuan tschi von Sie-schi (Schang-
kung), a. d. D. Sung, hat 2 Inschriften aus d. D. Hia, 209 a.
d. D. Schaug, 253 a. d. D. Tscheu u. s. w. K. 17 enthält die
Inschrift einer Stein-Trommel a. d. Zeit Siuen-wang's 827 v.
Chr. u. die Inschrift einer Lanze Tschung-kang's (2150 v. Chr.)
Die Staatsbibliothek hat es in 20 Kiuen, in einer Ausgabe
a. d. Regierung Kia-khing A^ 2.
6) Tsi ku tschai tschung ting i khi kuan tschi
von Yuen-yuen, hat 170 Inschriften aus d. 2 D. Schang
u. 260 aus den 3 D. Tscheu.
7) Tscheu y tshiuen schu ku. 1596 2 B. 4.
8) Kiu ting si thsing ku kian, Abbildung und Be-
schreibung von 1529 alten Gegenständen; daraus sind die
alten Gefässe b. Pauthier Description de la Chine pl. 38 —
44, p. 202—7 abgebildet.
9) Thsien tschi i sin pien, Abbildung von Münzen,
angeblich schon von Fu-hi (3467 v.Chr.), Schin-nung (3218),
Hoang-ti (2697), Yü (2205) u. s. w. (Fang-schi's Me phu,
Inschriften auf Dintenstöckeu , aus der Zeit der Sung , ge-
hören nicht hieher.)
Ein Werk in Berlin ist schon Anm. 38 erwähnt.
Man sieht, wie viele Quellen für die innere Ge-
schichte des alten Chinas und speciell der letzten Zeiten
der 3. D. Tscheu vorhanden waren und zum Theil noch
sind , aber diese in Europa sich zu verschaffen und dann
auszubeuten, ist schwer; ehe das aber nicht geschehen,
kann eine gründliche, allumfassende alte Geschichte China's
nicht geschrieben werden.
Lauth: Fapyni^ Prisse. 245
Herr Lauth trägt vor:
„Ueber Chufu's Bau und Buch."
(Papyrus Prisse. IL TheiL)
In meiner vorigen Abhandlung^) habe ich durch eine
vollständige Analyse der zwei ersten Blätter des Papyrus
Prisse dargethan, dass der Verfasser dieses und des vor-
angehenden, leider ! verloren gegangenen Theiles sich in der
Schlussphrase selbst Kadjimua nennt — eine Beobachtung,
die Herrn Chabas^) entgangen war, da er schreibt: Le nom
de Ptahhotep n'apparait pas dans les clauses finales du
premier ouvrage ; par analogie avec ce qui se passe dans
le second , nous devons croire que le nom de l'auteur etait
indique apres le titre qui a disparu." Ich stimme mit letz-
terer Bemerkung vollständig überein, nur dass ich nicht den
Ptahhotep, Verfasser des dritten Theiles, sondern den
Kadjimna (Kaxif.ir^v) eben so zu Anfang ergänze, wie er
am Schlüsse des ersten Theiles als Verfasser genannt ist.
Auch Brugsch^) hat die Sache so aufgefasst wie ich, indem
er sagt: jjAuf der Schlussseite einer nur fragmentarisch
vorhandenen Abhandlung des ägyptischen Landvogtes Ka-
kemui, welche den Weisheitslehren Ptahhotep's voran-
ging und ähnlichen Inhaltes war , findet sich gegen Ende
des Werkes folgende beachtenswerthe Stelle'" (vergl. meine
Abhandlung über Pap. Piisse I. Theil zu II lin. 4 — 7). Aber
auch er spricht nur von zwei Verfassern des Papyrus Prisse,
1) Sitzungsberichte 1869, II, 4.
2) Revue archeolog. 1858 p. 4.
3) üeber Bildung und Entwickelung der Schrift p. 27.
246 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 5. Februar 1870.
indem er den zerstörten Theil mit Stillschweigen übergeht.
H. Chabas sagt im unmittelbaren Anschlüsse an die oben
aus seiner Arbeit citirten Stelle : ,,nous voyons d'ailleurs
qu'ä la fin de ce second ouvrage (es ist mein III. Theil)
Ptah-hotep n'est pas nomme non plus , mais qu'il est lui-
meme la personne parlante et agissante." Das Fehlen des
Namens Ptahhotep am Schlüsse des III. Theiles hat seinen
Grund einfach darin, dass er, der 110jährige, kein Avan-
cement zu melden hatte , wie Kadjimna , der zu Anfang
seines Werkes einen niedrigeren Grad unter König Huni
bekleidet hatte, während er nach dem Ableben dieses Mo-
narchen und mit dem Regierungsantritte des Snefru sofort
ausser seiner schon innegehabten Eigenschaft als tsQoyQCffjr
fjiarevg auch noch den Rang eines Mur-nu-dje (praefectus
urbis et orbis) erhielt. Wir haben folglich keinen Grund,
Herrn Chabas beizustimmen, wenn er schliesst : ,,il y a donc
quelque motif de penser que les deux (eigentlich „trois")
ouvrages sont du meme auteur et que le premier a ete
compose a une epoque contemporaine de la mort d'un roi
nomme Oer-En (lies Huni) auquel succeda immediatement
Snefru, monarque qui recompensa Ptah-hotep en lui con-
ferant la dignite d'intendant civil. Le livre efface datait
probablem ent du regne de Suefrou". Für den letzten Satz
fehlt es an jeglicher Begründung, da der in dem absichtlich
ausgelöschten Theile vorkommende, durch |^ noch andedeutete
Königsname sich nicht so weit vom Anfange des zweiten
Buches entfernt befand, als eine Datirung voraussetzen
Hesse. Gehen wir nach diesen Betrachtungen zur Sache
selbst über.
Der Herausgeber bemerkt zu Pag. III: „Le manuscrit
presente ici un espace d'euviron 1 metre 33 centi-
metres de longueur, dans lequel on a evidemment
efface l'ecriture et lustre le papyrus avec soin, sans
doute pour substituer aux legendes supprimees un
i
Lauth: Papyrus Prisse. 247
texte qui n'a jamais ete trace." Reclinet man zu dieser
Ausdehnung von 4 Fuss (französisch) des ausgelöschten Textes
auf pag. III noch die ebenfalls ausgelöschten Zeilen auf pag. II
(unten) und pag. IV (oben) , so ergeben sich im Ganzen
5 Fuss = 5 Columnen (von durchschnittlich 1 Fuss) eines alt-
ehrwürdigen Textes, dessen Verlust wir zu beklagen haben,
wie dem Träumenden der Schatz in demselben Augenblicke
verschwindet, wo er ihn gehoben hat.
Kein menschlicher Scharfsinn vermag diese Lücke aus-
zufüllen. Aber vielleicht lässt sich doch der Verfasser er-
mitteln und damit ein wenn auch geringer Ersatz für das
Verlorne gewinnen. Da ich meine schon früher (im I. Theile
des Pap. Prisse) geäusserte Ansicht : .,Die fünf ausgelöschten
Columnen des Pap. Prisse (II) enthielten vermuthlich das
Buch des Cheops" mit Niemanden theile, so muss ich. um
sit; zu beweisen oder doch wahrscheinlich zu machen, etwas
weiter ausholen. Aus dem oben Erörterten entnimmt man
sofort den Eindruck, dass der Schreiber aus der XI. Dynastie,
welcher die (ursprüngHch) drei Texte aus älteren Originalen
copirte , sie zu einer Sammlung moralischer Abhandlungen
vereinigen wollte. Nun ist aber der erste Text vom Ende
der III, Dynastie, dagegen der dritte Text vom Schlüsse der
V. Dynastie gezogen, also ist nichts natürhcher als die
Folgerung, dass er die chronologische Ordnung befolgte.
Schon die einfache Rechnung nach dem arithmetischen Mittel
würde somit für den IL Theil, den jetzt ausgelöschten, den
Zeithorizont der IV. Dynastie ergeben. Nun aber belehrt
uns ein vollgültiger Zeuge , kein Geringerer als der ägyp-
tische Geschichtschreiber Manetho selbst, dass der König
Cheops (Chufu 2ov(fig) ein heiliges Buch verfasst hat.
^^ie passend dieses Werk gerade dieses Königs die von
uns beklagte Lücke des Pap. Prisse auszufüllen geeignet ist,
wird aus einer kurzen Erwägung der Umstände deutlich
erhellen.
248 Sitzung der jahiTos.-phüol. Gasse vom 5. Februar 1870.
Die wichtige Stelle Manetho's lautet: ß^(6svxsqog ißcc-
ÖiXsvOs) 2ov(fig ert- ^/* og trlv hsyiOti]v fjsiQs TzvQafiiSa,
rjv (pr^Oiv "HooSoTog vno Xsonog yeyovävai. Ovxog dh
xal vnsQortzrig sig d^sovg iyävsTO xal ti]v tsqdv
Ow syqaip € ßißXov, f]v cog /.is'ya yofif.ia iv AiyvTtro)
yeröfievog ixir^öanr^v. So der getreue Auszügler Africanus. Die
barocke Zusammenstellung ,,Götterveräcliter und Verfasser
des heiligen Buches" suchte Eusebius erträglicher zu machen,
indem er zwischen beide nsravo7]aavva einschob. Wie schlecht
ihm aber die Herstellung eines besseren Sinnes gelungen ist,
zeigt sein Text: 2ov(pig, 6 rr^V fjLsyiGTrjv TTVQafxiSa sysiQag,
rjv (frjOiv '^HooSotog vno Xsonog yeyovsvaf og xal vneqon-
tr^g €ig ■d-sovg ys'yovsv , wg fxeTaror^Oarxa avrdv Tr]v legciv
OvyyQaipai ßißXov, ifv cog fieya XQr\!J.<x Alyvmioi nsqiänovOi.
Man sieht auch ohne meine Erinnerung, wie ungereimt es
klingt: ,, dieser ward auch ein Götterverächter, so dass
(denn wg steht offenbar, wie so oft für wdr«) er nach seiner
Bekehi'ung (Bereuung) das heilige Buch verfasste". Ich habe
schon früher in meinem ,,Mauetho" p. 173 gezeigt, wie dieser
Widerspruch zu lösen sein dürfte, indem ich annahm, dass
Cheops in den Geruch der Gottlosigkeit (doeßrjg) eben durch
den Titel seines Buches ha-sehait ,, Anfang der Unterweisung"
gerathen sein möchte. Es trifft sich recht glücklich, dass
Horapollo I 38 in demselben Capitel, worin er die ßißXog
Uqd unter dem Namen dfißqr^g erwähnt — welcher Aus-
druck nichts Anderes ist als der Titel des Todtenbuches
^^^v^^o ^^-w*"**ßw „Anfang der Capitel" — auch das
Wort oßdü naidsCa aufführt, welches identisch ist mit dem
koptischen sbo eruditio , doctrina , disciplina , und auch in
dem abstracten mentsal)e(ti) wiederkehrt. Nun aber be-
ginnt das Werk des Ptahhotep gerade mit '^Jj^^ljl| f!
sebai't „Unterweisung" und ähnlich die politische In-
Lauth: Papyrus Prisse. 249
struction des Amenemha I von der XII. Dynastie mit
^^.Mv J^^^Hi'=^ '^^'^-^-^^^(^i^ „Anfang der Unter-
weisung". Die Präposition m ist facultativ und fehlt dess-
halb öfter, so dass ha-sebai't allein steht. Was ist nun
natürlicher, als anzunehmen, dass dieses Jia-sebait, womit
so viele Schriften anhüben , auch der Titel des Buches von
Cheops gewesen sei, und dass daher äasßiqg eben so grae-
cisirt entstand wie ctfißQijg?
Allerdings könnte das Buch des Cheops, da es so aus-
drücklich als r] tsQcc ßißog hingestellt wird, den dieser griech-
ischen Uebersetzung wörtlich entsprechenden Titel zama-
nnte(r) ,,das (göttliche) heihge Buch" wirklich geführt haben.
Was mich dazu bestimmt, gerade an diese Ueberschrift zu
denken, ist die üeberlieferung des Ausdruckes 2f^«vovi9-t.
Bei dem Bischöfe Theophilus ad Autolyc. II 6 erscheint
der Passus: ^AnoXXoovidriq, 6 xal "ilqäTtiog iTtixXrjd-sig ^ iv
ßißhi) xfl €niyqa(foiX£Vi] 2s fisv o v^ i^^. Leider ist die
griechische Umschrift wegen des abhanden gekommenen
breiten Zischlautes aäv (seh) und wegen Verschmelzung
des alten Zade hinter pe (nt) mit Oiy^a nicht geeignet, uns
über den Anlaut dieses Wortes authentisch aufzuklären.
Nur der zweite Bestandtheil -vov^C deutet bestimmt auf |
oder phonetisch <;^ b woraus bekanntlich, mit Aufgebung
des Rhotacismus von miter, kopt. 7it(ti, nute deus entstanden
ist. Für den ersten Bestandtheil haben wir die Wahl zwischen
drei ägyptischen Wurzeln. Zunächst liegt der Gedanke an
i ^w^^ n'^^ ^ama (Todtenbuch 162, 8), welches in dem
kopt. djöme liber, sowie in dem semit. nD2 g'omeh Papyrus
erhalten ist. Da jedoch bei dieser Gruppe das Zeichen j
für nuti meines Wissens nicht angetroffen wird , so dürfte
250 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Februar 1870.
sich die zweite "Wurzel vielleicht besser empfehlen^ ich meine
l'^^^^^^^^) scha-nuti in Verbindung mit täp] sacA Schreiber
und determinirt durch den Mann ^, um zu bezeichnen den
„Schreiber des heiligen Buches". Man müsste nur, wie es
im Koptischen so häufig geschieht, die Relationspartikel m
(vergl. oben ha-m-reii, lia-m-sebait) suppliren, um buchstäb-
lich sclie-m-niiti ,,das göttliche (heilige) Buch" zu erhalten.
Mit derselben Ergänzung und dem Laute des 2sfx£vovd-i
mehr entsprechend ergäbe die so häufige Gruppe |iz:±t=i, , ,
(s) cke-(m)-niiti ,,die göttliche Sache oder Wissenschaft^)"
das erforderliche Material. Ich übergehe andere Stämme
wie z. B. sem, sema, die im Aegyptischen mit s anlauten,
und ohne die Annahme einer Sibilation direkt zu 2€f.ievovi)-i
hinführen würden, weil der Begriff ] nuter nicht so häufig
bei ihnen angetroffen wird; das Gesagte wird hinreichen,
um ^six€vovd{ als acht ägyptischen Titel eines heiligen
Buches erkennen zu lassen.
Ich sehe einen Einwurf voraus , den man meiner oben
gegebeneu Erklärung des dosßr^g machen könnte , nämlich :
wie kommt es, dass , da die missverständliche Deutung des
ha-sehait doch erst seit der durch Manetho bewerkstelligten
Graecisirung des Ausdruckes uiöglich werden konnte, Herodot
schon beinahe 200 Jahre früher, wenigstens indirekt, von der doe-
ßsia des Cheops zu berichten weiss, indem er den MvxsgTvog
im Gegensatz zu seinem tiut/q (Xeoip) und nccTQcog (Xscfqriv)
als svaaßrjg (II 133) darstellt? Offenbar war der Hass
der Aegypter (II 128). in Folge dessen sie als Erbauer der
zwei grössten Pyramiden nicht den Chufu und Chafra,
4) Dümichen: Kalenderinschriften Taf. C, 1.
5) Brugsch lex. p. 1142.
Lauth: Papyrus Prisse. 251
sondern den noif^rjv ^iXtrig nannten, nicht einer miss-
verständlichen Auffassung der Graeculi (sQfxijvetg) entsprungen.
Ich füge sogleich hinzu : auch die Auslöschung des Werkes
von Chufu im Pap. Prisse kann doch wohl nicht auf griech-
ische Rechnung gesetzt werden — nicht als ob ich meinte,
diese Zerstörung sei vom Abschreiber selbst schon in der
XL Dynastie vorgenommen worden. Sie fällt jedenfalls in
spätere Zeit.
Ich werde weiterhin die in meinem ,,Manetho" ver-
suchte Ehrenrettung des Cheops auf Grund gleichzeitiger
Denkmäler vervollständigen. Vorderhand sollen uns die
übrigen Missverständnisse beschäftigen, welche schon in alter
Zeit in Betreff des Chufu aufgetaucht sind. Dahin rechne
ich vor Allem die Misskeunuug der wahren Bedeutung seines
Eigennamens. Ich habe an der Hand der offiziellen Königs-
tafeln gezeigt, dass Chufu, oder in voller Schreibung Chuf-u-f
wörtlich ,, Schützer seines Bezirkes (Landes)" bedeutet. Was
treffen wir aber anstatt dessen bei Eratosthenes, dem Nach-
folger des Manetho an der Alexandrinischen Bibliothek unter
Ptolemäus Euergetes? Er übersetzt den Namen 2uc5(pig mit
xa)(xa6Tr^q und x^^Ji^tß^'öT/;'?. Die Jb'ormen 2ov(fig (genauer
wäre 2ov<pv-g) und ^acocpig zeigen eine Assibilation des
anlautenden Ch (zu Seh), während Herodot den ursprüng-
hchen Anlaut noch kennt, aber als Jonier den Vokal w in
€0 auflöst und nach der kürzereu monumentalen Form Chuf,
mit dem griech. Schluss-g sein Xeotp-g = Xeotp bildet. Die
Gewährsmänner des Eratosthenes dachten aber an djöf avarus,
sordidus und an sau potator bibitor, zwei Begriffe, die sich
sogar ausschliessen und durch ihre gleichzeitige Anwendung
beweisen, dass die wahre Etymologie^) des Namens Chufu
verloren gegangen war.
6) Eine ächte uralte Etymologie habe ich in meinem vorigen
Aufsatze bei Gelegenheit des Snefru aus dem Pap. Prisse aufgezeigt,
252 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Februar 1870.
Man sieht, wie der x^»;i«a^t<?^*f? schon im herodotischen
XQrjfjiäTcov deGßsvog (II 126) vorgebildet ist und wie der
ausgelassene Schwelger iu den unsauberen Märchen über
das Verhalten der Tochter des Cheops wiederkliugt. Aber
trotzdem treffen wir den Chufu auf gleichzeitigen Denkmälern
als eifrigen Beförderer des Cultus der Götter und nur
Pietät gegen seine Tochter übend. Wie lassen sich diese
Widersprüche erklären ?
Die grosse Pyramide als Wunderbau veranlasste von
selbst zur Sagen- und Märcheubildung. Dazu kommt, dass
ihr Bau Eigenthümlichkeiteu aufweist, die sich bei keiner
andern Pyramide geradeso , und nur bei der drittgrössten
analog, wieder finden. Nun ist es höchst merkwürdig, dass
Herodot II 131 über Mykerinos, den Erbauer der letzteren,
im Verhältniss zu seiner Tochter ganz ähnliche Geschichten
erotischen Inhaltes berichtet, wie über Cheops und seine
Tochter II 126. Ferner bemerkt Manetho bei der Königin
Nitokris der VI. Dynastie: ysvvixwtaTr^ xccl svixoQCfwxdxri
fMV xazr' avTijV yevo^sviq, '^avd-rj rrjv XQOidv, ri Trfv rQirrjv
riysiQs nvqai-iida und hiemit stimmt die noch heutzutage
bestehende Sage, dass nächtliclier Weile eine weisse Frau
die dritte Pyramide umwandle. Andererseits beweist der Um-
stand, dass Mykerinos' (Menkera's) Mumie in der dritten
Pyramide gefunden worden ist — sie liegt jetzt im brittischen
Museum — für den uröprünglichen Bau der dritten Pyramide
durch diesen König der IV. Dynastie. Der scharfblickende
Perriug, welcher des Colonel Vyse Grabungen in den Pyramiden
sachverständig leitete, beobachtete in der That einen doppelten
Bau au der dritten Pyramide, nämlich so, dass der ur-
sprüngliche Kern (des Menkera) durch weitere Steinmäntel
wo dieser Name durch suten mencli m to erdjerf „wohlthätiger Köuig
im gauzen Lande" erläutert wird. Ebenfalls iu der Bedeutung von
„protector" erscheint chnemu, der Beiname des Chufu,
i Laiäh: Papyrus Prisse. 253
(der Xitokris) überdeckt erscheint. Etwas Aehnliches bietet
die grosse Pyramide: sie hat zwei Grabkammern. eine
unter dem Niveau des Fusses der Pyramide in dem natür-
lichen Felsen, zu welcher ein scliräg herabführender Gang
leitet, und die andere im Innern des Kunstbaues, welche
durch den aufsteigenden Corridor erreicht wird. Man er-
sieht hieraus, wie leicht diese Eigeuthümlichkeit des Baues
zu dem Märchen veranlassen konnte, dass Cheops in ähnlichem
Verhältnisse zu seiner Tochter gestanden, wie Menkera zu
der seinigen, um so mehr , als der für die Tochter des
Cheops aufgeführte Pyramidenbau nicht bloss von Herodot
I II 126 miterwähnt, sondern auch durch einen weiterhin zu
besprechenden monumentalen Text bestätigt wird.
In der oberen Grabkammer der grossen Pyramide steht
jetzt noch der königliche Sarkophag, freilich ohne Mumie,
die längst durch arabische oder andere Eindringlinge entfernt
worden ist. — Da nun die Regel erforderte, dass die Mumien
in dem unterirdischen Räume beigesetzt wurden und
Herodot an drei Stellen (II 124, 125, 127) diess ausdrücklich
als von Cheops für seine Mumie beabsichtigt erklärt: rcav
vno yrfv olxr^adroiv, rdc inoisero Or^xuz iavTO} — t6 vnS
I ytjv bqvyaa — sv t?J avxov XsyovGi xsTo^ai XsoTta, so ent-
stand daraus die von Diodor I 64 erwähnte Sage, Cheops
(Xtußr^q) sei überhaupt nicht mit königlichen Ehren bei-
gesetzt, sondern insgeheim an einem abgelegenen Orte
begraben worden.
Den ersten monumentalen Beweis dafür, dass die grosse
Pyramide wirklich von Chufu (Xeoip, 2oi'g^ig, Xbtißr^g). wie
Manetho in der IV. Dynastie anmerkt, erbaut worden ist,
lieferten die Grabungen des Colonel Vyse. Er fand in den
vier oberhalb der oberen Königskammer entdeckten flach
bedachten Zimmern mehrere Baublöcke mit dem Namen
Chufu und Chnemu-Chufu beschrieben. Wir brauchen uns
nicht mit Bunsen damit abzuplagen, diese beiden Namen
254 Sitzung der phüos.-pMIdl. Classe vom 5. Februar 1870.
getrennt zu halten und daraus den Doppelbau der grossen
Pyramide zu erklären. Dass beide Namen nur einem ein-
zigen Könige eignen, beweist die Gleichheit der dem eigent-
lichen Nomen proprium vorangehenden Devise. Die voll-
ständigste der Legenden^) der eben erwähnten Blöcke lautet:
(»
CN
^
^"fe? w_^J J (I Pf^=fA chnemu-Clmf(u) sechenu
urrat, selia mhau ,,Ghnemu-Chufu, Stütze (Träger) des Dia-
demes, Errichter des Grabdenkmals (der Pyramide)". Wir
wissen aus vielen Beispielen, dass chnemu als Appellativum,
abgesehen von dem demiurgischen Gotte Chnemu (Kneph
Xrov^ig, Knuphi), im Allgemeinen den ,, Baumeister, Bildner"
bezeichnet hat, hier um so passender, als es sich um den
Kunstbau der grossen Pyramide handelt. \Yas den Namen
C hu fu betrifft, so bedeutet er, wie die erweiterte Form
Chuf-u-f der Saqqarahtafel deutlich erweist, ,, Schützer seines
Bezirkes", wie der seines unmittelbaren Vorgängers Snefru:
„Wohlthäter des Bezirkes (Landes)" bedeutet. Aus dem
Beinamen Chnemu erklärt sich Diodor's Xsfjißr^g, aus
Chufu die Form 2ov(fig oder Xsoxp. Die vorletzte Gruppe
seha entspricht dem ilysiQs Manetho's, in der Posettaua
dem GTTiOai ^ wörtlich ,, stehen machen, aufstellen". Dass
die Pyramide selbst als Deutbild zur letzten Gruppe mliau
(bopt. monumentum sepulchrale, sepulchrum) hinzutritt, kann
nicht befremden, da, "wie ich früher^) nachgewiesen, die
Pyramiden nichts anderes waren als colossale Grabdenkmäler
der Könige. Den vielbesprochenen Namen TtvQufxig erklärt
Brunet de Presle^) aus dem Griechischen als „petit gäteau
7) Sie sind jetzt in dem Prachtwerke von Prisse: l'art egyptien
sehr getreu abgebildet. Nach der hier gegebenen können die übrigen
leicht ergänzt werden.
8) , .Obelisken und Pyramiden" Sitzungsberichte 1 866.
9) Revue arcbeoL 1854 p. 544 8q;
ll Lauth: Papyrus Prisse. 255
de froment". Im Alterthume dachte man, wie Pünius mit
seinem .,ne pecuniam successoribus aut aeraulis insidiantibus
praeberent" andeutet und Stephanus Bjz. fast ausdrücklich
sagt : dno twv n vqcov . ovg sxsT övvayuybov 6 ßaOt^.svg
ivdsiav snoii](js öivov xara xr]v Aiyvntov, an eine Art Vor-
raths- oder Schatzhaus . wobei allerdings noch immer das
griechische rtvqoq zu Grunde gelegt ist. Allein nimmt man
das kopt. ramao dives . mit Präfigirung des bei Lokalitäten
so gewöhnlichen i)e pi ..Haus" z. B. Pe-Osiri = Busiris,
i Pe-bast = BoißaOTig = Pi-beseth, so erhielte man eine un-
gezwungene Etymologie des Wortes für den angenommenen
: Sinn des Schatzhauses. Was mich aber bestimmt , weder
an diesen Stamm ramao, noch an ratna altitudo zu denken,
j ist die Legende 0^^ m|7f),A, amaio auf der Stele des
' Aethiopenkönigs Horsiatef lin. 19. Es geht unmittelbar vor-
her: ,,der Gott Amon von Napata im Innern seines (amaio).''
I Der Artikel ^e vor amaio ist unstatthaft wegen des vorher-
gehenden = und wohl nur aus einem ehemaligen oder
missverstandenen im i^er (vergl. Par-ao) erklärlich. Dieses
I volle per-amaio würde , wenn man die Legende [I ^,^^()cTl
der Pianchistele liu. 106 vergleicht, wo am nur das Zelt
, bezeichnen kann, den Sinn von ,,Haus des Zeltes" oder
„Zelt-Haus" ergeben und die Pji'amiden wären sonach nichts
anderes als in Stein ausgeführte Zeltformen. Im Louvre fand
ich die Legende: ,,der Osir-hapi in
"' A n ^ — 1"!^^=^~~> <ro=» <:3> <:zi> — p — ci
ap pen Ica Jcam rma Eoseti der Pyramide von Ko)X(ofirj bei
I Roseti."
i Den Eigennamen der grossen Pyramide liefern die be-
nachbarten Gräber; er lautet "^2 / \ © Achuf-to „Zierde
256 Sitzung der phüos.-pTiilol. Classe vom 5. Februar 1870.
des Landes." Ebendaselbst erscheint eine Prinzessin des
Namens ^-^ 1 Merites, welche vom Hause des Snefru in
das des CJmfu übergeht und auch noch unter Chafra auf-
tritt. Vermuthlich war sie die Gemahlin des Chufu und so
würde sich ohne weitere Schwierigkeit der Doppelbau der
grossen Pyramide erklären, wenn wir nämlich annehmen,
dass sie die untere Grabkammer zugetheilt erhielt. Sie führt
den sonderbaren Beinamen: ^^ h^^^^^"^ Maat Har-
Seth „Verehrerin des Roms (und seines Antagonisten) Seth^\
aus jener alten Zeit ein wichtiges Zeugniss für die Polarität
dieser Gottheiten, deren Ergänzungen uns andere Texte aus
derselben Epoche sofort an die Hand geben werden.
Da das Verbum maa L ^ wie auch die demotische
Uebersetzung ushtaii (= kopt. iiösht adorare) in den Rhind-
papyri beweist, von der ursprünglichen Bedeutung des
„Sehens'' zu der von ,. Anbetung" fortschreitet (noch erhalten
im kopt. moihe admiratio cf. x^säod^ai und ■&av(ia(-^(ü) , so
fühlt man sich versucht zu glauben, das p]pitheton vTteQomrjg^
welches Manetho dem Cheops beilegt, sei in gutem Sinne als
„eifriger Verehrer" der Götter zu fassen. AehnHch wech-
selt die Bedeutung von nsqiomog und des deutschen Zeit-
worts nhersehen passer en revue und = negliger. Denn
muss schon der Bau der Pyramide selbst, weil zur Religion
der Aegj^Dter gehörend, als die Uebung einer religiösen
Pflicht angesehen werden, so lassen die ausführlicheren Texte
eines Grabes keinen Zweifel darüber, dass Chufu wirklich
die Gottheiten des Landes in vorzüglichem Grade geehrt
hat. Der wesentliche Theil dieser uralten Texte lautet
folgendermassen^") :
10) Yergl. Birch in Bunsen's Egypt's place in Universal history
y 719 — 721. Zwar sagt De Eouge darüber: Le style de cette in-
1
Lanth : Papyrus Prissc. 257
Änch Hör nas suten clieh CJiufu ti-cmch djemnef pa-Iset
1 „Es lebe der herrschende Horus, der König (Jhufu, der leben-
' spendende. Er fand das Haus der Isis,
i^A
.^§%:^f°^fe— ^^J "^
^;^T^^fs — "i-^j] -^ :=: -^®
Jmit rma pe-Hu naher mhit-ament n Pe-Osiri neh Rosetau
der Gebieterin der Pyramide, zur Seite von Pe-hu, vor dem
Nordwesten von B-usiris, dem Herrn von Rosetau ;
I |Si ^ / ^ ^ ^-^ ) A. ;vvvw\ i Lm a;^-^ / \, AA/WVA )
chusaunef . . .f rma neterliat nt netert-ten, cliusaunef . . . .n
er erbaute seine Pyramide bei dem Tempel dieser Göttin;
er erbaute eine Pyramide
suten si't Hontsen rma neterliat ten.
der Prinzessin Hontsen bei diesem Tempel."
scription si curieuse peut faire douter qu' eile soit du temps meme
deSouphis; eile peut avoir ete renouvelee. Aber, wie es auch durch
renouvelee angedeutet wird, das ägyptische Alterthum hatte in den
Wiederholungen desselben Textes auf verschiedenen Theilen des
Baues wie z. B. in diesem Falle selbst — cf. das Gedicht des Pentaur
und, den Meneptah-Text über die Libyer nebst den Archivern etc. —
ein bequemes Mittel der Wiederherstellung von Texten.
11) Birch setzt *^-<='— ; doch bemerkt mir H. v. Horrack dieses als
„douteux". Ich setze dafür aus Rücksicht auf den Sinn aa^^^^ wie
auch De Rouge 1864 las.
[1870. I. 2.] 17
258 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Februar 1870.
So viel steht auf der rechten Seite der jetzt ins Belaqer-
Museum verbrachten Stele; auf der linken beginnt der
nämliche Name und Titel des Chufu; alsdann folgt unmittel-
bar darauf:
irinef n mutJi-f Iset-ntermuth Hatlior hont . . . sapt tit r utu
Er machte seiner Mutter Isis Thermuthis Hathor, Gebieterin
der Grabstätte
/\ c: r: 1 ^ > ^ H ^ 1 Q p V-
tinef nes neter-hotep n ma chusau nef neter hat-s m aner
die Ausstattung, welche gethan ist auf die Stele ; er gab ihr ein
neues göttliches Opfer, erbaute ihren Tempel aus Stein
-^mti^fi
nem djemnaf nen neteni hi ast-s
wieder, (er) fand die Götter ^^) auf ihrem (der Isis) Sitze.
In einer Ecke der Stele steht, nach einigen zweifelhaften
Charakteren :
„Der Sphinx ist im Süden von Pe-Iset, der Gebieterin der
Pyramide im Norden von Pe-Osiri, des Herrn von Roseta."
12} Es sind offenbar die sogenannten &£ol avvvaoi, gemeint.
Lauth: Fapyrus Prisse. 259
Diese Texte bieten ein vielfaches Interesse; ich will hier
nur das Wichtigste herausheben, welches zugleich mit meiner
Aufgabe zusammen fällt, die grosse Pyramide und ihren Er-
bauer von gleichzeitigen authentischen Zeugen als Götter-
verehrer, nicht aber als Götterverächter zu erweisen. Die
topographischen Verhältnisse sind nicht minder wichtig.
Die hier erwähnten Gottheiten gehören sämmtlich dem
ersten d. h. memphitischen Götterkreise an: Osiris, Isis,
Horus, Hathor. Da uns oben auch Seth begegnete, so
darf auch Nephthys Y] nicht vergessen werden, die mit ihm
als Gemahlin zusammenhängt. Horus erscheint nicht nur
in der Legende neben Seth. sondern auch allein in der
zusammengesetzten Form Har-m-aclm ,, Horus am Horizonte,"
welche von einem gewissen 'Aq^iavog auf der Tatze des
Sphinx zu "ÄQixaxig gräcisirt ist. Horus ist aber nur eine
Variante für Ra^ den Sonnengott selbst, der in dem leider!
von de Rouge noch nicht veröffentlichten Texte ebenfalls
vorkommt. Ebendaselbst ist die Rede von grossartigen
Geschenken an den Apis, die nach Zahl, Stoff und Farbe
genau aufgeführt werden. Vermuthlich fehlt auch der Ptah
nicht, der Protodynast dieses Götterkreises; da seine Er-
gänzung: der Sokaris, nicht nur in Königsnamen der III.
und IV. Dynastie, sondern auch bis zur Stunde in dem nahe
gelegenen Saqqarah erscheint. Da nun schon unter Snefru
ein weiblicher Xame Hap-en-Ma"t erscheint, worin neben
Apis auch Ma"t. (kopt. t'mei Osfitg) genannt ist, so bedarf
es keines weitern Beleges, dass auch der ibisköpfige Thoth
(Dhuti), der Gemahl der Ma't in jener Zeit verehrt wurde.
Was hier für uns die Hauptsache ist: Chufu war kein
Götterverächter, sondern im Gegentheil ein eifriger Götter-
verehrer.
Betrachten wir uns angesichts dieser Thatsache die
Notiz Manetho's dass 2ov(fig eine leqd ßiß/.og geschrieben,
17*
260 Sitzung der pMos.-p'hilol. Classe vom 5. Februar 1870.
so wird sie uns höchst glaubwürdig erscheinen. Dazu kommt,
dass der Pap. Prisse in der ersten der ausgelöschten Zeilen
zwei Spuren eines Königsschildes aufweist, das in Bezug
auf räumliche Ausdehnung zu dem Namen Chufu passt.
Dieser Name kann aber hier nicht als chronologisches Merk-
mal gestanden haben, sonst müsste er gegen das Ende der
Zeile gesucht werden, wie analog im Pap. Prisse III der
Königsname Assa erwähnt wird. Folglich bleibt nur übrig
anzunehmen, dass ühufu als Verfasser des betreffenden
Werkes genannt war. Die Ergänzung nach vorn liefert
der uns bekannte Eingang ha sehait ,, Anfang der Unter-
weisung," welches als Buchtitel zu dasß^g gräzisirt und so
die Veranlassung werden mochte zu dem jMissverständnisse,
Cheops sei ein dosßr^g gewesen. Da ferner solche Schriften,
wie das Beispiel des Prinzen Ptahhotep beweist, der das
seinige an seinen Sohn richtet , zum Gebrauche einer be-
stimmten Person verfasst wurden, so ist es wahrscheinlich,
dass auch Chufu sein Buch einem seiner Familienglieder,
ich vermuthe, seiner Tochter Hontsen, gewidmet hatte.
Den Inhalt anlangend, können wir leider ! nichts bestimmtes
angeben. Allein schwerlich war es ein Kapitel des Todten-
buches, da wir es in diesem Falle u^ter den Stücken dieser
Sammlung mit dem Namen des Chufu antreffen würden.
Es scheint eine Abhandlung über die ägyptischen Götter
zunächst des memphitischen Kreises gewesen zu sein. Dafür
spricht auch Folgendes. In einem geheimen Corridor von
Denderah (Ta-n-torer, ThrvQu) fand Dümichen^^) einen Text,
der sich auf die Urbegründung des Heiligthums der Hathor
bezieht. Da'heisst es nun wörtlich also: „Die ürgründung
(des Tempels) in Anit (anderer Name für Denderah), die
Neuherstellung des Monuments ward gemacht vom Könige
Thuthmosis III
13) Yergl. seine Bauurkunde von Dendera p. 15.
Lauth: Papyrus Prisse. 261
m chet djemut m anu asti m hau n suten Chufu
„in Folge eines Fundes in alter Schrift aus der Zeit des
Königs Chufu".
Nach einer andern Angabe desselben Corridors hatte
,.der König Pepi ((Picoip) von der VI. Dynastie den GründuDgs-
plan vom Hathortempel zu Denderah aufgefunden im Innern
eines Ziegeldammes des Südhauses , abgefasst in alter
(hieroglyphischer) Schrift auf Ziegenhaut aus der Zeit der
n li^^. „Begleiter (oder Verehrer) des Horus.'" Unter
letzteren versteht man die vorhistorischen Könige Aegyptens.
Wie man sich diese doppelte Angabe auch zurechtlegen möge:
immer bleibt für Chufu ein Antheil bei der Gründung des
Hathortempels in Denderah.
Es gibt noch ein anderes, so zu sagen, psychologisches Sym-
ptom für die Charakteristik des Chufu: ich meine jene so oft in
den Texten wiederkehrende Stadt ^^) (^^"^^-^ 1 ™ ^®
Mena't-Clmfu ,,Amme des Chufu", Ist hierunter eine Stadt
zu verstehen , die der König seiner Amme zur Ehren ge-
gründet — oder hat man den Geburtsort desselben poetisch
seine ,,Amme" genannt : jedenfalls bewies oder empfing er
hiedurch einen Akt der Pietät, was gewiss nicht der Fall
gewesen wäre, wenn er sich zu seinen Lebzeiten als einen
solchen Tyrannen bewiesen hätte, wie ihn Herodots Gewährs-
männer darstellen.
Als letztes Document und Argument für die evOeßeia
14) Brugsch Geograph. I 112 — 116, 224; sie lag im hermupoli-
tischen Gau.
262 Sitzung der phüos.-plühl Classe vom 5. Februar 1870.
des Chufu reproduzire ich die Legende eines kleinen Denk-
mals im Louvre, welches einem gewissen Psametik Raneferhet
(XXVI. Dynastie) sein lebender Bruder Hapichufu gewidmet
hat. Der Verstorbene führt die Titel :
,,pius erga Serapidem deuin magnum, theodulus (propheta)
imagiuis regiae, theodulus Isidis quae praesidet pyramidi,
theodulus regum Cheopis , Chephrenis , Ratoisis , theodulus
Harmachis."
Die drei unmittelbar einander succedirenden Könige der
IV. Dynastie werden in der Genealogie des Verstorbenen
wiederholt genannt und zum Schlüsse der Wunsch ausge-
sprochen ^^R^Ofi^^l (^ 5)^k pOn "^^ daure lange bestän-
dig der Cult des Harmachu (Sphinx)".
Diese Inschrift beweist vor Allem, dass zur Zeit der
Psametiche , also nach der beträchtlichen Zwischenzeit von
fast 3000 Jahren, noch immer Priesterthümer des Chufu,
Chafra und Ratatef bestanden — eine Zähigkeit der Ueber-
lieferung, die gerechtes Erstaunen erregen muss, aber auch
den Beweis liefert, dass das Andenken des Chufu bei der
ägyptischen Priesterschaft kein so verhasstes gewesen sein
kann , wie einzelne Züge der Erzählung des Altvaters der
Geschichte bisher annehmen liessen. Dieser jüngere Text
stimmt mit dem älteren auch in allen andern wichtigen
Punkten überein. Die Göttin Isis erscheint hier ebenfalls
als „Gebieterin der Pyramide'', daneben Hapi-Osiris (Serapis)
und Harmachu, zusammen die heilige und in ganz Aegypten
zu allen Zeiten der pharaonischen Geschichte hochverehrte
Triade bildend.
Lauth: Pcqjyriis Frisse. 263
Eiuige Schwierigkeit verursacht der Ausdruck /^^^^^^^.r^
invenit. Er kehrt zu allen Zeiten sehr häufig wieder, so
z. B. in dem grossen Felsentempel am Gebel Barkai. ^^j wo
Taharqa der Muth (Isis) von Napata einen Neuhau errich-
tete. Nachdem diese That erwähnt ist, fährt der Text fort:
(jP^^Ih^s^IQ^^U^W^ "^'"^'■- ''
fand seine Majestät dieses Gotteshaus gebaut aus Stein!''
Es scheint also der Stamm djem , wie das damit verwandte
£-Te-Ti.i-ev invenit, ursprünglich ,. finden, treffen, antreffen",
aber nicht ., erfinden"' zu bedeuten. Also traf Chufu bereits
einen Bau, genannt ^{'^ Pe-Iset, zur Seite des "-px^.^:^
Pe-lm, im Nordwesten von i HJ] Pe-Osiri. Beginnen wir
mit letzterem. Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel,
dass die vielen Üertlichkeiten des Namens Busiris alle auf
ein ursprünghches Pe-Osiii .,Haus des Osiris" zurückzuführen
sind;^^) ja die Stadt Taposiris ist nicht, wie die Griechen
meinten, aus Tag^t] "OaiQig entstanden, sondern aus Pe-Osiri
Uiit präfigirteui ^^Ff ta, wie oben bei Ta-n-tora = Tsvtvqu.
Es gab verschiedene Orte mit dem Namen Busiris: aus der
Rossttana kennen wir ein Lykopolis ev xiTy Bovaioirrj (vofXiTi)-^
ein Abusir liegt nicht weit oberhalb Memphis, und dass in
unmittelbarster Nähe dieser Stadt noch ein anderes Busiris
bestanden hat, beweist PHnius h. n. XXXVI 12, wenn er
sagt, die drei grossen Pyramiden seien gelegen inter Mem-
phin et . . . Delta, a Nilo quatuor millia passuum, a Mem-
phi VIIMD vico apposito . quem vocant Busirim; in eo
sunt assueti scandere illas (pyramides)," Dieser Ort Busiris
15) Lepsius Denkw. Abth. Y ßl. 5, oben.
16) Cf. Isidor. I 88 Bovatois = "Oaiqiäog rucpos — TacpSatoig =^
Ta(fri 'OaiQidog Plut. de Is. et. Os. c. 21.
264 Sitzung der pMlos.-plülol. Classe vom 5. Februar 1870.
also ist in jener alten Inschrift als schon vor Chufu vor-
handen bezeichnet.
Nordwestlich von diesem Busiris lag Pe-Iset. Es gab
viele Städte des Namens Iseum oder Isidis oppiduui in
Aegypten ; hier kann nur an die nächste Umgebung des
heutigen Giseh gedacht werden. Wie, wenn dieser Orts-
name ein altüberlieferter wäre und nur per accommodationem
ein arabisches Aussehen hätte? Denkt man sich statt des
^ ein anderes Präfix »z. B. ß^ga, welches wir aus der In-
schrift von Rosette mit der Bedeutung raög Capelle kennen,
so ergibt sich G-Ise ungezwungen. Dass ich mit diesem
ga nicht in der Luft schwebe, beweist die Legende
Qc>>^ J^-^^-^^l'^) „aufgestellt sind die (4) Ecken der
Horus-Capelle". Mit dem nämlichen ga compouirt, würde
eine Osiris-Capelle G-usiri lauten. Vielleicht ist el Guisr,
wo die Grabung des Canales auf Schwierigkeiten stiess, eine
solche Osiris-Capelle gewesen , um so wahrscheinlicher , als
sich in jener Gegend auch ein Serapeum befindet.
Die Isis unserer Inschrift führt den Titel ,, Gebieterin
der Pyramide." Was hiermit gemeint sei, ergibt sich un-
mittelbar aus dem Zusätze ,,Hathor, Gebieterin der Grab-
stätte." Wir wissen aus unzähligen Darstellungen, dass die
Göttin der Unterwelt, die 'AcpQodiTrj xd^ovia oder HsQOsifaOOa
(Proserpina) in Gestalt einer Kuh aus dem Grabgebirge
hervorschaut, uuj den Verstorbenen aufzunehmen. Daraus
wird auch die ßovg ^vXivrj xoiXrj erklärlich, in welcher die
Tochter des Mykerinos (Herodot II 129, 130) bestattet wurde.
Der grosse Androsphinx bei den Pyramiden von Giseh
führt also urkundlich den Namen „Hu des Harmachu.*'
In der gräcisirten Form "Aq^axig trefi'en wir ihn auch bei
17) Brugsch lex. p. 1708.
m
Lauth: Papyrus Prisse. 265
Plinius (C.C) wo er sagt: Harmain regem putant in ea
conditum. Er polemisirt mit Recht gegen die Meinung: et
volunt iuvectain videri, mit den Worten : est autem saxo
naturali elaborata. 'Was man in neuerer Zeit über die
Einführung der Sphinxgestalt (kiich die Hykshos oder wegen
der Inschrift des Thutmosis IV auf der Stele zwischen den
Tatzen, über ihre Gründung durch Chafra geschrieben hat,
wird hiuf.illig durch unsern Text. ' Plinius hat liecht zu
sagen : rubrica facies monstri colitur. Denn der Sphinx ist
ein Bild des Sonnengottes Harmachu und die rothbraune
Farbe, die das Gesicht gehabt haben kann, ist mit der Zeit
gerade so verschwunden, wie die Nase, welche sich das
türkische ]\Iilitär als Zielscheibe bei seineu Schiessübungen
genommen hat. Dadurch hat der Kopf etwas Negerartiges
erhalten, wie eine Königsbüste der Münchner Samnduug von
gleicher Verstümmelung. Daraus darf man aber nicht, wie
es geschehen ist, den Schluss ziehen, dass der Sphinx ur-
sprünglich einen Negerkopf gehabt habe.
Was bedeutet nun aber der Name Hu, welcher dem
Spliinx in der Inschrift zweimal beigelegt ist? Der Zusatz
n-Harmachu des Harmachis-,,Horus vom Horizonte" beweist,
dass der Sphinx, der nach guter Quelle bei Clemens von
Alexandrien d/xy] fisxd ovvsöawg d. h, ,. Kraft uiit Einsicht"
darstellt, woraus sich der Löwenleib mit Menscheuhaupt
erklärt, eine Manifestation des Sonnengottes gewesen ist.
Sehr häufig werden bei den Aegyptern vier Sinne durch
Hu, Sa, Auge. Ohr, ausgedrückt. Von dem Auge nun,
als dem Sinne des Gesichtes, sagt eine Inschrift : ..Das rechte
Auge*^) des Sonnengottes Ra, welches erleuchtet alle Länder
mit seinen Strahlen" Es ist der allsehende "HXiog der
18) Dümichen Resultate pl. XLV, c. Das liuke ist nach der
Stele von Neapel der Mond.
266 Sitzung der phüos.-philol. Qasse vom 5. Februar 1870.
Griechen, lieber das Ohr wird gesagt; „Das Ohr, welches
hört alle Dinge aufs genaueste in der ganzen Welt." Hu
und Sa sind ohne Legende, allein anderwärts ^^) heisst es:
,,Hu ist in meinem Munde, Sa in meinem Herzen." Da
nun Sa in dem Kopt. sou cognoscere (cf. HN^" intuitus est)
noch erhalten ist, ausserdem durch Horapollo II 117 in
Bezug auf sein Namenssymbol, die ovQiy^. als (pqovr^Oig er-
klärt wird, so bleibt für Hu das weite Gebiet des Ge-
schmackes sowohl in activer als passiver Bedeutung: gustus
und ysvOTov übrig; es sollte der Sonnengott als der Leben-
und Lebensunterhalt spendende (cf. Kopt. he victus, ^n vita)
dadurch dargestellt werden. ^°)
Die Richtung des 175 Fuss langen Sphinx befolgt genau
die West-Ost-Linie ; sein Gesicht ist gegen die aufgehende
Sonne gerichtet, wie die Griechen auch den Memnonscoloss
des AmenophisIII als die Mutter Aurora begrüssend, sich dach-
ten. Vielleicht schaut der Sphinx auch in seine Urheimath:
die Sonnenstadt Heliopolis.
Zwischen den Vordertatzen des Sphinx befindet sich ein
Tempel: es ist wohl der mit Pe-Hu bezeichnete. Auf der
von Thuthmosis IV errichteten Stele heisst es: ,,Der Sphinx
(Harmachu) spricht zu dem Könige, wie ein Vater zu seinem
Sohne," anspielend auf die Legende "^=0 viog "Hkiov, den
die Pharaonen von alter Zeit her führten.
Wie dieser Coloss genau orientirt ist, so sind es auch
die Wunderbauten der grossen Pyramiden. Um bei
der des Chufu stehen zu bleiben, so entsprechen nicht nur
ihre 4 Seiten auf's Genaueste den vier Weltgegenden, sondern
19) Stele von Kuban u. Pap. Leyd. I 347, 12; 1 cf. Todt. 17, 24,
78, 38. Letzteres Beispiel zu corrigiren.
20) Hu ist also nicht, wie Brugsch lex. p. 938 annimmt, eine
Abschwächung aus Chu.
ll
Lauth: Papyrus Prisse. 267
(
auch der schräg abwärts führende Gang^^) der Nordseite,
welcher 49 Fuss über der Grundlinie beginnt, ist schnur-
gerade gegen den Polarstern des Nordens gerichtet.
Ein langjähriger Bewohner des Pyramidenfeldes, der sich
hauptsächlich mit Messungen an der grossen Pyramide be-
schäftigte: Herr Piazzi Smyth, versicherte mir 1869 bei
seiner Anwesenheit in München, dass ein Gefäss mit Wasser
an den Scheidepunkt gestellt, wo die beiden Gänge, der ab-
wärtsführende und der aufsteigende, sich begegnen, den
Polarstern nach oben an den Schluss des langen Corridors
reflectirt. Diese Eigenthümlichkeit, sowie sie für den ein-
heitlichen Bau beweist, deutet zugleich auf ein religiös-
astronomisches Element. DasTodtenbuch c. 17,35 gedenkt des
grossen Bären (Wagens, septentrio) unter dem Namen ..der
Schenkel des Nordhimmels'" und in der That ergeben
die mit Linien verbundenen 7 Sterne dieser Constellation das
Bild eines Schenkels viel ungezwungener als das eines Wagens
oder eines Bären, wozu schon eine starke Phantasie gehört.
In einem Funerärtexte, den Rhindpapyri werden XX. I in
einem Athem angerufen : ..Osiris-Sahu (Orion) des Südhinimels
— der Schenkel (diesmal meschef) des Nordhimmels —
Isis-Sothis (Sirius), Führerin der Decane." Man sieht, dass
die eigentlichen Leitsterne des ägyptischen Jahres mit den
Repräsentanten des Astralkreises, der fünf Epagomenen und
des Vierteltages beabsichtigt sind, wie ich sie in meinen
Zodiaques de Denderah erhärtet habe. Ein Kapitel des
Todtenbuches (98, ^,2) gibt uns den Schlüssel zum Verständnisse.
Es wird dort nämlich gesagt: ..Sei gegrüsst. du grosses
Bein (uaret) welches am Nordhimmel sich befindet in dem
grossen Teiche ; sichtbar, ohne unterzugehen ; bleibe stehen
vor mir, das du aufgehst als ein Gott! Möge ich (auch)
21) Inschriftlich Roseta genannt z. B. auf dem von Lepsius
edirten Plane eines Ramses-Grabes.
268 Sitzung der phüos.-pJiildl. Classe vom 5. Februar 1870.
sichtbar sein, ohne unterzugehen, möge (auch) ich bestehen,
leben und aufgehen als ein Gott!" Man sieht, Avie hier das
Siebengestirn, von dem Homer singt:
äqxTov d-\ fjV xal afia^av snixXrjGiv xaXs'ovOiv,
rj t''(xvtov 0TQ6(fSTai xai z:' '£2qi(ovcc öoxsvsi,
oTr^ d' ctf-ifxoQÖg ioti Xo€tqcov ^SixeavoTo —
als Symbol der ewigen Fortdauer genommen ist. Der Polar-
stern selbst ist durch deu Schakal repräsentirt worden,
woher es kommt, dass noch in der griechischen Sphäre der
kleine Bär ganz naturwidrig mit langem Schweife gebildet
wird. Dieses sein Prototyp der Schakal fiilirt häufig den
Namen Ap-hiru ,, Wegweiser," weil er zu Land und zu
Wasser (cf. 'OSvaasvg loco laud.) als Leitstern diente,
wesshalb die ägyptische Astronomie einer Aphiru des Nordens
und einer Aphiru des Südens (wörtlicher ,,der Nord- und
der Südwege") gekannt hat.^^)
Beweist diese Eigeuthümlichkeit der grossen Pyramide,
dass nämlich ihr Baumeister auf die ägyptische Idee der
Unsterblichkeit Rücksicht nimmt, für die siOsßsia des Chufu,
so darf auch der Umstand nicht übersehen werden, dass
der Pyramidenbau für die Prinzessin Hontsen^^) eine ge-
wisse Pietät involvirt. Von diesem Werke spricht auch
22) Vergl. meine Zodiaq. p. 41, wo ich die Stellen der Classiker
citirte, die von dem doppelten „Wegweiser" bandeln. Der ,. grosse"
Bär scheint aus dem „kleinen" entstanden zu sein, welcher statt
uQxtog auch xvvovnig genannt wird.
23) Was diesen Xamen betrifft, so kann ich nicht mit H. de Rouge
übereinstimmen, der in seinem abrege grammatical p. 16 das sen
solcher Namen als Pronomen fasst und auf das zu supplirende neteru
(Götter) bezieht. Denn Hontsen würde demnach ,,ihre (der Götter)
Gebieterin" bedeuten, was unstatthaft ist. Ich fasse sen als das
Zahlwort ..zwei, doppelt" also Hontsen „die Mitherrscherin" cf.
Tuki: Kud. ling. copt. p. 449 über snau i^]^; zwei.
Lauth: Papyrus Prisse. 269
Herodot II 126 : sx toi'tcov d£ tcov Xid^cov scpaOav xi]V
■nvQa^ida oixo6o/j,}]&)'^vai zijv iv (.uöii) tcov tqicSv SorrjxvTav,
sjiiTTQoOd^et' zr^g (.leyakrig nvQaixidoq. Auf der Ostseite dieser
letzteren l.iefinden sich wirklich drei kleinere Pyramiden (auf
Bunseus Plan mit 7, 8, 9 bezeichnet). Nun liefern die
Grabtexte ausser der Prinzessin Hontsen auch noch eine
:andere, Namens Mersanch ^^ 1Y-. die Mutter zweier Prinzen,
die unter Chufu's Nachfolger Chafra lebten, also vermuthlich
des letzteren Söhne Wcäreu. Aus Allem dürfte sich ergeben,
dass Chufu, wie Herod. II 127 und Diodor I 54 ausdrücklich
sagen, der Bruder des Chafra, und letzter nicht sein Sohn
gewesen ist, dass er also nur weibliche, keine männlichen
Nachkommen hinterliess.
Ich habe Zeugnisse genug für die svöaßsia des Chufu,
aber keines für seine dosßefa beibringen können. Und doch
muss, was Herodot II 124 — 130 u. nach ihm Diodor I 64
von der Verhasstheit des Cheops zu berichten wissen, eben-
falls gewürdigt werden. Freilich gehörten die Gewährs-
, männer des Herodot in diesem Falle nicht zu den gut ünter-
j richteten, sonst hätten sie nicht den Xe'oip auf ,,die gute alte
Zeit des Rhampsinit"' folgen lassen. Offenbar stimmte dieser
1 Theil der Nachricht von crriechischen Hermeneuten , die,
I unsern Küstern vergleichbar, Wahres und Falsches durch-
einander mengten. Aber 11 128 nennt er ausdrücklich
Aegypter als seine Quelle für die Verhasstheit des Cheops
und Chephren : tovtovc vtco f.i(0€og ov xdqra -d^ikovOi
\ AlyvTitioi dvofm^siv y dXXu xal zag TTVQaf.Ud'ag xctXsovOi
j noifis'vog (PiX/ziog, 6g zovzov zöv xqovov evefis xrr^vsa
I xazä zaiza zd xwQia. Es kann mit diesem Hirten Philitis
I nichts anderes gemeint sein, als die Zeit der Hykschos
(= ßaadsTg noif.isv€g). welche ich auch, unabhängig über-
\ einstimmend mit Herrn Vic. de Rouge, in meinem früheren
Aufsatze: „Achiver in Aegypten," aus einem Texte des
270 Siizung der philos.-philol. Glasse vom 5. Februar 1870.
Exodus-Pharao Meneptali nachgewiesen habe als sprüchwörtlich
für eine Zeit der Bedrückung und Zerstörung des ägyptischen
Gottesdienstes. Mauetho nennt die Hykschos QoCvixeg,
nach einigen ^'Aqaßsg\ sie gehörten also zu den sogenannten
semitischen Stämmen. Man hat desshalb 0iXkiog in ^di'aviog
ändern zu müssen geglaubt, ohne zu bedenken, dass man
auf diese Art gerade das gewünschte Eesultat nicht erreicht.
Denn, wie Hitzig richtig vermuthet hat, die Philister-Pelusta
tragen auf den ägyptischen Bildwerken alle Kennzeichen der
indogermanischen Race und als unlängst H. Hyacinthe
Husson^*) am Suez-Canale erstaunt auf eine Gruppe blond-
haariger Arbeiter bei El-Kantara hinwies, sagte ihn H. Lesseps:
„Voilä les hommes d'El-Arisch (Rhinocolura), descendants
des Philistins."
An die Juden als Frohuarbeiter beim Pyramidenbau
darf nicht gedacht werden; denn sie sind viel später ein-
gewandert, und die erkleckliche Summe von xQÖf^Lfiva und
(jxo^otfa (Herodot II 125) konnte auch von andern Orientalen
verzehrt werden.
Was ist nun aber mit dem Worte 0ihTig anzufangen ?
Ich schreibe mit geringer Veränderug ^iXirig d, h. 2iXiTig
mit präfigirtem Artikel p, wie Herodot ihn auch bei seinem
TiiQcofiig anwendete. Er begreift beispielsweise unter Saßdxoov
die ganze Zeit der Aethiopenherrschaft und so mochte ihm
auch die Dynastie der Hykschos in ihrem ersten Könige
zusammenfliessen, der 2dXccTig, ^iXiTr^g (fehlerhaft 2atTr]g)
geschrieben wird. Für die Verwechslung von ^ und ^
haben wir ein Beispiel an dem 'Ps/xtpig Diodor's, wo die
andern Quellen ein Tccfxiprjg bieten, und in Uebereinstimmung
mit der monumentalen Schreibung Ramessu, offenbar
Te'mprjg zu corrigireu nöthigen. Dieses so gewonnene ^ilm]g
entspricht allen Bedingungen, und da dieser Name des ersten
24) Revue archeol. 1868 p. 333 sq.
Lauth: Papyrus Prisse. 271
HirtenkÖDigs mit ri'^^II'. wie der ägyptische Joseph als Reichs-
verweser genannt wurde, in Form und Bedeutung (Regent,
Sultan) übereinstimmt, so haben wir ein weiteres Argument
für die semitische Rage der Hykschos. sowie gegen die Ver-
schlimmbesserung 0ihang.
Eines ähnlichen Rufes, wie die Hirten, genoss Kam-
byses. Gewiss hat er vieles in Aegypten zerstört; aber an
der Zerstümmelung der Memmonstatue, die ihm die Alten
z. B. Polyaenus von Athen, ^5) zur Last legten, ist er sicherhch
unschuldig, da der Coloss erst unter Augustus 27 v. Chr.
durch ein Erdbeben seines oberen Theils verlustig ward und
zu tönen anfing, bis Septimius Severus durch fünf aufgesetzte
Schichten den Klagen des Memnon an seine Mutter Aurora
ein Ende machte. Freilich handelt es sich hier um die
Erbauung, nicht um die Zerstörung der Pyramiden , welche
letztere zum geringeren Theile dem Zahne der Zeit, zum
grösseren der türkisch-arabischen Gewohnheit zur Last fällt,
die Bekleidungssteine als Marmorbrüche für ihre Häuser-
bauten in Cairo zu verwenden. Dadurch sind auch die
Hieroglyphen-Inschriften verloren gegangen, welche Herodot
(vermutblich an dem Tempel der Ostseite) als zu seiner Zeit
noch vorhanden bezeichnet.^®)
Wenn Chufu und Chafra wirklich wegen ihres Pyramiden-
baues bei ihren Zeitgenossen so verhasst gewesen wären,
wie Hesse sich dann die Thatsache erklären, dass ihre un-
mittelbaren Nachfolger, ferner die Könige der V., VL, XIL
Dynastie bis zum Gründer des Labyrinths herab (Amenemha IH)
solche Colosse aufzurichten fortfuhren ? Ich habe in meinem
,,Manetho" schon darauf hingewiesen, dass die Schreibung der
25) Syncelli Chrooogr. p. 286 ed. Dindorf.
26) Auch Jomard bemerkt in der Description, dass beim Ab-
bruche einer Pyramide mehrere Steine mit Hieroglyphen ,, gesehen"
(leider aber nicht abgezeichnet oder aufbewahrt) wurden.
272 Sitzung der i^hüos.-phüol. (lasse vom 5. Februar 1870.
Stadt Memphis ^^ I ^^ ^^ ® Hennef er ^ welche der
Protouionarch Menes gründete, bereits auf einen Pyramiden-
bau dieses Namens (der sich übrigens unter Phiops wieder-
holt) hindeutet, nicht auf die Nähe des Pyramidenfeldes, wie
man gewöhnlich annimmt. Während der langen Dauer der
ägyptischen Geschichte lässt sich kein einziger Beweis aus
den Denkmälern dafür lieibringen, dass man diese Riesen-
bauten zu zerstören gesucht hätte. Blasirte Reiseude der jüng-
sten Tage ruiniren daran weit mehr durch Auspickung von
einzelnen Trümmern, als das ganze Alterthum pharaonisher
Zeit. Diess ist auch nicht zu verwundern, da ja die Pyra-
miden ursprünglich wesentlich und fortwährend einen religiös-
funerären Charakter gehabt haben.
Herodot bereiste das Land Aegypten unter der Perser-
herrschaft (XXVn. Dynastie) um das Jahr 450 v. Chr, Die
Vermittler seiner Geschichtskunde waren, wie er selber
angibt, vielfach die gri- chischen igfirjvsig, welche der Saite
Psammetich eingeführt hatte. Mit diesem Könige ist überhaupt
ein bedeutsamer Wendepunkt eingetreten: er berief die ehernen
Männer, die Joner und Karer, und Amasis siedelte sie später
in Naukratis sowie bei Bubastis an. Desshalb verliessen
240,000 Aegypter das Land und zogen nach Aethiopien —
Sape oder Esar — und gründeten dort unter dem Namen
AvTOfxoXoi ^s/^ißgirai oder (N)aOf.idx einen Seitenzweig der
ägyptischen Kunst im Dienste der Aethiopier. Eine Polemik
des Libyers Psammetich gegen die auf ihr Alterthum pochenden
Aegypter enthält auch sein Versuch, mittels des ßexög der
zwei abgesonderten Kinder die Phryger als die ältesten
der Menschen darzustellen. Unter ihn scheint auch die
Ausmeisselung des Gottes Seth (Typhon) zu fallen, so wie
denn der Beginn der demotischen Schrift, ja ein ganz
neuer Charakter der Kunst und Literatur von ihm datirt.
In derselben Zeit also, wo in einem Grabe eines seiner vielen
Lauth: Papyrus Frisse. 273
Namensvettern noch das Pristerthum des Chufu und Chafra
erwähnt wird, werden wir eine Art Scheidung der Ansichten
anzusetzen haben.
Was diesen beiden besonders zum Vorwurfe gemacht
wurde, ,,die Heiligthümer geschlossen, die Einwohner von
den Opfern abgehalten und zum Frohndienst gezwungen zu
haben" (Herodot II 124), erklärt sich ersteres aus der Sitte,
den Zugang zur Grabkammer — und das war auch ein Iqov —
durch grosse Granitpfropfen abzusperren, welche nach Bei-
setzung der Königsmumien herabgelassen wurden, so dass
Niemand, ausser durch gewaltsame Erbrechung, eindringen
konnte. Ebendahin gehört auch das &vai4(x)v ansq^ai; es
sind dies Umdeutungen ganz und gar im Geiste der koptischen
und arabischen Sagen oder vielmehr Märchen, die sich an
die Pyramiden anlehnen, ohne indess für Geschichte gelten
zu können. Dass die Einwohner zu Frohndiensten gezwungen
wurden, etwa wie die heutigen Fellahs zum Canalbau, liegt
in der Natur der Sache begründet. Wenn nun in der literaten
Epoche der Saiten die jetzt noch vorhandene Urkunde über
die Bedrückung eines Bauers unter dem letzten Könige der
dritten Dynastie [Kanebra KsQCfeqriq = xQvOovg) nämlich der
Papyrus Butler und seine Ergänzung im Berliner Museum,
nebst andern Texten ähnlichen Inhaltes, zu Ungunsten der
Pyramidenzeit und ihrer Hauptrepraesentanten ausgelegt
wurde, so liegt darin nichts Befremdliches.
Der Besitzer des Papyrus Prisse II mochte dessLalb
das wahrscheinlich über die Götter handelnde Buch des
Königs Chufu, dessen Copie aus der XI. Dynastie stammte,
ausmerzen, ohne ein anderes au dessen Stelle zu setzen.
Dadurch war freilich das Werk nicht vernichtet, denn Africanus
erwarb sich dasselbe bei seinem Aufenthalte in Aegypten
als ein kostbares Stück, und dasselbe Prädicat ertheilt ihm
Eusebius, der es als allgemein vorhanden erwähnt. So er-
klärt sich die Lücke des Papyrus Prisse auf's Beste : gerade
[1870.1.2.] 18
274 Sitzung der philos.-pliiloh Glosse vom 5. Februar 1870.
die Ausmerzung zeugt für Chufu als Verfasser, der demnach
durch seine Abwesenheit glänzt. Und wenn Plinius, von
ähnlicher StiibUiung gegen die Pyramidenbauer erfasst, wie der
Besitzer des Pap. Prisse, nach Aufzählung von zwölf Schrift-
stellern, die über die grossen Pyramiden geschrieben, ausruft :
,,inter omnes eos non constat, a quo factae sint. justissimo
casu oblitteratis tantae vanitatis auctoribus," so sind wir,
Dank der Aegyptologie, gegenwärtig Gottlob ! eines Besseren
belehrt.
Herr Christ liest:
„lieber die rhythmischen Formen der griech-
ischen Hymnen des Mittelalters."
Nach Beschluss der Classe soll diese Abhandlung in den
Denkschriften gedruckt werden.
Historische Classe.
Sitzung vom 5. Februar 1870.
Herr Baron von Lilienkron hielt einen Vortrag über:
das Werk des Kaisers Maximilian I. der „Weiss-
Kunig."
Hierauf machte Herr Kluckhohn eine Mittheilung
„Ueber zwei Gesandtschaften Kurfürst Fried-
rich's von der Pfalz nach Paris,"
aus den Jahren 1567 und 1574. um den Hugenotten freie
Religionsübung zu verschaffen.
Die Berichte der Gesandten mit einer Einleitung und
Anmerkungen sollen in den Denkschriften der Akademie
erscheinen.
Einsendungen von Druckschriften. 275
Einsendungen von Druckscliriften.
Von der physikdlisch-medicinischen Gesellschaft in Würzburg:
a) Verhandlungen. Neue Folge. I. Bd. 4. Heft. 1869. 8.
b) Verzeichniss der Bibliothek. 1869. 8.
Von der k. k. geographischen Gesellschaft in Wien:
Mittheilungen. X. Jahrgang. 1866. 1867. 1868 und 1869. 8.
Von der astronomischen Gesellschaft in Leipzig:
Vierteljahrsschrift. V. Jahrgang. 1. Heft. Januar 1870. 8.
Von der k. k. patriotisch-ökonomischen Gesellschaft im Königreich
Böhmen in Frag:
Centralblatt für die gesammte Landescultur. 1. — 3. Heft. Januar.
Februar. März 1870. 8.
Von der naturforschenden Gesellschaft in Freihnrg im Breisgau:
Bericht über die Verhandlungen. Band V. Heft 2. 1869. 8.
Von der pfälzischen Gesellschaft für Pharmacie in Speier:
Neues Jahrbuch. Bd. XXXHI. Heft 2. 3. Februar und März 1870. 8.
Vom historischen Verein der Pfalz in Speier:
Mittheilungen. I. 1870. 8.
18*
276 Einsendungen von Druckschriften.
Vom historischen Verein von Niederbayern in Landshut:
Verhandlungen. XIV. Band. 3. u. 4. Heft. 1869. 8.
Von der physikalischen Gesellschaft in Berlin:
Die Fortschritte der Physik i. J. 1866. XXII. Jahrgang. 1869. 8.
Vo7n thüringisch-sächsischen Verein für Erforschung des vaterländischen
Alterthums und Erhaltung seiner Denkmäler in Halle:
Neue Mittheilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forsch-
ungen. 12. Bd. 2. Hälfte. 1869. 8.
Vom Gewerbeverein von der naturforschenden Gesellschaft und bienen-
wirthschaftlichen Vereine in Altenburg:
Mittheilungen aus dem Osterlande. 19. Band. 1. u. 2. Heft. 1869. 8.
Von der Eedaction des Correspondenzblattes der Gelehrten und
Realschulen Württembergs in Stuttgart :
Correspondenzblatt. 17. Jahrgang. Nr. 2. März. April 1870. 8.
Von der Universität in Heidelberg:
Jahrbücher der Literatur. 62. Jahrgang. 5. Heft. Mai. 1869. 8.
Von der k. k. mährisch-schlesischen Gesellschaft zur Beförderung des
Ackerbaues, der Natur- und Landeskunde in Brunn:
a) Schriften der historisch-statistischen Section. XVI. XVII.
XVni. Band. 1867. 1868. 8.
b) Historisch-statistische Section. Quellen und Schriften zur Ge-
schichte Mährens und Oesterr.-Schlesiens. 1. Sektion : Chroniken.
Mährische und schlesische Chroniken. 1. Theil. 1861. 8
c) Chronik der Orte Seelowitz und Pohrlitz und ihrer Umgebung
von Johann Eder. 1859. 8.
Von der zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien:
Verhandlungen. XIX. Band. Jahrgang 1869. 8.
Vom naturwissenschaftlichen Verein in Bremen:
Abhandlungen. 2. Band. 2. Heft. 1870. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 211
Vom historischen Verein von Unterfranken und Aschaffenburg in
Würzburg :
Archiv. 20. Band. 3. Heft. 1870. 8.
Von der Eeal Äcademia de Ja Eistor ia de Espmia in Madrid:
a) Memorial Histörico Espanol: Coleccion de documentos, opüs-
culos y antigüedades. Torao XY. al XIX. 1862 — 65. 8.
b) Espana sagrada. Tomo 48 al 50. 1862. 65. 66. 8.
c) Cortes de los antiguos reinos de Leon y deCastilla. Tomo 2.
y 3. 1863. 66. 4.
d) Estado social y politico de los Mudejares de Castilla. con-
siderados en simismos y respecto de Ia civilizacion espaiiola.
1866. 8.
e) Coleccion de obras aräbigas de historia y geografia. Tomo 1.
1867. 8.
f) Juicio critico y significacion poli'tica de Don Alvaro de Luna;
por Juan Rizzo y Ramirez. 1865. 8.
g) Memoria arqueologico - descriptiva del anfiteatro de Itälica,
acompanada del piano y restauracion del mismo edificio. 1362. 8.
h) Historia critica delos falsos cronicones; por D. Jose Godoy Al-
cäntara. 1868. 8.
i) Elogi'o del Arzobispo D. Rodrigo Jimeuez de Rada y juicio
critico de sus escritos historicos. 1862. 8.
k) Munda Pompeyana. Yiaje arqueologico de Don Jose Olivier
y Hurtado. 1866. 8.
1) Discurso en elogio de Don Jose Comide de Saavedra. 1868. 8.
m) Discurso leido por Antonio Benavides en 18fi7. 1868. 8.
n) Noticia de las actas de Ia real Äcademia leida en las juntas
püblicas de 29. deJunio de 1862 y 7. deJunio de 1868. 8.
Von der Äcademie des sciences in Paris:
Comptes rendus hebdomadaires des seances. Tom. LX.K. Nr. 5 — 15
Janvier — Avril. 1870. 4.
Von der Äcademie imperiale des sciences in St. Petersburg:
a) Bulletin. Tom. XIV. Nr. 1. 2. 3. 1869. 4.
278 Einsendungen von Druckschriften.
b) Memoires. Tome XIII. Nr. 8 et dernier.
„ XIV. Nr. 1—7. 1869. 4.
c) Repertorium für Meteorologie. Redigirt von Dr. H. Wild.
Band I. Heft. 1. 1869. 4.
d) Melanges physiques et chimiques tires du bulletin de l'aca-
demie. Tom. VIII. 1869. 8.
Von der Academie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de
Belgique in Brüssel:
Bulletin. 39. annee. 2. Serie, tome 29. Nr. 2. 3. 4. 1870. 8.
Vom Musee Teyler in Harlem:
Archives. Vol. IL Fasicule quatrieme. 1869. 8.
Von der Societe areheologique in Luxemburg:
Publications de la section historique de l'institut. XXIV. II. 1869. 4.
Von der Sternwarte in Bern:
Schweizerische meteorologische Beobachtungen. März, April, Mai
1869. 4.
Von der Societä italiana , di scienze naturali in Mailand :
Atti. Vol. XII. Fase. IL 1869. 8.
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram:
Rad Jugoslavenske Akademije. (Arbeiten der südslav. Akademie.)
Band 9. 1869. 8.
Von der serbischen gelehien Gesellschaft in Belgrad:
a) Glasnik (Bote). Band 8 und 9. 1869. 8.
b) Stojan Novakovitsch, Srpska Biblijographija 1741 — 1867.
(Serbische Bibliographie) 1869. 8.
c) Utjeschenovitsch-Ostroschinski, Misli etc. (Gedanken über die
Wichtigkeit, Berechtigung und die Mittel zur Beförderung der
serbisch-croatischen Literatur. 1869. 8.
Von der Accademia di scienze morali e jydlitiche in Neapel:
Rendiconto delle tornate dei lavori. Anno ottavo quaderni di No-
vembre e Dicembre 1869. 8.
Einsendungen von DrucJcschriften. 279
Voin B. Comitato Geologico d' Italia in Florenz:
Bolletino. Nr. 1 Gennaio, Nr. 2 Febbraio, Nr. 3 Marzo 1870. 8.
Von der Boyal geological Society of Ireland in Dublin :
Journal. Yol. XII. Part. 2. New Series. Vol. IL Part. 2. 1868—1869. 8.
Von der CJiemical Society in London:
Journal. Nov. Dec. 1869. Ser. 2. Yol. VII. January 1870. Ser 2.
Vol. vm. 8.
Von der Asiatic Society of Bengal in Calcutta:
a) Journal. Part. I. Nr. III. 1869. 8.
b) Proceedings. Nr. VIII. IX. X. Aug. Septbr. Octbr. 1869. 8.
c) Bibliotheca indica a collection of oriental works. New Series
167. 168. 169. 170. 1869. 8.
Von der Soeiete Vaudoise des sciences naturelles in Lausanne:
Bulletin. Vol. X. Nr. 62. 1869. 8.
Von der Soeiete botanique de France in Paris :
a) Bulletin. Tome seizieme 1869. Comptes rendus des seances. 5. 8.
b) „ Revue bibliographique A. Tome dix-septieme 1870. 8
Vom Feabody Institute in Baltimore:
Address of the president to tbe board oftrustees on the Organization
and government of the institute. February 1870. 8.
Von der k. k. geologischen Beichsanstalt in W^ien:
a) Jahrbuch. Jahrgang 1870. XX. Band. Nr. 1. Januar, Fe-
bruar. März 1870. 8.
b) Verhandlungen. Nr. 1. 1870. 8.
Von der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz:
Neues Lausitzisches Magazin. 47. Band. 1. Heft 1870. 8.
Vom Harzverein für Geschichte und Älterthumskunde in Wernigerode:
Zeitschrift. III. Jahrgang 1870. 1. Heft. 8.
280 Einsendungen von Druckschriften.
Vom tiatunoissenschaftUchen Vereine für Saclisen uncf Thüringen
in Halle:
Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften. Jahrgang 1869.
34. Band. 8.
Von der fc. Akademie der Wissenschaften in Berlin:
Monatsschrift. Januar, Februar 1870, 8.
Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin:
Zeitschrift. XXII. I.Heft. November, Dezember 1869. Januar 1870. 8.
Von der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien:
a) Denkschriften. Philosophisch-historische Classe. 18. Bd. 1869.4.
b) ,, Mathematisch - naturwissenschaftliche Classe.
29. Band. 1869. 4.
c) Sitzungsberichte. Philosophisch-historische Classe. LXI. Bd.
Heft 2. 3. Febr. März.
LXII.Bd. Heft 1. 2. 3. 4. April bis Juli.
Jahrgang 1869. 8.
d) „ LIX. Bd. 3. 4. 5. Heft. LX. Bd. 1. 2. Heft.
März bis Juli Jahrgang 1869. Erste Ab-
theilung. Abhandlungen aus dem Gebiete
der Mineralogie, Botanik, Zoologie, Anato-
mie, Geologie, Paläontologie. 8.
e) „ LIX. Bd. 4. u. 5. Heft. LX. Bd. 1. Heft.
April, Mai, Juni. Jahrgang 1869. Zweite
Abtheilung. Abhandlungen aus dem Gebiete
der Mathematik, Physik, Chemie, Physio-
logie, Meteorologie etc. etc. 8.
f) Archiv für österr. Geschichte. 41. Bd. 1. u. 2. Hälfte. 1869. 8.
g) Almanach. Neunzehnter Jahrgang. 1869. 8.
Vom historischen Kreisvereine im Begierungshezirk von Schwaben
und Neuhur g in Augsburg:
Vierunddreissigster Jahresbericht für das Jahr 1868. 1869. 8.
Von der Societe des sciences physiques et naturelle in Bordeaux:
Extrait de» proces-verbanx des seances. 1869. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 281
Vom Istitiito Veneto di scienze lettere ed arti in Venedig:
Atti. Tomo decimoquarto , serie terza: Dispensa nona, decima.
Tomo decimoquinto, eerie terza: Dispensa prima. 1869. 70. 8.
Vom Äteneo Veneto in Venedig:
Atti. Serie IL Volume V. Puntata quarta. Settembre 1869. 8.
Von der Association pour l'encouragenient des etudes grecques
en France in Paris:
Annuaire. 4. Annee 1870. 8.
Vom Herrn Aug. Grunert in Greifsicald:
Archiv der Mathematik und Physik. 50. Theil. 4. Heft. 51. Theil.
1. Heft. 1869. 8.
Vom Herrn Friedrich Hessenberg in Franl-furt ajM.:
Mineralogische Xotizen. Xr. 9. Achte Fortsetzung. 4.
Vom Herrn F. Melde in Marburg:
Experimental-Untersuchungen über Blasenbildung in kreisförmig
cylindrischen Röhren. 1870. 8.
Vom Herrn Karl vo7i Weber in Dresden:
Archiv für die sächsische Geschichte. 8. Band. 1. — 3. Heft.
Leipzig 1869. 8.
Votn Herrn Karl Karpf inBuhethal vor Glücksburg im Schlesioigischen:
T6 xC >jV slvai. Die Idee Shakespeare's und deren Verwirklichung.
Sonettenerklärung und Analyse des Dramas Hamlet. Hamburg
1869. 8.
Vom Herrn Hermann Kolbe in Leipzig:
Journal für praktische Chemie. Xeue Folge. Band. I. 1 — 5. Heft.
1870. 8.
**
282 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn Hermann Knoblauch in Berlin:
a) Ueber den Durchgang der strahlenden Wärme durch Steinsalz
und Sylvin. 1870. 8.
b) Historische Bemerkung zu einer Veröffentlichung des Herrn
G. Magnus über die Reflexion der Wärme. 1870. 8.
Vo7n Herrn Karl Hasskarl in Wien:
Commelinaceae indicae, imprimis archipelagi indici , adjectis non-
nullis hisce terris alienis. 1870. 4.
Vom Herrn Franz Tötterle in Wien:
Das Vorkommen, die Production und die Circulation des mineral-
ischen Brennstoffes in der österreich.-ungarischen Monarchie
i. J. 1868. Mit 1 Karte. 1870. 8.
Vom Herrn Fr. Zantedcschi in Venedig:
a) Delle oscillazioni calorifiche orarie, diurne, mensili ed annue
del 1867. 1869. 8.
b) La meteorografia del globo studiata a diverse altitudini da
terra. 1869. 8.
Vom Herrn Conte Giovanni Gozzadini in Bologna:
Di ulteriori scoperte nell' antica necropoli a Marzabotto nel
Bolognese. 1870. Fol.
Vom Herrn M. Alf. Preudhomme de Boire in Brüssel:
Description d'une nouvelle espece africaine du genre varan (varanus). 8.
Vom Herrn H. Mohn in Christiania.
Temperature de la mer entre l'Islande, l'Ecosse et la Norvege.
Avec 5 cartes. 1870. 8.
y^om Herrn Guido Vimercati in Turin:
Kivista scientifico-industriale del 1869. Anno primo. Florenz 1869. 8,
Vom Herrn Samuel Haughton in Dublin:
a) On some elementary principles in animal mechanics. (Nr. II.)
1869. 8.
b) Additional notice of the zeolites of Western India. 1868. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 283
Vom Herrn C. Settimanni in Florenz:
D'une seconde nouvelle methode pour determiner la parallaxe du
soleil. 1870. 8.
Vom Herrn E. Hegel in St. Petersburg :
1869. Supplementum ad indicem seminum anni 1868 quae hortus
botanicus imperialis Petropolitanus pro mutua commutatione
offert. 1869. 8.
Von den Herren Selastiano Eichiardi und Giovanni Canestrini in Turin:
Archivio per la zoologia l'anatomia e la fisiologia. Serie II. Vol. II.
Fase. I. Marzo 1870. Turin u. Florenz. 8.
Vom Herrn James M. Safford in Lehanon, Tenn:
Geology of Tennesse. Nashville 1869. 8.
Vom Herrn J. H. C. Goffin in Washington:
The american ephemeris and nautical almanac for the year 1871.
1869. 8.
Vom Herrn Charles H. Davis in Washington:
Aatronomical and meteorological observations made at the united
States naval observatory during the year 1866. 1868. 4.
Vom Herrn Hugo Schuchardt in Gotha:
üeber einige Fälle bedingten Lautwandels im Churwälschen. 1870. 8.
Von den Herren Karl Jelinek und Karl Fritsch in Wien:
Jahrbücher der k. k. Central-Anstalt für Meteorologie und Erd-
magnetismus. Neue Folge. IV. Bd. Jahrgang 1867. 1869. 4.
Vom Herrn Karl Jelinek in Wien:
Die Temperatur-Verhältnisse der Jahre 1848 — 1863 an den Stationen
des österreichischen Beobachtungsnetzes durch fünftägige Mittel
dargestellt. 1869. 4.
Vom Herrn Martin Hang in München:
a) An cid Pahlavi-Pazand Glossary, edited with an alphabetical
index by Destur Hoshangji Jamaspji Asa, Highpriest of the
parsis in Malwa, India. Bombay. London 1870. 8.
b) Essay on the Pahlavi Language. Stuttgart 1870. 8.
284 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn M. Garcin de Tassy in Paris:
Histoire de ]a litterature Hindouie et Hindoustanie. Tome premiere.
1870. 8.
Vom Herrn G. L. von Maurer in München:
Geschichte der Städte-Yerfassung in Deutschland. Zweiter Band.
Erlangen 1870. 8.
Vom Herrn P. G. De Dnmast in Nancy :
De la sericulture abusivement nommee serici-culture. 1870. 8.
Vom Herrn Bohert Main in Oxford:
Second radcliffe catalogue, containing 2386 stars; deduced from ob-
servations extending from 1854 to 1861, at the radclifife
observatory Oxford, and reduced to the epoch 1860. 1870. 8.
Vom Herrn Gaudenzio Claretta in Turin:
II municipio Torinese ai tempi della pestilenza del 1630 e della
reggente Christina di Franzia Duchessa di Savoia. 1869. 8.
Von den Herren A. Hirsch und E. PJantamour in Genf:
Nivellement de precision de la Suisse execute par la commissioB
geodesique föderale. III. Livraison. 1870. 4.
Vom Herrn Severn Teackle Wallis in Baltimore:
Discourse on the life and character of George Peabody, delivered
in the hall of the Peabody institute, Baltimore, February 18.
1870. 8.
Vom Herrn Dr. Emil Czyrnianski in Krakaw.
Chemische Theorie auf der rotirenden Bewegung der Atome basirt,
kritisch entwickelt. 1870. 8.
Vom Herrn Rudolph Wolf in Zürich :
Astronomische Mittheilungen XXV. 1869. 8.
Vom Herrn Eduard Secretan in Lausanne:
Du passage des Alpes par Annibal. 1869. 8.
I
Sitzuugsbericlite
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Mathematisch-physikalische Classe.
Sitzunsr vom 5. März 1870.
Herr Baron von Lieb ig bespricht eine von ihm vor-
gelegte Abhandlung des Herrn J. L. W, Thudichum in
London :
„Ueber die Kryptophansäure, die normale
freie Säure des Harns.
(Auszug aus einer längeren Abhandlung.)
1) Darstellung der Kryptophansäure. Harn wird
eingedampft, mit Kalkmilch behandelt, mit Essigsäure wieder
angesäuert und zur KrystaUisation konzentrirt. Das Extract
wird von den Krystallen getrennt und mit viel stärkerem
Alkohol gemischt. Es fällt ein schmieriger Niederschlag von
kryptophansaurem Kalk, welcher isolirt, mit Alkohol gewaschen
und wie folgt gereinigt wird.
2) Reinigung vermittelst essigsauren Bleis. Das
rohe Kalksalz wird in Wasser aufgelöst und mit einem grossen
[1870. I. 3] 19
286 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. März 1870.
Ueberschuss einer gesättigten Lösung von Bleizucker gemischt.
Die Lösung wird von dem unlöslichen Theil (basisches
kryptophansaures Blei) abfiltrirt und mit viel stärkerem
Alkohol gemischt , wodurch weisses kryptophansaures Blei
niederfällt.
3) Reinigung vermittelst essigsauren Kupfers.
Die wässrige Lösung des rohen Kalksalzes wird mit einem
Ueberschuss von konzentrirter essigsaurer Kupferlösung ver-
mischt, wodurch sich ein unlösliches und ein lösliches neu-
trales Kupfersalz bildet, die Lösung des Letzteren mit viel
absolutem Alkohol vermischt, gibt einen blaugrünen Nieder-
schlag von kryptophansaurem Kupfer.
4) Darstellung der Kryptophansäure aus Harn-
extracten, aus welcher bereits alle Zersetzungs-
produkte desUrocherins entfernt sind. In den Prozessen,
welche unter 1, 2 und 3 beschrieben sind, bleibt das üro-
cherin unzersetzt in der alkoholischen Lösung. Die Krypto-
phansäure ist daher kein Product des Urocherins, was auch
aus vielen anderen Thatsachen hervorgeht. In dem unter 4
beschriebenen Prozess werden das Urocherin und seine Zer-
setzungsprodukte durch den vom Verfasser beschriebenen
chemolytischeu Prozess zuerst aus dem Harnextract entfernt.
Aus der Lösung werden alsdann Schwefelsäure und Ammoniak
durch Kochen mit überschüssiger Kalkmilch entfernt ; die
Lösung wird ungesäumt zur Krystallisation verdampft und
das abgegossene Extract mit Alkohol behandelt. Das rohe
Kalksalz wird dann durch die unter 2 und 3 beschriebenen
Prozesse gereinigt.
5) Darstellung der Kryptophansäure aus Harn
ohne Anwendung von Wärme. Frischer Harn wird mit
gesättigter Bleizuckerlösung (40 cc. auf jedes Liter Harn)
gemischt, und der Niederschlag entfernt und weggeworfen.
Es wird nunmehr Bleizucker und etwas Ammoniak zu dem
Thudichum: Die Kryptophansäure. 287
Filtrat gefügt, und der Niederschlag gesammelt und gewaschen.
Derselbe wird nun mit verdünnter Schwefelsäure genau zer-
setzt, wodurch eine dunkelgelbe Lösung erhalten wird. Diese
enthält ürocherin (kenntlich an seinem Absorptionsband im
Blau des Spectrums und an seinen Zersetzungsprodukten)
und Kryptophansäure. Die Lösung wird mit kohlensaurem
Baryt und Barytwasser behandelt, filtrirt und mit Alkohol
gemischt. Das ürocherin bleil)t in Lösung und das kryp-
tophansäure Baryum fällt in weissen Flocken nieder.
6) Chemische Eigenschaften der Kryptophan-
säure. Sie wird aus dem Bleisalz durch Schwefelsäure,
aus dem Kupfersalz durch Schwefelwasserstoff abgeschieden.
Sie ist amorph , gummiartig , durchscheinend . löslich in
Wasser, weniger in Alkohol, am wenigsten in Aether. Sie
gibt Niederschläge mit vielen Salzen, ihie Salze werden in-
dessen vollständiger von Metallsalzen gefällt. Am merk-
würdigsten unter diesen sind : der Niederschlag mit salpeter-
saurem Quecksilberoxyd, weiss, voluminös. Derselbe wird
stets als eine Beimischung der Verbindung von Quecksilber-
oxyd mit salpetersaurem Harnstoff" in der volumetrischen
Analyse von Liebig gebildet, und diese Analyse bedarf
desshalb einer Correction für Kryptophansäure. — : Die
Niederschläge mit Ürau- und Eisenoxydsalzeu, welche stets
in den gewöhnlichen volumetrischen Analysen für Phosphor-
säure im Harn gebildet werden, und diese Prozesse von
sehr fraglichem Werth machen. In alkalischen Kupferlösungen
bildet die Kryptophansäure beim Kochen Oxydul ; diese
Reaction erklärt wahrscheinlich viele Angaben über so-
genannten Zucker im Harn, einschhesslich dessen, welche
von angeblichem Indikau. oder Urian oder Uriauin (Schunk)
hergeleitet sein sollte, und die Reactionen des Alkaptons
(Böcker). Auch ist es die Kryptophansäure, an welcher sich
jene sonderbare Picaction ausführt , welche menschlicher
Harn mit Jodtinctur gibt, und die vor einigen Jahren Gegen-
19*
288 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 5. März 1870.
stand einer lebhaften Debatte in Frankreich war. Sie bildet
die Hauptmasse der sogenannten Extractivstoffe und ist ein
Körper von grossem chemischen Interesse, physiologischer
Bedeutung und pathologischer Wichtigkeit.
7) Absorption von Sauerstoff durch rohe Kryp-
top hansäure. Unreine stark alkalische Lösungen von
Kryptophansäure absorbiren Sauerstoff auch aus Luft, über
Quecksilber, die sehr reinen Salze nehmen keinen Sauerstoff auf.
8) Kryptophansäure Alkalien. Dieselben sind im
Wasser löslich; das Natronsalz wird aus seiner wässrigen
Lösung durch Alkohol nicht gefällt.
9) Kryptophansaures Blei. C^ H, Pb NO^. Er-
halten wie oben beschrieben. Es gibt ein wasserfreies Salz
mit einem Molekül Hydratwasser.
10) Basisches Bleisalz. Das Salz unter 9 darf nur
mit Alkohol gewaschen werden , um neutral zu bleiben.
Wenn es längere Zeit mit Wasser gewaschen wird, so ver-
liert es ein Drittel seiner Säure und wird basisches Salz :
2 (C,, H , Pb, N, 0 J PbO.
11) Kryptophansaures Kupfer, (mit Alkohol). Viele
kryptophansäure Salze verbinden sich mit Alkohol und
bilden Alkoholate nach Art der Hydrate, das Kalk- und
Bleisalz verlieren ihren Alkohol in massiger Wärme, etwa
bei 70*' C. , besonders wenn Wasser zugegen ist. Aber das
Kupfersalz hält ihn bei 110° zurück und hat alsdann die
Formel 2 (C^ H, Cu NOJ + C, H^ 0.
12) Kryptophansaures Kupfer (ohne Alkohol)
Cj H, Cu. NO5 hellgrüner sehr beständiger Körper.
13) KryptophansauresMagnesium. Dargestellt durch
Sättigen der freien Säure mit gebrannter Magnesia. Zwei
Hydrate wurden erhalten, eines C^^ H^^ Mg., N^ 0^^ -\- 2 Aq.
bei 125° C. und ein anderes C^,, H^^ Mg^ N, 0^^ + Aq. bei
140—160° C. Sehr beständiges Salz.
Thtidichiim: Die Kryptophansäure. 289
14) Kryptophansaure Calciumsalze. Wenn die
Säure mit überschüssiger Kalkmilch gekocht wird, so bildet
sich das dreiviertel basische (drei aequivaleute Calcium, ca/
von 20 Aequ. Gew. jedes) enthaltend. — C^^^ H^ 083 N.^ 0 ^g.
Wenn dieses Salz an der Luft zur Trockne verdampft wird,
so verliert es ein Drittel seines Kalks als kohlensaures und
hinterlässt das zweibasische Salz C^^ H^^ Ca. N^ O9. (Ca 40)
durch Alkohol zu fällen.
15) Kryptophansaure Baryumsalze. Das vier-
basische Salz wird durch Fällen der Lösung des Maguesium-
salzes mit Barytwasser dargestellt; es enthält ein Atom
Hydratwasser und hat die Formel C^^ H^^ Ba, N, 0^^ + Aq.
Durch Abdampfen an der Luft wird dieses Salz C^^ R^.
Bag N. 0,0 (Ba = 67.5).
16) Verwandlung des dreibasischen Baryum-
salzes und ein saures Salz durch Kochen mit
Wasser. Das Salz wurde sehr lange in Wasser gekocht
und verwandelte sich dadurch in C^^ H^^ Ba N^ Og.
17) Kryptophansaure Kobaltsalze. Dargestellt
durch Kochen der Säure mit kohlensaurem Kobalt. Rothe
Lösung durch Alkohol gefällt.
a) Fällung, rosenrother Niederschlag = C^^ H,^ Co
N3 Og.
b) Lösung, wurde blau während des Trocknens und
hatte Zusammensetzung C^^^ H,., Co._, K, Og.
I 18) Silbersalz. Das zwei basische Baryumsalz liefert
mit Silbernitrat das drei basische Silbersalz, C^g E^^ Agg
N2 O9. Vierbäsische Salze liefern dieses dreibasiscbe Silber-
salz gemischt mit freiem Oxyd.
19) Theoretische Betrachtungen über die Kryp-
tophansaure. Die Säure ist in Obigen häufig als eine
I zweibasische Säure von der Formel C^ Hg XO^ aufgefasst
I worden. Sie kann jedoch ebensowohl als vierbasisch gedacht,
290 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. März 1870.
und ihr die Formel G^^ H^g Ng 0^^
beigelegt werden,
diesem Falle erhalten die Metallsalze die
In
allgemeine Formel
Bleisalze trocken .
„ Hydrat .
„ basisch .
Kupfersalz, trocken
,, mit Alkohol —
Magnesiumsalz Hydrat —
„ dihydrat —
Baryumsalz vierb. Hyd. —
„ dreibasisch —
,, sauer ... —
Calciumsalz dreibasisch —
„ sauer ... —
Kobaltsalz, sauer ... —
„ vierbasisch —
Silbersalz, dreibasisch —
- C,,H,,M^, N, 0,,
- C,, H,, Pb, N, 0,,.
- C,, H,, Pb, K 0,, + Aq.
-2(C,,H,, PK N, 0,J+Pb.
- C,„H,, Cu, N, 0,,.
C,,H,, Cu, \ 0,, + a H, 0.
C,,H,, Mg, N, 0,, + Aq.
C,„ H,, Mg, N, 0,, 4- 2 Aq.
C,, H,, Ba, N, 0,„ + Aq.
C,,H,3ba\ N, 0,,.
C,„H,,Ba N., O9.
C,, H,3 ca^3 N, 0,,
C,, H, Ca N, 0,.
C,, H,, Co K O3.
C,, H,. Co., N, O9.
C,, H,3 Ag3 N, O3.
Ein Theil des Wasserstoffs in dieser Säure kann durch
Jod oder Brom substituirt werden, es gibt vielleicht drei
gebrannte Säuren, deren Barytsalze durch verschiedene Lös-
lichkeit trennbar sind.
Das Fleisch, das Blut und viele Orgaue des menschlichen
Körpers enthalten Säurun, welche viele Eigenschaften mit
der Kryptophansäure gemein haben, allein damit nicht
identisch sind. Dieselben sind wahrscheinlich physiologische
Vorläufer dieser lange verborgenen und scheinbar so schwierig
zu behandelnden Substanz.
Vorstehende Untersuchung habe ich für das Medical
Departement of the Priry Council im pathologischen Labo-
ratorium des St. Thomas Hospital ausgeführt.
t
NöUner: Der Lüneburgit. 291
Derselbe berichtet;
,;üeber den Lüneburgit von Herrn C. Nöllner.
in Harburg" nach einer brieflichen Mittheihing.
Es ist in Lüneburg durch Herrn Dr. Volger seit etwa
1 Jahr ein Schacht angelegt worden in der Absicht, die
dortigen Steinsalzlager, woraus die seit Jahrhunderten be-
nutzten Soolqu eilen entspringen, zu erreichen und im gün-
stigen Falle auch auf Kalisalze zu stossen. die wohl solange
die Erde besteht, werthvoll bleiben werden. Die Unter-
suchung der dabei auftretenden mineralischen Stoffe wurde
mir übertragen, wobei ich mich aber nicht nur auf
das mir Ueberschickte beschränkte, sondern bisweilen die
Spalte durchforschte, ob etwas Neues zu Tag gefördert.
Dass die verschiedenen Salzlager in Stassfurt etc. durch
Verdampfen von Meerwasser entstanden, ist doch wohl jetzt
allgemein angenommen und schied sich dabei zuerst Koch-
salz mit Gyps. darauf die schwefelsauren Salze, dann die
Chloralkalien und zuletzt die zerfiiesslichen Verbindungen
von Chlorcalcium und Chlormagnesium aus. Mit der letzten
Schichte der Chlorverbindungen wurden ausserdem auch
noch Körper ausgeschieden, die erst durch Umlagerung ge-
bildet wurden, so dass aus den zerfiiesslichen sogar noch
schwerlösliche hervorgehen konnten. Dazu gehören zunächst
die Boracite, die desshaib auch alle chlorhaltig sind, weil
jedes Salz beim Krystallisiren etwas von der umgebenden
Lauge einschliesst, daher umkrystallisirt werden muss. wenn
es durch Krystallisation rein erhalten werden soll.
Man findet ferner in den unteren Steinsalzschichten
Gyps mit 2 At. Wasser, in den Schichten der zerfiiesslichen
Salze dagegen wasserfreien (Anhydrit), weil die conc. Lös-
ungen von Ca Cl + Mg Cl alles Wasser mit Beschlag
belegen.
292 Sitzung der matk-ph/ys. Cflasse vom 5. März 1870.
So krystallisirt aus unsern letzten Salpetermutterlaugen
mit einmal künstlicher ßorucit, der nur zu 3°/o in Wasser
löslich ist, demnach wenn er präexistirt hätte, längst vor
Abscheidung des Kalisalpeter hätte herauskrystallisiren müssen.
Aus derselben Ursache wird ein solcher Salpeter, der diese
borsaure Magnesia mit oft 18°/o Chlorgehalt enthält, immer
chlorhaltiger, je mehr er gewaschen wird.
Aber nicht nur Borsäure enthalten die aus den Mutter-
laugen des Meerwassers abgeschiedenen Salze, sondern auch
Phosphor säure, wie namentlich der Stassfurtit und die
soeben beschriebenen künstlichen Boracite, vor Allen aber
das anliegende in Lüneburg gefundene und desshalb von mir
Lüneburgit genannte Mineral, was nahe 30"/o Phosphorsäure
enthält.
Daraus erklärt sich aber wieder ganz einfach, dass,
wenn die Verdampfungsprodukte des Meerwassers u. a. Bor-
säure, Phosphorsäure undgeringe Mengen Fluor enthalten,
diese auch in dem Meerwasser enthalten sein müssen, wor-
über ich aber bis jetzt noch keine Notiz finden konnte,
obgleich es nahe liegt, da die Knochenbilduug der Fische
doch nur aus dem Meerwasser herrühren kann, worin sie
und ihre Nahrung leben.
Zuletzt habe ich noch als zu dieser Meeresverdampfungs-
Frage gehörig, zu erwähnen, dass ein grosser Distrikt von
Harburg und seiner Umgebung in seinen Brunnen einen
aussergewöhnlich grossen Kaliumgehalt zeigt, so dass z. B. ein
Cubikiüss des Wassers bei meiner Wohnung hier eingedampft
4,56 Gr. Kalium platinchlorid krystallisirt und ohne Wein-
geistzusatz liefert. Es hat sich dadurch der Gedanke in mir
gebildet, dass, weil in Lüneburg z. Z. nur geringe Mengen
von Kaliumverbindungen gefunden wurden, der Lüueburger
Gypsberg aber etwa 100' über die Erdoberfläche hervorragt
und nur an der oberen Partie des Berges die chlorhaltigen
Boracite gefunden wurden, bis dort die eingedampfte Mutter*
NöUn&r: Der Lüneburgit 293
lauge des Meeres gestanden haben muss. Stellt man sich
auf den Lüneburger Gypsberg, so sieht man rings umher
mehre Meilen Durchmesser eine Gebirgskette, die nur nach
Harburg hin unterbrochen ist, so dass sich die Vermuthung
aufdrängt, dass dort der Salzsee durchbrochen, in tiefer
gelegene Basins abgelaufen und vollends vertrocknet sei,
woraus sich erklärt, dass hier überall die verschiedenen
Kalke, Magnesia und namentlich Kalisalze, gefunden werden,
während in L. selbst, solche nur sparsam auftreten. Dazu
kommt noch, dass hier überall der stark Kalk und Magnesia
haltende graue Thou zu finden ist, wie er die Salzlager in
Stassfurt etc. bedeckt.
Würde das Kali ohne den Gyps, die Magnesia u. a.
Kalksalze zu finden sein, so würde ich einen andern Ursprung
zugestehen, ebenso wie ein Salpetergehalt in den Brunnen
der Stadt Harburg nur dann von unserer Fabrik herrühren
könnte, wenn gleichzeitig Jod vorhanden, da nur solche Jod
und Magnesiahaltende Laugen, welche keinen Salpeter mehr
liefern, in seltenen Fällen cessirt werden.
Lüneburgit
[(2MgO, HO) P05 + MgOBOS] -f 7H0
gesucht gefunden
2MgO = 40 16,75| ^j 25,10 25,3
HO = 9 3,78l50,36 ..
PO^ =. 71 29,83] P 29,83 29,8
MqO = 20 8,351 B 14,82 12,7
B03 = 35 14,72f^'-^'
7H0 = 63 26,17 H 30,25 32,2
^S l'^^ 100,00 100,0
Ausserdem enthält der Lüneburgit noch etwa 0.7°,'o Fl.
B., welches bei trockner Glühhitze sich verflüchtigt, sowie
Spuren von den Salzen des in der Nähe befindlichen Salz-
lagers.
294 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. März 1870.
Der Classensekretär Herr v. K ob eil spricht:
„Ueber den Gümbelit, ein neues Mineral von
Nordhalben bei Stehen in Oberfranken."
Ich benenne dieses ?tlineral nach seinem Entdecker,
dem Herrn Oberbergrath Gümbel, der sich so viele Ver-
dienste um die geognostische Kenntniss Bayerns erworben
hat und welcher mir zuerst dasselbe mittheilte. Es findet
sich von kurzfasriger Struktur in dünnen Lagen auf Thon-
schiefer, z. Th. auch auf Pyrit, der in kleinen plattgedrückten
Massen eingewachsen vorkommt.
Die Farbe ist weiss-grünlichweiss, es ist seiden-perl-
mutterglänzend und durchscheinend, weich und biegsam und
fühlt sich zerrieben wie feiner Asbest an.
V. d. L. bläht es sich fächerförmig auf und hat darin
x\ehnlichkeit mit dem Pyrophyllit, welcher sich aber bei
weitem stärker aufbläht. Es schmilzt in dünnen Fasern (4)
zu einer porcellanartigen Masse, Im Kolben gibt es Wasser.
Es wird weder von concentrirter Salzsäure noch von
Schwefelsäure angegriffen. Man kann die sehr feinen Filze,
die es beim Zerreiben gibt, mit concentrirter Schwefelsäure
kochen und die Säure vollständig darüber abrauchen, ohne
dass die mit Wasser behandelte Masse im Filtrat mit den
Reageutien irgend ein Präcipitat oder Trübung gäbe.
Zur Analyse konnte ich nicht mehr als etwas über
3 Gramme verwenden, wovon die Hälfte mit kohlensaurem
Kali-Natron aufgeschlossen wurde und eine ähnliche Menge
mit kohlens. Baryt, wobei aber ein Theil unzersetzt blieb,
der weiter mit Flusssäure zerlegt wurde.
I
V. Kobell: Der Gümbelit. 295
Die Analyse
gab:
Sauerstoff.
Kieselerde
50,52
)j
26,94
>}
26,94
„ 21
Thonerde
31,04
5)
14,721
0,90/
15,62
1 ^
Eisenoxyd
3,00
J)
5)
,, 1-
Magnesia
1,88
))
0,751
0,54J
1,29
1
Kali
3,18
J>
55
»5 A
Wasser
7,00
>5
6,22
n
6,22
„ 5
ünzersetzt
1,46
98,08
Die Mischung führt zu der Formel
R Si + 2Ä» Si3 + sH
R = Mg, ka; Ä = äl, Fe.
Möglicherweise könnte das Eisen als Oxydul enthalten
sein, es ist aber nicht wahrscheinlich und würde dafür die
Formel eine ganz ungewöhnliche. Mit Si erhält man keine
passende Formel, wie sich denn diese Annahme oft bei den
bestgekannten Mischungen wie z. B. beim Granat nicht be-
währt, dessen Formel mit Si weit einfacher ist. Es kann
bei Mischungen wie die des Gümbelit eine Formel über-
haupt nur annäherungsweise giltig sein, denn sie ändert
sich mit einer sehr kleinen Aenderung im Gehalt an Kali
und Magnesia und die sorgfältigste Analyse gewinnt hier
nicht absolut gleiche Resultate. Die vorherrschenden Misch-
ungstheile der Kieselerde und Thonerde zeigen aber im Ver-
gleich mit den Mischungen ähnlicher Species so bedeutende
Difierenzen in der Quantität, dass damit die neue Species
besser charakterisirt und unterschieden ist als mit irgend
einer Formel, denn ein Zusammenfassen von Si und Äl, wo-
mit die alleinige Representation durch Si oder ein Schwanken
zwischen Si und äl zuweilen auszugleichen ist, kann hier
296 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Mars 1870.
nicht stattfinden. Es beträgt aber die Kieselerde des Pyro-
phyllit, welcher dem Gümbelit noch am nächsten steht, nach
dem Mittel der vorhandenen Analysen 64,5 prCt. , während
sie beim Gümbelit (mit Rücksicht auf das Unzersetzte) nur
52 prCt. beträgt, also 12 prCt. weniger. Auch ist im Pyro-
phyllit von keinem Analytiker ein Alkaligehalt gefunden
worden.
Der Gümbelit kommt fast nur in den erwähnten dünnen
Lagen vor, ist aber am Fundort keine Seltenheit.
Seidel: Zu den Vemis-Ihirchgängen. 297
Herr Seidel gibt;
„Einige Bemerkungen in Bezug auf die Beob-
achtung der bevorstehenden Durchgänge
der Venus durch die Sonne."
Der königlichen Akademie d. Wiss. sind kürzlich von
offizieller Seite die Ergebnisse der vorläufigen Berathungen
mitgetheilt worden, welche im Norddeutschen Bunde von
einer Commission gepflogen worden sind, die zur Vorbereitung
der Maassregeln für die Beobachtung der in den nächsten
Jahren eintretenden beiden Vorübergänge der Venus vor der
Sonne amtlich niedergesetzt wurde. Von anderer Seite erfahren
wir ebenfalls, dass die für den gleichen Zweck gefassten
Entwürfe bereits anfangen eine festere Gestaltung anzu-
nehmen. Es ist kaum zu erwarten oder auch nur zu bean-
tragen, dass ein Staat von dem Umfange und der in emi-
nentem Sinn binnenländischen Lage Bayerns sich an einer
der projectirten überseeischen Expeditionen direct betheilige,
zumal gerade jetzt nicht unerhebliche Geldmittel für den
verwandten rein wissenschaftlichen Zweck der Europäischen
Gradmessung in Anspruch genommen werden müssen ; es
fehlt uns überdies an einer Schule jüngerer Astronomen,
von welchen Einer oder der Andere sich einer der ver-
schiedenen deutschen Unternehmungen anschliessen könnte.
Indessen wird Bayern und speciell München dennoch keinen
unwichtigen Beitrag für die Lösung der schwebenden Fragen
nach der Sonnenparallaxe liefern ; denn die Münchner In-
strumente, ältere und neuere, seien es nun Refractoren oder
photographische Apparate, werden zuverlässig eine sehr
hervorragende Stelle unter den mit Erfolg zu verwendenden
Hilfsmitteln der Beobachtung einnehmen. Mit einem solchen
298 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. März 1870.
Beitrage des engeren Vaterlandes für den wichtigen Zweck
darf wohl auch unsere Akademie sich befriedigen, da ver-
storbene und lebende Mitglieder derselben an den Fort-
schritten der praktischen Optik Antheil haben. — Auf den
Nutzen, welchen neben der directen Beobachtung des Durch-
gangs die photographische Aufnahme der Sonne mit dem vor
ihr befindlichen Planeten für die genaue Feststellung der
Daten und für die Vermehrung ihrer Anzahl in Aussicht
stellt, ist man wohl allerwärts schon aufmerksam geworden;
der Zweck der gegenwärtigen Mittheilung ist es , hervorzu-
heben, dass meiner Ansicht nach gerade von solchen Auf-
nahmen (die natürlich mit den genau festgestellten Zeit-
momenten versehen sein müssen) ungleich mehr zu er-
warten sein möchte, als von jeder andern Art der Beob-
achtung. Die erneute Discussion, welcher man die Obser-
vationen des letzten Jahrhunderts unterzogen hat, seitdem
durch neu hinzugekommene Thatsachen die Genauigkeit des
von Encke aus ihnen abgeleiteten Resultates in Frage ge-
stellt worden ist, scheint vor Allem Dies zu lehren, dass die
Schlüsse, welche sich auf dieselben bauen, in unerwartetem
Grade vag und schwankend sind, indem man. immer mit
plausiblen Gründen , bald hier bald dort eine Beobachtung
ausschliesseu oder neu interpretiren , und damit das Haujit-
ergebniss in sehr weiten Grenzen verschieben kann. Wenn
nun auch ein Theil dieser Unsicherheit von der nicht genug
präcisen Ausdrucksweise einzelner Beobachter herrühren mag,
so kann man doch schwerlich die Vorstellung unterdrücken,
dass ein grosser Theil derselben dem Mangel an Schärfe
und Genauigkeit in der optischen Wahrnehmung selbst und
der dadurch veranlassten Verschiedenheit in dem Urtheile
der verschiedenen Beobachter zur Last fällt. So sehr nun
auch das Fernrohr seit dem letzten Drittheil des vorigen
Jahrhunderts vervollkommnet worden ist, so muss man sich
doch davon Rechenschaft geben, dass die Umstände, unter
Seidd: Zu den Venus-Durchgängen. 299
welchen die Momente des Eintritts und Austritts des Pla-
neten vor der Sonne observirt werden müssen . eigentlich
die denkbar ungünstigsten tür die Leistungen des Instrumentes
sind, da hier der dunkle Fleck wie in ein Meer von Licht
so eben einseitig eingetaucht, oder daraus hervorgezogen er-
scheint. Man hat zwar von Fernröhren gesprochen, welche
frei von Irradiation seien, die also Hell und Dunkel auch in
diesem Falle vollkommen richtig (so weit die Unruhe der
Luft es gestattet) gegen einander abgrenzen sollten; allein
Wer sich mit theoretischer Untersuchung der hier maass-
gebenden optischen Vorgänge beschäftigt hat. wie ich dies
von mir sagen darf, der kann der Annahme so idealer Vor-
trefflichkeit bei irgend einem Instrumente unmöglich seinen
Beifall geben, weil er weiss, dass eine ganze Reihe unver-
meidlicher Fehler durch die mathematischen Verhältnisse
bedingt, und desshalb auch in einem möglichst vorzüglichen
Bilde zuverlässig vorhanden sind. Es kann nur davon die
Rede sein, dass vielleicht unter gewissen Umständen die
Fehler eines Apparates nicht erkannt worden sind ; da sie
aber nothwendig vorhanden sind, so bleibt eben in Folge
dessen ein ganz unerkannter Einfluss von ihnen zurück. Der-
selbe muss natürlich ebenso gut die Erscheinung der Schüess-
ung und der Zerreissung des Lichtfadens zwischen PLineten-
rand und Sonnenrand (bei den innern Berührungen) ent-
stellen und der Zeit nach verschieben, wie er in der Nähe
des letzteren die runde Silhouette des Planeten verzieht ;
auch ist es klar, dass dabei die verschiedene und sehr starker
variabler Einwirkung des jedesmaligen Reizzustandes der
Retina ausgesetzte Sensibilität des Auges eine sehr grosse
Rolle spielen wird, während auch noch der Umstand, dass
die Fortrückung des Planeten nicht in einer zum Sounen-
rand normalen Richtung vor sich geht, den Spielraum sub-
jectiver Differenzen vergrössern kann.
Wenn man aber von der praktischen Optik ein Fern-
300 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. März 1870.
rohr nicht fordern darf, in welchem selbst die directen
Strahlen der Sonne über die ihnen angewiesene Stelle gar
nicht sensibel übergreifen sollten, so vermag sie dagegen mit
einem viel höheren Grade von Approximation zu bewirken,
dass über eine kleine kreisrunde dunkle Fläche, die
rings von gleich hellem Lichte breit umflossen ist, dieses
Licht von allen Seiten gleich stark oder mindestens von
beiden Enden jedes Durchmessers aus in gleicher Weise
übergreift^), so dass der Ort ilires Gentrums keine schein-
bare Verrückung erleidet. Dies ist das Entscheidende für
die Zuverlässigkeit eines photographischen Bildes, welches
(natürlich mit der genauen Zeitbestimmung versehen) in
irgend einem Momente des Vorüberganges fixirt, und dann
mit einer Reihe ähnlicher Aufnahmen in Vergleichung ge-
zogen wird, — und aus diesem Grunde halte ich dafür, dass
die sorgsame Untersuchung solcher in hinlänglich grossem Maass-
stabe aufgenommenen Photographieen geeignet ist, viel wertlr
vollere Resultate zu liefern, als die Diskussion der beobachteten
Momente von Ein- und Austritt. Es versteht sich, dass man
nicht unbeachtet lassen wird, dass ein optisches Bild, selbst
wenn es einen hohen Grad von Schärfe besitzt, desshalb
nicht genau perspektivisch richtig sein muss; indem im Bild
die Distanzen verschiedener Punkte von der Mitte nicht
genau den scheinbaren Distanzen der zugehörigen Objekte
von der Axe oder ihren Tangenten proportional sind. Dieser
Einfluss muss wenigstens untersucht werden, sei es nun durch
■Rechnung, aus den gegebenen Elementen des Apparates,
oder durch geeignete Messungen, für welche sich leicht
1) Der zuletzt gedachte Fall tritt dann ein, wenn ein leuchten-
der Punkt sich als eine gleichmässig erleuchtete Ellipse abbildet,
deren Eine Axe nach der Mitte des Gesichtsfeldes gerichtet ist. Es
ist dies der allgemeine Fall bei Apparaten, die der Bedingung ge-
nügen, welche von mir als die .,Fraunhofer'sche" bezeichnet
worden ist.
t
Seidel: Zu den Venus-Durchgängen. 301
Hilfsmittel ausdenken lassen. Um ihn berücksichtigen zu
können, muss man jedes Blatt auch gegen den Apparat
orientirt haben, so dass sich die Stelle der Sonnenscheibe er-
sehen lässt, auf welche die Axe des Rohres gerichtet war.
Ebenso muss die Stellung aller Theile des optischen Apparates
gegen einander und gegen die Bildebene genau uotirt sein,
damit alle nachträglich sich ergebenden Zweifel ihre Beant-
wortung finden. — Sorgfältigste Centrirung der verschiedenen
optischen Flächen erscheint dabei ganz besonders wichtig;
namentlich wenn, wie dies zu erwarten ist, in der Okular-
gegeüd ein das Objectiv-Bild vergrössernder Apparat ange-
bracht ist, wird hierauf speciell Achtsamkeit zu verwenden
sein. Wenn sich ergibt, dass bei einem Instrumente der
vorhin angedeutete perspektivische Fehler nicht gleich Null
gesetzL werden kann, so wird er natürlich auch den ümriss
der Sonne entstellen, falls nicht die Mitte derselben anvisirt
war; ebenso wird man wahrscheiiihch bei der Reduction
beachten müssen, dass die mit verschiedenen Apparaten er-
langten Sounenbilder nicht ohne Weiteres als gleiche Grössen
re|)räsentirend angesehen werden dürfen, weil die ..Irradia-
tion" bei dem Einen stärker gewirkt haben kann, als bei
dem Anderen,
Dies Alles lässt sich nachträglich genau untersuchen,
und es scheint nicht zweifelhaft, dass man auf solche Weise
aus einer Folge genau datirter Photographieen, welche den
Planeten \or der Sonne in verschiedenen Stadien des Durch-
ganges darstellen, auch die Momente, in welchen der schein-
bare Abstand seines Mittelpunkts von dem der Sonne gleich
dem Radius der letzteren war, ungleich genauer ermitteln
wird, als durch die directe Beobachtung. Die Unsicherheit
über den Moment der Entstehung des Bildes wird hier,
wo im concentrirten Sonnenlicht gearbeitet wird, in so enge
Grenzen eingeschlossen werden können, dass ihr Einfluss
ganz irrelevant wird im Vergleiche mit den bei der andern
[1870.1.3.] 20
302 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 5. Märe 1870,
Beobachtungsweise zu befürchtenden Fehlern in der Zeit.
Es scheint mir daher, dass man die Erlangung möglichst
guter und zahlreicher photographischer Aufnahmen der be-
vorstehenden Veuusdurchgänge für die auszusendenden Expe-
ditionen als die Hauptsache betrachten, und hiernach ihre
instrumenteile Ausrüstung bemessen sollte , — wobei es
natürlich von grosser Wichtigkeit sein wird, dass die Beob-
achter schon zu Hause und bei Zeiten sich mit alledem,
was vorgesehen werden kann, möglichst vertraut machen.
Denn die Aufnahmen sollten meines Erachtens nicht von
blos geschulten Photographen genommen werden, sondern
von Astronomen, von welchen sich eine ungleich grössere
und sachkundigere Beachtung aller auf das Resultat einwirken-
den und dasselbe möglicher Weise entstellenden Einflüsse
erwarten lässt. Man würde auf diese Art den hinter uns
kommenden Generationen, die ohne Zweifel auf die Dis-
kussion der Beobachtungen zurückkommen werden, ein mög-
lichst werthvolles und authentisches, von unerforschbaren sub-
jectiven Fehlerursachen möglichst freies Material hinterlassen,
und so am besten den Dank derselben verdienen. Hier
sowie bei der Auswahl der Lokalitäten wird die Rücksicht
allein ins Auge zu fassen sein, dass die schnell vorüber-
gehende und spät wiederkehrende Erscheinung unter mög-
lichst vortheilhaften Umständen fixirt und der definitiven Unter-
suchung aufbehalten werde, während keine Mühe, für deren
Unternehmung nachher die lauge Zeit zu Gebote steht, bei
der Anordnung des Ganzen in Anschlag gebracht wer-
den darf.
Bischoff: Ueber die kurzen Muskeln etc. 303
Herr Bisch off hält einen Vortrag:
„Ueber die kurzen Muskeln des Daumens und
der grossen Zehe."
(Mit einer Tafel.)
Bei einer vergleichend anatomischen Untersuchung der
Muskeln der Affen, mit welcher ich in der letzten Zeit be-
schäftigt war, waren es die Muskeln des Daumens und der
grossen Zehe nicht am Wenigsten, welche mir Schwierig-
keiten darboten.
Unsere Hand- und Lehrbücher der menschlichen Ana-
tomie sind zwar sowohl in Deutschland als Frankreich und
England darin übereinstimmend, dass sie dem Daumen vier,
der grossen Zehe drei kurze Muskeln ertheilen, jenem den
Abductor brevis, Opponens, Flexor brevis und Adductor;
diesem den Abductor, Flexor brevis und Adductor mit einem
Caput obliquum und transversum.
Allein in den näheren Angaben über das Verhalten
dieser Muskeln und in ihrer Beschreibung weichen sie besonders
für den Daumen bedeutend von einander ab. Und zwar sind
vorzüglich der Flexor brevis und der Adductor verschieden
beschrieben worden , was bei dem innigen Zusammenhange
des ersteren sowohl mit dem Abductor brevis und Opponens,
als mit dem Adductor, und des letzteren mit dem Flexor
brevis, und bei den sehr zahlreichen individuellen Abweich-
ungen, welche sich in dieser Hinsicht finden, gar nicht zu
verwundern ist.
Bei uns in Deutschland , und so viel ich weiss auch in
England, ertheilt man meistens dem Flexor brevis pollicis
zwei Köpfe, einen äusseren, lateralen, welcher sich an das
äussere, laterale Sesambein, an der Basis der ersten Phalange
des Daumens ansetzt, und mit dem medialen Rande des
20*
304 Sitzung der math.-phys. Classe vom S.März 1870.
Abductor brevis und Opponens genau vereinigt ist, und
einen inneren, medialen Kopf, welcher mit dem Adductor
verwachsen ist, und sich mit diesem an das innere, mediale
Sesambein befestigt. Der Adductor wird sodann als ein ein-
köpfiger Muskel beschrieben, über dessen Abgrenzung gegen
den medi.ilen Kopf des Flexor brevis indessen verschiedene
Ansichten herrschen, indem Einige (Sömmering, E. H. Weber,
Hjrtl, Theile, Quain) letzteren nur vom Mittelhandknochen
des zweiten und dritten Fingers , Andere (Meckel, Krause,
Arnold, Luschka) auch noch von den Handwurzelknochen
entspringen lassen. Diese Beschreibung stimmt dann am
Meisten mit der der Muskeln der grossen Zehe des Fusses
übereiu, der man auch einen Abductor, einen zweiköpfigen
Flexor brevis und einen Adductor zuertheilt, welch letzterer
zwei Köpfe, einen schrägen und einen queren, besitze.
In Frankreich dagegen und theilweise auch bei uns ist
die Ansicht von (Jruveilhier verbreitet, dass dei" Flexor brevis
nur einen und zwar nur den äusseren oder lateralen Kopf
besitze, sich auch nur an das äussere, laterale Sesambein
ansetze. Alle Muskeliäseru dagegen, welche 'sich an das
innere, mediale Sesambein anheften, gehören dem Adductor
an. Auch für den Fuss wird dann ebenso gelehrt, dass die
grosse Zehe nur einen einköpfigen Flexor brevis besitze,
nämlich nur den inneren, medialen, welcher sich an das
innere, mediale, Sosambein festsetzt, während der äussere,
laterale, zu dem Adductor gerechnet wird, wobei noch zu
bemerken, dass die Franzosen zur Bezeichnung der Wirkung
die sagittale Ebene des Körpers, nicht die des Fusses
festhalten, daher unseren Abductor Adductor, und unseren
Adductor Abductor nennen.
Von beiden Lehien, und auch noch auf den Abductor
pollicis brevis herübergreifend, verschieden, ist die neueste
von Henle. Ihm bleibt eigentlich kein Flexor pollicis brevis
übrig und nur der Analogie mit der grossen Zehe wegen,
!
Bischoff: üeler die "kurzen Muskeln etc. 305
lässt er ihn nicht ganz fallen , sondern beschreibt zwei
schwache Muskelhünd eichen, welche in der Tiefe hinter der
Sehne des Flexor pollicis longus von den Handwurzelknochen
zu den beiden Sesambeinen verlaufen sollen, als die beiden
Köpfe eines Flexor pollicis brevis. Was dagegen alle übrigen
früheren Anatomen als äusseren, lateralen, Kopf des Flexor
brevis beschrieben haben, theilt er dorn Abductor pollicis
brevis, und was man als inneren, medialen Kopf beschreibt
dem Adductor zu.
Endlich hat vor 17 Jahren Dursy unter dem Daumen-
ballen-Muskeln noch einen in der Tiefe liegenden kleinen
Muskel als luterosseus pollicis indicisque beschrieben, den
Andere unter die Theile des Flexor pollicis brevis gerechnet
haben, und den Henle ebenfalls als selbständigen Muskel
als Interosseus internus I aufnimmt.
Jeder praktische Anatom , der die erwiihnten Muskel-
Gruppen aus eigener und häufiger Erfahrung kennt, wird
über die Verschiedenheit dieser Lehren und Ansichten kaum
verwundert sein. Diese kleinen Muskeln besonders des
Daumens hängen einmal in der That oft so genau zusammen,
dass es sehr schwierig ist, sie von einander zu trennen,
und dann überzeugt man sich leicht, dass allerdings in ihrer
speciellen Anordnung, Ursprung und Gruppirung sehr viel-
fache individuelle Abweichungen vorkommen. Diese Daumen-
ballen-Muskeln müssen eine sehr grosse ,, Variabilität," t-ine
ganz besondere Lust und Neigung zur Abweichung von
ihrer atavistischen Anordnung haben; wenn es nicht viel-
leicht der sehr verschiedene Gebrauch ist, den verschiedene
Menschen gerade von diesen wichtigen Muskeln machen, der
ihnen zu einer so verschiedenen Ausbildung verhilft.
Allein um so mehr muss man wünschen, bei dieser
Mannigfaltigkeit der individuellen Anordnung u.'id der da-
durch veranlassten Verschiedenheit der Autfi.ssuug derselben,
einen leitenden Faden zu finden, und ich bilde mir ein,
306 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Mars 1870.
durch die aufmerksame Präparation und Untersuchung dieser
Muskeln bei den Affen, einen solchen Schlüssel gefunden zu
haben, der anderer Seits auch wieder bei den mannigfaltigen
Streitigkeiten über Hand und Fuss von Interesse ist.
Die vergleichende Anatomie liefert uns oft einen Schlüssel
zur richtigen Erkenntniss und Deutung gewisser Verhältnisse
an dem menschlichen Körper dadurch, dass sie uns dieselben
in einfacherer, übersichtlicherer Anordnung bei den Thieren
vorführt. Allein es kommt zuweilen auch vor, dass sie uns
umgekehrt gewisse anatomische Einrichtungen und Theile
in einem ausgebildeteren und entwickelteren Zustande
als beim Menschen zeigt, und uns dadurch deren Anordnung
bei diesem kennen lehrt.
Das Letztere ist nun, wie ich gefunden habe, an den
kurzen Muskeln des Daumens und der grossen Zehe gewisser
Affen der Fall, deren Hand und Fuss Muskeln überhaupt,
wenn auch nicht in allen Hinsichten, doch in gewissen mehr
entwickelt sind, als die des Menschen, Ich habe dieses
unter den von mir untersuchten Affen vorzüghch bei
Cynocephalus, Macacus und Cercopithecus gefunden, während
bei den sogenannten Anthropoiden manchmal das Umge-
kehrte der Fall ist, bei welchen diese Muskeln durchaus
nicht den höchsten Grad der Entwicklung und Isolirung
darbieten.
Bei einem grossen Mandril nun, dessen Muskeln ich
präparirtej fand ich die Daumen- und Grosse-Zehen-Muskeln
sehr vollkommen entwickelt und überzeugte mich hier leicht,
dass sowohl der Flexor brevis als der Adductor in seiner
vollkommensten Ausbildung, jeder ein zweiköpfiger Muskel
ist, deren beide Köpfe deutlich von einander getrennt sind.
Dieser Affe hat an der Hand einen deutlichen Abductor
brevis poUicis, einen Opponens, einen Flexor brevis mit zwei
Köpfen und einen Adductor mit zwei Köpfen, Der äussere,
laterale Kopf des Flexor brevis ist ansehnlich stark, leicht
♦
Bischoff: Heber die Tcurzen Muskeln etc. 307
von dem Abductor brevis und Opponens zu trennen, ent-
springt von dem Lig. carpi volare proprium und dem Os
multangulum majus und setzt sich an das äussere, laterale
Sesambein fest. Der innere, mediale, Kopf desselben Muskels
kommt mehr in der Tiefe von dem Os multangulum minus
und capitatum so wie von den dieselben bedeckenden und
verbindenden Bändern, namentlich auch der Scheide für die
Sehne des Flexor carpi radialis und setzt sich an das innere,
mediale Sesambeiu. Er ist nicht so stark, wie der laterale
Kopf, mehr rundlich und verläuft längs des Mittelhandknochens,
des Daumens, in gerader Richtung. Zwischen beiden Köpfen
verläuft die schwache, den Flexor pollicis longus ersetzende
Sehne des Flexor dig. comm. longus zur zweiten Phalange
des Daumens. Von dem medialen Kopfe leicht zu unter-
scheiden und zu trennen, findet sich ein von den Bases des
2. und 3. Mittelhandknochen und von einer die Tiefe der
Hohlhand bekleidenden Aponeurose entspringender Muskel,
der neben dem medialen Kopfe des Flexor brevis etwas
mehr in querer Richtung verläuft und sich etwas höher als
letzterer, an den Ulnarrand der Basis der ersten Phalange
des Daumens ansetzt. Er ist der Adductor obliquus. Und
von diesem durch einen Zwischenraum getrennt, haben wir
endlich noch einen Adductor trausversus, welcher von dem
Mittelhandkuochen des 3. Fingers bis zu dessen Capitulum
herab entspringt, und sich mit dem Vorigen an den Ulnar-
rand der Basis der ersten Phalange des Daumens noch weiter
hinaufgehend, festsetzt. Von dem sogen. Interosseus internus
primus Dursy und Henle ist keine Spur vorhanden.
Ebenso ist es an dem Fusse. Auch hier finden wir
ausser dem Abductor einen zweiköpfigen Flexor brevis hallucis
dessen beide Köpfe von dem Baudapparate in der
Tiefe der Fussohle und von dem 1. und 2. Keilbein kommen.
Der laterale Kopf ist ansehnlich schwächer als der mediale und
wird durch den Adductor obliquus, der au seiner medialen
308 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. März 1870.
Seite liegt, stark in die Tiefe gedrängt; allein er ist als ganz
selbststiindiger Muskel vorbanden. Der Adductor obliquus
entspringt von den Bases des 2. und 3. Mittelfussknochen
und einer sich in der Tiefe der Planta pedis ausbreitenden
Aponeurose^) und gebt an das laterale Sesambein der grossen
Zehe. Ausser ihm ist aber noch ein von ihm getrennter
starker Adductor transversus vorhanden, welcher von dem
unteren Ende des 2. Mittelfussknochen entspringt und sich
weiter hinauf längs des medialen Randes der ersten Phalange
der grossen Zehe festsetzt.
Einen Opponens hallucis besitzt Cynocephalus an der
grossen Zehe nicht, welcher sich dagegen beim Orang und
Macacus findet.
Von dieser ausgebildetsten Entwicklung der kurzen
Daumen und Grossenzehenmuskeln und namentlich des
Flexor brevis und Adductor, jeder mit zwei getrennten Köpfen,
finden sich nun sehr verschiedene Modificationen bei den
verschiedeneu Afi'en. Sie bestehen darin, dass an der Hand
der mediale Kopf des Flexor brevis sehr rudimentär werden,
ja ganz verschwinden kann. In ersterem Falle wird er dann
durch den Adductor obliquus ganz in die Tiefe gedrängt,
und dann nimmt er die Lage und das Ansehen des Dursyschen
Interosseus internus primus an; z. B. beim Orang. Bei
meinem Hylobates findet er sich auf der rechten Seite, auf
der linken felilt er. Beim Gorilla und Chimpanse fehlt er
auf beiden Seiten. Ebenso geht es mit den zwei Abtheilungen des
Adductor. Beide sind häufig ganz miteinander zu einer starken
Muskelmasse verschmolzen z.B. beim Orang und Macacus; in
1) Ich bemerke hier, dass die erwähnte Aponeurose in der Tiefe
der Vola manug und planta pedis bei den Affen einem eigenen Muskel-
Apparat zum Ursprung dient, den ich mit der Bezeichnung der
Contrahentes digitorum in meinen Beiträgen [zur Anatomie des
Hylobates näher beschreiben werde.
Bischoff: lieber die Icursen Muskeln etc. 309
andereu Fällen aber ist entweder der Adductor obliquus oder
der Transversus sehr schwach, ja sogar einer derselben ganz
fehlend, z. B. bei Pithecia auch Hylobates. Am F u s s e fehlt
dem Orang der laterale Kopf des Flexor brevis; Adductor trans-
versus und obliquus sind beide stark entwickelt und mau
kann aunehuien, dass der laterale Kopf des Flexor brevis
mit dem Adductor obliquus verwachsen ist. Bei Pithecia
ist der laterale Kopf schwach und durch den Adductor ob-
liquus in die Tiefe gedrängt. Adductor obliquus und trans-
versus sind vereinigt beim Chimpanse und Hylobates ; der
transversus schwach, der obliquus stark bei Cercopitheus etc.
Nach diesen Erfahrungen bei den Affen beurtheile ich
nun die Verhältnisse bei dem Menschen und gewinne daraus
das Resultat, dass abgesehen von dem Abductor brevis und
Opponens an dem Daumen , der Flexor brevis zwar zwei
Köpfe hat, der mediale aber nur schwach entwickelt und in
die Tiefe gedrängt als sogenannter Interossuus internus I
auftritt. Der Adductor ist dagegen bei dem Menschen immer
stark in seinen beiden Portionen als obliquus und transversus
ausgebildet. An dem Fusse haben wir einen Flexor brevis
mit zwei Köpfen und einen Adductor mit zwei Köpfen; der
Adductor obhquus ist stark, der transversus schwach. Hiemach
ergibt sich folgendes Verhalten:
I. Für den Daumen :
1. Abductor pollicis brevis. Um diesen oberfläch-
lichsten gleich unter der Haut und einer dünnen fascia super-
ficialis liegenden Muskel von seinen Nachbarn richtig zu
trennen , mit denen er genau vereinigt ist , muss man ihn,
nachdem seine Oberfläche rein präparirt ist . von seinem
Radial-Rande aus, wo er zwar dicht an dem Metacarpus anliegt,
aber nicht an ihm befestigt ist, zu lüften beginnen. Hier ist
er leicht von dem unter ihm hegenden Opponens zu trennen,
und wenn man von hier aus die Trennung vorsichtig nach
310 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 5. März 1870.
Innen weiter fortsetzt, so wird man in der Regel keine
grosse Schwierigkeit finden, ihn auch an seinem medialen
Rande sowohl von dem Opponens, als von dem äusseren
Kopfe des Flexor brevis mit Sicherheit zu scheiden. Man
wird ihn dann von der Oberfläche des Lig. carpi volare
proprium, oft bis zum Os naviculare und von dem Os multan-
gulum majus entspringen, und sich an dem Radialrand der
Basis der ersten Phalange des Daumens inseriren sehen.
Meistens verlaufen seine Fasern einfach vom Lig. carpi gegen
den Ansatzpunkt convergierend ; wenn sie sich aber auch zu-
weilen untereinanderschieben, und wenn auch, wie das oft
der Fall ist, ein Theil der Sehne des Abductor pollicis longus
mit mehreren Muskelfasern in ihn übergeht, so habe ich
doch nie Ursache gefunden, an ihm, wie Henle, zwei Por-
tionen zu unterscheiden, welche Annahme auch nur darin
begründet ist, dass Henle den äusseren Kopf des Flexor
brevis zu ihm rechnet.
2. Opponens pollicis. Dieser Muskel ist von dem
vorigen grösstentheils bedeckt, hängt an seinem medialen
Rande genau mit dem Abductor und dem äusseren Kopfe
des Flexor brevis zusammen, unterscheidet sich aber dadurch
von beiden, dass er sich am ganzen äusseren Rande des
Mittelhandknochen des Daumens wirklich ansetzt, aber auch
auf ihn beschränkt bleibt, und nicht auf die Phalange über-
geht. Seine Fasern entspringen bedeckt vom Abductor brevis
vom Lig. carpi volare proprium und demOs multangulum majus.
3. Flexor brevis pollicis. Derselbe hat zwei Köpfe,
einen lateralen starken, am Medialrande des Abductor brevis
und des Opponens frei zu Tage tretenden Kopf, und einen
medialen schwachen, ganz von dem Adductor obliquus pollicis
verdeckten. Der erstere ist der längst als solcher beschriebene,
bei dem es nur darauf ankommt, ihn mit Sicherheit von
dem Abductor brevis und Opponens zu trennen, was nicht
leicht ist. Man muss dazu von seinem Ansatz an dem äusseren,
Bischoff: lieber die kurzen Muskeln etc. 311
lateralen Sesambeia an der Basis der ersten Phalauge des
Daumens ausgehen, wo er von dem sonst dicht mit ihm ver-
einigten Opponens , durch einen kleinen mit Bindegewebe
und Fett erfüllten Zwischenraum getrennt ist. Wenn man
von hier aus vorsichtig zwischen beide Muskeln eindringt,
60 gelingt es meist die ganz natürliche Grenze zwischen
beiden Muskeln aufzufinden, welche in der Regel in der
Tiefe gegen die Handwurzel hin sogar durch sehnigte Fasern
des Ursprungs des Flexor vom Lig. carpi volare bezeichnet
wird. Die Trennung dieses lateralen Kopfes des Flexor
brevis von dem an seinem medialen Rande mit ihm zu-
sammenstossenden Adductor obliquus gelingt leicht und
sicher, wenn mau von dem Ansatzpunkt des letzteren an
dem medialen Sesambein des Daumens ausgeht. Denn hier
sind beide Muskeln deuthch getrennt, und es legt sich auch
die Sehne des Flexor poUicis longus zwischen sie. In Be-
treff des Ursprunges dieses lateralen Kopfes des Flexor brevis
könnte man sonst leicht Schwierigkeiten finden, wenn man
sich nicht an seine Insertion an dem lateralen Sesambeine
hält. Denn dieser Ursprung ist meist in zwei oft selbst
durch einen Zwischenraum von einander getrennte Portionen
getheilt, die sich meist erst bei ihrem Ansatz an das ge-
nannte Sesambein vollständig vereinigen. Die laterale Portion
entspringt nämlich auch von dem Lig. carpi volare proprium
und dem Os multangulum majus, die mediale mehr in der
Tiefe von dem Os multangulum minus und von dem über
die für den Extensor carpi radialis herübergespannten Bande,
und zwischen beide legt sich an ihrem Ursprung die Sehne
des Flexor pollicis longus. Man könnte verleitet werden, sie
für zwei getrennte Muskeln zu halten, wenn sie nicht immer
an ihrem Ansatz an das laterale Sesambein, oft auch schon
in ihrem Verlaufe sich miteinander vereinigten.
Der mediale Kopf des Flexor brevis ist nun, wie aus
dem bereits oben Gesagten hervorgeht, bis jetzt entweder
312 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. März 1870.
gar nicht erkannt, oder, wie von Dursy und Henle irrig ge-
deutet worden. In der That, man würde ihn bei dem Menschen
allein betrachtet, nicht leicht als zum Flexor brevis gehörig
erkennen; denn er ist hier ganz in die Tiefe gedrängt, vom
Abductor obliquus ganz bedeckt, von demselben oft nicht
einmal vollkommen getrennt, und überhaupt wie jedes nur
rudimentär vorhandene Gebilde bei verschiedenen Individuen
verschieden entwickelt, ja fehlt zuweilen selbst ganz. Nur seine
Existenz und vollkommenere Ent^vicldung bei gewissen Affen und
seine Degradation zu der menschenähnlichen Anordnung bei den
Anthropoiden haben mich zu einer Einsicht über ihn geführt.
Man kann dieses Muskelbündel entweder von der Volar-
oder von der Dorsal-Seite aus darstellen. Von ersterer aus muss
man den Adductor obliquus von seinem Ursprung oder Ansatz
abschneiden und zurückschlagen, aber mit Vorsicht, damit man
jenes Muskelbündel nicht mit wegschneidet. Und darum ist es
besser von der Dorsalseite auszugehen, wo man den Daumen-
kopf des Interosseus-externus primus hart an dem Mittel-
handknochen des Daumens abschneidet und zurückpräparirt.
Dann sieht man unsern medialen Kopf des Flexor brevis
als ein rundliches Muskelbündel an dem lateralen Rande
der Abductor obliquus längs des Mittelhandknochen des
Daumens herziehen. Wenn man ihn dann sauber prä-
parirt hat, so sieht man, dass er vom Os multangulum minus,
von der Basis des Mittelhandknochen des 2. auch 3. Fingers
und von dem hier die Knochen verbindenden Bandapparate
entspringt und sich, bedeckt von dem Adductor obliquus, an
das mediale Sesambein des Daumens ansetzt. Wirklich ver-
läuft also hier die Sehne des Flexor pollicis longus zwischen
den Ansätzen der beiden Köpfe des Flexor brevis an den
Sesambeinen ; allein man sieht das nicht, so lange nicht der
Adductor obliquus entfernt ist, der auch an seinem Ansatz
an das mediale Sosambein den medialen Kopf des Flexor
brevis ganz in den Hintergmnd gedrängt hat.
Bischoff: Ueber die kurzen Muskeln etc. 313
Dass dieser mein medialer Kopf des Flexor pollicis brevis,
Dursy's Interosseus pollicis indicisque und Henle's Interosseus
internus primus ist , darüber kann kein Zweifel sein , nach
d€n von diesen gegebenen Beschreibungen und Abbildungen,
obgleich die von Dursy nicht ganz mit meinen Angaben über-
einstimmen. Namentlich einen zweiten Kopf des Muskels,
der sich nach Dursy an den Mittelhandknochen des Zeige-
fingers ansetzen soll , habe ich nie gesehen , und wie es
scheint auch Henle nicht. Es kommen hier aber rücksichtlich
des Ursprunges der Muskelfasern meines medialen Kopfes
des Flexor brevis so viele individuelle kleine Verschieden-
heiten vor, dass darauf nicht wohl etwas zu geben ist.
Uebrigens gestehe ich, dass mir auch überhaupt die
Annahme eines vierten Interosseus internus, den wir dann mit
Henle als den ersten bezeichnen müssten, nicht viel für sich
2u haben scheint. Er wäre seiner Function nach ein Ad-
ductor für den Daumen, als solcher aber bei der Gegenwait
zweier anderer Adductoren desselben (des Adductor obli-
quus und trausversus) ganz überflüssig. Am meisten aber
spricht gegen diese Deutung die Anordnung der Muskeln bei
den Affen, wo dieser Interosseus internus I ganz fehlen würde,
während doch bei ihnen, wie ich an einem anderen Orte
zeigen werde, gerade der Adductions - Apparat der Finger
ganz besonders entwickelt ist.
4. Adductor pollicis obliquus und transversus.
Diese beiden Muskeln finden sich an dem Daumen des
Menschen in vollkommenster Entwicklung und beide so stark
ausgebildet, dass sie zusammenstossen, und ihre Trennung
von einander meist schwierig ist. Dennoch dient die Durch-
trittsstt'lle des Ramus profundus der A. radialis zui" Bildung
des Arcus volaris profundus immer leicht und sicher zur
Auffindung ihrer Trennungsstelle. Der Adductor obliquus
befindet sich oberhalb dieser Durchtrittsstelle und entspringt
vorzüglich von der Basis des 2. und 3. Mittelhandknochens.
314 Sitzung der math.-phys. Ülasse vom S.März 1870.
Namentlich der Ursprung von ersterem bildet gewöhnlich
ein besonderes starkes Bündel. Auch vom os multanguluin
minus und os capitatum und den diese bedeckenden Band-
fasern können zuweilen noch Muskelbündel abgeleitet werden.
Die Fasern des Muskels laufen längs des Ulnarrandes des
Mittelhandknochens des Daumens, wo sie mit dem vorher
beschriebenen, schwachen medialen Kopfe des Flexor brevis
in Verbindung stehen, gegen das mediale Sesambein des
Daumens, und setzen sich an dasselbe fest. Dieser mein
Adductor obliquus wird, wie ich kaum nochmals zu sagen
brauche, gewöhnlich als innerer Kopf des Flexor brevis be-
schrieben.
Der Adductor transversus ist der allezeit und überall
gewöhnlich einfach als Adductor pollicis beschriebene Muskel,
welcher vom Körper und Köpfchen des 3. Mittelhandknochen
auch wohl noch von dem Köpfchen des 2. und 4. mit ein-
zelnen Bündeln entspringt, und mit convergierenden quer-
verlaufendeu Fasern gegen das mediale Sesambein des Daumens
verläuft, und sich au dasselbe gemeinschaftlich mit dem Ad-
ductor obliquus festsezt.
Rücksichtlich der physiologischen Function dieser Daumen-
ballen-Muskeln stimme ich übrigens Henle vollkommen darin
bei, dass sich in Beziehung auf Adduction und Flexion der
ersten Phalange des Daumens keine strenge Scheidung zwischen
ihnen ziehen lässt.
II. Der Fuss.
Für die kurzen Muskeln der grossen Zehe des Fusses
kann ich mich kurz fassen, da ich in Beziehung auf dieselben
von der in Deutschland allgemein angenommenen Lehre nicht
abweiche. Ich lege nur desshalb auf ihr Verhalten Gewicht,
weil ebendadurch auch meine Lehre über die Daumenballen-
Muskeln unterstützt wird, indem nach ihr Daumen und grosse
Zehe sich wesentlich gleich verhalten.
fi
BiscJwff: Ueber die kurzen MmTzeln etc. 315
Ich unterscheide an der grossen Zehe:
1. Den Abductor hallucis, entspringend vom Fersen-
bein , vom Lig. laciniatum und der tuberositas ossis navicu-
laris, nicht aber, wie Einige lehren, von dem Mittel-
fuss-Knoclien der grossen Zehe, und sich ansetzend mit seiner
auf der Aussenfläche schon früh auftretenden Sehne an den
medialen Rand der Basis der ersten Phalange und an das
hier befindliche Sesambein.
2. Den Flexor brevis hallucis mit zwei Köpfen, welche
vereinigt vorzüglich von der unteren Fläche des ersten Keil-
beins und dem Lig. calcaneo cuboideum plantare spitz und
sehnig entspringen, und dann mit auseinander tretenden fleisch-
igen Fasern längs der unteren Fläche des Mittolfussknochens
der grossen Zehe nach vorne treten. Die Fasern des medialen
Kopfes vereinigen sich dabei nacheinander mit der Sehne
des Abductor hallucis und setzen sich vereinigt mit ihm an
das mediale Sesam bein fest. Die Fasern des lateralen Kopfes
laufen gesondert bis zur Basis der ersten Phalange der
grossen Zehe und setzen sich vereinigt mit der Sehne des
Ädductor obHquus an das laterale Sesambein fest.
3. Der Ädductor obliquus wird gewöhnhch nur ein-
fach als Ädductor hallucis beschrieben; er ist ein starker,
von der Basis des 2. und 3. Mittelfussknochens, dem Os
cuneiforme tertium , deuj Os cuboideum und dem Lig. cal-
caneo cuboid. plantare entspringender Muskel, der schräg längs
des lateralen Randes des Mittelfussknochens der grossen Zehe
herabläuft, und sich mit seiner Sehne an das laterale Sesam -
bein festsetzt.
4. Der Ädductor transversus, auch transversalis plan-
tae, ist bei dem Menschen nur ein schwacher rudimentär
vorhandener Muskel, denn er fehlt zuweilen ganz. Er ent-
springt indessen von den Ligamenta capitulorum plantaria
und den Gelenkkapseln der 3., 4., zuweilen selbst 5. Zehe,
und stellt einen schwachen dreieckigen Muskel dar, dessen
316 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. März 1870.
Sehne sich mit der des Addiictor obliquus vereinigt, an das
Jaterale Sesambein der grossen Zehe ansezt.
Das Verhalten der beiden Adductoren der grossen Zehe
beim Menschen gleicht am meisten dem bei Cercopithecus,
obgleich bei diesem der Transversus verhältnissmässig doch
noch stärker ist.
Beschreibung der Abbildung.
Die beiliegende in drei Viertel der natürlichen Grösse nach einer
Photographie gestochene Abbildung der rechten Hand eines Mannes,
aus welcher die langen Beugemuskeln herausgeschnitten sind, soll
meine Ansicht über die kurzen ßeugemuskeln des Daumens erläutern.
a und a' bezeichnen den durchschnittenen und nach beiden Seiten
zurückgeschlagenen Abductor poUicis brevis.
b. Der Opponens pollicis.
c. Der laterale grössere Kopf des Flexor pollicis brevis mit
seinen beiden vom Ligamentum carpi volare proprium und Liga-
mentum carpi volare profundum entspringenden, und sich beide an das
laterale Sesambein der ersten Phalange des Daumens ansetzenden
Portionen c und c'. Zwischen ihm und dem Opponens pollicis ist eine
Sonde eingeschoben.
d. Der kleine, durch den Adductor obliquus in die Tiefe ge-
drängte, sich an das mediale Sesambein ansetzende Kopf des Flexor
pollicis brevis. Er ist durch einen Faden etwas hervorgezogen. Es
iat dieses der Interosseus internus primus nach Dursy und Henle.
e. Der Adductor pollicis obliquus.
f. Der Adductor pollicis transversus. Zwischen beiden befindet
sich ein Zwischenraum , durch welchen der Ramus profundus der
Arteria radialis zur Bildung des Arcus volaris profundus hindurchtritt.
Halm: Fragmente aus dem Cod. Fris. des Hyginus. 317
Philosophisch -philologische Classe.
Sitzung vom 5. März 1670.
Herr Halm spricht:
„üeber aufgefundene Fragmente aus der Frei-
singer Handschrift der fabulaedes Hyginus.'*
Die sogenannten Fabeln des Hyginus beruhen bekannt-
lich auf einer einzigen längst verschollenen Freisinger Hand-
schrift, aus der sie Jacob Micyllus zuerst im Jahre 1535
(Basileae apud Joan. Hervagium) herausgegeben hat. Er
bemerkt über diesen Theil seiner Arbeit in der epistola nun-
cupatoria ad Othonem Truchses a Vualburg, Spirensis ec-
clesiae Canonicum : Quantum laboris in emendando ac
restituendo illo [Hygino] obeundum atque adeo exanclandum
nobis fuerit, uel hinc coniecturam facere licet, quoJ primum
ipse Über (qui beneficio excellentiss. D. Joannis Vueyer
Augustani, Frisingensis ecclesiae Canonici, ac M. Jo. Chrumeri
Canonici apud diuum Andream Frisingensem , Notarii in-
tegerrimi, necnon et Viti Chrumeri ibidem bonas literas non
sine laude docentis, nobis comuiunicatus est, quibus et sua
gratia debetur, quod studia promouere, si qua datur occasio,
non negligunt) is inquam über, extcrnis ac Longobar-
dicis notis scriptus erat, in qua tarnen re nonnihil
adiuuit is, qui prior illum latine describendum
ceperat, cuius nos exemplum principio ceu filum quoddam
secuti sumus. Deinde quod ipsa uerba pleraque inter se
ita impedita ac perturbata erant , ut alia nobis diuidenda,
alia aliis abolenda: quorundam principium cum fine prae-
cedentium , et rursum praecedentium quorundam finis cum
principio sequentis coniungendus esset. Ut omittam , quam
[1870. I. 3.] 21
318 Sitzung der philos.^Tiilöl. Classe vom 5. März 1870.
multa uetustate obliterata , expuncta atque corrosa fuere,
quorum alia, aestimationem et coniecturas secuti
restituimus, alia, ubi certum aliquod quod sequi pos-
semus non erat, prorsus intacta reliquimus. Omnino autem
nihil de quo non certo uel ex Graecis uel ex Latinis poetis
constaret, immutatum aut loco motum est, adeo ut in quibus-
dam etiam diuersam lectionem iuxta alteram atque priorera
adnotasse satis putarim.
Je häufiger der längst vermisste Codex unicus an un-
serer Bibliothek gesucht worden ist, desto erfreulicher muss
es erscheinen, dass in jüngster Zeit einige Bruchstücke des-
selben zu Tage gekommen sind. Wie aus öffentlichen Blättern
bekannt geworden ist, so war Herr Bauassisteut Karl Ziegler
in Regensburg so glücklich, Bruchstücke der Handschrift in
dem Einband eines Werkes von Albrecht Dürer*) zu ent-
decken. Das grössere Fragment (s. Fragm.II), ein zusam-
menhängendes , aber von oben und unten sehr stark be-
schnittenes Doppelblatt, diente als Rückendeckel eines ge-
wöhnlichen Pappbands. Da dieser auch an den Ecken mit
Pergament versehen wurde, haben sich noch vier weitere
Streifen , von denen drei (s. Fragm. HI) glücklicher Weise
zusammengehören, erhalten. So klein der Umfang des isoliert
stehenden Blättchens (s. Fragm. I) von diesen vier Streifen
ist, so dient es doch dazu, eine Lücke, die durch Nach-
lässigkeit in der von Micyllus benützten Abschrift entstanden
ist, sicher auszufüllen. Dass die Bruchstücke nicht in irischen
oder angelsächsischen Charakteren geschrieben sind, wie man
in Regensburg annahm, lehrte ein erster Bhck; die Schrift-
züge sind, der Angabe von Micyllus entsprechend, rein longo-
bardische und gehören nach meiner Annahme in das neunte
Jahrhundert. Ich lasse nun eine genaue Abschrift der er-
*) Vier Bücher von menschlicher Proportion, Nürnberg 1528.
Das Exemplar erwarb H. Ziegler aus der Bibliothek des Privatiers
Bertram, die am 30. März 1864 in Regensburg versteigert worden ist.
Halm: Fragmente aus dem Cod. Fris. des Hygimis. 319
haltenen Bruchstücke folgen mit vollständiger Angabe aller
Abweichungen der editio princei^s.
Fragment I.
(XVn. Amycus.)
tas prouocasset ad caestu
[XVIII. LYCJÜS.
ntidis argonautas
d amycü interfecera
5 um apud lycü morant
s filius ab apro percus
moratur yphis forba
tuni filio naue argo
(XX. Stymphalides.)
tis cum multitudini
10 lypeos et hastas sumpser •
XXI. [Phrixi fll]ii
[cyjanias cautes quae di
nt mare quod dicitur euxi
6. In der ed. princ. fehlt ***s filius; sie hat nur: Jdmon ab apro
percussus interiit. Es ist icahrscheinlich zu ergänzen: Jdmon [ApoUiniJs
filius; s. Hyg. fab. 14: Jdmon, Apollinis et Cyrenes nymphae filius
(quidam Abantis dicunt) Argivus, und fab. 248: Jdmon Apollinis filius;
vgl. auch Schol.ad ApoU. Ehod. I, 139: 6 dk'Idfxwy, w? tatoosZ <1>sqs-
xv&rig, iyivtxo natg 'Aartqiug rrjg Kooojyov xai 'AnoX^avog, ov xcd Aao-
S'Oijg QiaTCJQ' rov cTi KcVA)(ug. uvaiosljuL 6k ^'lö/ncoy iv MaQiav&vvia
vno xuTiQov. Ott, di ^'Jßayrog vlog 'Iduojy (pr^ai xcd HooSwoog. Dass die
Ergänzung Apollinis dem Räume nach reicht, zeigt das Verhältniss der
übrigen Zeilen; denn zwischen Z. 4 und 5 fehlen nach dem Teoct von
Micyllus 37, zwischen Z. 6 und 7 36, zwischen Z. 7 u. 8 39 Buch-
staben, hingegen zwischen Z. 5 und 6 nur 29. Die Zeile 3 als erste
Zeile der Fabel kommt nicht in Eechnung, iceü die erste Zeile icegen
der sehr breiten Initialen des Codex immer kürzer toar. 7. morantur,
Iphis Phorbantis cd. princ. 10. h in hastas iind p in sumpserunt
über der Zeile. 12. Cyaneas ed. princ.
21*
320 Sitzung der philos.-pTiHol. Classe vom 5. März 1870.
ad insulam dia ibi in
es phrisi et calciope (calciopi?)
sus suos exposuissen
Fragment II.
(XXV. Medea.)
et feretum procreasset summaque concordia uiuerent
5 obi \ ciebatur ei hominem tarn fortem ac formosum * *
nobilem | uxorem aduenam atque ueneficam habere,
huic creon | menoeci filius rex corinthius filiam suam
minorem glauce dedit | uxorem medea cum uidit se
erga iasonem bene merentem tanta | contumelia esse
10 affectam coronam ex uenenis fecit auream eamq; |
muneri filios suos iussit nouercae dare creüsa munere
ac I cepto cum iasoue et creonte confraglauit medea
ubi regiam | ardere uidit natos suos ex iasone marcerum
et feretum inter | fecit et profugit coriutho;
15 XXVI. Medea exul.
Medea corintbo exul athenas ad aegeum pandionis |
filium deuenit in hospitium eiq; uupsit ex eo uatus est |
(XXVII. Medus.)
delatus quem satellites comprehensum ad regem persen
perduxerunt. | medus aegei et medeae filius ut uidit se
20 in inimici potestatem | uenisse yppoten creontis filium
1. Diam ed. prmc. 2. Phrixi et Chalciopes ed. princ. aber Cal-
ciopes die 2. Ausg. von Micylhis, Basti. 1549.
4. (Mermerum) et Pheretem 3Iici/lliis am Rande aus Pausanias.
5. obiiciebatur ed. princ. G. vor nobilem zwei Buchstaben teegradiert,
deren ztceiter ein c toar, also ac nobilem zti schreiben. 10. exuens
ed. princ. Der Codex hat exuenens mit zugefliclctem i vor s. 11. iussit
filios suos ed. princ. 12. conflagrauit ed. princ. 18. dolatus ed.
princ. aus Druckfehler, der in der Basler Ausgabe von 1549 berichtigt
ist. compraehensum ed. princ. compreensum der Codex, aber h tcahr-
scheinlieh überschrieben. 20. Hippoten ed. princ. U7id so immer.
l
I
Eälm: Fragmente aus devi Cod. Fris. des Hyginus. 321
se esse mentitus est rex diligentius | querit et in cu-
stodia euin conici iussit ubi sterilitas et penuria frugum (
dicitur fuisse quo medea in curru iunctis draconibus
cum uenisset regi | se sacerdotem dianae ementita
5 esset dixit sterilitateui se expiäre | posse et cum a rege
audisset yppoten creontis filium in custodia haberi |
arbitrans eum patris iniuriam exequi uenisse ibiq ; im-
prudeus filium | prodidit naiu regi persuadet eum yp-
poten non esse sed medum egei filium | a matre mis-
10 sum ut regem interficeret petitque ab eo ut interfici |
endus sibi traderetur estimans yppoten esse itaq ; medus
cum j productus esset ut mendacium morte puniret et
illa aliter esse | uidit quam putauit dixit se cum eo
colloqui uelle atq; ensem
(XXVIII. Otos et Ephialtes.)
15 atropos |
obsistere. apollo inter eos ceruam misit quam illi furore
incensi dum uolunt | iaculis interficere alius alium inter-
fecerunt qui ad inferos dicuntur | hanc peucä pati ad
columnam auersi alter ab altero serpentibus sunt deligati.
20 est styx inter | columnam sedens ad quam sunt deligati.
1. quaerit ed. princ. et über der Zeile, in custodiam eum con-
iici ed. princ. 2. ubi] ma7i sähe lieber tum ibi. 4. cum über der Zeile
uenisset, ex regi ed. princ. statt et regi, loelcher Drucl-felüer in der
Ausgabe von 1549 berichtigt ist. Z. 4 — 10 stark abgerieben, so dass
sich nicht alle Buchstaben mehr erkennen lassen. 7. ibiq; deutlich,
wofür man ibi oder den Ausfall eines Satzes vermuthet hat. 9. Aegei
ed. princ. 10. ut überschrieben, ab eo fehlt in der ed. princ.
11. aestimans ed. princ. loohl richtiger existimans. 12. puniretur
ed. princ. aber puniret scheiyit richtig im Sinne: um seine Lüge mit
dem Tode zu büssen. 13. uidit, tcofür man uidisset erwartet, ganz
deutlich. Von der nächsten Zeile, die bis Persen reicht, sind nur noch
einige Buchstabenreste vorhanden. 15. Da das Blatt schief abge-
schnitten ist, hat sich nur das WoH atropos {statt atrotos, wie
MicyUus in den Addenda hinter dem Index richtig verbessert hat)
von der Zeile erhalten. 16. resistere ed. princ. 18. poenam ed.
princ. 19. alter ab altero über der Zeile ergänzt. 20. est styx
inter] vgl. Schwenck Mus. f Philol. (1858) 13, 477.
322 Sitzung der phüos.'pMlol. Classe vom 5. März 1870.
XXVIII I. Alcimena.
Amphitrion cum abesset ad expugnandam oechaliam
alcimena estimans | iouem coniugem suum esse eum
thalamis recepit qui cum in thalamos | uenisset et ei
5 referret quae in oecbalia gessisset ea credens | coniugem
qni tarn libsns cum ea concubait
esse cum eo concubuit ut unum diem usurparet duas
noctes con | geminaret ita ut alcimena tarn longam
noctem ammiraretur, | postea cum nuntiaretur ei cou-
10 iugem uictorem adesse minime curauit | quod iam
putabat se coniugem suum uidisse qui cum amphitrion
in regiam | intrasset et eam uideret neglegentius
(XXX. Herculis atbla XII.)
dormiente | transierat. uestigia eins afflabat et malorum
cruciatu morie I batur banc minerua monstrante inter-
1, Alcumena ed. prine. ebenso Z. 3 und 8. 2, Amphitryon ed.
princ. Diese und die zwei nächsten Zeilen starJc abgerieben, aber
durch Anwendung von Beagentien sind fast alle unklaren Buchstaben
wieder zum Vorschein gekommen, expugnandum ed. princ, vielleicht
aus Druckfehler, den zu verbessern man nicht gewagt hat. Die End-
ung da im Codex ganz sicher. 3. aestimans ed. princ, auch hier
wird existimans zu verbessern sein. Ein richtiges existimans findet
sich in der ed. princ. nur an zwei Stellen cap. 8 und 105; an allen
übrigen Stellen, ivo aestimans im Sinne von 'glaubend" stehen soll
(c 67, 88 dreimal, 104, 106, 136, 189, 190, 274) ist existimans her-
zustellen. 5. gesisset Druckfehler der ed. princ 6. qui — concubuit
über der Zeile ergänzt, aber von erster Hand, loie überhaupt von
Correcturen aus zweiter Hand keine Spur sich vorfindet, amgenommen
die zu c 25 bemerkte Rasur. 8. congemminaret ed. princ 10. iam
fehlt in der ed. princ 11. Dass amphitrion Glosse ist, hat nuxn
richtig erkannt. 12. intrasset bis negl. nur zur Hälfte erhalten.
negligentius ed. princ. Das nächste Wort hiess wahrscheinlich
securam st. se curantem. 13. vor dormiente noch einige Buch-
stabenreste; das Zeichen für die Endung em (dormientem) wegge-
schnitten.
i
Halm: Fragmente mts dem Cod. Fris. des Hyginus. 323
1 fecit et exinteräuit | et eius feile sagittas suas tinxit
itaque quicquid postea sagittis fixe | rat. mortem non
efi'ugiebat unde postea et ipse periit. Aprum in phri |
gia erimanthum occidit. Ceruum ferocem in arcadia
5 cum cornibus aureis | uiuum in conspectu euristhei
regis adduxit. Aues stymphalides j in insula martis
quae emissis pennis suis iaculabantur sagittis | interfecit.
Augei regis stercus bobile uno die purgauit maiorem |
partem ioue adiutore flumine ammisso totum stercus
10 abluit. I Taurum cum quo pasiphe concubuit ex creta
insula mycenis uiuum | adduxit. Diomedem thraciae
regem et equos quattuor eius qui carne j Lumana
uescebantur cum abdero famulo interfecit. equorum
autem nomi
Fragment III.
(XXXV. Jole.)
15 interficere uelle coepit. illa auimo pertinacior * * * pa-
rentes suos | [ajute se necari est perpessa. quos omnes
cum interfecisset iolen captiuam ad | [dejianiram prae-
misit.
1. exenterauit ed. princ. et ex eius ed. princ. Vgl. fab. 34:
nie moriens cum sciret sagittas hydrae Lernaeae feile tinctas etc,
3. in Phrygia ed. princ. Aprum in Arcadia - - ceruum . . in Cerynia
cum etc. Muncker 4. Erimachum ed. princ. aus falscher Lesung,
Erimanthium margo ed. princ. uelocem (statt ferocem) ed. princ.
5. in conspectum ed. princ. 8. Augiae 3IuncJ:er bobile] vgl. Chari-
sius p. 104 ed. Keil: Bovile vetat dici Varro ad Ciceronem VIII et
ipse semper bubile dicit, sed Cato de abrogandis legibus bovile dixit.
9. immisso Micyllus, andere flumine Alpheo inmisso. 10. Pasiphae
ed. princ. 11. Mycenas ed. princ. regem Thraciae ed. princ.
12. quatuor ed. princ. 14. Von der nächsten Zeile sind mir einige
Buchstabenenden erhalten, aber deutlich ist noch die Schlusssylbe des
Namens Lampen, icofür man Lampos vermuthet hat.
15. Vor parentes leerer Raum von 3 — 4 Buchstaben, aber wahr-
scheinlich eine alte Rasur des Codex.
324 Sitzung der pMlos.-phüol. Glosse vom 5. März 1870.
XXXVI. Deiaiiira.
Deianira oenei filia herculis iixor cum uidit iolen uir-
gine cap[ti] | ua eximiae formae esse adduc^ä z^erita
est ne se coniugio priu[a] | ret. itaque memor nessei
5 praecepti «teste tincta ceutauri | sanguine herculi qui
ierret nomine licham famulü mmt | inde paulü quod
in terra deciderat et id sol attigit ar | dere coepit quod
deianira ut uidit aliter esse ac nessus dixerat **
(XXXVII. Aethra.)
ut tunc eum ad se mitteret cum posset eum lapidem
10 alleuare et gladium patris [toi] | lere ibi fore indicium
cognitiouis filii itaq ; postea aethra peperit these[um] |
qui ad puberem aetatem cum peruenisset mater prae-
cepta aegei indicat ei Ia[pi] | demque ostendit ut ensem
tolleret et iubet eum athenas ad egeum prof[icis] | ci
15 eosque qui itineri infestabantur omnes occidit.
2 — 7. Diese Zeilen viel Tcürzer als die folgende wegen des sehr breiten
und grossen Initials D. 4. Nessi ed. princ. Wir ergänzten nach der Ver-
muthung voi Dan. Heinsius nessei; denn der Buchstabe nach ness war
in Iceinem Falle i, das in der Ion gobardischen Schrift hoch über die Zeile
hervorragt, loovon keine Spur zu erkennen ist. Ob das nächste Wort
praecepti oder praeceptis lautete, ist tcegen eines Bruchs kaum zu er-
kennen, aber die Lesung praecepti doch wahrscheinlicher. 6. Die
Lesung licham toahrscheinl icher als lichan, wie die ed. princ. hat.
paululum ed. princ, loie man unzählige Male für paulum geschrieben
hat. 7. in terram ed. princ. et id] at id verbesserte Muncker
quod cum Deianira uidit die ed. princ, wofür man uidisset vci'-
muthet hat. 8. ut vor uidit ist ganz deutlich und der letzte Buch-
stabe vor deianira wahrscheinlich ein d. Dass quod cum (cü) da-
gestanden habe, lässt auch der Batini kaum annehmen. 12. Qui cum
ad puberem aetatem perueuisset ed. princ 15. eosque omnes qui
die ed. princ, welcher schlimme Verstoss zu unnöthigen Vermuthungen
Anlass gegeben hat. itineri infestabantur] Fehler statt itinera in-
festabant.
Halm: Fragmente aus dem Cod. Fris. des Hyginus. 325
XXXVm. Thesei labores.
Corinetem nq^tuni filium armis occidit; pithiocamte qui
[iter] I gradientes cogebat ut secum arborem pinum ad
ter[ram] | flecterent quam qui cum eo prenderat ille
5 eam uirib; [mis] | sara faciebat ita ad terram grauiter
elidebatur et peribat hunc in[ter]
Wie gering auch der Umfang der mitgetheilten Frag-
mente ist, so lässt sich doch aus ihnen darüber ein sicheres
ürtheil gewinnen , wie sich die erste Ausgabe zum Codex
verhält, aus dem sie geflossen ist. Das Ergebniss ist
für die Verlässigkeit des Textes, auf dem allein unsere
Keuntniss des Hyginus beruht , kein günstiges. Aus den
meisten Fehlern , deren Verbesserung sich aus den Bruch-
stücken ergibt , geht hervor , dass die Abschrift , deren sich
Micyllus bedient hat, und ihr, wie er selbst sagt, 'ceu filum
quoddam secutus est' eine sehr flüchtige und nachlässige
gewesen ist. An drei Stellen (cap. 25, 30 und 37) erscheint
ohne Noth die Wortstellung geändert, an eben so vielen
sind Worte ausgefallen cap. 17 [Apollinijs filius als Ap-
positum zum Namen Idmon, cap. 27 ab eo nach petit-
que, cap. 29 iam vor putabat. Auch fast alle Abweich-
ungen der editio princeps iu einzelnen Lesarten wird mau
auf Rechnung lüderhcher Abschrift zu schreiben haben, so
resistere cap. 28 für obsistere, cap. 29 ad expugnau-
dum Oechaliam statt ad expugnandam, wenn hier
nicht ein Druckfehler vorliegt, cap. 30 ceruuni uelocem
statt ceruum ferocem, cap. 36 Nessi praecepti statt
nessei praecepti, ibid. paululum statt paulum, endlich
den sehr schlimmen Fehler cap. 36 cum Deianira uidit
statt Deianira ut uidit. Ob in diese Kategorie auch der
Fehler cap. 30 et ex eins (hydrae Lernaeae) feile sagit-
2. Pithyo campten ed. pmic. 6. Im Codex scheint periebat zu
stehen. Die untere Hälfte der Buchstaben ist in dieser Zeile abge-
schnitten; sonst ist diese Seite des Fragments sehr gut erhalten.
326 Sitzung der philos.-phüol Classe vom 5. März 1870.
tas tinxit gehört (statt et eius feile) oder ex ein Zusatz
aus falscher Conjectur ist, lässt sich nicht mehr bestimmen,
eben so wenig, ob das doppelte omnes (cap. 37 a. E.) vor
und nach dem Relativsatze erst im Druck hereingekommen
ist oder schon in der benützten Abschrift vorlag. Auf nach-
lässiger Lesung beruhen auch die fatalen Varianten cap. 25
exuens für ex uenenis, wo der Schreiber exuenens
ursprünglich schrieb und erst nachher das übersehene i ein-
flickte, und cap. 30 aprum . . erimachum statt aprum
. . erimanthum (i. e. erymanthium); denn wenn es auch
sehr nahe lag, ein th mit einem ch in der longobardischen
Schrift zu verwechseln, so konnte doch ein solcher Verstoss
nicht entstehn , wenn nicht das ganz deutliche n (nach der
Sylbe ma) übersehen ward. Noch am verzeihlichsten ist,
dass der Abschreiber cap. 25 in den V^orten hominem tarn
fortem ac formosum nobilem die Rasur vor nobilem
nicht beachtet hat; ein Leser hatte sich nobilem als Sub-
stantiv und als Gegensatz von hominem gedacht und so
die unentbehrliche Copula vor nobilem wegradiert. — Da
Micyllus in seiner Vorrede selbst erklärt, dass er manche
verderbte Stellen 'aestimationem et coniecturas secutus" ge-
ändert habe, so fragt sich noch, ob sich aus den Frag-
menten ein sicheres Urtheil über sein kritisches Verfahren
gewinnen lässt. In dieser Beziehung liefern sie keine ganz
verlässigen Anhaltspunkte; nur im Allgemeinen lässt sich
vermuthen, dass Micyllus stärkere Veränderungen wohl nur
selten vorgenommen hat , ohne dass er am Rande seiner
Ausgabe eine Notiz mittheilte. An zwei Stellen cap. 27 und 29
ist ein überliefertes estimans wahrscheinHch unrichtig in
aestimans statt in existimans abgeändert; eben so wird
die Abänderung cap. 27 ut mendacium morte puuiretur
(statt puuiret), bei der es wohl mendacium eius heissen
musste, als eine verfehlte zu bezeichnen sein.
I
Hang: Das Ärddi Virdf ndmeh. 327
Herr Haug trägt vor:
„üeber das Ardäi Vträfnämeh ^) (die Visionen
des alten Pärsenpriesters Ardäi Wiräf) und
seinen angeblichen Zusammenhang mit dem
christlichen Apocryphon Mie Himmelfahrt
des Jesaja' betitelt."
Eines der merkwürdigsten Bücher der pärsischen Literatur
ist unstreitig das sogenannte Ardäi Viräf ndmeh. Es enthält
eine Reihe von Visionen, die sich auf die andere Welt, auf
Himmel und Hölle beziehen, ist ursprünglich in der Pehlewi-
sprache abgefasst, und wurde dreimal persisch, (zweimal in
Prosa von Nuschirwän Kirmäni, und Zertoscht Behram,
und in Versen von dem letztgenannten) bearbeitet , und in
das Sanskrit und Guzeräti übersetzt. Mit Zugrundelegung
der persischen und Guzeräti-Bearbeitungen gab J. A. Pope
im Jahr 1816 das Werk englisch heraus^). Obschon der
Originaltext mehrfach in Kopenhagen und auch in Paris vor-
handen ist, so hat bis jetzt Niemand in Europa denselben
untersucht, und mit Pope's üebersetzung verglichen. Diess
ist um so auffallender, als man sich dessenungeachtet nur
auf Pope's üebersetzung gestützt, nicht gescheut hat, ganz
1) Bezüglich der richtigen Aussprache der persischen und anderer
fremden Namen und Wörter ist zu bemerken, dass bei den cursiv
gedruckten die Consonanten nach englischer Weise auszusprechen sind,
während die nicht cursiv gedruckten gerade so zu lesen sind, wie
im Deutschen.
2) The Ardai Viraf nameh, or the Bcvelations of Ärdai Viraf
Translated from the Persian and Guzeratee versions. With notes and
illustrations. By J. A. Pope. London 1816.
328 Sitzung der philos.-phüol. Classe V07n 5. März 1870.
bestimmt formulirto Ansichten ülier die Herkunft des Buches
aus einer christh'cheu Quelle , der sogenanteu 'Himmelfahrt
des Jesaja", in einer solchen apodictischen Weise auszu-
sprechen, als ob die Sache längst mit vollkommener Sicher-
heit feststünde ^). Da dieser Umstand für einen der Haupt-
beweise von der angebUchen directeu Entlehnung persischer
Anschauungen aus jüdischen und christlichen Quellen gilt,
so hielt ich es für der Mühe werth, diesen speziellen Fall
etwas eingehender zu untersuchen, und auf seinen wahren
Werth zurückzuführen.
Die nächste Frage ist, wie verhält sich Pope's englische
Uebersetzung zum Original? Zur Beantwortung derselben
stehen mir nicht nur zwei Handschriften des Originaltextes
meiner eigenen Bibliothek, wovon die eine aus dem Ende
des 14. Jahrhunderts stammt, sondern auch ein von einem
der gelehrtesten Pärsenpriester in Indien, Deslur Hoschengdschi
Dschamaspdschi kritisch bearbeiteter Text, nebst Umschreib-
ung in lateinische Buchstaben und einem Glossar *) , sowie
die Päzend- und Sanskritversionen zu Gebote.
Vergleicht man nun den Originaltext mit der Pope'schen
Uebersetzung, so finden sich so erhebliche Abweichungen,
dass mau annehmen muss, Pope habe eine ganz verschiedene,
und jedenfalls jüngere Redaction des Ardäi Viräf vor sich
gehabt, als alle Pehlewihandschriften des Werks , sowie die
daran eng sich anschliessenden Päzend- und Sanskritversionen
3) Spiegel, die traditionelle Literatur der Parsen pag. 120;
Uebersetzung des Avesta pag. 21, 281 ff.
4) Dieser wurde mir kürzlich von dem Direktor des öffentlichen
Unterrichts der Präsidentschaft Bombay handschriftlich zugeschickt,
mit dem Ersuchen ihn zu revidiren, und mit erklärenden Zusätzen für
die Regierung von Bombay in Europa drucken zu lassen, in derselben
Weise, wie ich die ebenfalls von Destur Hoschengdschi bearbeiteten
Zand-Pahlavi und Pahlavi-Pazand Glossare veröffentlicht habe.
Eaug : Das Ärdäi Viräf nämeh. 329
zeigen, so dass sein Werk gar nicht für eine Wiedergabe
des Originals gelten kann. Da gerade diese bedeutenden Ab-
weichungen der Pope'schen Uebersetzung vom Pehlewiorigiual
von entscheidender Bedeutung für die Frage von dem Ver-
hältnisse des Ardäi Viräf zu der 'Himmelfahrt des Jesaja'
sind, so will ich seinen Inhalt mit besonderer Beziehung
darauf kurz berühren, und nachher den Inhalt des Originals
angeben, damit jeder in den Stand gesetzt wird, diese Frage
selbst zu j)rüfen.
Nach der Pope'schen Uebersetzung berief Ardeschir
Bäbegän ein Concil von 40,000 Priestern , um die zoro-
astrische Religion wieder in ihrer Reinheit herzustellen , da
durch Alexander die Beweise für dieselbe (d. h. die heiligen
Schriften) vernichtet worden seien. Er befahl, dass aus der
Mitte der Priester passende Personen gewählt würden, um
die Gesetze des Zoroaster zu sammeln und zu vergleichen,
d. h. sie authentisch wieder herzustellen , damit den vielen
Ketzereien ein Ende gemacht würde. Aus den 40,000 wurden
nun 4,000, und aus diesen 400 ausgewählt, die alle des
Zendawesta kundig waren. Man schritt zu einer noch engern
Wahl. Aus den 400 wurden die vierzig geschicktesten aus-
gewählt; diese Zahl wurde sodann auf sieben reducirt, die
frei von allen wissentlichen Sünden waren. Diese wurden
nun vor den König geführt, der ihnen den Wunsch zu er-
kennen gab, sie möchten vermöge ihrer Heiligkeit durch ein
Wunder ihn und alle Einwohner des Reichs von der Wahr-
heit und Heiligkeit der zoroastrischen Religion überzeugen.
Die sieben willigten ein ; sie bezeichneten einen aus ihrer
Mitte, Ardäi Wiräf mit Namen, der bereit sei den König
von der Wahrheit der zoroastrischen Religion durch ein
Mirakel zu überzeugen; er sei der beste, und ausgezeichnetste
von ihnen allen, und werde zu Gott auffliegen und die Be-
weise von der Wahrheit der zoroastrischen Religion mit-
bringen. Der König begleitete nun diese heiligen Männer
330 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 5. März 1870.
und die vierzig tausend zum Tempel des Feuers. Sie bete-
ten. Wiräf vollzog die Waschungen und Gebete, beräucheite
sich und zog ein weisses Gewand an. Nun kamen seine
Schwestern weinend und jammernd. Die Desturs trösteten
sie. Nach Beendigung der Gebete liess sich Wiräf auf
einen Sitz nieder, der für ihn bereitet war. Man brachte
geweihten Wein in einem goldenen Becher und ersuchte ihn,
drei Portionen nacheinander zu trinken. Nach sieben Tagen
erwachte er. Jetzt wurde ein Schreiber gerufen, der alles
niederschrieb, was Wiräf gesehen hatte.
Nun werden die verschiedenen Visionen auf seiner Reise
durch Himmel und Hölle beschrieben. Da diese vielfach mit
den im Originaltext beschriebenen stimmen, so will ich sie
in der Pope'schen Fassung nur summarisch berühren, nament-
lich die abweichenden Punkte hervorheben. Wiräf erzählte,
der Engel Serosch sei ihm begegnet und habe ihn gefragt:
warum er in die himmlischen Regionen vor seiner Zeit ge-
kommen sei? Er antwortete, dass er von dem König, den
Priestern und Zoroastriern geschickt worden sei , um den
Ketzereien ein Ende zu machen. Serosch ergriff nun seinen
Arm und sagte ihm , dass , wenn sein Herz rein und sein
Glaube wahr sei, er die Haltung eines Aufsteigenden an-
nehmen solle. Er erhob sodann seinen Fuss. als ob er eine
Leiter hinaufstiege. Nun sagte Serosch, wenn deine Zunge
frei von Betrug ist, so erhebe den andern Fuss; er that
also. Nun sagte Serosch: wenn du gute Werke glaubst, so
nehme den dritten Schritt. Nach diesem befand er sich
dicht an der Tschinwat-Brücke, die den Himmel von der Hölle
scheidet. Nun folgt die Beschreibung des Schicksals der
Seelen der Guten in den ersten drei Tagen nach dem Tode,
ehe sie über die Brücke in den Himmel gehen , was nach
parsischer Anschauung erst am Morgen des vierten Tages
der Fall ist. Nun wird des schönen Mädchens gedacht, in
Hang: Das Ardäi Vträf ndmeh. 331
das die guten Werke des Frommen sich verwandeln , und
das der Seele entgegengeht, um sie zu empfangen^'').
Endlich langte Wiräf von Serosch geleitet oben an der
Brücke an. Hier hörte er eine ausserordentlich starke Stimme,
die von einem Hunde kaio, dem Zering-gosh d. i. Goldohr,
der mit einem Halsband und einer Kette von Gold bei der
Hchten Seite der Brücke angebunden war. Wiräf fürchtete
sich, wurde aber von Serosch beruhigt. Auf Befragen wurde
ihm von Serosch und anderen Engeln, die sich ihm gezeigt,
der Bescheid, dass dieser Hund diesen Lärm mache, um
Ahriman von der Brücke fern zu halten. Als er die Brücke
überschritten hatte, sah er den Thron des Mithra und den
Raschnu räzischta, den Richter mit der goldenen Wage,
umgeben von tünftausend Engeln. Nun sah er ein grosses
Licht, und darin alle frommen Mitglieder seiner Familie, die
ihn begrüästen. Der Engel Bahman führte ihn dann vor den
Thron Gottes, der von Myriaden von Engeln umgeben war
und ganz von Licht strahlte. Wiräf verbeugte sich vor dem
Thron Gottes und wurde dann wieder zur Brücke Tschinwat
zurückgeführt.
Jetzt trat er eigenthch erst seine Wanderung durch den
Himmel an. Zuerst kam er in Hamistan behescht, den
ersten Himmel, dann in das Sitar payah - behescht
(Sternenparadius), den zweiten Himmel, von da in das Mah-
pajah-behescht (Mondparadies), den dritten Himmel, dann
in das Khurschid-paj ah-behescht (Sonnenparadies), den
vierten Himmel. Nun kam er zu einem ganz von Lichtglanz
umflossenen Orte, zu der Residenz des Ormuzd ; er vernalim
5) Diese Vorstellung findet sich schon in dem Zendawesta selbst,
in dem von Westerg&ard herausgegebenen Yasht-Fragment (S. 296 £f-
seiner Ausgabe des Zendawesta) das nach der Ansicht der modernen
Parsen dem Hadokht-Nosk entstammen soll: darnach im Mino-
kliirad, und in dem Original des Ardäi Wiräf.
332 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 5. März 1870.
eine Stimme mitten aus dem Licht, die dem Seroscli befahl,
ihm (dem Wiräf) die Geheimnisse von Himmel und Hölle
zu zeigen. Bis jetzt hatte Wiräf nur die Brücke Tschinwat
und die Vorhimmel gesehen. Nun erhält er erst die Er-
laubniss das eigentliche Paradies und dann auch die Hölle
zu besuchen. Ehe er weiter gehen konnte, gab ihm Serosch
ein Küchelchen ^) zu essen, worauf er alles vergass, was auf
die irdische Welt sich bezog. Nun ging Wiräf mit Serosch
einige Schritte zurück, und sah ebenfalls mitten im Licht
den Amschaschpand Ardibehescht. Dieser erinnerte
ilm daran, dass er mit nassem Holze das heilige Feuer
unterhalten habe (was verboten ist). Als Wiräf diese Be-
schuldigung nicht zugab, zeigte ihm der Engel einen ganzen
Bach, der aus dem vom nassen Holz abträufelnden Wasser
gebildet war. Jetzt betrat er mit Serosch Gorotman,
(garo-demäna im Awesta^ den fünften Himmel, der aussah,
als ob er aus lauter Diamanten und Rubinen bestünde, und
dessen Lichtglanz dem des Blitzes ähnlich war. Serosch
sagte ihm , diess sei der Ort für die wahrhaft Gläubigen.
Hier wurde er nicht nur von Serosch , sondern auch von
Ardibehescht begleitet. Sie gingen weiter bis sie in Asar
roschni, dem sechsten Himmel, anlangten.
Nun erst beginnt die Beschreibung der Belohnungen für
besondere Verdienste und Klassen. Zuerst kommen die Frei-
gebigen , die alle in Gold und Silber gekleidet sind ; dann
folgen die Seelen derer, die das heilige Feuer und das Wasser
rein gehalten ; sie sind in Gewänder von verschiedenen Farben
gekleidet , die wie Licht aussehen , und sitzen auf Thronen.
Dann kommen die Seelen der guten Fürsten und Gesetzgeber,
die in neue ganz weisse mit Perlen und Juwelen geschmückte
6) Dieses heisst nach Note 23 pag. 108. Medio jurrnm , d. i.
maidyö-zaremaya ; s. darüber mehr weiter unten.
i
Hang: Das Aräai Viräf nämek. 333
Gewänder gekleidet sind und auf den Gefilden des Aethers
sich hin und her bewegen. Nun folgen nach einander die
Seelen der frommen Priester, die auf Thronen sassen, welche
von Engeln umgeben waren ; die der glaubenseifrigen Frauen
mit goldenen Kronen auf dem Haupt und in die kostbarsten
mit Perlen und Edelsteinen geschmückten Gewänder gekleidet;
die der frommen Krieger, und derer, die schädliche Thiere
vernichteten , die der Ackerbauer und Viehzüchter ; alle er-
freuen sich einer ewigen Glückseligkeit, wandeln theils in
prachtvollen von Bächen bewässerten und von Singvögeln
und ]\Iusikanten wiederhallenden Gärten, theils sitzen sie auf
goldenen Thronen, oder haben Kronen auf dem Haupt, theils
unter hohen schattigen Bäumen und sind von den schönsten
Frauen bedient.
Endlich gelangte Wiräf von Serosch begleitet, mit drei
Schritten nach Anaghra roschan (anagJira raocMo) im
Awesta), dem siebenten Himmel. Hier fand er sich in der
Mitte eines Gartens, mit goldenen Thoren, dessen Blumenflor
seine Augen ganz bezauberte, und der voll der köstlichsten
Früchte war u. s. w. Sie kamen dann zu einem mit Edel-
steinen geschmückten Gebäude, in dem der Prophet Zoro-
aster auf einem goldenen Throne sass, der von Stühlen um-
geben war. Rings um ihn her waren seine drei Söhne.
Wiräf sah dort auch die Seele des Dschemschid, des Kai
Kobad u, s. w. Wiräf wünschte hier zu bleiben, aber es
wurde ihm nicht gestattet; er müsse wieder zum Könige
zurückkehren. Nun wurde eine unsichtbare Stimme hörbar,
die befahl, Wiräf in die Hölle zu führen und ihm die Strafen
der Verdammten zu zeigen.
Nun folgt ein längeres Gespräch zwischen Wiräf und
seinen Begleitern über den Zehrpfennig für die Reise in die
andere Welt, Glaube, Hoffnung und gute Werke, über
die Vergänglichkeit dieser Welt, an die man sein Herz nicht
hängen solle, über Gott als den einzigen Freund, den man
[1870, I. 3.] 22
334 Sitzung der philos.-pMdl. Classe vom 5. März 1870.
habe, dass Zufriedenheit die glücklichste Lage der Menschen
sei u. s. w. Auf dieses Gespräch, während dessen sie immer
noch im Himmel geweilt zu haben scheinen, kommt noch
nachträglich die Beschreibung von weitern zwei Classen ewig
glückhcher Seelen , nämlich die der Regenten , welche stets
ihre Pflicht erfüllt , und derer , welche der Armen und Be-
drängten, der Wittwen und Waisen sich angenommen hatten.
Jetzt soll er die Hölle sehen. Obschon sich auch hier
ganz beträchtliche Abweichungen vom Original finden , so
will ich doch hier nicht näher darauf eingehen, da in der
'Himmelfahrt des Jesaja' mit der das Ardäi Wiräf ver-
glichen worden ist, sich gar keine Beschreibung der Hölle
und der Bestrafung der Verdammten findet. Ich will nur
einige Bemerkungen machen. Zuerst kommt er an den
Thränenfluss ; hier sieht er die Seele eines bösen Mannes,
dem seine Werke in Gestalt eines hässlichen dämonischen
Weibes erscheinen. Dann werden ihm die verschiedenen
Höllenstrafen gezeigt. Nach seiner Wanderung durch die
Hölle kehrt er zum Gorotman (dem fünften Himmel) zu-
rück, und erhält die Erlaubniss zur Erde zurückzukehren.
Er empfängt von Ormazd den Befehl alles was er gesehen,
in der Welt zu verkünden. Nun steigt er von den höhern
Himmeln in die niederen herab , trifft überall viele Geister,
die ihn ersuchen, ihren Familien zu sagen, dass sie im Weg
der Wahrheit wandeln sollen. Die ihn begleitenden Engel
nehmen nun Abschied von ihm, und er erwacht.
Zum Schlüsse heisst es weiter in der Pope'schen Ueber-
setzung, dass der König befohlen hatte, diese Offenbarungen
des Wiräf in dem ganzen Reiche bekannt zu machen ; die
Priester sollten überall herumgehen und die wahren Glaubens-
lehren einschärfen. Die Häresien hätten dann aufgehört.
Aber nach Ardeschir's Tode hätten mehr als 40,000 Zoro-
astrier an die Offenbarung des Wiräf zu glauben sich ge-
weigert. Dann sei Adarbat Mahraspand zu Schapur (dem
Hang : Das Ardäi Viräf nämeh. 335
Sohne Ardeschir's) gekommen und hätte sich bereit erklärt,
die Wahrheit jener Offenbarungen durch ein Wunder zu be-
weisen. Er hätte sich nämlich in einen Kessel voll siedenden
Zinns gestürzt und sei unverletzt davon gekommen. Dann
sei die zoroastrische Religion wieder fest gegründet ge-
wesen. Das Buch schliesst mit der Flucht der Pärsis nach
Indien.
Nachdem ich nun den Inhalt der Pope'schen Ueber-
setzung, soweit er für die vorstehende Untersuchung von
Bedeutung sein kann, in Kürze dargelegt habe, will ich nun
zur Darlegung des Inhalts des Pehlewi-Originals, wie es mir
vorliegt, schreiten. Es beginnt ebenfalls mit einer längeren,
aber vielfach abweichenden Einleitung , die indessen viel
Interesse bietet. Die zwei ersten Seiten meiner Handschrift
habe ich schon früher im Original mit einer englischen
Uebersetzung veröffentlicht ^). Es heisst dort , dass die
zoroastrische Pieligion während der ersten drei Jahrhunderte
ihres Bestehens rein und ohne Sectenwesen war, dass nach Ver-
fluss dieser Periode Ahriman , der Böse , den 'ruchlosen'
Alexander , 'den Abendländer , den Aegypter' , nach Iran
führte, der den Herrscher des Reiches tödtete, das Land und
die Residenz verwüstete, und das mit goldenen Buchstaben
auf Ochsenhäute geschriebene Exemplar des Awesta-Zend,
das zu Persepolis im Archiv aufbewahrt war, verbrannte^),
7) In der Introduction zu dem Zanä - Faläavi Glossary , heraus-
gegeben von Destur Hoschangdschi und mir, i^ag. XXXIX — XLII.
8) Man hat diese Angabe, welche sich häufig genug, bald in
spezieller, bald in allgemeiner Fassung in den altern parsischen
Schriften findet , ganz in Abrede ziehen und eine Verwechslung mit
der durch die Mohamedaner erfolgten Zerstörung annehmen wollen.
Heeren hat zuerst die Ansicht ausgesprochen, dass es ganz gegen
die Politik Alexanders gewesen sei, fremde Religionen zu verfolgen,
und dass aus diesem Grunde die Angabe der Parsen keinen Glauben
22*
336 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. März 1870.
und die Desturs, Mobeds. Herbads und die Gesetzeskundigen
tödtete. In Folge dieser Vernichtung aller Autoritäten für
verdiene. Diese Ansicht ist seither von beinahe allen Gelehrten un-
geprüft nachgeschrieben vrorden, und nachgerade zu einer Art
stereotyper Phrase geworden. Indess eine nähere Prüfung der von
den altern Pehlewischriften gegebenen Nachrichten über die Ver-
nichtung zoroastrischer Religionsbücher durch Alexander im Vergleiche
mit den von den Classikern uns überlieferten Berichten über die
Zerstörung von Persepolis durch den macedonischen Eroberer zeigt
zur Genüge, dass die parsische Tradition durchaus nicht unbegründet
ist. Die wichtigsten Zeugnisse hierüber sind die des Ardäi Wiräf
nämeh (im Anfange des Buches) und mehrere Stellen desDinkart,
wovon ich bereits zwei mitgetheilt habe , (die eine im Zand-Pahlavi
Glossary, pag. XXXII, XXXVI, und die andere in meinem Essay on
the Pahlavl language, pag. 146, 150). Da die zweite Stelle sich in
einer Proklamation des Sasaniden Königs Chosru Parviz (531 —
579 n. Chr.) findet, so ist sie von ganz besonderer Wichtigkeit, da
eine Verwechslung mit der ein hundert Jahre später erfolgten moha-
medanischen Eroberung nicht möglich ist.
Chosru sagt nämlich, dass Volgasch (Vologeses), der Aschkanier
(Arsacide) befohlen habe, alle Fragmente des Zend-awesta, die der
Zerstörung Alexanders und der Abendländer entgangen seien, zu
sammeln. Die anderen Stellen spezialisiren indess den Fall. Sie
besagen, dass Alexander das in der Burg zu Persepolis aufbewahrte
Exemplar des Zend-awesta, welches das Hauptexemplar gewesen zu
sein scheint, verbrannt habe. Nun wissen wir aus Diodor (17, 72.)
und Curtius (5, 7.), dass Alexander wirklich, auf Anstiften einer
athenischen Hetäre, der Thais, in trunkenem Zustande die Burg von
Persepolis, wo der königliche Palast (und natürlich auch die Biblio-
thek) war, angezündet und verbrannt habe; man habe sich, sagt
Diodor, an den Persern rächen wollen für die unter Xerxes verübte
Zerstörung der griechischen Tempel. Auch Arrian erzählt (Exped.
Alex. 3, 18), dass Alexander 'die königliche Residenz der Perser' t«
ßftaiktuc rc( HfQffixa, Persepolis selbst nennt er nicht) verbrannt habe;
Parmenion habe ihm abgerathen, aber er habe gesagt, er wolle sich
an den Persern für die Verwüstung Athens, die Verbrennung der
Tempel und andere Unbilden, rächen. Der Entschluss zur Zerstörung
der prachtvollen königlichen Residenz scheint ganz plötzlich, während
Hang: Das ArdcU Viräf nämeh. 337
den wahren Glauben entstanden viele Zweifel und Ketzereien.
Die Unwissenheit in religiösen Dingen wurde nach und nach so
gross, dass es keinen Meister, keinen König, kein Oberhaupt,
keinen Dcatur , noch sonst jemand gab . der die Religion
kannte. Dieser traurige Zustand änderte sich erst zur Zeit
des Adarbat Mahrespand (unter Schapur II, 308 — 81). Zum
Beweis der Wahrheit des von ihm verkündeten Glaubens Hess
er sich geschmolzenes Kupfer auf die Brust giessen , ohne
dass es ihn verletzte. Es entstanden aber aufs neue viele
Sekten und Zweifel , und eine neue Ofifenbarung war noth-
wendig zur Neubegründung des Glaubens. Diese Offenbarung
nun bildet den Gegenstand des Ardai Wiräf nämeh. Darauf
wurde von gottesfürchtigen Desturs (die Zahl ist nicht an-
gegeben, noch irgend ein König genannt) eine Versammlung
in den Tempel des Frobag-Feuers anberaumt und verschiedene
Mittel berathen, dem Sektenwesen zu steuern. Endlich kommen
die Mitglieder dieses Priesterconcils zu folgendem Beschluss:
'Einer von uns muss gehen (in die andere Welt) und von
den himmlischen Geistern Kunde bringen, dass die Menschen,
die jetzt leben, wissen sollen, ob ihr Ize sehne, Darun,
Afringan und andere Ceremonien und Gebete zu den Ja-
zatas (guten Geistern) oder zu den Teufeln' gelange, und ob
eines Zechgelags, mehr aus Uebermuth, als aus irgend einem andern
Beweggrund gefasst und sofort ausgeführt worden zu sein. Die
Zeit war höchst w^ahrscheinlich die Nacht. Als der Palast an-
gezündet wurde, war er gewiss nicht leer, sondern von einem grossen
dienstthuenden Personal, darunter sicherlich viele Priester, bewohnt.
Diese verbrannten entweder, oder wurden von den betrunkenen Soldaten
umgebracht. So erklären sich die Angaben der parsischen Schriften
über die Verbrennung der heiligen Bücher und die Ermordung der
Priester zur Genüge. Da allen Berichten zufolge das Hauptexemplar
des Zend-awesta in der 'Burg' zu Persepolis war, so verbrannte es
natürlich auch mit. Die That ist ein Schaudfleck in der Geschichte
Alexanders, aber sie lägst sich nicht wegläugnen.
3 38 Sitzung der philos.-phüol Classe vom 5. März 1870.
es zum Heile unserer Seele diene, oder nicht'. Hierauf wurden,
wie es weiter heisst, nach dem einstimmigen Beschlüsse der
zu dem Frobag- Tempel gerufenen Desturs, sieben Priester
ausgewählt, die im Glauben an Gott sehr fest, und deren
Gedanken, Worte und Thaten tugendhaft waren. Man sagte
zu ihnen: Setzt euch und wählet von euch einen, der für
das gute Werk der siindloseste ist, und den besten Namen
hat! Diese sieben Männer setzten sich. Von den sieben
wurden nun drei, und von den dreien einer ausgewählt,
Wiräf mit Namen, den 'einige den Nischapurer heissen'.
Als Wiräf diess hörte, stellte er sich auf seine Füsse, legte
seine Hand an seine Brust und sagte : 'Gebt mir keinen
Mang (ein Narcoticum) ehe ihr dies Loos ^) geworfen habt ;
wenn das Loos mich trifft, so gehe ich gerne an den Ort
der Frommen und Gottlosen und nehme richtige Botschaft,
und bringe sie richtig'. Die Mazdajasner warfen das Loos,
das erstemal im humat (gut gedacht), das zweitemal im Miklit
(gut gesprochen), und das drittemal im huvarsht (gut ge-
handelt); jedesmal traf es Wiräf. Nun hatte dieser sieben
Schwestern , die ihm wie Frauen waren (d. h. mit denen er
nach dem alten zoroastrischen Gesetz der Schwesterehe zu-
sammenlebte) ; sie hatten die Religion d. i. die Schrift aus-
wendig gelernt und vollzogen Ceremonien. Diese kamen
jammernd und schreiend in die Versammlung der Zoroastrier
und baten so etwas nicht zu thun, d. h, ihren Bruder nicht
auf eine Reise in die andere Welt zu schicken; er sei ihr
einziger Bruder und sie seien alle seine Frauen ; sie ver-
langten eine Garantie für ihre Unterhaltung, ehe ihr Bruder
vom Lande der Lebendigen in das der Todten geschickt werde;
diese wurde ihnen versprochen. Sie wurden damit getröstet,
dass ihnen ihr Bruder nach sieben Tagen wieder unversehrt
9) Der Ausdruck im Original ist naUjdh Hi^U»^
Hang: Das Arddi Viräf nivneh. 339
übergeben werden würde. Die Schwestern gaben sich zu-
frieden. Nun legte Wiräf seine Hand an seine Brust und
sagte : 'Es ist Gebrauch (dastöhanja) dass ich (vor Antritt
der Reise) den abgeschiedenen Seelen meine Verehrung dar-
bringe, dann Speise geniesse, und den letzten Willen (andarz)
mache; dann sollt ihr mir den Wein und Mang geben'. Die
Desturs befahlen also zu thun. Nun wurde ein Platz von
dreissig ^*') Schritten in der 'Geisterwohnung' (män-i mmö-
yan, wahrscheinlich einem Theile des Feuertempels) sorg-
fältig ausgewählt. Wiräf wusch sich Haupt und Körper,
zog ein neues Kleid an, machte eine Räucherung. legte auf
den Sessel einen neuen reinen Teppich, und setzte sich darauf.
Nun machte erDarun (die Ceremonie des heiligen Brodes),
und nahm Speise zu sich. Hierauf füllten die Desturs drei
goldene Becher mit Wein und mang-i visldasiKUi (ein Nar-
coticum) und gaben ihm den einen mit Jiumat, den andern
mit Jiidcht, den dritten mit hu'varsM. Er trank dann
diese MischuDg, und sagte noch ganz bei Verstände den
Vuj (das Gebet) her und schlief auf dem Teppich ein. Die
Desturs und die sieben Schwestern hielten sieben Tage und
Nächte Wache in der Dunkelheit, indem sie beständig Feuer
brannten, Wohlgerüche verbreiteten, religiöse Nirang (Gebete)
in Awesta und Zend (d. h. in den sogenannten Zend und
Fehle wisprachen) hersagten, den Nosks ^^) ihre Verehrung
darbrachten (wahrscheinlich durch Nennung ihrer Namen),
und die Gäthas recitirten. Die sieben Schwestern setzten
sich sogar rings um den Teppich , auf dem Wiräf einge-
10) Diess bezieht sich auf den Umstand, dass der Platz wahr-
scheinlich dreissig Schritte von Feuer, Wasser, Bäumen u. s. w. ent-
fernt war. Diess ist die für den Platz , wo Reinigungsceremonien
vorgenommen werden, vorgeschriebene Entfernung.
11) Die einzelnen Theile des Zend -awesta, von denen die meisten
verloren sind.
340 Sitzung der pMos.-phüol Qasse vom 5. März 1870.
schlafen war, und sagten (für sich) sieben Tage das Awesta
her, und unterliessen mit den Mazdajasniern , den Desturs,
den Herbads und Mobeds auf keine Weise die Seele des
Wiräf, die den Körper verlassen hatte und zur Tschinwat-
Brücke gegangen war, zu unterstützen. Am siebenten Tage
kam sie in den Körper zurück, und Wiräf erhob sich, wie
wenn er von einem angenehmen Traume erwachte. Als seine
Schwestern mit den Desturs und Mazdajasniern ihn sahen,
wurden sie voll Freude und Jubel und sagten: 'Du bist
richtig angekommen ; du bist zu uns Mazdajasniern als Bote
vom Lande der Todten in das der Lebendigen zurückge-
kommen/ Er verlangte zu essen. Man brachte ihm wohl-
gekochte und gewürzte Speise, kaltes Wasser und Wein.
Wiräf sprach das Tischgebet und ass. Nun liess er einen
geschickten, sehr kundigen Schreiber kommen und ihn also
schreiben.
In der ersten Nacht traf ich den Seros ch und Adar
Izad (den Engel des Feuers), Serosch verbeugte sich vor
mir (er grüsste mich) und sagte: Du bist gerade recht ge-
kommen; wenn du bis jetzt nicht gekommen wärest, so hätte
ich gesagt: 'Ich will Bote sein^ (dich benachrichtigen). Die
beiden Engel streckten ihre Hand nach mir aus. Mit drei
Schritten (im humat, Imhlit und huvarsht) war ich an der
Tschinwat-Brücke, die sehr weit und von Ormazd geschaffen
ist. Dort kam ich an, und sah die Seelen der Verstorbenen,
wie sie auf dem Scheitel des Körpers sassen, und die üätha :
ustä ahmäi (Jasna 43, 1,) hersagten ^^). Am dritten Morgen
kommen den Seelen der Guten Wohlgerüche entgegen; eine
schöne Jungfrau begegnet ihnen. Die Beschaffenheit der
12) Diese Angabe, welche sich auch im Minokhirad findet, ist
aus dem Hadokht-Nosk genommen; s. Westergaard's Zendawesta,
Yahst-fragment XXII, (pag. 296).
Haug : Das Arääi Viräf nameh. 34 1
Jungfrau, ihre Grösse, Schönheit u. s. w. richtet sich ganz
nach den guten Werken. Wiraf erzählte weiter. Ich ging
über die Brücke mit Serosch und Adar Izad. Mir ward der
Schutz des Mithra, des Raschuu rast (rashnu räsisMa) , des
Wai weh (vayö-volm) des Behram, des Glanzes der guten
Mazdajasnier uud anderer reiner Frohar. Raschnu rast
hält eine goldene Wage in der Hand und wägt die Thaten
der Frommen und Gottlosen. Nun sprachen meine Begleiter:
Komm, dass wir dir Himmel und Hölle zeigen, das Vergnügen,
die Freude und Seligkeit der Frommen, und das Unglück,
Elend und den Schmerz der Gottlosen ; wir zeigen dir den Ort
der Gerechten und der Bösewichter, das Seyn der Izeds und
der Amschaschpands, und das Nichtseyn (löiti) des Ahriman
uud der Teufel, die Auferstehung und den künftigen Körper ;
und die Strafe der Gottlosen.
Nun wurde Wiräf zu den Hamestagän geführt, d. h.
denjenigen, deren gute und schlechte Thaten gleich sind^^);
sie reichen aus zum Himmel , wie zur Hölle ; desswegen
kommen sie nicht von der Stelle und müssen bleiben, wo
sie sind. Ihre einzige Strafe ist, dass sie im Andarväi^^)
seyn und Hitze und Kälte leiden müssen. Eine andere Strafe
trifft sie nicht.
Wiräf erzählt nun weiter: Ich machte nun den ersten
Schritt in Immat (dem guten Gedanken) und befand mich
iüi Satar - päyah d. i. der Sternensphäre. Die Seelen die
sich hier befinden, glänzen wie die Sterne; sie sitzen auf
Thronen, die hoch sind uud voll Glanz. Auf meine Frage,
welche Seelen hier seien , gab mir Serosch zur Antwort :
Hier sind die Seelen derer, die in der Welt kein Jescht
13) Das Wort bezeichnet eigentlich diejenigen, die sich stets im
gleichen Zustande befinden.
14) Zwischenraum zwischen Himmel und Hölle.
342 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Mars 1870.
machten, die Gäthas nicht sangen, und die EJietvödat (Ge-
schwisterehe ^^) nicht vollzogen, d. h. die keine Zoroastrier
waren, sie sind keine Herrscher, aber rein durch andere
Thaten. — Der zweite Schritt in hukht (dem guten Worte)
brachte mich in den Mdh-päyah d. i. die Mondsphäre. Hier
sah ich grosse und starke Seelen. Es sind solche, die eben-
falls kein Jescht gemacht, die Gäthas nicht recitirt, und
Khetvödat nicht gemacht, sonst aber gute Werke vollbracht
hatten. Sie glänzen wie der Mond. Beim dritten Schritt
in huvarsM (dem guten Werke) gelangte ich nach Qorshid-
pdyah d. i. die Sonnensphäre. Die Seelen sitzen auf Thronen
mit goldenen Teppichen glänzend wie die Sonne; es sind
die, welche in der Welt gut regiert und geherrscht hatten.
Mit dem vierten Schritt befand ich mich im Garotman^^),
(garö-demäna im Awesta), wo lauter Glanz ist. Hier wurde
ich gefragt: 'wie bist du von der vergänglichen Welt in die
unvergängliche gekommen? Geniesse Hirn mels wein ^'^), denn
auf lange Zeit sollt ihr hier Vergnügen haben'.
15) Diese gilt für die heiligste unter den Parsis.
16) Diess ist das eigentliche Paradies, die Wohnung des Ormuzd,
und der himmlischen Geister, sowie der frommen Anhänger der
zoroastrischen Religion. Es heisst eigentlich 'die Wohnung des Ge-
sangs*, weil darin von den himmlischen Geistern die Gäthas, die
heiligsten Verse des Awesta, gesungen werden.
17) Im Original steht Jwsh. Diess ist von Destur Hoschengdschi
in einer Note und in seinem mir handschriftlich zu Gebote
stehenden Glossar als 'Himmelswein' erklärt. Der bei den Pärsen
jetzt dafür gebräuchliche Ausdruck ist minö-röghan d. i. Himmelsöl.
Es ist schon im Hadokht No sk (Yasht fragment 22, 18 in Wester-
g2i?irdi^ Zend-Avesta) und VistäspNosk (8,64 Westergaard's) unter
dem Namen Zaremaya raoghna, d. i. goldenes (goldgelbes) Oel er-
wähnt. Nach dem Glauben der Parsis reicht der Engel B ahm an den
Seelen der frommen Zoroastrier diesen Trank am vierten Tage nach
dem Tode vor dem Eintritt ins Paradies, damit sie für immer alles
Hang: Bas Ardai Viräf nämeh. 343
Hier im Paradies trifft Wiraf den Engel des Feuers
Orniuzd's. Dieser sagte ihm , dass die Mazdajasnier (die
Ormuzdverebrer) ihm nasses Holz gebrannt hätten, worauf
Wiräf antwortete, dass er das Feuer stets mit trockenem
und abgelagertem Holz (wie es Vorschrift ist) unterhalten
habe. Der Engel zeigte ihm aber einen ganzen Teich von
Wasser, der von nassem Holze abgelaufen war. Nun erhob
sich der Amschaschpand Babman von seinem goldenen Thron,
ergriff Wiräf bei der Hand und braclite ilin zu Ormuzd, den
Amschaschpands und den anderen Frommen , und zu dem
Frohar des Zertoscht Sapetman, des Kai Wischtäsp,
des Dschämäsp und anderer Träger und Häupter der Re-
hgion , als welche keine glänzenderen und bessern gesehen
worden sind.
Hier ist in allen Handschriften eine Lücke. In der
verloren gegangenen Stelle muss es geheissen haben . dass
Bahman den Wiräf weiter geführt und ihn vor den Thron
des Ormuzd gebracht habe. Denn der Text fährt also fort :
(ich erkannte) 'dass dieser Ormuzd sei'. Ich betete ihn an:
er grüsste mich (und sagte): 'Ardai Wiräf! Du bist recht
(zur rechten Zeit) von der vergänglichen Welt an diesen un-
vergänglichen Ort gekommen'. Hierauf befahl Ormuzd dem
Sero seh und dem Adar Ized. den beiden Begleitern des
Wiräf, ihm den Ort der Belohnung der Frommen und der
Bestrafung der Bösen zu zeigen. Darauf nahmen sie ihn
bei der Hand und führten ihn von Ort zu Ort. Er sah nun
den Frohar des Gajomart, des Zertoscht. des Kai Wisch-
Irdische vergesse und der himmlischen Ruhe sich freue. Unter dem
Namen maidyozaruni raogan ist dieser Himmelstrank auch imMino-
khirad (s. II, 152, in der bald erscheinenden Ausgabe von E. W.
West) erwähnt.
344 Sitzung der pMlos.-phüol. Clasae vom 5. März 1870.
täsp, des Fraschostar und Dschämäsp ^^) und anderer
die Gutes gethan und Häupter des Glaubens waren. Nun
kommt er zu den verschiedenen Abtheilungen des Paradieses,
in denen die einzelnen Tugenden besonders belohnt werden.
Zuerst sieht er die Seelen der Freigebigen (rädän) , die
einen sehr hohen Glanz haben. Nun sieht er die, welche
die Gäthas gesungen und Jescht gemacht , d. h, die
jedem Zoroastrier obliegenden Pflichten erfüllt hatten. Nun
kommen die Seeleu derer, welche die Geschwisterehe (Z.
qadtva - datha , Pehl. qetökdas) vollzogen hatten; sie sind in
grossem Glanz. Nun folgen die Seelen der guten Fürsten
und Herrscher, und die Seelen der Grossen, die 'richtig ge-
sprochen', d. h. gerechtes Urtheil gefällt hatten. Hierauf
folgen die Seelen der frommen Frauen, die ihren Männern
unbedingt gehorcht hatten ; sie sind in Gold und Silber ge-
kleidet und mit Edelsteinen geschmückt. Ausser den Pflichten
gegen ihre Ehemänner haben sie auch alle Gebote .der zo-
roastrischen Religion befolgt, nämlich das Wasser, das Feuer,
die Erde, den Baum, die Kuh, das Schaf und alles, was
gute Gaben gewährt, verehrt, und den Izeds (himmlischen
Geistern) Lobpreis dargebracht. Nun folgen die Seelen
derer, die Izeschne ^^) gemacht, und welche die Träger des
heiligen Wortes waren, d. h, die Priester. Nun kommen
die Seelen derer, die das ganze heilige Wort ^") zu recitiren
und den Izeds (himmlischen Geistern) Izeschne zu machen
18) Diese sind indess in dem Berichte schon einmal erwähnt
Seite 343,
19) Diess ist die Ceremonie der feierlichen Bereitung und des
Trinkens des Homasaftes unter Hersagung der Gebete, welche im
sogenannten Jasna (Izeschne) enthalten sind. Nur die Priester
dürfen diese Handlung vollziehen.
20) Im Original: hamäk diu 'den ganzen Glauben'. Darunter
werden alle Nosks des Zendawesta verstanden.
i
Hmig : Das Ardäi Vvräf nämeh. 345
befohlen hatten 2^); sie sitzen über den andern; ihre guten
Werke sind so hoch wie der Himmel. Nun folgen die Seeleu
der ArUshtäran d. i. Krieger; sie sind in königliche Ge-
wänder gekleidet und sitzen auf Thronen, die von Gold ge-
macht und mit Edelsteinen geschmückt sind. Hierauf kommen
die Seelen derer, die viele Kharfastars, d, i. schädhche
Geschöpfe (wie Frösche, Mäuse, Schlangen u. s. w.) getödtet
und den Glanz und die Reinheit des Wassers, Feuers, der
Bäume und der Erde vermehrt hatten. Nun folgen die
Seelen der Vustryösh d. i. der Ackerbauer. Sie sitzen auf
glänzenden Thronen zur Belohnung dafür, dass sie die un-
sichtbare Grundhige ^^) des Wassers, der Erde, der Bäume,
und der Schafe, mit denen sie in Berührung gekommen, ge-
segnet und gegrüsst, und Lob und Preis dargebracht hatten.
Nach ihnen kommen die Seelen der Hufol'hshän d. i. der
Ai'beiter, Handwerker, die ihren Heri'U und Gebietern in der
Welt Ehrerbietung erwiesen hatten ; dann folgen die Seelen
der Guten, welche in der Welt die vierfüssigen Thiere und
namentlich die Schafe besorgt , genährt und vor W^ölfen,
Dieben und ungerechten Menschen beschützt, und ihnen zu
rechter Zeit Wasser, Gras und sonstiges Futter gereicht, sie
gegen heftige Kälte und Hitze geschützt . die Begattung am
rechten Ort gestattet, und sie nach Vorschrilt verhindert
hatten (wenn sie unzeitgemäss war); die zur rechten Zeit
den Menschen viel Nutzen und Frucht, Speise und Kleider
21) Diess sind die sogenannten hävisht d. i. solche Laien, welche
die Priester zur Vollziehung von Ceremonien anstellen und bezahlen.
Sie entsprechen ganz den yajamunäs im brahmanischen Cultus.
22) So übersetze ich miTio (Z. maim/u), das jedem irdischen Ob-
ject vorgesetzt werden kann , und dann einfach sein geistiges un-
sichtbares Gegenbild, seine Idee, um platonisch zu reden, ausdrückt.
Nach den zoroastrischen Schriften existirt alles doppelt, auf der Erde
und im Himmel; die letztere Existenz bildet die Grundlage der erstem.
346 Sitzung der phüos.-philoh Classe vorn 5. März 1870.
gegeben; alle diese sind hier in grosser Freude. Wiraf sah
darauf viele goldene Throne mit schönen Polstern, auf welchen
die Seelen der frommen Hausherrn (Kat-Ttliodäcin) und
Richter sitzen , sowie die , welche viel für Bewässerung und
Fruchtbarmachung des Landes gethan, die den Wassern,
Bäumen und den Frohars der Reinen für ihre Stärke, Sieg-
haftigkeit u. s. w. Lob und Preis dargebracht. Endhch folgen
die Seelen der Glaubensstarken, der Lehrer und Wahrheits-
forscher ; dann die derjenigen, die für einen andern Fürbitte
eingelegt *^), und die der guten Freunde; sie leuchten wie
die Sterne, Mond und Sonne. Zuletzt sah Wiräf 'das erste
Leben' ^*) der Frommen , voll von Glanz und Majestät,
ohne Alter. 'Alles war wohlriechend, wunderbar; Sättigung
war nicht'.
Nachdem Wiräf das Paradies durchwandert hatte, wurde
or von seinen zwei Begleitern von da weg und nach der
Ilöllenregion geführt. Sie kamen an einen grossen starken
Strom voll Übeln Geruchs, in dem viele Seelen waren, aber
keine davon konnte ihn überschreiten ; sie sind in grosser Pein.
Auf Befragen, was das für ein Strom sei, erhielt er zur
Antwort: dieser Strom wird aus den Thränen gebildet, die
aus den Augen der über die Todten Wehklagenden laufen.
Serosch gab dem Wiräf den Auftrag, den Menschen zu
sagen : 'klaget nicht , denn dadurch kommt nur Ungemach
über die Verstorbenen'. Er kam nun wieder zur Tschinwat-
23) Im Original jatün-gohän, oder dädan-goMn, wie es auch ge-
lesen werden kann. Fürbitte für einen andern einzulegen , gilt bei
den Parsis für sehr verdienstlich.
24) Diess ist ein hypostasirter Begriff", der sich häufig im Zend-
awesta findet. Hier werden zwei Leben a/a< unterschieden, das erste
und das zweite, oder auch das geistige und irdische; s. mein
"Werk über die Gäthas II, pag. 254. Das erste Leben ist hier na-
türlich das geistige.
Hang: Das Arääi Vkaf nämeh. 347
Brücke zurück. Dort sah er die Seelen der Schlechten in
den drei Nächten nach dem Tode viel Ungemach leiden.
Seroseh belehrte ihn auf Befragen dahin: dort laufen die
Seelen der Darwands (Gottlosen); sie sitzen auf dem Haupte
(des Körpers , den sie verlassen) und sagen die Gätha her :
'in welches Land soll ich gehen? bei wem soll ich Schütz
suchen' ^^)? Ein kalter Wind kommt, wie vom Norden, der
Gegend der Dewas. In diesem Winde sieht die Seele ihren
Glauben und ihre Thaten in Gestalt eines nackten stinkenden
Weibes mit geöffnetem Munde, herabhängendem Knie und
herabhangenden Händen , mit endlosen weissen Flecken , so
dass Fleck an Flock sich reiht, wie bei dem verderblichsten
Kharfastar. Die Seele fragt: wer bist du als welchen ich
nie ein hässhcheres und unreineres Geschöpf in der Welt ge-
sehen habe? Das Ungeheuer antwortet : Ich bin deine schlechten
Werke; du hast Gott nicht verehrt, das Wasser, Feuer, die
Schafe, die Bäume und andere gute Geschöpfe nicht geschützt;
du hast die Werke Ahriman's gethan. W^enn jemand kam,
um ein Almosen zu erbitten, so hast du die Thüre verschlossen'
u. s. w.
Nun kommen die entsprechenden Abtheilungen der Hölle.
In der Beschreibung der einzelnen, sowie der verschiedenen
Strafen ist gar keine rechte Ordnung beobachtet, sondern
alles läuft bunt durcheinander. Die Hölle scheint in drei
Äbtheilungen zu zerfallen, die Vorhölle, die eigentliche Hölle
und die unterste oder tiefste Hölle.
Wiräf, geführt von seinen zwei Begleitern, macht den
ersten Schritt. Dieser bringt ihn in dushmat (schlecht ge-
dacht), der zweite in dtisMJcM (schlecht gesprochen), der
25) Diese Gätha ist Jas na 46, 1, verzeichnet und beginnt: Kam
nemOi zum J:uthrä nemo ayem. Ueber die Vorgänge mit der Seele
der Schlechten in den drei ersten Tagen nach dem Tode, s. den
Hadokht Nosk {Yasht fragment 22, 20).
348 Sitzung der phüos.-pMöl. Glosse vom 5. März 1870.
dritte in dushvarsJit (schlecht gehandelt) , beim vierten ist
er im Duschakh (oder DosaM) , der eigenthchen Hölle.
Serosch beschützte ihn mit der Hand, dass er weder von
Kälte und Hitze, noch von Trockenheit und übelm Geruch
zu leiden hatte. Den Eintritt in die Hölle beschreibt er
also: Ich sah das Thor 2^) der Hölle tief wie einen Brunnen,
an einem schreckhchen engen abschüssigen Orte , der so
dunkel war, dass Serosch mich an der Hand halten musste;
der Wind ist so übelriechend, dass jeder, in dessen Nähe
er kommt, zittert und niedersinkt ; es ist so eng, dass Niemand
stehen kann, dass, wer nur drei Tage und drei Nächte darin
ist, sagt: 'es sind neuntausend Jahre vorbeigegangen'! Ich
wurde nicht zerrissen von dem berggrossen Kharfastars, die
an jedem Orte sind; aber die Seele des Gottlosen zer-
reissen s\e.
Nun folgt die Beschreibung der für jede Sünde be-
stimmten Strafen. Dieselbe Sünde kommt öfter vor. Die
verschiedenen Sünder sind nicht in von einander gesonderten
Abtheilungen beisammen, wie bei Dante, sondern die ver-
schiedensten Verbrecher befinden sich untereinander. Vieles
ist indess hier als Sünde erklärt, und wird mit den schwersten
Strafen geahndet, was nur ein Vergehen gegen die Satzungen
des Zoroastrismus ist, und vom Standpunkte der Moral aus
betrachtet, für gar kein Vergehen gelten kann. Ich will im
Nachfolgenden einige der Verbrechen, und ihre Bestrafung
hervorheben ; sie alle aufzuzählen würde zu weit fahren und
ist für den Zweck dieser Abhandlung auch gar nicht geboten,
26) So habe ich arzur, Zd. arezura, übersetzt. Diess ist nämlich
die traditionelle Erklärung des Wortes, das sich schon Vena. 3, 7. findet.
Dem Zusammenhang nach kann es schwerlich etwas anderes als den
Eingang zur Hölle bedeuten. Ob man sich denselben ursprünglich
als ein Thor dachte, wie in Dante's Inferno, ist nicht klar.
Hang: Das Ärdäi Viräf nämeh. 349
da die 'Himmelfahrt des Jesaja* keine solche Hölle mit ent-
sprechenden Strafen kennt.
Das erste Verbrechen, dessen Bestrafung Wiräf sieht,
ist Päderastie. Der Sünder dieser Classe hat die Gestalt
einer Schlange, und Schlangen kommen aus seinem Munde
und dem übrigen Körper. Nun kommt eine Frau, die tassen-
weise Unrath verschlucken muss, weil sie während ihrer Men-
struation sich dem Wasser und Feuer genaht hatte, was bei
den Parsis auch jetzt noch streng verboten ist. Einem Mann,
der einen 'Frommen' ^^) ermordet hat, wird die Haut von
dem Kopfe geschunden ^^). Einem Mann , der Umgang mit
einer menstruirenden Frau hatte (ein dasMän-marn) wird
Menstruationsblut in den Mund gegossen; er kocht die eigenen
Kinder und isst sie. Ein Mann, der seine Mahlzeiten ohne
Tischgebet genommen hatte, wird damit gestraft, dass er
sich die Haare und den Bart ausrauft. Blut verschluckt, und
was erbrochen wird , wieder in seinen Mund nimmt. Eine
Frau, die Hurerei getrieben, wird damit gestraft, dass sie
mit der Brust abwärts hängt, und Khai'fastars sie zernagen.
Den Männern und Frauen , die barfuss gegangen sind , und
stehend den Urin gelassen hatten ^^), kriechen Kharfastars
aus den Füssen und der Mitte des Leibes hervor. Eine
ihrem Manne ungehorsame Frau wird mit ausgestreckter
Zunge aufgehängt. Ein Mann, der falsches Maass und Ge-
wicht hielt, und seine Waare beim \'erkauf verfälschte, muss
Staub und Erde essen, die ihm vorgemessen werden. Ein
Tyrann wird mit einer Schlangeupeitsche gezüchtigt. Ein
27) Einen asJiava. Diess ist der Name, den sich die Zoroastrier
im Gegensatz zu den Andersgläubigen beilegen, vrelche in den Gäthas
dregvardö, in den andern Schriften dnahto, inPärsi darvand heissen.
28) Diess ist eine Strafe, die auch im Zend-awesta erwähnt wird.
29) Diess ist streng verboten. Siehe meine Abhandlung: Der
18. Fagard des Wendidad, S. 11. 12.
(1870. 1. 3.J 23
350 Sitzung der pMos.-philöl. Classe vom 5. März 1870.
Geizhals, der viel Reichthum aufgehäuft, aber selbst nichts
gegessen und auch andern nichts gegeben hatte, wird von
eintausend Dews (Teufeln) geschlagen und sein Haupt zu den
Füssen herabgezwängt. Ein Aschmogh (d. h. ein Apostat von
der zoroastrischen Religion) hat das Haupt eines Menschen
und einen Schlangenleib. Ein Mann, der den Arbeitern ihren
Lohn nicht bezahlt hat, muss Menschenfleisch essen. Ein
Mann, der gelogen und nutzlose Dinge geredet hatte, wird
damit bestraft, dass ihm ein Berg über den Rücken gezogen
wird, so dass das Eis und der Schnee dieses Berges auf
seinem Rücken bleiben. Ein Mann, der öfter öffentliche Bäder
besucht hatte, in denen das Wasser verunreinigt war, muss
ünrath essen, und wird von den Teufeln mit Steinen ge-
schlagen. Ein Mann, der seinen Reichthum nicht auf ehr-
liche Weise, sondern durch Diebstahl und Unehrlichkeit er-
warb, hält Menschenschädel in der Hand und verzehrt das Hirn.
Diese und andere Sünden , wie Vertragsbruch , Ver-
leumdung, Sectirerei u. s. w. werden in der Hölle bestraft.
Nun kommt aber mitten in der Beschreibung dieser Strafen
die der untersten Hölle. Wiräf geht wieder unter die Brücke,
um in die unterste Hölle zu kommen. Er hört das Geschrei
des Ahriman , der Dews und der verdammten Seelen. Er
wird wieder von Serosch und Adar Ized geführt. Er
sagt: *ich fürchtete mich; Serosch und Adar gingen mir
voran ; nun sah ich die Hölle in ihrer ganzen Fürchterlich-
keit; das Geschrei war grässlich; ich bat Serosch und Adar
mich nicht an diesen Ort zu führen ; sie sagten , ich solle
mich nicht fürchten; sie gingen voran und ich folgte; ich
kam nnn ganz hinunter in die Tiefe der Hölle und sah sie
voll schrecklicher Dinge, und Jammer; sie ist ganz finster
und wie ein Brunnen, tiefer als eintausend Klafter, und wenn
alles Holz der Welt in der übelriechenden Finsterniss der
Hölle angezündet würde, so würde nie ein Wohlgoruch hinein
kommen. Es sind viele Seelen da , aber keine sieht die
Hang: Bas Aräai Virdf nämeh. 351
andere; auch wird die Stimme von niemand gehört; so denkt
jeder: ich bin allein'.
Nun folgen weitere Beschreibungen von Strafen für
verschiedene Sünden. Zuerst kommen die sogenannten
margersän d. i. die Todeswürdigen, welcher Ausdruck die
schwersten Sünder nach den Anschauungen der zoroastrischen
Religion in sich fasst. Es sind solche, die das Ate seh
Behram^°) ausgelöscht, Brücken zerstört, gelogen und Mein-
eide geschworen hatten. Sie haben Schnee, Eis, Kälte, Hitze,
brennendes Feuer, Steinwürfe u. s. w. zu erdulden. Die
Gottesveräcliter werden von Schlangen gebissen. Frauen,
die viel über Todte geweint, wird der Kopf abgeschnitten
und ihre Zunge schreit immer fort. Eine Frau die ihrem
Kinde nicht zu rechter Zeit Milch gegeben, kratzt sich Haut
und Fleisch ab und isst sie. Ein Mann, der mit verheirathe-
ten Frauen Unzucht trieb , wird in einem Kessel gekocht ;
sein rechter Fnss aber ist ausserhalb desselben; er hatte
zwar mit seinem ganzen Körper gesündigt, wofür er gesotten
wird, dagegen hatte er mit seinem rechten Fuss Schlangen,
Ameisen und andere Kharfastars geschlagen, getödtet und
vernichtet, wofür er belohnt wird. Eine coquette Frau, die
sich mehr um Putz als ihren Mann bekümmert und sich an-
deren Männern preisgegeben hatte, wird mit einem eisernen
Kamm auf der Brust gekämmt. Den Huren werden hölzerne
Pflöcke in beide Augen geschlagen, Scorpione, Schlangen,
Ameisen, Fliegen, Würmer und andere Kharfastars kommen
ilmen aus dem Munde, der Nase, After u. s. w. Einem
ungerechten Richter wird die Zunge ausgeschnitten, und der-
selbe an einem Fusse aufgehängt. Eine Frau, die ihrem
30) Diess ist das heiligste aller Feuer und wird nur durch
Sammlung und Weihung von 1001 verschiedenen Feuern erhalten.
Es repräsentirt die Quintessenz der Natur.
23*
352 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 5. Mars 1870.
Kinde nicht die gehörige Milch gab, sondern für Geld die
Kinder anderer Frauen säugte wird die Brust in einer Pfanne
gebraten, die immer von einer Seite zur andern gedreht
wird. Einem Manne, der Saatkörner genommen unter dem
Vorwande sie zu säen, sie aber nicht säete sondern ass,
und so die Spendermat d. i. die Erde beraubte, wird die
Zunge zerschnitten, er wird an den Haaren gezogen u. s. w.
Empörern und Aufruhrern gegen den König wird ein höl-
zerner Pflock durch die Zunge geschlagen; er hängt mit
dem Kopf abwärts und die Teufel zerreissen ihm den Körper
mit einem Kamme.
Es sind ausser den erwähnten noch Bestrafungen ver-
schiedener anderer Verbrechen genannt, die ich hier über-
gehe, da sich Beispiele genug von den Martern der Wiräf'schen
Hölle gegeben habe. Ganz unten im Höllengrunde sieht
Wiräf den Teufel, Ahriman. Er verhöhnt die Sünder und
ruft ihnen stets zu : Warum habt ihr das Brod des Ormuzd
gegessen, aber mein Werk gethan, an euren Schöpfer nicht
gedacht, sondern meine Wünsche ausgeführt?
W'iräf wird nun von Serosch und Adar wieder bei der
Hand genommen und zu dem asar rohsnik d. i. anfangs-
lose Lichter, und der Versammlung des Ormuzd und der
Amschaschpand zurückgeführt. Er verehrt Ormuzd; dieser
sagt zu ihm : 'Geh nun als Bote zu den Mazdajasniern (Or-
muzdverehrern) in die ii'dische Welt und sage ihuen genau
was du gesehen und erfahren hast; denn ich, der ich Ormuzd
bin, weiss alles, was ihr richtig und wahr sprechet. Sage
den Weisen, dass dir Ormuzd also gesagt hat! Ich blieb
ganz erstaunt, denn ich sah wohl ein Licht, aber einen
Körper sah ich nicht ; ich hörte eine Stimme ; ich wusste,
dass es Ormuzd ist. Dann sprach Ormuzd, der vollkom-
menste unter den himmlischen Geistern : sage, o Ardäi Wiräf,
der Welt der Mazdajasnier : es gibt nur einen Weg der Wahr-
Hang: Das Ärdäi Viräf nämeh. 353
heit, diess ist der Weg der 'Altgläubigen'^^); alle andern
Wege sind keine (rechten) Wege; diesen Weg haltet
für die Wahrheit; wendet euch auf keinen andern Weg;
seid gut in Gedanken, Worten und Thaten ; bleibet bei dem
Glauben, den Sapetuian Zertoscht von mir erhalten,
und Wischtäsp in der Welt eingeführt hat; haltet euch
an die Tugend, und enthaltet euch des Lasters. Und dieses
sollt ihr wissen, dass ihr Staub seid, dass der Ochse Staub
ist, und das Pferd Staub ist, und Gold und Silber Staub sind ;
dass nur der Körper derjenigen Menschen sich nicht mit
Staub vermischt, der in der Welt die Wahrheit bekannt und
gute Thaten vollbracht hat. Sei du selbst glücklich , Ardäi
Wiraf! Ich kenne alle eure Reinheit und Reinigungen, die
ihr vollzieht'! Als Wiräf diese Worte vernommen hatte, ver-
beugte er sich vor Ormuzd, dem Schöpfer ; hiernach verschwand
Serosch und Wiraf befand sich wieder auf seinem Sitze.
Mit den Worten : 'möge der Glanz der mazdajasnischen
Religion siegreich sein!' schliesst das Buch.
Vergleichen wir nun den Inhalt des Pope'schen ^rf?oi Viraf
mit dem Original, dessen Inhalt hier in ziemlicher Ausführlich-
keit mit keinen für die Hauptpunkte der Vergleichung irgendwie
wesentlichen Auslassungen angegeben ist, so stellt sich sofort ein
ziemlich bedeutender Unterschied heraus. Vor allem weichen
der Anfang und das Ende in beiden Büchern sehr bedeutend ab.
Nach der Pupe'schen Version beruft ArdeschirBäbegän ein Concil
von 400.000 Feuerpriestern, die in immer enger werdenden
Scrutinien stark reduzirt werden , bis schliesshch nur einer
übrig bleibt, der die Entscheidung zu geben hat. Das Ori-
ginal weiss nichts von Ardeschir Bäbegän und seiner Berufung
des Concils ; überhaupt ist nicht einmal ein König erwähnt.
31) So übersetzte ich paoiryo-dkaesha, bekanntlich ein Name der
Zoroastrier. Er bezeichnet dieselben im Gegensatze zu spätem Reli-
gionen, wie dem Buddhismus.
354 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 5. Mars 1870.
ebensowenig ist die Zahl der zum Concil versammelten
Priester und Gläubigen angegeben. Es ist nur gesagt, dass
zur Herstellung der Reinheit des zoroastrischen Glaubens ein
Concil in einen Feuertempel berufen worden sei ; dass auf
diesem der Beschluss gefasst worden sei, einen seiner
Priester in die andere Welt zu schicken, um eine neue Offen-
barung zu erhalten. Zu diesem unangenehmen Wagestück
wollte sich keiner freiwillig entschliessen; einer musste durch's
Loos bestimmt werden, und auch er unterzog sich nur
ungern der Reise in die überirdischen Regionen. Diese wird
durch den Genuss eines Narcotikums bewirkt.
Diess mahnt ganz an das Schauianenthum, und wir
begegnen hier einem Gebrauch bei den Zoroastriern, der
sicherlich nicht altarisch, aber auch nicht semitisch ist, und
der von den Turanieru entlehnt zu sein scheint. Alle diese
Vorgänge sind in der Pope'schen üebersetzung theils falsch,
theils verworren dargestellt, sodass man eigentlich gar nicht
weiss, um was es sich handelt.
Was nun die Visionen selbst anlangt, so finden sich im
Original keine sieben Himmel erwähnt, wie bei Pope, sondern
eigentlich nur vier, wie sie sich in allen traditionellen Schriften
finden, nämlich die Sternen-, Mond- und Sonnensphäre, und
das eigentliche Paradies, Gorotman genannt. Hamestän
oder Hamestegän (s. oben) das bei Pope als erster Himmel
gilt, ist gar keiner, da es den Zwischenzustand zwischen
Himmel und Hölle bezeichnet. Das asar roslmik d. h. das an-
fangslose Licht ist im Original als gar kein Himmel bezeichnet;
es scheint nur ein Theil des Gorotman zu sein. — Der Schluss
des Buches weicht im Original ebenfalls bedeutend von der Pope'-
schen üebersetzung ab. Das Original weiss nichts davon, dass der
König befohlen habe die Offenbarungen des Wiräf überall zu ver-
breiten, und dass Adarbat Mahrespand sie später durch
ein Wunder bekräftigt habe. Das Original setzt in der Ein-
leitung das Wunder Mahrespands vor die Zeit Wiräfs.
Hang : Das Arääi Viräf nämeh. 35 5
Im Ganzen genommen ist das Original viel einfacher;
dagegen enthält die Pope'sche Version viele rhetorische und
poetische Ausschmückungen, namentlich in der Beschreibung
des Paradieses, vfelche dem Originale fast ganz mangeln. Auch
finden sich nicht die langen Gespräche, die Wiräf mit seinen
Begleitern hat. Bei Pope sieht man überall deutlich moha-
medanisclien Einfluss. Daher kann sein Werk auch für gar
keine Wiedergabe des Originals gelten, und ist demnach völlig
bedeutungslos für die Frage nach der Herkunft des Buches.
Ehe ich zu der Himmelfahrt des Jesaja übergehe muss
ich noch einige Bemerkungen über das wahrscheinliche Alter
des Ardäi-Viräf-nämeh machen. Im Buche selbst finden
sich keine bestimmten Anhaltspunkte über die Zeit, in der
es verfasst wurde. Die einzige Notiz von einiger Bedeutung
ist die Erwähnung von Adarbat Mahrespan d in der
Einleitung. Er lebte nach der parsischen Tradition zur
Zeit Schapurs II, also im 4. nachchristlichen Jahrhundert.
Diese Tradition scheint richtig zu sein, da in einer Prokla-
mation des Königs Khosru Parwiz^^) zur Zeit Schäpür's
ein Adarbat lebte, der sich für bie Reinigung der zoro-
astrischen Religion die grössten Verdienste erwarb. Mahres-
pan d, nach der Sitte der parsischen Namengebung, der Name
seines Vaters, ist zwar nicht genannt, aber da er der be-
rühmteste Adarbat ist, und namentlich seine Verdienste
um die zoroastrische Religion stets hervorgehoben werden,
so kann über die Identität beider gar kein Zweifel herrschen.
Nun Adarbat Mahrespand ist in der Einleitung als ein Vor-
gänger Wiräf s genannt; letzterer hat also später gelebt.
Da in der bereits erwähnten Proclamation des Khosru
Parwiz die Nothwendigkeit hervorgehoben wird, dass man
die himmlischen Geister fragen müsse, um die Religion
32) Ich habe einen Theil davon im Anhang zu meinem Essay ort
the Pahlavi language mitgetheilt.
356 Sitzung der pMos.-pMlöl. Classe vom 5. März 1870.
wieder herzustellen, und diess der Hauptzweck von Ardäi
Wiräf s Sendung in die andere Welt ist, so hat die Annahme,
dass er unter Khosru Parwiz, also im sechsten nachchrist-
lichen Jahrkundert gelebt habe, einige Wahrscheinlichkeit
für sich. Auf alle Fälle stammt das Original aus vormoha-
medanischer Zeit.
Gehen wir nun zu der sogenannten Himmelfahrt des
Jesaja über , dem Apocryphon , das unter dem Namen
dvaßarixdv '^Höaiov öfter von den Kirchenvätern erwähnt
wird. Diese interessante Schrift war, wie es scheint, ur-
sprüuglich griechisch abgefasst ; sie ist aber im griechischen
Original nicht mehr ganz erhalten. Vollständig besitzen wir
sie nur, wie so manche andere wichtige apokryphische Schrift
(so z. B. das Buch Henoch , das Buch der Jubiläen) in
äthi epischer üebersetzuug. Diese wurde von Dr. Eichard
Laurence im Jahr 1819 zu Oxford mit einer wörtlich
lateiuibchen und einer freien englischen üebersetzuug nebst
werthvollen allgemeinen Bemerkungen über Alter und Her-
kunft des Buches herausgegeben,^^) Dieses Werk bildet
fast die einzige Quelle, aus der wir unsere Kenntuiss von
der Himmelfahrt des Jesaja zu schöpfen haben. Es besteht
aus elf Kapiteln, die in zwei gesonderte Theile zerfallen,
a) Kapp. 1 — 5, b) 6 — 11. Es ist augenscheinlich von einem
Judenchristen zur Zeit einer Christenverfolgung verfasst, da
man überall die Noth und das Elend, in dem die Christen
waren, herausmerkt. Laurence setzt seine Entstehung zwischen
die Jahre 68 und 69 a. Chr., kurz nach Nero's Tode. Seine
Annahme scheint richtig zu sein, da auf Nero ganz deutlich
angespielt ist. Denn im 4. Kapitel ist von einem gottlosen
33) 'Ergata 'Isäyeyäs nabiye. Ascensio Isaiae vatis opus-
culum pseudepigraplium , multis abhinc seculis, ut videtur, deper-
ditum, nunc autem apud Aethiopas compertum, et cum versione latina
aiiglicanaque public! juris factum a Ricardo Laurence LL. D.
etc. Oxonii 1819.
Hang: Das Ärdäi Viräf nameh. 357
Monarchen die Rede in dem sich der Satan, welcher hier
ßerial (eine Verderbung von Belial) heisst, verkörpert hat;
er ist der 'Mörder seiner Mutter'; seine Gewalt hat die
Dauer von drei Jahren, sieben Monaten und siebenund-
zwanzig Tagen; 332 werden noch bis zur Ankunft Christi
gezählt.
Der Verfasser will sich und seine Leidensgenosseu mit
der Erwartung der baldigen Ankunft Christi trösten, der die
Macht Berial's vernichten wird. Er knüpft an eine jüdische
Sage an, die schon im Talmud sich findet, dass der Prophet
Jesaja von Manasse zersägt worden sei; hier heisst es,
dass diess mit einer 'hölzernen Säge' geschehen sei, welcher
Umstand in den jüdischen Quellen, soweit sie bekannt sind,
nicht vorkommt.
Der Gedanke den Propheten zu ermorden , wurde dem
Könige Manasse von Berial, der in seinem Herzen wohate,
eingegeben; sein Rathgeber war Belkirah, eine Verkörperung
des Samael, was ebenfalls ein Name des Teufels ist. Der
Grund, dass der Teufel Manasse zu einer so bösen That
veranlasste , sei Jesaja's Prophezeiung von der Ankunft des
Sohnes Gottes im Fleische und der Zerstörung der Macht
Berials durch ihn gewesen. Nachdem im Allgemeinen die
Weissagungen Jesaja's über die beiden Erscheinungen Christi
und die Verfolgungen der Christen mitgetheilt sind (Kapp. 1 — 5)
kommt nun eine eingehende Beschreibung der Vision
(Kapp. 6—11).
Der visionäre Zustand tritt ein in Gegenwart des Königs
Hiskia, der Fürsten von Israel, der königlichen Beamten und
Räthe ; etwa dreissig Propheten und seine Söhne sind ebenfalls
anwesend. Eine Pforte öffnet sich ; die Stimme des heiligen Geistes
wird gehört (6, 6) ; alle Anwesenden fallen auf ihre Knie und ver-
ehren ihn. Die Augen des Propheten bleiben offen, sein Mund
schweigt ; er athmet, aber sieht die Männer nicht, die vor ihm
stehen. Ein Engel des siebenten Himmels war geschickt, um ihm
358 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 5. März 1870.
ein Gesicht zu zeigen. Jesaja theilt die Vision, die er hatte,
dem Hiskia, seinem Sohne Joscheb und einigen Propheten
mit; sie wurde aber geheim gehalten und nicht unter dem
Volke verbreitet.
Jesaja beschreibt die Glorie des Engels, der ihm als
Führer erschien als grösser, wie die aller andern Engel, die er
je gesehen. Der Engel ergriff ihn bei der Hand. Jesaja
fragte ihn dann, wer er sei, wie er heisse, und wohin er
ihn führen wolle. Der Engel sagte: wenn ich dich hinauf-
geführt, und das Gesicht dir gezeigt habe, so wirst du wissen,
wer ich bin und wesswegen ich geschickt wurde (7, 4). In
seiner Auffahrt in die himmhschen Regionen gelangte er
zuerst zum Firmament {mesnä = Hebr. J^''p'7). Hier sah
er Samael und seine Mächte. Da war blutiger Kampf und
Streit. Auf Jesaja's Frage, was das für ein Streit sei, ant-
wortete sein Führer, dass es seit Anfang der Welt so ge-
wesen, und nicht eher aufhören werde, bis Mer kommt, den
du sehen wirst', nämlich Christus. Hierauf Hess der Engel
den Propheten über das Firmament hinauf in den ersten
Himmel steigen. Hier sah er einen Thron und rechts und
links davon Engel. Die Engel auf der rechten Hand waren
viel glänzender als die auf der linken. Sie priesen alle
Gott mit lauter Stimme; aber die Stimme derer, die auf
der linken Seite standen, war nicht so schön, wie die der
auf der rechten Stehenden, noch ihr Glanz so stark.
Der Prophet wurde dann vom ersten in den zweiten
Himmel geführt; auch hier waren Engel zur Rechten und
Linken; der welcher auf dem Throne sass, war glänzender,
als alle andern. Jesaja wollte den, der auf dem Throne
sass, anbeten ; aber der ihn begleitende Engel wehrte ihm
diess zu thun. Von da wui'de er in den dritten, vierten und
fünften Himmel, von denen der folgende stets über dem vor-
hergehenden lag, geführt. In allen war ein Thron in der
Mitte, und ebenfalls Engel zur rechten und linken Seite des-
Haug: Das Arääi Viräf nämeh. 359
Beiben, nur war der Glanz jedes folgenden Himmels grösser
als der des vorhergehenden.
Vom fünften Himmel gelangte der Prophet in den
Aether {ayar) des sechsten Himmels und dann in den sechsten
Himmel selbst. Hier war grosser Glanz, und die Engel in
grosser Glorie; da war kein Thron und keine linke Seite;
alles war verknüpft mit dem siebenton Himmel. Der Engel,
der ihn begleitete, theilt ihm die Erscheinung Christi mit.
Die Engel lobten die Dreieinigkeit.
Der Prophet wurde nun in den siebenten Himmel,
welches der höchste von allen ist, geführt. Als er in dem
Aether desselben angekommen war, hörte er eine Stimme,
die ihm den Eintritt verwehren wollte. Da erklang aber
eine andere, die ihm den Eingang gestattete, weil 'sein
Gewand' dort sei, er also wie ein zukünftiger Bewohner des
Himmels zu betrachten sei. Sein Begleiter sagte ihm, dass
der, welcher ihm die Erlaubniss gegeben in den siebenten
Himmel zu steigen, der Herr Christus sei, der in der Welt
'Jesus* heissen werde. Hier war unermesslicher Lichtglanz
und viele Engel von Adam an, Abel, Henoch und andere
Heiligen, Sie sassen auf keinen Thronen , noch hatten sie
Kronen auf; sie hatten aber himmlische Kleidung. Auf die
Frage Jesaja's, warum die Engel zwar ihre Gewänder an-
hätten , aber nicht Kronen trügen , und auf keinen Thronen
Bässen, antwortete der Engel, dass sie die Kronen und Throne
noch nicht angewiesen erhalten hätten; diess würde erst
geschehen, wenn 'der Geliebte* Fleisch geworden.
Jetzt folgt die Weissagung von Christi Menschwerdung.
Er, der Sohn Gottes, werde Menschengestalt annehmen. Die
Menschen werden Hand an ihn legen, und ihn an einen
Baum aufhängen, die Menschen werden nicht wissen wer er
sei! Auch die Himmel wüssten es nicht. Nun folgt die
Prophezeiung von seiner Auferstehung, nach welcher er noch
545 Tage in der Welt sein werde; nach Verfluss derselben
360 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. März 1870. ■
werde er zum Himmel aufsteigen, gefolgt von vielen Heiligen.
Dann erst würden die Kronen und Throne ausgetheilt werden.
Hier im siebenten Himmel sei alles bekannt, was auf der
Erde geschehe. Nun wurden dem Propheten von einem sehr
glänzenden Engel Bücher gezeigt. Jesaja las sie; die Thaten
der Israeliten waren darin verzeichnet. Er sah dass dort
viele Gewänder, Kronen und Throne reservirt waren. Auf
seine Frage nach den Eigenthümern derselben erhielt er zur
Antwort , dass sie vielen in der Welt gehören , die ihren
Glauben von Christus empfangen würden. Unter den vielen
Engeln, die der Propliet hier sah, erblickte er einen, der
an Glorie alle andern übertraf, und vor dem sicli alle Engel
und Heiligen verbeugten , darunter Adam. Abel, Seth. Der
Engel sagte ihm, dass diess der Herr aller Glorie sei, die
er gesehen habe. Er sah darauf den Engel des heiligen
Geistes, den die Engel ebenfalls anbeteten. Darauf strahlte
ihm ein solcher Lichtglanz entgegen, dass er nicht mehr
sehen konnte; auch die Engel konnten nur mit grosser An-
strengung sehen. Der Herr und der Engel des heiligen
Geistes kamen zu Jesaja und sagten ihm : Siehe, Dir ist ge-
stattet, Gott zu sehen. Beide, Christus und der heilige Geist
beteten Gott an. Nun hörte Jesaja die Worte, die Gott
zu Christus sprach: 'Geh durch alle Himmel hinab, zum
Firmament, in die Hölle ; nimm die Gestalt aller derer an,
die in den fünf Himmeln sind, auch die der Engel des
Firmaments; sie sollen nicht wissen, dass du der Herr der
sieben Himmel bist; du sollst den sechsten Himmel ver-
grössern, und alle Fürstenthümer vernichten und herrschen;
mit Glanz sollst du aber aufsteigen'. Nun sah Jesaja, wie
Christus vom siebenten in den sechsten Himmel und schliesslich
auf die Erde herabstieg. Auch sah er die Jungfrau Maria, wie ji
sie dem Joseph angetraut wurde.
Nun kommt ein kurzer Abriss der Geschichte Christi
nach den Evangehen, alles in das Gewand einer Vision ge-
Saug: Das Ardäi Viräf nämeh. 361
kleidet. Jesaja sah sogar, wie Christus wieder in den Himmel
auffuhr und seineu Sitz zur Rechten Gottes einnahm.
Diess ist der wesentliche Inhalt des zweiten Theils der
'Himmelfahrt des Jesaja', der hier allein in Betracht kommt.
Ich habe namentlich diejenigen Punkte mit Ausführlichkeit
wiedergegeben , die bei einer Vcrgleichung mit dem Ardäi
Wiräf nämeh in Betracht kommen könnten. Wie jeder Leser
leicht sehen wird, dürfte es schwer sein, zwischen beiden
Werken irgend welche speziellen Berührungspunkte zu finden,
wie sie nothweudig vorhanden sein müssen , wenn man das
eine von dem andern ableiten will. Das Einzige, was beiden
gemeinsam ist, das ist der Umstand, dass beide, Jesaja und
Wiiäf, die himmlischen Regionen durchwanderten, deren Glanz
sich gradweise steigert. Nach der 'Himmelfahrt des Jesaja'
liegen die Himmel übereinander; man muss in sie hinauf-
steigen. Im Original des Wiräf nämeh ist nichts darüber
angegeben, ob die Himmel nebeneinander oder übereinander
hegen. Die Zahl der Himmel ist in beiden Werken ver-
schieden; die 'Himmelfahrt* hat sieben, das Original des
Wiräf dagegen nur vier. Die Pope'sche Version hat zwar
sieben, was von einer spätem in mohamedanischer Zeit er-
folgten Bearbeitung des Werks herrührt, in der sich spätere
Anschauungen geltend machten, die aber für die Herkunft
des Originals keine Beweiskraft haben können. Das Wiräf
nämeh weiss auch nichts von Herrschern über die einzelnen
Himmel, noch von Engeln, die auf der rechten und linken
Seite des Thrones stehen, was ein charakteristisches Merkmal
der Jesajanischen Himmel ist. Das Wiräfbuch hat eine
Höllenfahrt, während eine solche in der 'Himmelfahrt Je-
saja's' gar nicht vorkommt. Jesaja sieht nur am Firmament
die teuflischen Mächte mit einander kämpfen ; aber von einer
Bestrafung für die einzelnen auf der Erde begangenen Sünden
und Verbrechen, wie sie im Wiräfbuche enthalten ist, ist
nirgends etwas zu finden. Die religiösen Anschauungen in
362 Sitzung der philos.-philol. Glosse vom 5. März 1870.
beiden Büchern sind ganz verschieden ; das Wiräfbuch be-
wegt sich in zoroastrischeu Ideen, während die 'Himmelfahrt*
nur spezifisch cliristliche Anschauungen enthält. Hätte eine
Entlehnung des Wiräfbuches von der 'Himmelfahrt' statt-
gefunden, so müssten wir darin sicherlich einige Anspielungen
auf das Christenthum finden; es ist aber nirgends auch nur
die leiseste Spur vorhanden.
Wir dürfen es desswegen getrost als eine unumstössliche
Thatsache aussprechen, dass das Wiräfbuch ganz unaljhängig
von christlichen Einflüssen ist, uud dass Spiegel's gegen-
theilige Ansicht aller und jeder Begründung entbehrt, die
sich nur aus dem Umstände erklären lässt, dass er das
Original des Wiräfbuches nicht einmal gelesen hatte , und
auch der Lektüre der 'Himmelfahrt' nur geringe Aufmerk-
samkeit geschenkt zu haben scheint.
Ebensowenig hat das Buch eine nähere Verwandtschaft
mit andern Visionenbüchern des jüdischen uud christlichen
Alterthums, aus denen man es zwar noch nicht abgeleitet
hat, aber bei der grossen Oberflächlichkeit, mit welcher
derartige Fragen in der gegenwärtig so schreibseHgen
Zeit behandelt werden , leicht ableiten könnte. Ich nenne
hier die 'Geschichte von Rabbi Josua ben Lewi*
(^1^ ]D yi^in^ 'D"l nifyo ^*). Diess ist die Schilderung einer
Reise des Rabbi Josua ben Lewi (aus dem 3. Jahrb. n. Chr.)
durch Himmel und Hölle. Die Beschreibung des Paradieses
ist in mehreren Recensionen vorhanden , die Abweichungen
zeigen. Die vollständigere llecension begreift auch die Höllen-
fahrt in sich. Der Inhalt ist kurz folgender. Als Rabbi
Josua ben Lewi von dieser Erde in das Jenseits abberufen
werden sollte, gab Gott dem Engel des Todes den Auftrag,
34) Siehe A. Jellinek, B et- hamidrasch, II pag. XVIII— XXI,
(Einleitung), und 48 — 53 (hebräischer Text).
Hang: Bas Ardäi Viräf ndmeh. ,363
zu dem Rabbi zu gehen, und ihn nach seinen Wünschen zu
fragen. Der Rabbi verlangte von dem Engel , dass er ihm
noch ehe er sterbe, seinen künftigen Wohnort im 'Garten
Eden* zeigen solle. Der Engel willfahrte seinem Wunsche.
Da der Rabbi durch das Schwert, welches der Todesengel
trug, erschreckt wurdi-, so bat er, es ihm einstweilen zu
geben, was der Engel auch that. Als sie bei den Mauern
des Gartens von Eden angekommen waren , stellte er ihn
auf die Mauer und sagte zu ihm : sieh deinen Ort im Garten
Eden. Der Rabbi fiel von der Mauer in den Garten. Der
Engel des Todes fasste ihn an einem Flügel seines Gewandes,
und sagte ihm, er solle weggehen. Aber der Rabbi weigerte
sich dieser Aufforderung zu gehorchen und bekräftigte diese
Weigerung mit einem Schwüre. Die diensttliuenden Engel
zeigten dieses unberufene Eindringen des Rabbi Gott an, der
ihm wegen seines Schwures zu bleiben erlaubte. Der Engel
des Todes verlangte sein Schwert zurück, das ihm der Rabbi
unter gewissen Bedingungen zurückgab. Der Rabbi wird
endlich von einem andern Rabbi, Gamaliel, dem der Todes-
engel seine Begegnisse mit Josua ben Lewi gemeldet hatte,
ausgeschickt, um nachzuforschen, ob im Garten Eden auch
Heiden, und in Gehinnom auch Israeliten seien. Nun durch-
wanderte der Rabbi Himmel und Hölle. Er durchsuchte
die sieben Häuser des Gartens Eden, die dann mit ihren
Insassen beschrieben sind. Im ersten Hause waren die
Fremdlinge ( Cl^) , die unter den Israeliten als Gäste und
Beisassen gewohnt hatten. — Das zweite Haus war von
Silber, und die Wunde von Cedernholz; hier waren die-
jenigen Israeliten , die sich gebessert und ihre Sünden be-
reut hatten (riDlUTl ^bv^)] auch Manasse war darunter. —
Im dritten Hause, das von Silber und Gold gebaut war,
waren Abraham , Isaak und Jakob und alle Israeliten , die
aus Aegypten gezogen und die, welche in der Wüste auf-
gewachsen waren, sowie alle Prinzen ausser Absalom ; femer
364 Sitzung der philos.'philol. Classe vom 5. März 1870.
waren da: David, Salomo, die Könige Juda's, ausser Manasse;
ferner Moses und Aharon. Auch waren dort verschiedene
goldene und silberne Gefässe, Spezereien, Edelsteine, Stäbe,
Throne, Leuchter u. s. w. — Im vierten Hause waren die
vollendeten Gerechten und Treuen, — Im fünften Hause,
das auf das kostbarste ausgestattet ist (mit Stoffen, wie sie
in der Stiftshütte waren) , wo die Purpurdecken von Eva's
Hand und die Ziegenfelldecken von den Händen der Engel
zubereitet sind, wohnte der Messias; er ruhte auf einein
Bette, dessen Stangen von Cedernholz waren. Bei ihm ist
Zerubabel. Mose, Aharon, David, Salomo u. s. w. besuchen
ihn an mehreren Tagen in der Woche, und sprechen von
dem nahen Ende. Der Rabbi Josua näherte sich ihm eben-
falls. Der Messias fragte ihn: was niachen die Israeliten in
der Welt, aus der du gekommen bist? Er gab ihm zur
Antwort: sie erwarten dich jeden Tag; da fing der Messias
zu weinen an. — Im sechsten Hause wohnen die, welcije
wegen des Gesetzes gestorben sind (also die Märtyrer). —
Im siebenten Hause sind die, welche an Krankheiten in
Folge der Bedrückungen der Israeliten gestorben sind.
Nun folgt eine kurze Höllenfahrt. Hier sind ebenfalls
verschiedene Häuser, in denen die Verdammten wohnen.
Sie werden mit Feuer gebrannt. Unter ihnen ist Absalom,
der rebellische Sohn Davids.
Jeder Leser sieht leicht, dass der Inhalt auch dieses
Buchs so verschieden von dem des Wiräf nämeh ist, dass
an eine etwaige Herleitung des letzteren von dem erstem
nicht im entferntesten gedacht werden kann. Ebensowenig
lässt sich eine nähere Verwandtschalt mit der 'Himmel- und
Höllenfahrt des Moses' '^) und der ganz späten 'Apokalypse
des Esra' ^^) nachweisen. Dagegen finden sich einige un-
zweifelhafte Berührungspunkte mit Dante's Divina Commedia,
die indess nur zufällig sind, da nicht anzunehmen ist, dass
Dante das Wiräf nämeh gekannt hat.
35) S. Jellinek a. a. 0., IL, pag. XIX — XX.
36) Äpocalypses apocryphae ed. Tischendorf, S. 24— 33.
Sitzung der phüos.-phüol Classe vom 5. März 1870. 365
Herr Hofiuann legt vor:
a) ein von ihm aus einer Handschrift des hiesigen Reichs-
archivs abgeschriebenes althochdeutsches Bruchstück
des Notker Teutonicus de octo tonis, aus dem
sich wesentliche Verbesserungen des Abdrucks bei
Hattemer ergeben ;
b) eine Abschrift des Spruchgedichts von Hans
Schneider über den im Jahre 1478 hingerichteten
Bürgermeister Ulrich Schwarz von Augsburg aus
dem Cod. germanicus 379 der hiesigen Staats-
bibliothek.
Beide Abhandlungen erscheinen sjDäter.
Historische Classe.
Sitzung vom 5. März 1370.
Herr Cornelius hielt einen Vortrag (als Ergänzung
zu einer früheren Abhandlung)
,,üeber den Plan Heinrich's IV. gegen das Haus
Habsburg, insbesondere über die Ergebnisse
der diplomatischen Verhandlungen, welche
Heinrich zum Zweck seines Angriffs auf
Spanien geführt hat 1609 — 1610."
Herr v. Hefner-Alteneck theilte einen künstlerisch
ausgestatteten Panegyrikus des Palonius Marcellus auf
Kaiser Max I. als Retter Italiens mit.
[1870. 1. 3.] 24
366 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1870.
Oeffentlicbe Sitzung der k. Akademie der Wissen-
schaften
zur Erinnerung des 111. Stiftungstages
am 28. März 1870.
Nach den einleitenden Worten des Vorstandes, Herrn
Geheimen Raths Baron von Liebig, widmeten die Herren
Classensekretiire den im letzten Jahre , beziehungsweise (in
der I. und HI. Classe), auch den im Jahre 1868 verstorbenen
Mitgliedern folgende Denkreden :
a) Der Sekretär der philos.-philoi. Classe Herr Karl
Halm:
Gnstav Friedrich Waagen
wurde zu Hamburg am 11. Februar 1794 geboren, wo sein
Vater, ein Alaler, sich als Zeichnenlehrer niedergelassen hatte.
Da sich dieser später nach Schlesien zurückzog, erhielt der
junge Waagen seine Schulbildung auf dem Gymnasium zu
Hirschfeld und hatte eben seine üniversitätsstudien zu Breslau
begonnen, als er durch die Theilnahme an den Befreiungs-
kriegen in den Jahren 1813 und 14 dieser friedlichen Be-
schäftigung auf längere Zeit entzogen wurde. Der Aufenthalt
nälm: Nekrolog auf Gustav Friedrich Waagen. 367
in Paris , wo die aus aller Herren Länder zusammenge-
schleppten Kunstschätze noch vereinigt waren . wurde für
Waagens künftigen Lebensgaug von bestimmendem Einflüsse;
denn er reifte in ilim den Entschluss, das Studium der Kunst
und ihrer Geschichte zur Hauptaufgabe seines Lebens zu
machen. Schon in früher Jugend im väterlichen Hause
fleissig im Zeichnen geübt und in Kunstbetrachtung einge-
weiht, hatte er bereits als Jüngling sich so tüchtige Kuust-
kenntnisse erworben, dass er seinen Kriegskameraden in dem
Musee Napoleon als kundiger Führer dienen konnte, Nacli
dem Feldzuge nach Breslau zurückgekehrt betrieb er bis
1818 allgemeine Studien, besonders historische und philo-
logische, und brachte hierauf mehrere Jahre im südlichen
und westlichen Deutschland zu. hauptsächlich mit eingehenden
Studien über die altdeutsche Mal-^rei beschäftigt. Als Schrift-
steller machte er sich zuerst durch eine Abhandlung über
die Mumien in den Sammlungen d^r hiesigen Akademie
(1822) bekannt, welche Arbeit ihm die Ernennung zum
correspondierenden Mitglied der Akademie einbrachte. Zwei
Jahre darauf folgte sein schönes Buch über Hubert und
Jan von Ejck (Breslau 1822), das ganz neue Gesichtspunkte
für das Verständniss der altdeutschen Kunst und in Be-
handlung eines kunstgeschichtlichen Stoffes eröffnete. Trotz
vielfacher Mängel, die Waagen selbst später am besten er-
kannte, erregte das Werk grosses Aufsehen und hatte füi
den Verfasser auch den erfreulichen Erfolg, dass es ihm
eine sichere Lebensstellung anbahnte. Er erhielt ein Jahr
nach seinem Erscheinen einen Ruf nach Berlin, um bei der
Einrichtung des neuen Museums verwendet zu werden ;
schon im Jahre 1830 wurde er zum Director der Eildcr-
gallerie des neuen Museums, später (1844) auch zum Pro-
fessor an der Universität für Kunstgeschichte ernannt.
Neben der amtlichen Thätigkeit wurden die kunst-
geschichtlichen Studien rastlos fortgesetzt und zu diesem
24*
368 OeffenÜiche Sitzung vom 28. März 1870.
Behufe, nachdem Waagen schon früher eine Kunstreise durch
Italien mit Schinkel gemacht hatte, Deutschland, Frankreich,
die Niederlande und besonders England nach allen Richt-
ungen durchreist und die Ergebnisse der reichen Anschau-
ungen in einer Reihe von Werken veröffentlicht, von denen
wir nur das an neuen Aufschlüssen reichhaltigste ,,The Trea-
sures of Art in Great-Britain" (London 1B54 — 57 in 4 B.)
und das Handbuch der deutschen und niederländischen Maler-
schulen (Stuttg. 1862) hervorheben. Im J. 1861 begab sich
Waagen auf Einladung des Kaisers von Russland nach St, Peters-
burg, um bei der Einrichtung der Gallerie der Eremitage mit
seiner reichen Erfahrung mitzuwirken ; eine zweite Reise
dahin vollendete die Beschreibung der kostbaren Sammlung.
So fehlte wenig, dass Waagen nicht alle Kunstsammlungen
von Europa kennen gelernt und durchforscht hatte. Eine
Lücke wurde noch im Herbst des Jahres 1866 durch eine
Kunstreise durch Spanien ausgefüllt; das letzte Ziel jedoch,
auch die Gallerien von Kopenhagen und Stockholm noch kennen
zu lernen, blieb unerreicht. Der rastlose Kunstforscher starb
so eigentUch auf dem Schlachtfelde. Er war kaum in Kopen-
hagen angelangt, als er in Folge einer Erkältung erkrankte
und nach wenigen Tagen am 15. Juli 1868 verschied.
Als Kunstschriftsteller gilt Waagen anerkanntermassen
als einer der ersten Begründer der neuen, auf kritischer
Grundlage sich bildenden Kunstwissenschaft und hat in mehr-
facher lieziehung bedeutenderes als irgend einer seiner Vor-
gänger geleistet. Nur wenigen Kunstkennern und Forschern
ist es vergönnt gewesen eine so grosse Anzahl von Samm-
lungen zu schauen und zu studieren ; aber keiner hat es unter-
nommen, so zahlreiche Reiseberichte und wissenschaftliche
Beschreibungen von Sammlungen zu veröffentlichen. Durch
diese höchst erspriessliche Thätigkeit hat Waagen die all-
gemeine Kenntniss der überlieferten Kunstschätze ganz un-
gemein erweitert und dem gelehrten Kenner das reichste
Hofmann: Nekrolog auf Franz Pfeiffer. 369
Material für kunstgeschichtliclie Forscliungeu unterbreitet.
Er war auch der erste in Deutschland , der nach eigener
Anschauung die kleineren Meister, insbesondere die hollän-
dischen studiert und ihre Charaktere ncäher bestimmt hat.
Dazu war die Untersuchung ihrer hinterlassenen, aber an
den verschiedensten Orten zerstreuten Werke wesentliche
Bedingung. Das hat Waagen zu einer Zeit, wo bei uns die
neuere Kunst nach ihren Denkmälern noch wenig erforscht
wurde, erkannt und unablässig geübt. Da er ferner durch
die in so ausgedehnter Weise geübte Autopsie sich das
feinste Gefühl für die Erkentniss der einzelnen Stile er-
warb, hatte er, unterstützt von einem sehr treuen Gedächtniss,
sich in die Eigenthümlichkeiten von Kunstepochen, Schulen
und einzelnen Künstlern so hineiiigelebt, dass er als Kunst-
kritiker zu einer der ersten Auctoritäten wurde. Sein scharfes
und sicheres Urtheil führte in der Nomenclatur so mancher
Gallerie eine förmliche Revolution herbei, wobei nicht wenige
Scheingrössen ihr Leben einbüssten, und wenn er auch bei
eigenen Bestimmungen manchmal fehlgiifif, so gebührt ihm
doch das unbestrittene Verdienst, für viele bedeutende Gemälde
die Zeit ihrer Entstehung und die Namen ihrer Künstler
richtig ermittelt zu haben.
Franz Pfeiffer,*)
am 27, Februar 1815 zu Bettlach bei Solothurn geboren,
besuchte dort die Primärschulen, Gymnasial- und Lycealclassen
und ging 1834 nach München, anfänglich um katholische Theo-
logie zu studiren , welches Fach er jedoch bald mit der
*) Die Lebensskizze von Fr. PfeiiTer und von Aug. Schleicher
hat Hr. Akademiker Conrad Hofmann geliefert.
370 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1870.
Medicin vertauschte. Innere Neigung und die Aermlichkeit
seiner Verhältnisse führten ihn dagegen zu poetischen Ver-
suchen und so wurde er Belletrist und Feuilletonist. Neben
seinen medicinischen Studien , die er fleissig , aber ohne In-
nern Beruf betrieb , hörte er altdeutsche Vorlesungen bei
Massmann . womit er die schon in Solothurn begonnenen
Studien fortsetzte , und bald zu dem Entschlüsse kam , sich
ausschliesslich der Germanistik zu widmen. Eine projectirte
und später auch zum Theil erschienene Sammlung mittel-
hochdeutscher Gedichte (hei Göschen in Leipzig) gab ihm
Gelegenheit, eine Reihe der bedeutendsten Bibliotheken zu
besuchen und dabei die umfassende Handschriftenkenntuiss
zu erwerben , die die Grundlage seiner späteren gelehrten
Thätigkeit wurde. Das Unternehmen führte ihn 1842 nach
Stuttgart, wo er sich bis 1846 ausschliesslich demselben
widmete, in welchem Jahre er endlich als ünterbibliothekar
und Gyujnasialprofessor eine feste Stelle erhielt, in der er
bis zu seiner Berufung nach Wien als ordentl. Professor an
Hahn's Stelle verbheb und den grössten Theil derjenigen
Arbeiten theils publicirte , theils vorbereitete , die seinen
Hauptantheil an der Förderung der mittelhochdeutschen Phi-
lologie enthalten. Dort gründete er auch im Vereine mit
einer Anzahl Gleichgesinnter eine neue Zeitschrift für deut-
sche Alterthumskunde, die Germania, in welcher die seit
1854 entstandene Opposition gegen Lachmann und seine
Schule ihre hauptsächlichste Vertretung fand. Seine eilf-
jährige akademische Wirksamkeit in Wien, die am 29. Mai
1868 ein allzufrüher Tod unerwartet beendete, ist durch
eine Reihe von Schriften bezeichnet, deren Gemeinsames
darin liegt, dass sie sämmtlich der Lachmann'schen Schule
gegenüber theils direct poleuiisch , theils abweichend in
Gegenstand, Zweck, Methode und Umfang sich herausstellen.
Diesen beiden Perioden seiner Thätigkeit sind die folgenden
Betrachtungen gewidmet.
Hofmann: Nekrolog auf Franz Pfeiffer. 371
Der Grundcharakter von Pfeiffer's gelehrter Thätigkeit
hatte sich schon in München entscliieden, kam in den näch-
sten Stuttgarter Jahren zur vollen Entwicklung und ist in
der Hauptsache immer derselbe geblieben. Aus diesem
Grundcharakter erklären sich Stärke wie Schwäche seiner
Leistungen. Einen weitausgedehnten Kreis des Wissens zu
beherrschen, das versagten ihm stine Vorstudien, denn er
war ohne irgend nennenswerthe klassisch-philologische Schulung
zur Germanistik gekommen , und seine eigene Neigung und
Anlage wiesen ihn auch sofort auf das Mittelhochdeutsche
mit seinen ausserordentlich reichen, mannigfaltigen und dti-
mals noch zum grossen Theil unedirten oder wenigstens
ungenügend edirten Denkmälern als auf seine Lebensauf-
gabe hin. Solche überwiegende Ausbildung in einer Spe-
cialität bringt die bedeutendsten Resultate hervor, hat aber
freilich den Nachtheil zum Begleiter, dass die vollkommene
Einlebung und M-.isterschaft in dem einen Fache durch
Verzicht auf harmonische Ausbildung erkauft werden muss.
zu welcher Autodidakten ohnehin nur bei ganz ausser-
gewöhnlicher Geisteskraft uiid Ausd^.uer gelangen können.
Pfeiffer war eigentlich Autodidakt und musste es gowisser-
massen auch sein , wenn er die noch unangebauten Gebiete
des Mittelhochdeutschen bis zu dem Grade bewältigen sollte,
wie er es in verhältnissmässig kurzer Zeit und jungen Jahren
gethan hat. Weitaus das Meiste und Wichtigste holte er
aus neuen oder neuverglichenen Handschriften.
Diese einzige und Ijis jetzt im engeren deutschen Ge-
biete des 12 — 15. Jahrhunderts unübertroffene Haadschriften-
kenntniss ist die eigentliche Basis seiner späteren wissen-
schaftlichen Bedeutung geworden , ihr verdanken jene Ent-
deckungen und Werke ihre Entstehung , welche nach
menschlicher Voraussicht ihn überleben und seinen Namen
auf dio Nachwelt bringen werden. Es ist hiei- nicht der
Ort. auf seine zahlreichen Publicationen uneJirter und Bear-
372 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1870.
beitungen edirter Werke des näheren einzugehen. In den
schweren und bis zur höchsten Leidenschaftlichkeit und
Rücksichtslosigkeit verbitterten Kämpfen seiner zweiten , der
Wiener Periode (von 1857 bis zu seinem Tode) sind zwei
Verdienste auch bei allen seinen Gegnern ihm immer un-
geschmälert verblieben. 1. Die Entdeckung (mit W. Grimm)
und die Begründung der mitteldeutschen Sprache, der Mutter
des Neuhochdeutschen , welche eine breite Zone von Osten
nach Westen zwischen oberdeutscher und niederdeutscher
Zunge schon im Beginn der mittelhochdeutschen Literatur-
epoche eingenommen und dann durch Jahrhunderte hiedurch
neben der vorherrschenden oberdeutschen (schwäbisch-baier-
ischen) Sprache und Literatur zwar die zweite, aber immer-
hin eine höchst bedeutende Rolle gespielt hat, bis sich end-
lich seit der Zeit der Reformation, die im Herzen des mittel-
deutschen Sprachgebiets ihren Ursprung genommen, aus ihr
die heutige Schrift- und Nationalsprache, das Germanicum
illustre, um mit Dante zu sprechen, zu dem Range einer
Weltsprache erhoben hat. Vor Pfeiffer und W. Grimm
hatte man das Mitteldeutsche dem Mittelhochdeutschen sub-
sumirt, welches jetzt als eigentliches Oberdeutsch von ihm
getrennt nur noch in den südlichen Volksniundarten fortlebt,
deren gewaltiges Gebiet sich über ganz Süd-Deutschland,
Deutschösterreich, die deutsche Schweiz und das deutsche
Frankreich erstreckt, wo es leider durch die frühere und
spätere (noch andauernde) politische Schwäche der süddeut-
schen Staaten in Oesterreich und Frankreich beständig an
Boden verliert, während es sich in der freien Schweiz seit
einem halben Jahrtausend nicht nur festhält, sondern lang-
sam vorschreitet. Die spätere Entwickelung hat gezeigt,
dass die Trennung des mitteldeutschen vom mittelhochdeut-
schen oder wie gesagt , richtiger oberdeutschen , trotz dem
Widerspruche , den der Gründer der germanischen Sprach-
wissenschaft, J. Grimm, bis zu Ende dagegen aufrecht erhielt,
Eofmann: Nekrolog auf Franz Pfeiffer. 873
für die Grammatik eine Nothwendigkeit ist, (nicht in gleichem
Grade für das Lexikon, und am wenigsten für die Literatur-
geschichte) ; und in diesem Sinne ist Pfeiffer's Name auf
immer unzertrennbar an diese grosse Entdeckung geknüpft.
Auch für das Niederrheinische hatte er schöne und frucht-
bare Arbeiten angefangen , die aber . wie so vieles , durch
seinen vorzeitigen Tod unausgeführt geblieben sind, wie denn
überhaupt das für die Scheidung und Unterscheidung der
älteren deutschen Mundarten von ihm theils Geleistete, theils
(allerdings nicht immer richtig) Angestrebte das Charakteri-
stische seiner grammatischen Thätigkeit ausmacht.
2. Gehen wir vom Formalen der deutschen Alterthums-
wissenschaft zu ihrer realen Seite über, so bietet sich uns
die Thatsaclie. dass Pfeiffer, wie dort ein neues Sprach- so
hier ein neues Literaturgebiet erschlossen hat, die geistliche
Prosa des 13. und 14. Jahrhunderts.- die auf der einen Seite
im grössten Volksredner des Mittelalters, Bruder Berthold von
Regensburg, auf der andern im grössten speculativen My-
stiker, Meister Eckhart, ihre Gipfelpunkte erreicht hat. Leider
sind seine lange und wohl vorbereiteten Ausgaben nur je bis
zum ersten Theile, der die Hauptmasse der Texte enthält, ge-
diehen, und eine schwere, kaum jemals auszufüllende Lücke
am Reste der Texte, kritischen Apparate, Einleitungen, Sach-
erklärungen und Glossar geblieben. Nur ein immerhin
wichtiges, aber mit BertLold und Eckhart weder an Schwierig-
keit noch an Bedeutung vergleichbares Werk, das Buch der
Natur von Konrad von Megenberg. war ihm vollständig
auszuführen vergönnt. Alle diese Werke sind in der Wiener
Periode erschienen , waren aber der Hauptsache nach in
Stuttgart vorgearbeitet und wurden an ihrer Vollendung gewiss
nur durch die neuen und aussergewöhnlichen Anstrengungen
gehindert, welche die Redaction der Germania und der
Wiener akademische Lehrstuhl erforderten. In Stuttgart
gebheben würde Pfeiffer seine minder glänzende, aber sichere
374 Oefentliche Sitzung vom 28. März 1870.
und friedliche, und wohl auch für die Wissenschaft und ihn
selbst glücklichere Laufbahn nicht so frühzeitig beschlossen
haben, wie in dem aufregenden und aufreibenden akade-
mischen Leben \Yiens und im literarischen, leider nur zu
bald persönlichen Kampfe gegen die Germanisten der Lach-
maun'schen Schule, dessen Ausbruch ins Jahr 1854 zurück-
geht, in welchem Holtzmann's Untersuchungen über das
Nibelungenlied erschienen, denen Pfeiffer als einer der ersten
beistimmte. Von diesem merkwürdigen Buche datirt das
erste grosse Schisma unter den Germanisten , dessen Ende
die gegenwärtige Generation schwerlich erleben wird. Die
lange und unbestrittene Herrschaft der Lachmann'schen
Schule hatte auf vielen drückend gelastet, von denen Holtz-
mann's kühner Angriff als Signal der Befreiung begrüsst
wurde. Solche Vorgänge sind nach aller Analogie natur-
gemäss und darum unvermeidlich. Die Germania war von
Anfang an das Organ der Dissidenten und der Beifall und
Zutritt von Männern, wie Jakob Grimm und Uhland, gab
dem Unternehmen entschiedene Bedeutung. Grimm lieferte
wenig ausser seinem Namen, aber Uhland blieb bis zum
Ende getreu , und wenn die Zeitschrift auch gar nichts von
Bedeutung angeregt hätte, als ühlands in jedem Sinne voll-
endete Forschungen , so wäre ihr damit schon ein grosses
Verdienst gesichert; denn Uhland theilt mit Rückert (und
nur mit ihm) das seltene Loos, ein grosser Dichter und ein
grosser Philolog zugleich , und mit Schmeller den Vorzug,
der objectivste aller Germanisten gewesen zu sein. Wie
viel bei Uhland der Philolog dem Dichter zu danken hat,
das zeigt sich in der wunderbaren Feinheit seiner ästhetischen
Bemerkungen, in welchem Punkte er sogar noch den mit
Recht berühmten V>'ilhelm Grimm übertrifft, der bei allem
Fühlsinu sich doch mehrmals , z. B. über Walther und
Vridanc , über Turpin und Rolandslied auf entschieden fal-
scher Färte findet, während Uhland dagegen schon im Beginne
Hofmann: Nekrolog auf Franz Ff eiff er. 375
seiner Studien in dem berühmten Aufsatze über das alt-
französische Epos einen Beweis seiner Sicherheit lieferte, mit
dem nur Leverrier's theoretische Entdeckung eines neuen
Planeten verglichen werden kann, indem er die Existenz des
altfranzösischen Rolandslieds voraus bestimmte.
Der Erfolg der Germania mit solchen und ähnlichen
Kräften war denn auch ein ganz entschiedener und nach
kurzer Zeit konnte Pfeiffer an Fachgenossen schreiben, die
Zeitschrift habe so viele Abonnenten , als nur überhaupt
möglich sei. Dagegen waren ihm die Mitarbeiter nicht zahl-
reich und eifrig genug, und bei seinem heftigen und unge-
duldigen Charakter ist es erklärlich, dass er mehrmals nahe
daran war, die ganze Unternehmung fallen zu lassen, während
ruhigere Gemüther mit einem solchen Erfolge höchlich zu-
frieden gewesen wären. Die Germania und in ihr ausser
Pfeiffer, der von Anfang an die Führerschaft der Opposition
übernommen hatte, besonders Karl Bartsch, eine literarische
Productionskraft ohne Gleichen, bekämpfte also die Lach-
mann'sche Schule, welcher damals, da Haupt's Zeitschrift
lange stockte, nicht einmal ein Organ zu Gebote stund,
besonders nachdem durch den spontanen üebergang Zarnckes
zur Codcx-C-Theorie das literarische Centralblatt, unbestritten
das verbreiteste und einflussreichste Organ Deutschlands,
dem Gegner dienstbar geworden war. Die Lachmannianer
antworteten mit grosser Schärfe , (worin sie ihi-en Meister
fast übertrafen ,) aber vereinzelt , in Vorreden , vom Kathe-
der, und in der Regel nicht mit der AusführHchkeit und
Unumw'undenheit, die bei öffentlichen Verhandlungen erforder-
lich ist, um vor der grossen Masse Recht zu behalten. Erst
viel später kam Haupt's Zeitschrift wieder in Gang und
wurde durch Zacher eine zweite, der Germania ähnliche, als
Organ der norddeutschen Schule gegründet, welche Bezeich-
nung man nur nicht streng geographisch fassen darf, denn
Bartsch, der Haupt Verfechter der neuen Schule und Redakteur
376 OeffentlicM Sitzung vom 28. Mars 1870.
der Germania lebt in Rostock, während Scherer der weitaus
bedeutendste unter der jüngeren Lachmannischen Schule,
heute in Wien auf Pfeiffers Lehrstuhl sitzt. Pfeiffer griff seine
Gfgner indess noch auf einem anderen Gebiete an. Die
Popularisirung der Meisterwerke mittelhochdeutscher Literatur
durch erklärende Handausgaben war eine Idee, deren Richtig-
keit sich sofort durch den ausserordentlichsten Erfolg be-
währte , den nur je ein solches Unternehmen gehabt hat.
Vielleicht hat gerade das, was in den Augen der Fachmänner
die Bibliothek mittelhochdeutscher Klassiker in Misskredit ge-
bracht hat, die Voraussetzung gänzlicher grammatischer Un-
bildung beim Leser, (wenigstens in den ersten Bänden , die
späteren sind massvoller gehalten.) ihren Erfolg bei der
Lesermasse begründet, die vor Allem verlangt, dass man
ihrer Unwissenheit und Eitelkeit wenigstens stillschweigend
schmeichle. Bekanntlich wird gegenwärtig derselbe Plan von
Zacher und seinen Mitarbeitern ausgeführt, freilich nicht mit
der Raschheit, die man von Pteiffer und in noch viel höherem
Grade von Bartsch erwarten konnte.
Bei so grossen, ja glänzenden äusseren Erfolgen hätte
nun Pfeiffer glücklich und zufrieden ein hohes Alter erreichen
können, wie denn ja auch bekannthch in Deutschland Professoren
und Generale die grösste Lebensdauer aufweisen. Aber es
war ihm kein so glückliches Loos beschieden. Seine Charakter-
anlage, wie die Natur seiner Wiener Thätigkeit trugen den
Keim eines Verfalles, der für die ferner stehenden unerwartet
rasch, für die schärfer blickenden nicht unvorbereitet kam.
Pfeiffer hatte, wie er mir einmal schrieb, ,,heisses Blut", in
der That viel zu heisses für einen Parteiführer, um diesen
parlamentarischen Ausdruck zu gebrauchen, der einen kalten
Kopf haben und viel vertragen muss. Anstatt seine Mit-
strebenden immer fester und dichter um sich zu schaaren,
stiess er sie durch Argwohn und Empfindlichkeit zurück,
was zur Folge hatte, dass er gegen das Ende seiner Lauf-
Hof mann: Nekrolog auf Franz Pfeiffer. S77
bahn anfieng vereinzelt zu stehen. Die schweren Lücken,
welche der Tod und selbstverschuldete Entfremdung in seinen
Reihen gerissen hatte, wurden nicht ausgefüllt und wären
schwerlich ausgefüllt worden. Das nagte an seinem Innern.
Aber auch in wissenschaftlicher Beziehung war er der theils
übernommenen theils aufgedrängten Führerscliaft nicht voll-
kommen gewachsen oder richtiger gesagt, er wuchs nicht in
seine Rolle hinein. Er wusste da, wo er zu Hause war,
mehr als die meisten , theilweise mehr als alle von uns ;
dafür war er, nach anderen Seiten hin zurückgeblieben, und
geradezu unzulänglich , wenn er sich da versuchte , wozu
noch kam, dass er zuletzt zu stolz oder zu misstrauisch wurde,
sich Rathes zu erholen, wo sein Vermögen nicht hinreichte.
Ich will nicht davon reden, dass ihm Sprachvergleichung auf
Grund des Sanskrit, ältere romanische Spruch- und Literatur-
kunde u. dgl. fremd waren , denn diesen Mangel theilt er
mit den meisten seiner und unserer Zeit. Aber er war
auch Fremdling in klassischer Philologie, und wenn er schon
nicht so weit gieng, wie sein Lehrer Massmann , der unter
linguae barbarae Griechisch und Latein verstund, so betrachtete
er doch die klassischen Studien und ihre Pfleger ungünstig
und abschätzig. Schmeller, der in gereiften Jahren mit dem
Eifer eines Schulknaben nachzuholen bemüht war, was ihm
in seiner armseligen Jugendbildung an Griechisch und Latein
vorenthalten war, hätte ihm auch hier als Muster dienen
können und sein eigener schaifer Verstand hätte ihn wohl
die gleichen Wege gewiesen, wäre er nicht in den unentflieh-
baren Strudel jener Polemik gerissen worden , die in der
Wiener Periode seine beste Kraft und Zeit hinraffte. Klassische
Schulung ist aber dem Germanisten unentbehrlich, nicht, wie
man gemeinhin annimmt, zur Verbesserung des deutschen
Stils, denn Pfeiffer schrieb ohne solche Vorschule beredt,
nervig und in hohem Grade anregend, sondern weil er bei
seinen Studien überall auf Thatsachen, Ideen und Ausdrücke
378 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1870.
stösst, deren Deutung nur dorther zu holen ist. Pfeiffers
Parteistellung Hess aber auch nicht die Sammlung und
Zuriickgezogenheit zu , die ihm nothwendig gewesen wären,
um sich innerhalb des grossen germanischen Gebietes allseitig
und genügend festzusetzen. Was er von Stuttgart nicht mit-
gebracht hatte, konnte er so auch in Wien nicht mehr nach-
holen, ein schwerer Mangel, den man am Stuttgarter
Bibliothekar und Herausgeber mittelhochdeutscher und mittel-
deutscher Denkmäler oder auch an einem anspruchslosen
Universitätslehrer übersehen hätte, bei ihm aber beuiCrkte
und hervorhob nach dem bekannten üompensationsgesetze,
dass die Fehler der Menschen um so grösser erscheinen, je
höher sie sich stellen oder gestellt werden. So waren denn
die ältesten germanischen Sprachen und das ganze grosse
scandiuavische und angelsächsisch-englische Gebiet ihm ent-
weder nicht lecht vertraut geworden oder gänzlich fremd
geblieben , wie er denn auch manche Vorlesungen über
Sprache und Literatur, die von Germanisten verlangt,
wenigstens erwartet werden , nie gehalten hat. Für all
diesen Eutgang hätten nun die Wiener Arbeiten auf seinem
eigensten Gebiete, dem mittelhochdeutschen, Ersatz bieten
müssen, und sie würden ihn bieten, wäre die kühne Concep-
tion und brillante Darstellung getragen von gleicher Solidiiät
der Grundlagen und sicherer Methode in der Ausführung wie
seine früheren, musterhaften Arbeiten. Diess ist nun nach
ziemlich allgemeinem Urtheile nicht der Fall un«! die hohen
Erwartungen, die man für Neubegründungen im mittelhoch-
deutschen Gebiete auf Pfeiffers Wiener Thätigkeit gesetzt
hatte , sind im Ganzen und Grossen unerfüllt geblieben.
Hätte er sie bei längerem Leben und im Genüsse voller
Sammlung und Geisteskraft erfüllen können, wer möciite es
wagen darüber zu urtheilen?
Jene Wiener Arbeiten sind alle so schön geschrieben,
dass man nicht eine Seite derselben ohne Interesse liest —
Hofmann: Nekrolog auf August Schleicher. 379
aber der Glaube fehlt, d. h. wissenschaftlich gesprochen, er
zwingt uns nicht zur Ueberzeugung, und lässt uns nur den
Eindruck, dass er Ansicht gegen Ansicht, Hypothese gegen
Hypothese gestellt hat, während er den Widerspruch ver-
nichtet glaubte. Er hatte eben, worin leidenschaftliche Ge-
müther unwillkürlich verfallen, die Kraft der eigenen Gründe
zu hoch, die des Gegensatzes zu gering geschätzt und ganz
besonders hatte er die zähe Nachhaltigkeit und Tüchtig-
keit, die im Wesen des norddeutschen Guiehrten liegt und
die sich hier über kurz oder lang geltend machen musste,
weitaus zu gering angeschlagen. Mit seinem Hinscheiden
ist die Periode leidenschaftlich erregter Polemik aller Vor-
aussicht nach zu Ende gekommen , die nun freilich noch
nicht weit genug hinter uns liegt, um jetzt schon ein allseitig
beruhigtes und geklärtes Urtheii zu gestatten. Glücklicher
Weise zeigen nach Abzug alles Problematischen und Po-
lemischen Pfeiffers unbestrittene Verdienste sich bedeutend
genug, um seinem Namen die Fortdauer in der Geschichte
der Wissenschaft voraussagen zu dürfen.
August Schleicher
wurde am 19. Februar 1821 zu Meiningen geboren, studirte
zu Koburg. Leipzig und Tübingen erst Theologie, dann von
1843 an zu Bonn unter Rit«clil klassische Philologie und
unter Lassen orientalische Sprachen. 1846 habilitirte er sich
in Bonn für das Fach der Sprachwissenschaft, 1850 wurde
er für klassische Philologie nach Prag berufen , wo er sich
jedoch bald wieder der Sprachwissenschaft ausschliesslich zu-
wandte und zu diesem Behufe mit Unterstützung der k. k. Re-
gierung (Graf Leo Thun wirkte damals noch im grossartigen
380 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1870.
Sinne als Unterriclitsminister) eine Reise nach Litauen unter-
nahm, um dort die älteste und reinste der heute lebenden
indogermanischen Sprachen aus dem Munde des Volkes zu
lernen. Frucht dieser Reise war ein vortreffliches Handbuch
der litauischen Sprache, welches noch lange ein unentbehr-
liches Werk für jeden Linguisten sein wird. Differenzen ge-
lehrter und politischer Art mit den Tschechen veranlassten
ihn, 1857 Prag zu verlassen und sich nach Jena zu be-
geben, wo er bis zu seinem allzufrühen Tode (6, Dec. 1868)
als ausserordentlicher Professor wirkte, denn leider brachte
es der im Auslande hochberühmte Manu in Jena weder zum
Ordinarius noch zu einer sorgenfreien Existenz, sondern bloss
zum Hofrathstitel und wurde in den letzten Jahren seines
Lebens nur durch Arbeiten für die russische Akademie vor
drückenden Sorgen und Entbehrungen geschützt. Wenn Renan
mit Recht sagt, dass eine kleine deutsche Universität mit
ihren pedantischen Professoren und hungernden Privatdocenten
viel mehr für die Wissenschaft leistet, als die bestbepfrün-
deten analogen Institute anderer Länder , so ist doch ebenso
wahr, dass diese Gelehrten häufig ihre wichtigsten Arbeiten
aus Mangel an ein paar hundert Thalern oder Gulden nicht
ausführen können , weil der herrschende deutsche Bureau-
kratismus in gründlicher Missachtung alles nicht direct brod-
tragenden Wissens überall der gleiche ist und namentlich
heutzutage der Geschmack herrscht, lieber 20 Millionen für
Soldaten, als 200 fl. für einen wissenschafthchen Zweck
zu opfern.
Schleicher, obgleich studirter Philolog, war doch seinem
Wesen nach nur Linguist, und wie weiland in Fr. A. Wolf
die definitive Scheidung der Philologie von der Theologie,
so hatte sich in ihm die Scheidung der Linguistik von der
Philologie vollzogen, die Sprache und die Sprachen waren
ihm nicht, wie dem Philologen, Mittel zum Zwecke, sondern
der Zweck selbst und so kam es, dass er sich vorzugsweise
Hof mann: Nekrolog auf August Schleicher. 381
nicht mit deu Sprachen beschäftigte . die wie Sanskrit,
Griechisch, Lateinisch, Germanisch, Romanisch, reiche und
ästhetisch hervorragende Literaturen besitzen , sondern mit
den litoshiwischen, die keine irgend selbstständige ältere Denk-
mäler besitzen, dagegen von eminenter linguistischer Wichtig-
keit an sich und besonders fiii- das tiefere Verstäudniss des
Germanischirn sind, dem sie nach dem Sanskrit die reichste
Fundgrube für etymologische Forschung, wie für die Lehre
von der Forinenbildung darbieten, während die uns am besten
b kannten und literarisch wichtigsten klassischen Sprachen
viel weniger reiche und sichere Ausbeute gewähren. Auf
diesem Gebiete hegt Schleichers Bedeutung und Hauptver-
dienst in materialer Beziehung. Leider hat der Tod die
grossartig angelegten Arbeiten unterbrochen , die ihm die
Petersburger Akademie für die Gesammtlieit der slawischen
Sprachen anvertraut hatte, und konnte er nur das ausge-
storbene Elb slawische (Polabische) zu einem wenigstens vor-
läufigen Abschlüsse bringen. Er selbst hielt diese seine
letzte Arbeit für seine gelungenste, eine Ansicht die, wie zur
Steuer der Wahrheit nicht verschwiegen werden dai'f, von
sehr kompetenter Seite nicht vollkommen getheilt wird, wes-
halb das Endurtheil bis zum Erscheinen der Schrift ausge-
setzt bleiben muss. Sollte es minder günstig ausfallen, so
dürfte diess eben wieder in dem Zurücktreten der eigent-
lichen philologischen Disciphn bei Schleicher begründt-t sein,
welche für die allseitige Behandlung ausgestorbener Sp)rachen,
wie die polabische, kritische, paläographische und antiquari-
sche üntersuchungsmethoden an die Hand gibt , zu denen
er nach seiner ganzen streng linguistischen Anlage und
Bildung weniger geartet und geschult war. Daraus erklärt
sich auch , wesshalb seine einzige eigentlich philologische
Arbeit, die Ausgabe des einzigen litauischen Klassikers, der
Jahreszeiten von Donalicius, den er (nach Nesselmann irrig)
in Donalaitis zurück lituanisirte, wohl in sprachHcher, aber
[1870. I. 3.] 25
382 Oeffenttiehe Sitzung vom 2S. März 1870,
nicht in textkritisclier Beziehung genügend ausfiel und eine
neue Bearbeitung (sie ist von Xesselmann) notliwendig machte.
Es kann darin kein Tadel für Schleicher gefunden werden,
denn welcher Gelehrte ist nach allen Richtungen gleich ge-
wachsen und welcher hat nicht da und dort die Gränzen
seines eigensten Köim -us in bester Absicht überschritten ?
So ist denn auch sein Buch über die deutsche Sprache da am
schwächsten, wo es die philologischen Errungenschaften der
Germanistik zu verwerthen hat, am gelungensten in linguisti-
scher Darstellung. Seine Annahme von einem Anftacte
innerhalb des Verses wird kein kritischer Metriker auch nur
für einen Augenblick gebilligt haben.
Zum Ersätze für solchen f^ntgang besass er andere,
für seine Richtung ganz besonders ins Gewicht fallende Be-
gabungen. Vor allem eine seltene und wundervolle Leich-
tigkeit, sich die schwersten lebenden Sprachen, worunter
für uns Deutsche in erster Linie die slawische und litauische
gehören , mit Leichtigkeit und Correktheit anzueignen , und
dieses Talent hätte sicher noch viel bedeutendere Resultate
gebracht , wenn er es bei glücklicher äusserer Lage und
längerem Leben im ungeheuren litoslawischen Sprachgebiete
der drei östlichen Kaiserreiche ausgiebig hätte verwerthen
können. Dass er bei seinen Forschungen die Etymologie
(im modernen Sinne des Wortes) ausschloss und sich über-
wiegend mit Untersuchung der lautlichen Elemente und ihrer
Umwandlungen, dann der Flexion und Wortbildung, der
Verwandtschaftsgrade der Sprachen und endlich mit der
sogenannten indogermanischen Ursprache beschäftigte, ging
aus einer Grundrichtung seines Geistes auf das sichere,
klare, organisch zusammenhängende, mit einem Worte auf die
Entwicklungsgeschichte der Sprachkörper hervor. Die Ety-
mologie ist eine zweitheilige Wissenschaft, sie fordert über-
all gleiche Betrachtung des geistigen, wie des physischen
Elementes, ideal gefasst ist sie die Entwicklungsgeschichte
Hofmann: Nekrolog auf August^Schleicher. 383
des menschlichen Anschauens, Fühlens und Denkens in den
Völkerindiviiluen und Völkerfamih'en der Erde. Daher ihre
incommensurable Bedeutung für die Geisteswissenschaft, ihre
unerschöpfliche Anziehungskraft auf der einen Seite, auf der
andern aber auch ihre ungemeine Schwierigkeit und Unsicher-
heit und der endlose oft bis zum Widerwärtigen geh^-nde
Missbrauch, in den phantastische und dilettantische Köpfe
zu verfallen ptlegen. Etymologien sinl in der Linguistik,
was Conjecturen in der Philologie, sie entstehen und ver-
gehen nach Myriaden , wie die Natur eine üeberzahl von
Thiur- und Pflanzenkeimen producirt, von denen nur eiu
kleiner Bruchtheil zu wirklicher Entwicklung gelangt. Solche
Betrachtungen können nicht hindern , dass es im geistigen
Getriebe, wie im Naturlcb^n, vollständig beim Alten bleibe,
aber sie können einen nüchternen und auf streng geschlossene
und scharf abgegränzte Ziele gerichteten Forscher bestimmen, in
seine Thätigkeit nur das absolut Nothwendige von Etymologie
oder Conjecturalkritik aufzunehmen. Als Hauptresultat dieser
Pachtung haljen wir Schleichers Compendium der vergleichenden
Grammatik (Weimar 1861 — 62 in erster, gegenwärtig in 3. Auf-
lage angekündigt) zu betrachten, ohne Zweifel sein berühm-
testes, verbreitetstes und fruchtbarstes Werk, eben durch
seine hervorragendsten Eigenschaften, Deutlichkeit, klare und
knappe Fassung, höchst sichere Auswahl des Materials mit
möglichst behutsamer Ausschliessung alles Unsicheren und
Problematischen. Wenn auch kein Kundiger behaupten wird
durch Schleichers Compendium sei Bopps unsterbliches,
grundlegendes Werk antiquirt oder überti offen, so bleibt
doch gewiss, dass sein Compendium als erster Versuch, von
den neugewonnenen sicheren Resultaten einer allseitig und
rastlos betriebenen Wissenschaft die Summe zu ziehen und
das Facit in zweckmässigster Form allgemein lehrhaft zu
machen , als würdiger Nachfolger von Bopps vergleichender
Grammatik dasteht. Bei ihm ist die Sprachforschung bereits
384 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1870.
um viele Grade der Naturforschung näher gerückt, als bei
Bopp, ja er fasst sie selbst bereits als Naturforschung auf,
und wer der neueren Richtung dieser Disciplin aufmerksam
gefolgt ist , wird nicht verkennen können , dass diese Auf-
fassung tief im Geiste unserer Zeit hegt, die den Weg zur
höheren Bildung der Zukunft nicht mehr in der so lange
vergeblich gesuchten Vermittlung zwischen Theologie und
Philosophie, sondern in harmonischer Cultur der Geistes-
unJ Naturwissenschaft suchen wird . wo dann freiUch so
mancher, der von Bau und Geschichte seiner Muttersprache
nicht mehr als ein Dorfschulmeister , von Physik und
Chemie nicht mehr als seine Köchin versteht, nicht länger
zu den wissenschaftlich Gobildeten gezählt werden dürfte.
Mit dieser uaturforschenden Richtung Schleichers hängt
zusammen, dass er wirklich einen Zweig der Naturkunde,
die Botanik, practisch als Blumenzüchter und theoretisch
als ^likroskopiker und zwar beides mit der ganzen Leiden-
schaft seines ernsten Wesens betrieb,
Schleicher's Character stimmte zu seiner wissenschaft-
lichen Richtung. Er war bieder und zuverlässig, aber schroff
und abstossend, daher nur von wenigen Freunden und Schülern
näher gekannt und geliebt, in der Politik, wie in der
Wissenschaft ein Radicaler. Solche eigengeartete Männer
sind in Deutschland, wie überall, selten und ihre Laufbahn
pflegt keine rosenbestreute zu sein.
Friedricli Gottliel) Welcker
wurde am 4. November 1784 zu Grünberg im Grossherzog-
thum Hessen als Sohn eines Landpfarrers geboren. Sein
Vater, ein Mann von gründlicher classischer Bildung, gab
Hahn: Keh-ohg auf Friedrich Gottlieb WelcTcer. 385
ihm eine so treffliche Erziehung, dass der junge "Welcker,
ohne ein Gymnasium besucht zu haben , ungewöhnlich vor-
bereitet die Universität Giesseu beziehen konnte. Hier
widmete er sich dem Studium der Theologie und betrieb
nebenbei fast ohne L-hrer alte und neue Sprachen. Noch
nicht zwanzig Jahre alt wurde er 1803 am Pädagogium zu
Giesseu augestellt und begann gleichzeitig seine akademische
Thätigkeit mit Vorlesungen über das alte Testament.*) Um
Italien besuchen zu könntn, nach welchem Lande es ihn
längst bei seiner schwärnierischen Liebe für alte Kunst und
Poesie gezogen hatte , nahm er Urlaub und verblieb zwei
Jahre in Rom. wo er im Hause Wilhelms vonHumboldt,
des damaligen preussischen Gesandte:!, der zugleich Geschäfts-
träger für Hessen -Darmstadt war. als Hauslehrer eine Auf-
nahme fand. In Piom war besonders der enge Verkehr mit
Zoega für Welcker von nachhaltigem Einfluss. Ein Jahr
nach seiner Zurückkunft in die Heimat (1809) wurde er
zum ordentlichen Professor der Philologie und Archäologie
in Giessen ernannt, ohne seine Lehrstelle am Pädagogium
aufzugeben. Für diese Anstalt schrieb er 1810 ein gedanken-
reiches Programm über Anleitung der Schüler zu eigener
Erfindung, das im 5. Bande seiner kleinen Schriften einen
erwünschten Wiederabdruck gefunden hat. Im J. 1815 nahm
Welcker als Freiwilliger an dem Feldzug gegen Frankreich
Antheil; den nächsten Winter verlebte er in Kopenhagen, um
Zoega's literarisclien Nachlass zu ordnen und zur Heraus-
gabe vorzubereiten. Bald nach der Heimkehr aus Kopen-
hagen fand seine Charakterstärke Gelegenheit eine erste
Probe zu bestehen. Um seinen politischen üeberzeugungen
nichts zu vergeben, denen er auch bei späteren Anfechtungen
*) "Wenigen Verehrern Welckers wird es bekannt sein, dass von
ihm noch im J. 1809 eine Uebersetzung der Elegien des Jeremias
mit Commentar erschienen ist.
386 OeffentUche Sitzung votn 38. März 1870.
immer mit männlichem Muthe treu geblieben ist , sah er
sich veranlasst, seine Entlassung in Giessen zu nehmen, er-
hielt aber noch in demselben Jahre einen Ruf nach Göttingeu.
Eine noch grössere Wirksamkeit eröffnete sich ihm durch
die 1819 erfolgte Berufung an die neu gegründete Universität
zu Bonn , für die er auch zum Oberbibliothekar ernannt
wurde. Dass ein Mann von dem Umfang und der Vielseitig-
keit des Wissens, wie Welcker besass, bei der beneidens-
werthen Aufgabe, die Grundlage einer grossen wissenschaft-
lichen Bibliothek zu schaffen, bedeutendes geleistet hat, er-
scheint fast als selbstverständlich; dafür gebührt die Aner-
kennung ebenso sehr einer erleuchteten Regierung, die für
einen wichtigen Posten mit sicherem Blicke den rechten
Manu zu finden gewusst hat. Aber ganz allein gebührt
Welcker das Verdienst für eine andere Schöpfung, für die
Begründung des akademischen Kunstmuseums , das unter
seiner und später Jahns Leitung das erste in seiner Art ge-
worden ist. Welcker war der erste, der die Nothwendigkeit
erkannte, für akademische Zwecke ein Antikenmuseum ein-
zurichten; er hat mit dieser Schöpfung ein Denkmal hinter-
lassen , durch das Bonn immer eine der ersten Lehrstätten
für archäologische Studien verbleiben wird. Seine akademische
Tliätigkeit erhielt noch einmal eine längere Unterbrechung
durch eine neue im J. 1841 nach Italien unternommene
Reise, die sich diesmal bis nach Griechenland und Klein-
Asien ausgedehnt hat. Nachdem Welcker noch das seltene
Glück erlebt hatte, am 16. Oktober 18.59 sein fünfzigjähriges
Dienstjubiläum als ordentlicher Universitätsprofessor feiern
zu können, bei welcher Gelegenheit ihm die sprechendsten
Beweise allseitiger Verehrung zu Theil wurden, musste er
sich in Folge eines Augenleidens von seiner öffentlichen
Thätigkeit zurückziehn. Dass aber sein geistiges Auge noch
nicht erstorben war, das beweist seine bis in das höchste
Greisenalter fortgesetzte literarische Thätigkeit. Der seltene
Halm: Nekrolog auf Friedrich GottUeb WeWker. 387
Mann vollendete sein irdisches Tagewerk am 17. De-
zember 1868.
Weicker hat durch eine grosse Reihe umfangreicher und
epochemachender Werke seinem Namen als dem eines der
sinnigsten und geistvollsten AlterthuLüsforscher ein dauerndes
Andenken gesichert. Wie vielseitig auch seine Schrifteü er-
scheinen, so steuern sie doch alle nach einem Ziele hin, das
poetische Leben des griechischen Volkes nach seiu-n ver-
schiedenen Richtungen zu durchdringen und in ikr Einheit
des hellenischen Geistes zu erfassen. Da Poesie und Kunst
der Hellenen mit der Religion in so innigem Zusammenhange
stand, musste die Ergründuug der griechischen Mythologie
eine der Hauptaufgaben für Welckers forschenden Geist
werden. Keinem vor ihm ist es gelungen, die geschichtliche
Entbtehung der griechischen Religion in ihren verschiedenen
Entwicklungsstufen und Umbildungen so tief zu erfassen und
die eigenthiimlicheu Formen, in denen sich Cultus und Glauben
in den einzelnen Staaten gestaltet haben, so scharf und genau
darzustellen. Da Weicker in den Schöpfungen der Kunst und
Poesie das Walten ein und desselben Geistes erkannte, war
er mehr als irgend einer seiner Vorgänger darauf bedacht,
die verschiedenen Gebiete des Alterthumsforschung in einen
innigen Zusammenhang zu bringen. In seinen grossartigen der
Literaturgeschichte gewidmeten Werken , in denen er über
das Epos, Drama und die Lyrik der Griechen ganz neue
und ungeahnte Gesichtspunkte erschlossen hat, wies er nach,
wie sehr sich die tiüaimerhafte Kenntniss der griechischen
Poesie aus den Denkmälern der Kunst ergänzen und er-
weitern lässt. Hinwiederum wurde durch eben diese so ideen-
reichen Arbeiten auch das tiefere poetische Verständniss der
griechischen Kunstwerke eigentlich erst erschlossen und ihr
inniger Zusammenhang mit der Poesie mit feinem und sinnigem
Bhcke nachgewiesen. Ein solches Erfassen war aber nur
durch einen Geist möglich, der selbst ein tief poetischer war.
388 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1870.
In der Begrüssungsschrift der Bonner Universität zum Ju-
bilaeum Welckers hat Ritschl sein Wesön ebenso treffend
als schön bezeichnet, indem er ihn einen 'vates divino spi-
ritu afflatus* nannte. Aus dem Innersten heraus, oft mit
Ueberspringung gewisser Mittelglieder , für welche die ge-
wöhnliche Kritik nach factischen Beweisen zu fragen pflegt,
weiss er mit Seherblick das Wahre zu erschauen und zu
ahnen. Dadurch war aber auch Welckers Methode wesenthch
bedingt. Seine Schriften lesen sich nicht leicht und sind oft
schwer zu verstehen; manches in ihnen erscheint dunkel,
auch fehlt es nicht an Irrthümern und Verstössen im Ein-
zelnen; aber wo er auch geirrt hat, ist auch sein Irrthura
als aus tiefpoetischer Anschauung hervorgegangen in der
Regel belehrend. Das Studium von Welckers Schriften ist
kein leichtes, aber ungemein belohnend; denn sie werden
für jeden , der in sie eindringt , eine unerschöpfliche Fund-
grube geistiger Anregungen und fördernder Gesichtspunkte
verbleiben. Soll man Welckers Verdienst um die Alterthums-
Kunde mit einem kurzen Wort bezeichnen, so darf man mit
einem kundigen Schüler und Fachgenossen sich unbedingt
dahin aussprecben , dass was Winckelmann für die formale
Seite der alten Kunst, das gleiche Welcker für ihre poetische
Seite geleistet hat.
Nur ein Monat nach Welckers Tode folgte ihm in das
Grab ein Geistesverwandter
Karl Willielm Göttling,
gleichfalls ein hochgeachteter Name unter den Alterthums-
Forschern dieses Jahrhunderts.
Am 19. Januar 1793 zu Jena geboren vollendete Göttliug
seine Gymnasialstudien auf dem Gymnasium zu Weimar, das
Halm: NeJcrolog auf Karl Wilhelm Göttling. 389
damals unter seinen Lehrern einen Franz Passow und Jo-
hannes Schulze zählte. Durch die anregende Einwirkung
dieser Männer für das Alterthum begeistert, begann er seine
philologischen Studien auf der Universität seiner Vaterstadt;
eine Unterbrechung führte die Theilnahme an dem Krieg
gegen Frankreich herbei, den der junge Göttling im J. 1814
in einem berittenen Corps freiwilHger Sachsen- weimarischer
Jäger mitmachte. Nach Beendigung des Feldzuges begab er
sich noch ein Jahr nach Berlin, um sich unter den grossen
Philologen Fr. Aug. Wolf, Boeckh und Buttmann noch weiter
auszubilden. Hierauf wirkte er mehrere Jahre als Lehrer
auf dem Gymnasium zu Piudolstadt und als Director auf dem
zu Neuwied, von welcher Stellung er 1821 freiwillig zurück-
trat. Im nächsten Jahre wurde er zuui ausserordentlichen
Professor in Jena ernannt, 1826 zum Oberbibliothekar der
Universitätsbibliothek, 1831 zum ordentlichen Professor. Ge-
diegene wissenschaftliche Leistungen und eine höchst er-
folgreiche akademische Thätigkeit hatten Göttlings Namen
rasch in weiteren Kreisen bekannt gemacht und ihm wieder-
holte ehrenvolle Berufungen eingebracht , nach Schulpforta
als Director , als akademischer Lehrer an die Universitäten
zu Berlin, Göttingen und Tübingen. Er lehnte jedoch alle
diese zum Theil unter sehr vortheilhaften Bedingungen er-
gangenen Berufungen ab , aus Liebe zu seiner N'aterstadt,
der seine Wirksamkeit fast ein halbes Jahrhundert angehört
hat. Bei seinen vielseitigen Kenntnissen und geselligen Vor-
zügen eine Seele des akademischen Lebens zu Jena hatte er
auch noch das Glück, seine körperliche und geistige Rüstig-
keit bis in das hohe Greisenalter zu bewahren; eben hatte
er die Ordnung und Durchsicht einer dritten Sammlung seiner
kleinen akademischen Schriften vollendet, als er am 20. Ja-
nuar 1869 in einem Alter von 76 Jahren seiner segensreichen
Wirksamkeit entrissen wurde.
Sowohl der äussere Lebensgang wie die geistige Puchtung
390 OeffenÜiche Sitzung vom 28. März 1870.
Göttlings erinnern unwillkürlich an Welcker. Beide hatten
in früher Jugend deu Ernst des Lebens im Waffendienste
für das Vaterland kennen gelernt. Beide fanden Gelegenheit,
für die Universität, welcher die Hälfte ihres Lebens ange-
hörte , nicht blos auf dem Katheder , sondern auch als Bib-
liothekare sich hohe V(^rdienste zu erwerben. Welcker war
durch seine Liebe zur Kunst und Poesie noch in jungen
Jahren nach Italien geführt worden und hatte die auf
classischen Boden gewonnenen Anschauungen mit der ganzen
Vollkraft jugendlicher Frische und Begeisterung in sich auf-
genommen: auch Göttling fühlte sich von der gleichen Sehn-
sucht ergriffen, die Stätten des classischen Alterthums und
die Hauptmuseen Europas aus eigener Anschauung kennen
zu lernen. Er studierte die reichen Antikensammlungen zu
Paris und London, bereiste 1828 Italien und Sicilien , 1840
Griechenland und auf dem Rückweg zum zweitenmale Italien,
1852 durchwanderte er nochmals Griechenland und sah diesmal
auch Constantinopel. Welcker war von Haus aus Archäolog,
Göttling wurde es durch den fesselnden Eindruck, den die
lebendige Anschauung so vieler Denkmäler der alten Kunst
in seinem empfänglichen Geist erzeugt hatte. Auch darin
eiferte er seinem grossen Mitforscher nach , dass auch er
1845 ein Kunstmuseum in Jena begründete, das im Umfange
zw^ar mit dem in Bonn nicht zu vergleichen, aber doch so
ansehnlich geworden ist , dass keine kleinere deutsche Uni-
versität sich eines gleich schönen erfreut. Welcker hatte
über mehr Mittel zu verfügen und erwarb durch den Ruhm
seines Namens viele kostbare Geschenke für sein Museum ;
Götthng ersetzte die Unzulänglichkeit seiner Mittel durch
edle Aufopferung , indem er die Erträgnisse von Vorlesungen,
die er und gleichgesinnte Freunde vor gebildeten Kreisen
Jena's wiederholt veranstalteten . zur Bereicherung seiner
Lieblingsschöpfung verwendete. Welckers poetischer Geist
verrieth eine innere Verwandtschaft mit dem hellenischen,
Halm: Nekrolog auf Karl Wühehn Göttling. 391
in Göttling sprudelte attischer Witz und Heiterkeit, die den
Verkehr mit ii;ni zu einem so ungemein genussreichen machten.
Endlich war beiden Gelehrten eine seltene Lebensdauer be-
scliieden, Göttling insofern noch glücklicher denn Welcker, als er
körperliche Gebrechlichkeit erst in den allerletzten Jahren
seines langen Lebens zu fühlen anfieng.
Was seine literarische Thätigkeit betrifft, so war sie in
den frühereu Jahren seiner akademischen Wirksamkeit eine
sehr fruchtbare. Rasch folgten aufeinander die Ausgaben
des sogenannten Theodosios neol yquixuaTixi^g (1822), der
Pohtik des Aristoteles (1824) und der Oekonomika (1830),
der Gedichte des Hesiod (1831 und 1843), und die gründ-
hche Monographie über den griechischen Accent (1835). Seine
nächsten Schriften , die Geschichte der römischen Staatsver-
fassung bis auf Caesars Tod (1840) und die XV römischen
Urkunden (1845) waren der Erforschung der jömischen An-
tiquitäten gewidmet. Damit schloss die Reihe der grösseren
Arbeiten Göttlings ; dass jedoch seine schriftstellerische Thätig-
keit nicht versiegte, dafür war durch seine Stellung als Pro-
fessor eloquentiae der Universität gesorgt. Diese akademischen
Gelegenheitsschriften, Opuscula acalemica, die Göttling selbst
noch in drei stattlichen Bänden gesammelt hat (1851, 1864,
1869) und sich in buntester Fülle fast auf alle Gebiete der
griechischen und römischen Alterthumskunde erstrecken, geben
ein rühmliches Zeugniss von der Vielseitigkeit, dem feinen
Geschmacke und dem überall selbständigen Urtheil ihres
Verfassers.
392 OeffeniUche Sitzung vom 28. März 1870.
Ludwig Yon Jan,
geboren zu Castell am 2. Juli 1807, wo sein Vater gräflicher
Kanzleidirector war, eihielt seine erste Vorbildung auf dem
Gymnasium zu Wertheim , unterzog sich aber, nachdem er
sich für das Studium der Philologie entschieden hatte, noch
einer zweiten Maturitätsprüfung an dem Gymnasium zu Würz-
burg, um dereinst in bayerische Dienste treten zu können.
Hierauf begab er sich im Herbste 1825 nach München, wo
er am Lyceuin und seit 1826 an der Universität seine höheren
Studien hauptsächlich unter der Leitung von Thiersch vol-
lendete. An Thiersch hatte Jan nicht blos einen höchst
anregenden und begeisterten Lehrer, sondern auch einen
warmen Freund gefunden, dem er das in ihn gesetzte Ver-
trauen mit wahrhaft kindlicher Pietät bis zu dessen Tode
aufs treueste gelohnt hat. Im J. 1822 wurde v. Jan an
das neu organisierte Gymnasium zu Schweinfurt berufen, dem
seine Thätigkeit volle neun und zwanzig Jahre angehört hat,
bis ihm endlich die längst verdiente Beförderung zum Gym-
nasialrector in Erlangen zu Theil ward. Doch nicht lange
sollten Lehrer und Schüler sich eines so eifrigen und humanen
Vorstandes erfreuen. Im Juni des J. 1868 erhielt v. Jan
die erschütternde Nachricht, dass sein dritter Sohn, der als
Bataillonsarzt den Feldzug des J. 1866 mitgemacht und sich
nach dessen Beendigung zu seiner weiteren Ausbildung nach
Prag und Wien begeben hatte, am Abend vor seiner Abreise
von Wien durch eine tragische Verkettung unseliger Um-
stände seinen Tod in den Wellen der Donau gefunden hatte.
Dieser entsetzliche Schlag brach das Herz des zärtlichen
Vaters; kein Jahr vergieng, so folgte auch er am 11. April
1869 dem hoffnungsvollen Sohne in die ewige Heimat.
Auf die literarische Thätigkeit Ludwigs von Jan übte
einen bestimmenden Einfluss die Versammlung deutscher Natur-
Halm: Nekrolog auf Ludwig von Jan. 393
forscher, die 1827 in München tagte. Auf ihr wurde der
Gedanke angeregt, mit gemeinsamen Kräften eine kritisch
berichtigte und erklärende Ausgabe von der grossen Natur-
geschichte des Ph'nius herzustellen. Zwei Männer, deren An-
sichten sonst sehr weit auseinandergingen, Oken und Thiersch,
begegneten sich damals in einem Brennpunkt, in dem Feuer-
eifer, mit dem sie die angeregte Idee verfolgten. Zunächst
galt es die Vorarbeiten des grossen Weikes, von dem nur
der philologische Theil zu Stande gekommen ist, zu be-
schaffen. Dem Vertrauen und Einfluss von Thiersch ver-
dankte es V. Jan, da-s er dazu ausersehen wurde, die Hand-
schriften des Plinius in den Bibliotheken von Italien und
Paris zu vergleichen. Von seiner längeren Reise zurückge-
kehrt, erwarb er sich 1830 den Docturgrad durch eine Ab-
handlung über Plinius, in welcher er einen Bericht über die
Ausbeute seiner Reise erstattete und zuerst die Vermuthung
aussprach, dass das Werk des Plinius, wie es in den bis-
herigen Ausgaben schloss, nicht vollständig sein könne, eine
Vermuthung, die durch den Bamberger Codex ihre glänzende
Bestätigung erhalten hat. Aus dem Umstände dass v. Jan
erst geraume Zeit, nachdem er seine Hauptcollationen be-
endet hatte, auf diese wichtige Handschrift, ohne welche die
sechs letzten Bücher des Plinius nie lesbar geworden wären,
geführt worden ist, ergibt sich von selbst, dass bei den Vor-
bereitungen für das grosse Unternehmen eine gewisse Ueber-
stürzung, nicht die nöthige Umsicht obgewaltet hat. Das
zeigt sich auch darin, dass mit der Besorgung des Textes
der neuen Ausgabe der Dresdner Gelehrte Sillig betraut
wurde; denn da der grössere Theil der Verbesserungen in
Silligs Ausgabe von Jan herrührt , so kann es keinem Zweifel
unterliegen, dass man seinen Händen mit besserem Fug die
Verarbeitung des gesammelten Materials anvertraut hätte.
Aber wenn er auch nicht der Bearbeiter der giossen kritischen
Ausgabe geworden ist, so hat er doch seinen Plinius nie
394 Oeffentliche Sitzung wm 2S. Mars 1870.
wieder aus den Händen gelegt. Jan's Arbeiten auf der Bam-
berger Bibliothek und seine vieljälirige Beschäftigung mit
Handschriften führten ihn hierauf auf den Philosophen Seneca;
nach schönen Vorarbeiten fasste er den Plan zu einer kritischen
Ausgabe dieses Schriftstellers, gab ihn aber leider auf, als
er erfuhr, dass Tick er t in Breslau schon seit längerer Zeit
mit der gleichen Arbeit beschäftigt sei; man darf wohl sagen
leider ; denn Fickerts Ausgabe des Seneca kann fast als
Muster gelten, wie man eine kritische eines alten Autors
nicht zu bearbeiten hat. Von diesem Plane abgekommen
wendete v. Jan seine Thätiizkeit dein vernachlässigten Ma-
crobius zu, für welchen Schriftsteller er mit eisernem Fleisse
ein staunenswerthes Material aufgebracht hat. In seiner sehr
verdienstlichen Ausgabe, die in zwei starken Bänden 1848 —
1852 erschienen ist, hat er sich auch nicht die Mühe ver-
driessen lassen, mit dem kritischen Commentar einen voll-
ständigen exegetischen zu verbinden, und so die Form einer
Bearbeitung gewählt, die für alle Schriftsteller der späteren
Zeit, die nur selten gedruckt werden, massgebend sein sollte.
Ein weiterer Plan von Jans, mit Unterstützung der hiesigen
Akademie einen sachlichen Commentar zu Plinius herau'^zu-
geben, ist nicht zur Ausführung gekommen, wohl aber lieferte
er noch eine Textausgabe desselben in der bekannten Teubner'-
schen Bibliothek, die 1854 — 1865 in sechs Bänden er-
schienen ist. Eine zweite Bearbeitung des ersten Bandes hat
er noch vollendet, aber nicht mehr ihren Druck erlebt. Da
der Schriftsteller, dem Ludwig von Jan seine Hauptthätig-
keit gewidmet hat, ein ebenso umfangreicher als schwieriger
ist, und da er für dessen Verbesserung und Erklärung sich
ganz unbestrittene Verdienste erworben hat , so wird auch
in kommenden Zeiten sein Name unter den verdienten Philo-
logen des neunzehnten Jahrhunderts immer mit Achtung ge-
nannt werden.
Halm: Nekrolog auf Otto Jahn. 395
Otto Jahn
wurde am 16. Juni 1813 zu Kiel geboren, wo sein angesehener
Vater die Stelle eines Landessyndicus bekleidete. Nachdem
er in seiner Vaterstadt seine Gyranasialbildung erhalten und
in Sclmlpforta vollendet h;itte, besuchte er die Universitäten
Kiel, Leipzig und Derlin und betrieb unter der Leitung von
Nitzsch, Gottfr. Hermann, Boeckli und Lachmann vor-
zugsweise philologische Studien. Da in den Kreisen, in denen
Jahn seine erste Jugendzeit verlebt hatte, die Musik eine
reiche Ptiege fand, war das entschieden musikalische Talent
des Knaben schon frühzeitig geweckt worden; in den Jüng-
liugsjahren ward keine Gelegenheit versäuint, es weiter aus-
zubilden. Lange schwankte Jahn, ob er ganz die künstlerische
Laufbahn einschlagen sollte; der V^unsch seines Vaters, der
Rath Dehns, seines Lehrers in der musikalischen Composition,
und der gewaltige Einfluss Kail Lachmanns entschieden
endhch dafür, die wissenschaftliche Laufbahn vorzuziehn.
Nachdem sich Jahn im J. 1836 durch eine Abhandlung über
Palaniedes den Doctorgrad in Kiel erworben und den nächsten
Winter in Kopenhagen verlebt hatte , unternahm er durch
ein Stipendium der dänischen Regierung unterstützt eine
grössere Reise nach Frankreich, der Schweiz und Italien,
theils um sich weiter auszubilden , theils um das nöthige
Material für seine beabsichtigte Bearbeitung der römischen
Satiriker zu sammeln. In Paris find nicht blos sein musi-
kalischer Enthusiamus im Besuche von Opern und Concerten
die reichste Sättigung, sondern es ward auch zuerst sein
künstlerischer Sinn durch die Antikensammlungen der Welt-
stadt zu archäologischen Studien angeregt. Diese fortzube-
treiben und zur hauptsächlichen Lebensaufgabe zu machen
bestimmte bei längerem Aufenthalt in Rom der ergreifende
Eindruck seiner Kunstdenkmäler, die anregende ßetriebsauikeit
396 OeffentUche Sitzung vom 28. Mars 1870.
des archäologischen Instituts und die ermunternde Zuspräche
EmiTs Braun, des kunstbegeisterten Sekretärs des Instituts.
Schon frühzeitig ein leidenschaftlicher Büchersammler erwarb
Jahn in Ilora den für lateinische Inschriftenkunde bedeutenden
Nachlass von Olaus Kellermann, dem er ein schönes Denk-
mal in seinem Specimen epigraphicum in momoriani Olai
Kellermanni (Kiel 1841) gesetzt hat.
Von seiner Reise reich an neuen Anschauungen und
Erwerbungen zurückgekehrt begann Jahn seine akademische
Wirksamkeit zuerst in Kiel, wurde hierauf Professor in
Greifs wähl und nach dem Tode des dor Wissenschaft zu
früh entrissenen Wilhelm Adolf Becker in Leipzig, wo er
in Verein mit seinen intimen Freunden Haupt und Moramsen
eine sehr fruchtbiire Thätigkeit entwickelte. Leider ward
ihr bald ein Ziel gesetzt durch den Ausbruch der politischen
Stürme der Jahre 1848 und 49. Der rege Antheil, den die
drei Freunde an den Bewegungen für eine deutsche Einheit
nahmen, hatte bekanntlich die Folge, dass sie ihrer aka-
demisc'ien Thätigkeit enthoben wurden. Der unfreiwilligen
Müsse, in die sich Jahn dadurch versetzt sah, ist es zu
danken, dass die prachtvolle Vasensamnilung Königs Lud-
wigs I an Jahn den kundigsten Beschreiber gefunden hat.
Ausserdem wurde ein längerer Aufenthalt in Süddeutschland
dazu benützt, um für die beabsichtigte Biographie des musi-
kalischen Dreigestirns, Jos. Haydn, Mozart und Beethoven,
die umfassendsten Vorstudien und Sammlungen zu machen.
Erst im J. 1855 wurde Jahn durch die Berufung nach Bonn
seiner akademischen Thätigkeit wieder zurückgegeben. Er
hat das seinige redlich gethan, den Glanz der Bonner philo-
logischen Schule, die Welcker's grosses Vorbild und Ritschl's
eminente Lehrgabe so sehr gehoben hatten, zu erhalten und
zu vermehren. Das von Welcker geschaffene akademische
Kunstmuseum erfreute sich unter Jahn's Leitung überaus
reichen Zuwachses, das von ihm begründete archäologische
Malm: Nekrolog auf Otto Jahn. 397
Seminar wurde Muster für ähnliche Einrichtungen auf an-
deren Universitäten. Daneben gieng die schriftstellerische
Thätigkeit in fast unerschöpflicher Fülle fort und steigerte
sich in den k-tzteu Lebensjahren Jahns zu einer solchen
Höhe, dass sie fast als ein Vorbote baldigen Hiuscheidens
erscheinen mus&te. In diese Jahre fällt ausser einer grossen
Anzahl von Monographien die Sammlung seiner biographischen
und musikalischen Essays (Leipzig 1866) und der populären
Aufsätze aus der Altertl. umswissenschaft (Bonn IS68). ^Ianches
mochte zusammengewirkt haben, um uie Kraft des so starken
Mannes plötzlich zu brechen , die lähmende Nachwirkung
schwerer häuslichen Schläge, die ihn betroffen hatten, eine
geistige üeberanstrengung , die bei den fast drakonischen
Gesetzen, die er als Schriftsteller sich aufgelegt hatte, nicht
Wunder nehmen kann, vielleicht auch die zu späte Erkennt-
niss, dass der mit Leidenschaft geführte Kampf, der mit
Ritschl's Ausscheiden von Bonn endete, der Universität doch
einen schweren Schlag versetzt hatte. Fast zum Skelete ge-
worden setzte Jahn doch noch seine Vorlesungen im Sommer
des J. 1869 bis zum nahen Semesterschlusse fort . ordnete
hierauf sein Haus und liess sich zu Verwandten nach Göt-
tingen geleiten, in deren zärtlicher Pflege der rastlose Mann
nach kurzem Krankenlager am 9. September seine irdische
Ruhe gefunden hat.
In wie verschiedenen Gebieten auch Otto Jahn gearbeitet
hat, als Philolog und Archäolog, als musikalischer Kritiker
und Geschichtschreiber, als Biograph und deutscher Literar-
Historiker, so tragen doch seine sämmtlichen schriftstelleri-
Bchen Leistungen ein festes gemeinsames Gepräge. Sie
zeichnen sich alle durch die solideste Gelehrsamkeit aus,
durch sichere Beherrschung des ganzen einschlägigen Stoffes,
durch strenge sich nie genügende Forschung, durch geschmack-
und lichtvolle Darstellung, eridlicli durch das Bestreben einer
jeden Leistung, ob gross oder klein, die hö'iere Weihe einer
[1870. I. 3 ] 26
398 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1870.
künstlerischen Schöpfung zu verleihen. Fast möchte man
bedauern . dass sich Jahn auch für kleinere Arbeiten so
strenge Gesetze vorgeschrieben hat. Denn da er so vieles
unternahm und in jeder literarischen Arbeit ein nach Form
wie Inlialt abgerundetes Meisterwerk zu liefern bestrebt war,
musste ihm zuletzt die Zt-it gebrechen , um auch auf dem
Gebiete der Archäologie und Philologie ein grösseres durch-
greifendes Werk wie in der musikalischen Literatur seinen
Mozart zu hinterlassen. Aber dass ihm über dem Detail
nicht der Sinn für das Ganze abhanden gekommen ist, zeigt
eben die Art, wie er jede Studie ausgeführt hat, die ohne
sichere Beherrschung des ganzen Gebietes nicht möglich ge-
wesen wäre. Jahn war Philolog im besten Sinne des Wortes
und hat, wie er sich selbst rühuit, die Strenge pliilologischer
Methodik auch auf andere Gebiete übertragen , das heisst
er hat, wie sich Mommsen in seinem seelenvollen Nachruf
in der archäologischen Zeitung unvergleichlich treffend aus-
drückt, ,,die rücksichtslos ehrliche, im Grossen wie im Kleinen
vor keiner Mühe scheuende, keinem Zweifel ausbiegende, keine
Lücke der Ueberheferung oder des eigenen \Vissens über-
tünchende , iiijmer sich selbst und anderen Rechenschaft
It^gende Wahrheitsforschung auf Gebiete übertragen, die bis
jetzt der Dilettantismus beherrscht hatte."
In seinen philologischen Arbeiten hat sich Jahn sowohl
als tüchtiger Kritiker wie Erklärer bewährt durch seine Aus-
gaben des Persius und Juvenalis, des Censorinus de die na-
tali, von Gicero's Brutus und Orator, des Florus, der Peri-
ochae des Livius etc. Die diesen Ausgaben vorangeschickten
Einleitungen haben hohen Werth für die Literaturgeschichte,
für die Jahn auch in seinen Abhandlungen über römische
Encyclopädien und über die Subscriptionen in den Hand-
schriften römischer Classiker sehr schätzbare Beiträge ge-
liefert hat. In seinen letzten mit griechischen Schriftwerkeu
sich befassenden Arbeiten, den Ausgaben von Sophokles
Halm: KeTcroJog auf Otto Jahyi, 399
Elektra, des Platonischen Symposion, des Longinos de sub-
liraitate, bat er ein Muster geliefert, wie solche Schriften zur
Grundlegung für akademische Vorlesungen in fruchtbringender
Art zu behandeln sind.
Die schriftstellerische Thätigkeit Jahns als Archäolog ist
von staunenswerthem Umfang; eine Sammlung der betref-
fenden grösseren und kleineren Schriften , von denen wir
uur die Abhandlungen über die Ficoronische Cista, über die
Lauersforter Phalerae , über den Aberglauben des bösen
Blickes bei den Alten und die Darstellungen des Handwerks
und Handelsverkehrs auf antiken Wandgemälden, Reliefs und
Vasenbildern hervorheben, würde eine stattliche Reihe von
Bänden füllen. Manche dieser Arbeiten greifen weit über
die Grenzen des eigentlichen Vorwurfs hinaus, wie z. B. die
Beschreibung der hiesigen Vasensammlung , df^ren gegen
250 Seiten des engsten Drucks umfassende Einleitung eine
erschöpfende Monographie über alles Wissenswerthe auf dem
Gebiete der alten Vasenkunde enthält. Zeichnen sich alle
diese Arbeiten auch nicht gerade durch eine Fülle von neuen
Ideen aus, so haben sie doch auf einem Gebiete, wo das
Nebeln und Schwebein der Symboliker und ein unfertiger
Dilettantismus in der nächst vorhergehenden Zeit soviel Un-
heil angerichtet hatte, durch ihre nüchterne Solidität, durch
feste und sichere Methodik der Forschung und durch er-
schöpfende Verwerthung des ganzen einschlägigen Materials
für die innere Kräftigung der Archäologie überaus fördernd
eingewirkt. Sowohl als Lehrer, wie als Schriftsteller hat
Jahn sehr viele Jünger für die Archäologie gewonnen und
für die erweiterte Kenntniss des antiken Kunstlebens wie
Wenige vor ihm beigetragen.
Da es zu der Eigenart Jahns gehörte in seinen wissen-
schaftlichen Arbeiten nichts zu übersehen, was irgendwie zur
Aulklärung eines alten Schrift- oder Kunstwerks dienen konnte,
so war er ganz besonders auch zu biographischen Darstel-
26*
400 OeffenÜiche Sitzung vom 28. März 1870.
lungen berufen. Bei seiner feinen Beobachtungsgabe und
seinem unermüdlichen Eifer, immer zu einem vollen Ver-
ständniss zu gelangen, wusste er jedem Charakter, den er
schilderte, alle Falten des Geistes und Herzens abzulauschen
und die Ergebnisse seines Sichhineinlebens in eine fremde
Individualität zu einem wohlgerundeten Bilde zu gestalten.
Jahns biographische Darstellungen erinnern in ihrer feinen
und sauberen Ausführung unwillkürlich an die berühmten
biograijhischen Denkmale Varnhagens von Euse, wie auch
die Zierlichkeit und Sauberkeit der Schriftzüge beider
Männer eine unverkennbare Aehnlichkeit aufweist. Dabei
war Jahn ein entschiedener Feind aller Phrasenmacherei und
alles Haschens nach rhetorischen Effecten, fast möchte ujan
sagen in zu hohem Grade; denn eine massige Anwendung
rhetorischer Kunstmittel hätte manchmal sicherlich nicht ge-
schadet, um der spiegelklaren Glätte seiner Darstellung mehr
Wärme und Schwung zu verleihen. Charakteristisch für die
Art, wie Jahn zu schaffen pflegte, ist der Vortrag, den er
bei der Uhlandsfeier zu Bonn (am 11. Februar 1863) ge-
halten hat. Wie für seine berühmten Beiträge zur Goethe-
literatur, so waren auch für diesen Zweck seine Vorstudien
so gründlich und umfassend, dass der Vortrag in der Heraus-
gabe zu einem ganz stattlichen Buche von 231 Seiten er-
wachsen ist. Aber was eiserner Fleiss, gepaart mit der
gründlichsten Sachkenntniss zu leisten im Stande ist, das
hat er als musikalischer Schriftsteller in seiner Mozart-
biographie dargethau.
Dass Jahn musikalische Studien nicht etwa blos im In-
teresse allgemeiner Bildung, sondern aus dem inneren Be-
dürfniss eines angebornen Talents und mit fachmässigem
Ernste betrieben hat, das beweisen seine im Druck er-
schienenen Compositionen (Lieder mit Ciavierbegleitung und
Gesänge für vierstimmigen Chor), in denen nach dem Urtheil
von Kennern neben einem feinen Stimmungsgefühl die Be-
J
Halm: Nekrolog auf Otto Jahn. 401
herrschuDg der musikalischen Formen und technische Satz-
gewandtheit überraschen *).
Grosses Aufsehen erregte Jahn's im J. 1852 erschienener
Ciavierauszug von Beetlioven's Leonore (des späteren Fidelio),
in welchem er die Compositionen der ersten und zweiten
Bearbeitung dieser Oper sorgfältig zusammenstellte und diese
für Beethoven's Bildungsgang und die innere Geschichte des
genialen Kunstwerks höchst wichtigen Musikstücke der Ver-
gessenheit entriss. Die gesammelten Aufsätze über Musik
enthalten interessante mit scharfsinniger (Kombination ange-
stellte Einzelnuntersuchungen und erregten schon bei ihrem
ersten Erscheinen durch ihre wissenschaftliche Schärfe sowohl
als künstlerische Sachkenntuiss grosse Bewunderung.
Im J. 1856 trat Jahn mit dem ersten Bande seiner
Biographie Wolfg. Amad. Mozarts hervor , 1859 war das
Werk in vier starken Bänden vollendet. Nach dem über-
einstimmenden Urtheile deutscher wie ausländischer Beur-
theiler errang sich Jahn mit diesem Meisterwerke eine der
ersten Stellen unter den musikalischen Historikern und Aesthe-
tikern. Von dem gewissenhaftesten Studium der Quellen
ausgehend verwerthete er das überreiche Material mit durch-
dringender Sachkenntuiss unter gleichmässiger Beachtung aller
einschlägigen Fragen , der specitisch künstlerischen sowohl,
wie der ethischen und psychologischen , so dass Mozart als
Künstler und Mensch mit voller Klarheit vor das geistige
Auge des Lesers tritt. Das Weik bietet zugleich ein gutes
Stück Musikgeschichte aus der zweiten Hälfte des acht-
zehnten Jahrhunderts. Denn in die^e Zeit fällt, um nur die
wichtigsten Momente anzudeuten, die Emancipation der Oper
von der Opera seria durch Gluck, die Begründung der
*) Bei der Würdigung Jahn's als Musikschriftsteller erfreute sich
der Verfasser der gütigen Beihilfe des Herrn Conservators Julius
Maier.
402 OeffentUche Sitzung vom 38. März 1870.
deutschen Oper durch Mozart und die Ausbiklung der selbst-
stäudigen Instrumentalmusik und Feststellung ihrer Formen
durch Phil. Emmanuel Bach und Jos. Haydn. Alle diese
Fragen hat Jahn mit erschöpfender Quellenkunde , mit tech-
nisch sicherem Blicke und mit plastischer Kunst der Dar-
stellung behandelt und für sie einen so reichen Vorrath von
Literatur und Hilfsmitteln beigebracht, dass sein Werk weit
über die Bedeutung einer Einzelnbiographie hinaus eine um-
fassende Quellensammlung für die Geschichte der Tonkunst
in jener Epoche bietet. Aber wie hoch auch der historische
\Yerth des Buches erscheint, so ist sein kritisch - ästhetischer
doch fast noch bedeutender. Man hat mit Recht gerühmt,
dass Jahn bei der AYürdigung der Werke Mozarts jene Art
der Betrachtung, die seit Lessing in der bildenden Kunst
herrschend geworden, zuerst in das musikalische Gebiet über-
tragen habe. Die Analyse der Werke Mozarts eröffnet uns
einen deutlichen Einblick in die Werkstätte des Meisters, indem
Jahn so tief, als es menschlichem Auge vergönnt ist, in das
geheimnissvolle Schaffen des Genius eindringt und uns dann
wieder mit bewusster Klarheit die vollendete Schönheit eines
fertigen Kunstwerks vor Augen stellt und seine Wahrheit an
der üebereinstimmung von Inhalt und Form nachweist.
Man hat es oft mit Bedauern ausgesprochen, dass Jahn
nicht mehr dazu gekommen sei , auch die verheissenen Bio-
graphien von Beethoven und Joseph Haydn zu liefern. Seien
wir zufrieden , dass er den einen Meister in so eingehender
und umfassender Weise behandelt hat; denn dadurch ist es
ihm gelungen, mit einem bis jetzt unübertroffenen Muster
einer musikalischen Biographie die deutsche Literatur zu
bereichern.
V. KobeU : Nekrolog auf Christian Erich Hermann v. Meyer. 403
l{ b) Der Sekretär der luath.-phys. Classe Herr v. Kobell:
Christian Erich Herinanu von Meyer,
geboren am 3. September 1801 zu Frankfurt a. M. , gestorben
am 2. April 1869 ebenda.
Seit Cuvier in seinem Recherches sur les ossemcns
fossiles (1813) aus Knochen und Zähnen die am Montmartre
gefunden wurden, eine eigene zuvor nicht geahnte Thierwelt
kenneu lehrte , hat sich die Kunst aus Fragmenten und
einzelnen Theilen ganze Skelette zusammenzusetzen und zu
I charakterisiren allmählig mehr ausgebildet und neue Studien
der vergleichenden Anatomie herbeigeführt. Zu den eifrigsten
und befähigsten Forscliera auf diesem Gebiete gehörte
Hermann von Meyer. Er erkannte zwar bald, dass Cuvier's
Ausspruch , man könne auf dem Wege der Analogie aus
einem Theil das Ganze ersehen oder ein einzelner Zahn habe
ihm über das Thier allen Aufschluss gewährt , durchaus
nicht von allgemeiner Geltung sei , dass er im Gegentheil
höchst trügerisch und zu den seltsamsten Irrthümern führe.
Das hielt ihn aber nicht ab, auf der einmal betretenen Bahn
vorwärts zu gehen.
Mit welchem Fleiss er die Aufgabe erfasste, zeigt sich
schon in seinem 1832 erschieneneu Werke ,,Palaeontologica
zur Geschichte der Erde und ihrer Geschöpfe", wo er, die
fossilen Fische ausgenommen , eine umfassende Uebersicht
der bis dahin entdeckten vorweltlichen Wirbelthiere gegeben
hat. In dieser Schrift veröffentlicht er auch zuerst sein
System der fossilen Saurier nach ihren Organen der Bewegung
und fügt eine Abhandlung bei über die Gebilde der Erd-
rinde, in denen Ueberreste von Geschöpfen gefunden worden.
Er bespricht darin die Bedeutung der Versteinerungskunde
404 Oeffentliclie Sitzung vom 28. März 1870.
für die Charakteristik der Formationen , wie sie zuerst von
Lister (1682) und William Smith (1790) dann von Cuvier
und Brogniart hervorgehoben wurde. Er berücksichtigte bei
seinen Studien die Vorkommnisse aller Länder , namentlich
auch die von Bayern, dem Lande, von welchem er sagt,
dass es beinahe die ganze Mannigfaltigkeit umfasse, mit dor
die Geologie ausgestattet sei. Der Muschelkalk von Bayreuth
lieferte ihm aus der Sammlung des Grafen Münster mehrere
neue Saurier und ebenso der Lias von Banz, in welchem er
nicht nur die gewöhnlichen Versteinerungen dieser Formation,
sondern alle Ueberreste erkannte, welche Bukland in Oxford
aus dem Lias von Lyme Regis bekannt gemacht hat. Die
von dem Herzog Wilhelm von Bayern im Schlosse zu Banz
angelegte Sammlung hat ihm dazu reiches Material geboten.
Die Juraformation von Solenhofen, Pappenheim und Mouheim
hat er eingehend studirt und in seinem Prachtwerk ,,die
Reptilien aus dem lithographischen Schiefer des Jura in
Deutschland und Frankreich", welches er unserer Akademie
bei ihrem 100jährigen Jubiläum 1859 dedicirte, äussert er,
dass die seltenen Schätze Bayerns es waren , welche ihn
damals vor 33 Jahren der Paläontologie zugeführt haben,
einem Studium, welches ihm die erhabensten Genüsse geboten.
Die Versteinerungen der Solenhofer Schiefer gaben ihm (1829)
Veranlassung zur Aufstellung eines sehr seltsamen, früher
vielfach misskannten Genus , welches er Aptychus nannte
und wovon er später 8 Species bestimmte, dort entdeckte
er mehrere Saurier, darunter den Racheosaurus, Aeolodon,
Gnathosaurus, Pleurosaurus etc. — Der Besuch der Fund-
stätten von Gmünd bei Georgen — Gmünd, 6 Stunden von
Ansbach, führte ihn zur Entdeckung des ersten Paläotherium
ausserhalb Frankreich sowie zu seinem Dinotherium Bavaricum
(später auch bei Steinkirchen unfern Pfaflfenhofen gefunden) ;
der Kalkstein von Ruhpoldiug lieferte ihm ein nach eigen-
thümlichem Typus gebildetes Thier, welches er Psephoderma
V. KdbeTl: Nekrolog auf Christian Erich Hermann v. Meyer. 405
nannte und später in analogen Formationen Italiens und
Englands ebenfalls fand.
Das oben citirte Werk bildet die 4. Abtheilung seiner
Fauna der Vorwelt , wovon die erste vom Jahre 1845 die
fossilen Säugethiere, Vögel und Reptilien aus dem Molasse-
Mergel von Oeningen bespricht , die zweite die Saurier des
Muschelkalks und aus dem bunten Sandstein und Keuper
und die dritte das Vorkommen dieser Thiere im Kupfer-
schiefer und in der Zechsteinformation (1856). Daneben
publicirte er mit zahlreichen Abhandlungen seine Palaeo-
graphica von 1845 an mit den Studien über fossile Fische,
über die Reptilien der Steinkohlenformation in Deutschland etc.
und gab mit Th. Plieuinger (1844) das Werk heraus: Beitrcäge
zur Palaeontologie "Würtembergs , enthaltend die fossilen
Wirbelthierreste aus den Trias -Gebilden , mit besonderer
Rücksicht auf die Labyrinthodonten des Keupers.
Es ist erstaunlich, welche Masse von Arbeit Meyer für
diese Werke übernommen und welche Thätigkeit er zum
Nutzen und zur Belehrung Anderer entwickelte. Aus allen
Ländern wurden ihm fossile Knochen und Thierreste zuge-
schickt, um seine Ansicht darüber zu vernehmen und von
ihm die Bestimmung derselben zu erhalten. Es wird kaum
einen Gelehrten gegeben hab*jn . welcher mit seinen Fach-
genossen so in wissenschaftHchem Verkehr stand wie er und
Ton den glänzendsten Namen fehlt keiner darunter. Seine
Abbildungen sind mit dem grössten Fleisse angefertigt und
haben vor anderen ähnlicher Werke den Vorzug, dass sie
von seiner eigenen Hand gezeichnet sind, denn kein Künstler
kann in dieser Beziehung den Mann des Faches erreichen,
wenn dieser selbst die Darstellung zu geben vermag. Dass
seine Forschungen durch reiche Funde belohnt wurden,
konnte nicht fehlen und er erlebte dabei manche Ueber-
raschung; so das Vorkommen der Klasse der Vögel schon
zur Zeit der Kreideformation, welches er in den Glarner-
406 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1870.
Schiefern nachwies (1839), das Vorkommen von Hippopotamus
im Rheinischen Gebiete 1840), das Vorkommen des Simo-
saurus in Deutechland aus dem Muschelkalk von Ludwigs-
burg (1842), das Auffinden des ersten Fleischfressers in der
Braunkohle zu Käpfnach in der Schweiz (1842), die mannig-
faltigen Vogelreste im Tertiärgebilde von Weisenau im Mainzer
Becken, dessen Reichthum an Wirbelthieren er besondere
Aufmerksamkeit schenkte und 61 Species in 760 Individuen
unterschied (1843), das Vorkommen von Fledermausartigen
Thieren ebenda (1845) u. s, w.
,,Die Erde scheint nur zu gebären! ruft er in einem
Briefe von 1846 aus (wo er die Entdeckung eines neuen
Pterodaktylus [Pt. Gemuiingi] ankündigt), je mehr man mit
der Untersuchung vorweltlicher Geschöpfe sich abgiebt, je
mehr die Methode sich ausbildet, nach der die Unter-
suchungen zu geschehen haben , je mehr Formen früherer
Schöpfung man kennen lernt, desto reicher fallen die Ergeb-
nisse aus, welche die Untersuchung neuen Materials liefert
und es lässt sich voraussehen, dass die bereits aufgefundene
nicht unansehnliche Zahl fossiler Geschöpfe noch rascher als
bisher zunehmen werde."
Die Erfolge, welche Meyer im Gebiete der Wissenschaft
errang, sind nicht, wie wohl sonst zu geschehen pflegt,
durch einen geregelten Studiengang vorbereitet worden;
Meyer war anfangs dem Handelsstande bestimmt und brachte
3 Jahre bei seinen Onkeln, den Bankiers Gebrüder Meyer
als Lehrling zu , worauf er um Cameralia zu studiren nach
Heidelbeig ging und sich da nebenher mit den Naturwissen-
schaften beschäftigte, die ihn schon in früher Jugend ange-
zogen hatten. Ein weiterer Aufenthalt in München und
vielerlei Reisen, die vorzügUch zu seinen wissenschaftlichen
Zwecken unternommen wurden, mehrten rasch seine Kennt-
nisse und bestimmten die Wahl des Systems seiner Forschungen.
Dabei übernahm er mancherlei Arbeit in administrativen
f. Kohell: Kelrölog arif Christian Erich Hermann r. Meyer. 407
Dingen und Rechnungsangelegenheiten seiner Vaterstadt und
hat (las Amt eines Eundeskassiers 30 Jahre lang in Ehren
geführt. In einem von ihm verfassten Tagebuch findet sich
folgende charakterisirende Stelle : Es ist mir gelungen, sagt
er, mich in meiner wissenschaftlichen TLätigkeit völlig frei
zu erhalten. Ich habe nie von der Wissenschaft Bezahlung
genommen, die Stellen, wie Professuren mit Einkommen ab-
geschlagen, um nicht in die Zunft eintreten zu müssen, kein
Honorar für meine literarische Thätigkeit genommen , um
gegenüber den Verlegern eine völlig unabhängige Stellung
einzunehmen; ich habe lieber meine Existenz durch frei-
willige Üebernahme tiner amtlichen Stelle im Fache der
Administration gefristet, die andern Männer von wissen-
schaftlicher Richtung vielleicht ein Gräuel gewesen wäre,
mir aber einen erwünschten Gegensatz im Leben bot und
es möglich machte, mich dauernd beschäftigt zu erhalten. —
Mejer ward durch die Diplome vieler gelehrten Gesell-
schaften, es sind deren 34, ausgezeichnet und erhielt (1847)
von der Holländischen Societät der Wissenschaften die goldene
Medaille und von der geologischen Gesellschaft in London
den WoUaston'schen Preis, die Universität Würzburg ernannte
ihn (1845) zum Doctor der Philosophie und im Jahre 1863
wurde er mit dem Ritterkreuz des k. österreicliischen Franz-
Joseph-Ordens geschmückt. —
Seinen literarischen und künstlerischen Nachlass hat
die Familie unserer Akademie als ein sehr werthvolles Ge-
schenk zugewendet, es ist ein Dokument der rastlosen Thätig-
keit und der sorgfältigen Forschung , welche den leider
Dahingegangenen ausgezeichnet haben. —
Herr Akademiker Professor Zittel ist, dem Wunsche der
Akademie nachkommend, mit einer besonderen Denkschrift
auf den Verstorbenen beschäftigt.
408 OeffentUche Sitzung vom 28. Märst 1870.
Thomas Graham^
geboren 1805 am 20. Dezember zu Glasgow, gestorben
1869 am 18. September zu London.
Graham war der Sohn eines Kaufmanns zu Glasgow,
wo er den ersten Schulunterricht erhielt; 1826 wurde er
an der dortigen Universität Magister Artium, studirte dann
in Ediuburg und gründete bei seiner Rückkehr ein Labora-
torium für praktische Chemie. Von 1830—37 war er
Professor der Chemie am Anderson'schen Institut zu Glasgow
und dann am University-CoUege in London. Seit 1855 be-
kleidete er auch die Stelle eines königl. Münzmeisters in
London, —
Graham hat sich durch seine Arbeiten mit Recht den
Ruf eines hervorragenden Chemikers erworben und die
Wissenschaft der Chemie nach mehreren Richthngen erweitert
und bereichert.
In einer Reihe von Abhandlungen hat er die Diffusion
der Flüssigkeiten untersucht, d. i. die freiwillige Vertheilung
einer löslichen Substanz in dem Lösungsmittel, Er beobachtete
dabei, dass bei vielen isomorphen Salzen gleiche Diffusibilität
stattfinde, dass partielle Trennung geiuischter Salze auf
Grund des ungleichen Diffusionsvermögen derselben möglich
sei , dass die Diffusion selbst Zersetzung chemischer Ver-
bindungen bewirken kann. Bei diesen Untersuchungen wurde
auch der Einfluss der Temperatur auf die Diffusion berück-
sichtigt und das Verhalten in gallertartigen Substanzen. Er
bezeichnet einen wesentlichen Unterschied der Molecular-
struktur zwischen den leiclit oder sehr wenig diflusibeln
Substanzen und nennt die letzteren Colloide, die ersteren
Krystalloide. Er erkennt an den Colloiden die merkwürdige
Eigenthümlichkeit, dass sie der Diffusion der Krystalloide
kein Hinderniss entgegensetzen, wohl aber der Diffusion von
v.KdbeU: Nekrolog auf Thomas Graham. 409
Colloiden. Solche Scheidung mit Anwendung einer Colloid-
substanz als Scheidewand nennt er Dialyse und erhielt
duich sie bei Anwendung verschiedener Lösungt.n von Kiesel-
erde, Thonerde, Eisenoxyd, Chromoxyd etc. diese Substanzen
in bisher ungekannten Zuständen, auch gelangte er dabei
zu neuen interessanten Verbindungen von Zucker mit Eisen-
oxyd, mit Uranoxyd, mit Kupferoxyd Ltc.
Er hit durch diese Dialyse ein einfaches Mittel kennen
gelehrt. Albumin, Thierleim und Fleischextract, welche durch
eine Colloidscheidewand nicht diffundiren . von den beige-
mischten diffundirenden Salzen zu leinigen und ebenso die
arsenige Säure aus einer Masse zu scheiden , welche viel
organische Substanz enthält. Sie diffundirt nämlich durch
ein Perganientpapier und geht frei von Colloidsubstanzen in
das äussere Wasser über , worin sie nun mit Sicherheit
nachgewiesen werden kann.
Man ersieht aus dem Angeführten, von welchem Interesse
diese Arbeiten sind, sowohl in reinwissenschaftlicher als auch
in technischer Beziehung.
Dergleichen Untersuchungen hat er weiter über das
Diffundiren der Gase angestellt und die Geschwindigkeit
bestimmt, mit welcher verschiedene Gase durch Capillar-
röhren gehen , wobei er fand , dass sie unter einander in
einem constauten Veihältniss stehen und eine besondere
Eigenschaft dieser Gase bilden. Durch mancherlei Wechsel
der Durchgangsöff'nungen und Wandungen bei verschiedenem
Druck erkannte er, dass sich das verschiedene Verhalten
der Gase unter diesen Umständen zu einer partiellen Scheidung
Von Gemengen anwenden lasse. Er verknüpft damit theore-
tische Betrachtungen über die Gasmoleküle und dehnt sie
allgemein aus über die Constitution der Materie, deren Ver-
schiedenheit in einer schnelleren oder langsameren Bewegung
ihrer Atome bestehe.
Graham hat diese Arbeiten wiederholt aufgenommen
410 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1870.
und weiter geführt unl gelangte bei der Untersuchung des
Durchgangs der Gase durch erhitzte Metallplatten zu sehr
merkwürdigen Resultaten, indem er beobachtete, dass nament-
lich für den Wasserstoff eine Absorption durch das Metall
stattfinde. In auffallendem Grade erkannte er dieses für
das Palladium, welches bei 245 ° sein 526 faches Volum an
Wasserstoff absorbirt. Diese Absorptionserscheinungen ver-
anlassten ihn auch zu einer bezüglichen Untersuchung von
Meteoreisen. In solchem Eisen von Lenarto, auf einem
Gipfel der Karpathen im Jahre 1814 gefunden, entdeckte
er in der That Wasserstoffgas, wovon er beim Glühen über
das 2V« fache Volumen der angewandten Probe erhielt. Er
schloss daraus, dass das Lenarto-Eisen aus einer Wasser-
stoffatmosphäre stamme, welche dichter als die unsrige sein
müsse, da das Schmiedeisen unter dem Druck von einer
Atmosphäre nur sein gleiches Volum Wasserstoff absorbire.
Die Erkenntniss von Wasserstoff im Lichte der Fixsterne
wie sie von Huggins und Miller durch die Spectralanalyse
dargethan wurde, findet mit der Entdeckung Grahams
eine überraschende Bestätigung. Graham schlug dann noch
einen anderen Weg ein , die Absorption des Wasserstoffs
durch Palladium und andere Metalle zu studiren. Er be-
diente sich dazu des galvanischen Stromes und erkannte,
wenn eine Palladiumplatte als negative Electrode gebraucht
wurde , dass sie das 800 fache ihres Volums an Wasserstoff
und selbst noch mehr aufnahm und dass dieses aufgenommene
Gas im luftleeren Raum nicht entwich, also aufhörte in so
gebundenem Zustande ein Gas zu sein. Diese eigenthümliche
Erscheinung verfolgte er nach den verschiedensten Richtungen
durch Experimente mit der erhaltenen Palladiumverbindung
und es ergab sich, dass der gebundene Wasserstoff als
metallisirt angesehen werden kann, dass sein Metall, welches
er Hydrogenium nennt, in der Dichtigkeit sich zwischen
Kalium und Lithiom stelle, dass es ein Leiter der Electricität
v.KobeU: Nekrolog auf Thomas Graham. 411
sei und zu den magnetischen Metallen gehöre. Nach seiiieu
Reactionen, die verschieden von denen des gas^förmigen Wasser-
stoifs, sieht er an ihm ein Verhältniss zu diesem üiinlich
dem des Ozon zum Sauerstoff.
Nicht minder wichtig als die Arbeiten über Diffusion
sind diejenigen, durch welche Graham seine isomeren Phosphor-
sauren entdeckte und ihre Verbindungen darstellte. Die Ej-
scheiuung, dass dieselbe Säure unter anderm durch erhöht.^
Temperatur in derartig veschiedene Zustände versetzt werden
kann, dass sie das Wasser und die Basen, mit welchea sie
sich verbindet, nun nicht mehr in derselben Anzahl von
Atomen aufuimUit , sondern dreierlei Modificationeu ent-
sprechend in verschiedener Weise die Verbindungen eingeht.
Diese Erscheinung ist ein Räthsel , dessen Lösung dem zur
Zeit noch dunkeln Gebiete der Lagerungsverhältnisse der
Atome anheimfällt, gleichwohl, wenn- auch unerklärt, ist es
von Werth, zu wissen, das aus diesen Verhältnissen so selt-
same Anomalieen hervorgehen können. — An diese Unter-
suchungen reihten sich andere über die Ursache, warum das
Phosphorwasserstoffgas unter Umständen sich an der Luft
nicht entzündet und Graham zeigte — wie solches Gas durch
kleine Beimengung anderer oxydirbarer Gase zur Selbst-
entzündung gebracht werden könne, eine Beobachtung deren
Interesse für die theoretische Chemie durch den Umstand
erhöht wird, dass die Vermittler der Erscheinung ujit dem
nun entzündungsfähigen Gase keine Verbindung eing.dieu
und doch dieses Entzündlichwerden bestimmen. — Andere
seiner Untersuchungen betreffen die Verbindung der Salze
mit Alkohol, die Fällung von Metallsalzen durch ausgebraunte
Kohle, das Krystallwasser der schwefelsauren Salze u. s. w.
Sein Werk „Elemente der Chemie" hat sich in England und
auswärts grossen Ruf erworben.
Es kann hier nur auf einige der vielen Arbeiten hinge-
wiesen werden, welche der berühmte Mann zu Tage gefördert
412 OeffenÜiche Sitzung vom 28. März 1870.
hat und welche zeigen, dass er vor keiner Schwierigkeit
zurückgewichen, die sich bei den gewählten Aufgaben seiner
Forschung entgegeugestellt haben.
Für seine Arbeiten über die Diffusion der Gase erhielt
Graham den Keith Preis der Royal Society of Edinburgh 1834
und für seine Arbeiten über die Phosphate und Dialyse 1862
die Copley-Medaille. Er war conespondirendes Mitglied des
Instituts von Frankreich.
Karl Gustay Carus,
geboren am 3. Januar 1789 zu Leipzig, gestorben am
28. JuH 1869 zu Dresden.
Als Carus im Jahre 1840 von Heinrich von Schubert
2um correspondirenden Mitgliede der Akademie vorgeschlagen
wurde, betonte dieser den Ruf des vielseitigen Gelehrten
in den Wissenschaften der vergk-ichenden Anatomie, Physio-
logie und Psychologie, in der Zoologie und Zootomie. Dieser
Ruf hat sich noch durch dessen spätere Arbeiten gesteigert
und erhielten viele von ditsen ein eigenthümhches Gepräge
durch philosophische und poetische Reflexionen mit welchen
bie belebt waren. Die seltene Begabung des Mannes und
sein Interesse für Alles, was im Reiche der materiellen
Kutur dem Auge entgegentritt, ebenso wie seine Neigung,
in den Gebieten der Kunst sich zu orientiren und zu ergehen,
führte ihm eine Reihe der verschiedensten Aufgaben zu und
beschäftigte ihn mit ihrer Lösung. Dabei war es natüHich,
dass er ebensoviele Acclamationen fand, als er auch Wider-
sprüche, Streit und Anfechtungen erleben musste. Er sagt
darüber in seinen Lebenserinnerungen „der Mensch kann nun
v.KdbeU: Nekrolog auf Karl Gustav Carus. 413
einmal nur das verstehen, günstig aufnehmen und mit Lust
sein nennen, was ihm selbst, d. h. dem eigenen organischen
Wachsthum seines Erkeuntnissvermögens entspricht und auf
das besondere Wesen seines Geistes deshalb eine nach-
haltige Anziehung ausübt. Nnn giebt es viele, für welche
nur das, was sie das Reale nennen, das wahrhaft Anziehende
' bleibt, während dagegen alles Schauen des tiefereu Grundes
der Dinge, alle Abstraction vom sogenannt unmittelbar Sinn-
hchen, mit einem Wort die Idee — das Ideale — für sie
so gut wie nicht vorhanden ist." Er bekennt sich aber für
das ideale Anschauen der Welt und für poetische Erhebung.
i Vieljähriger Briefwechsel mit Göthe , der Verkehr mit
! Tiek und mit allen Notabilitäten seiner Zeit in Kunst und
1 Wissenschaft war von Einfluss auf den Gang seines Denkens
und Forschens.
Im Jahre 1804 wurde er als akademischer Bürger an
der Universität Leipzig aufgenommen , wo er Naturwissen-
schaften und vorzugsweise Anatomie und Medicin studirte ;
1811 magister legens, las er über vergleichende Anatomie
und assistirte an der neuerrichteten Entbindungsanstalt;
1813 übernahm er ein französisches Spital in Pfaffendorf,
einem Vorwerke Leipzigs und 1814 wurde er nach Dresden
als Professor und Director der geburtshilflichen Klinik berufen.
Er pubhcirte damals sein Lehrbuch der Zootomie, sein Lehr-
buch der Gynäkologie, seine von der Akademie in Kopen-
hagen gekrönte Preisschrift „Von den äusseren Lebens-
bedingungen der weiss- und kaltblütigen Thiere, den Anfang
seiner ,,Erläuterungstafelu zur vergleichenden Anatomie" und
im Jahre 1827 seine Entdeckungen über den Blutkreislauf
der Insecten, für welche ihm das Institut von Frankreich
die grosse goldene Preismedaille zuerkannte. In diesem
Jahre wurde er zum Leibarzt bei dem König Anton von
Sachsen ernannt und seiner Professur enthoben. Nachdem
er dann seine „Grundzüge zur vergleichenden Anatomie und
[1870. 1. 3.] 27
414 Oeff entliehe Sitzung vom 28. Mars 1870.
Physiologie" und sein Werk „Ueber die Ur-Theile des
Knochen- und Schalengerüstes (1828) herausgegeben, be-
gleitete er den Prinzen Friedrich , nachmaligen König
Friedrich August II. , auf einer Reise nach Italien und in
die Schweiz, und veröffentlichte deren wissenschaftliche Aus-
beute in seinen ,,Analekten zur Natur- und Heilkunde"
(1829). Er hielt dann nach dem Wunsche vieler Gelehrten,
Künstler und Staatsmänner in Dresden Vorträge über
Anthropologie und Psychologie.
Daneben pflegte er die Kunst der Landschaftsmalerei
und entwickelte darüber seine Ansichten in den bezüglichen
1831 herausgegebenen Briefen. Eine Reise nach Paris und
in die Rheingegenden, sowie später nach England als Begleiter
des Königs Friedrich August IL veranlasste Publicationeu,
welche er in Geist und Stil seines hochverehrten Vorbildes
Göthe geschrieben hat. Sein System der Physiologie (1840),
seine Grundzüge einer neuen und wissenschaftlichen Kranios-
kopie (1841), die Symbolik und Proportionslehre der mensch-
lichen Gestalt (1853, 54, 58) sowie sein Organon der Natur
und des Geistes (1856) bewegen sich auf dem Boden der
Beobachtung wie freier philosophischer Speculation. Mit
besonderer Anerkennung wurden seine Studien zur Ent-
wicklungsgeschichte der Seele, sein Buch ,, Psyche" aufge-
nommen, welchem er ein Seitenstück ,,Physis" folgen Hess.
In seinen Briefen über das Erdenleben (1841) giebt er eine
auch die Schöpfungstage deutende geologische Hypothese, in
welcher ihn die Phantasie verführt, den Chemikern Vorwürfe
zu machen, dass sie die Entwicklung höherer Elementar-
substanzen aus niederen , Kalkerde , Eisen, Salze aus ein-
förmigem Eiweiss , welches nichts oder nur Spuren davon
enthalte, nicht beachten, dass sie die Verwandlung eines
Elementarstoffes in einen anderen verwerfen, während er sie
alle zuerst aus einer homogenen Aethermasse und weiter
auseinander selbst hervorgegangen ansieht. Er beklagt, dass
v.KoheU: Nekrolog auf Otto Linne Erdmann. 415
die Chemiker ebensowenig die genetische Reihenfolge würdigen,
welche je nach der physiologischen Bedeutung dieses oder
jenes Stoffes für den gesammten Erdorganismus aufgestellt
werden sollte. Solche Speculationen kamen vielfach in
Conflict mit den Thatsachen der Erfahrung , die Natur-
philosophie hat sich aber durch derlei Hindernisse in ihrer
Bewegung niemals aufhalten lassen und Carus hatte das
Spiel der Phantasie zu lieb gewonnen, als dass er seine
Aethertheorie aufgeben wollte, obgleich ihm die Arbeiten
analytischer Forscher wohl bekannt waren.
Die Geistesepidemie des Tischrückens veranlasste 1857
ein Buch von ihm .,Ueber Lebensmagnetismus und über die
magischen Wirkungen überhaupt." —
Aufschluss und Verständniss über die seltene Thätigkeit
dieses Mannes geben seine .jLebenserinnerungen und Denk-
würdigkeiten (bis jetzt 4 Theile) welche auch' von Werth und
Interesse sind in Beziehung auf Zeichnung und Beurtheilung
seiner Zeitgenossen; diese Memorien beschäftigten ihn noch
im Jahre 1866 in seinem 78. Lebensjahre.
Zu den mannigfachen Ehren, welche ihm zu Theil ge-
worden, gehört die 1862 erfolgte Wahl zum Präsidenten
der ältesten cisalpinischen gelehrten Körperschaft, der
Deutsch-Kaiserlichen Leopoldo-Carolinischeu Akademie (ge-
stiftet 1652).
Otto Linne Erdmann,
geboren am 11. April 1804 zu Dresden, gestorben am
9. Oktober 1869 zu Leipzig.
Erdmann begann seine wissenschaftliche Laufbahn mit
Studien der Medicin 1820 an der damals in Dresden be-
27*
416 Oeffenttiche Sitzung vom 28. März 1870.
stehenden medicinisch - chirurgischen Akademie und setzte
dieselben 1822 an der Universität Leipzig fort, wandte sich
aber später ausschliesslich der Chemie zu und trat 1825
als Docent in Leipzig auf. Nachdem er 1827 eine Abhandlung
über das Nickel geschrieben, wurde er zum ausserordent-
lichen Professor ernannt und bearbeitete nun ein Lehrbuch
der Chemie, welches 1828 erschien und bis 1851 vier Auf-
lagen erlebte. Er gründete hierauf ein Journal für technische
und ökonomische Chemie, wovon 18 Bände erschienen
(1828—33) und von 1834 an zum Theil mit Schweigger-
Seidel, Marchand und Werther das noch bestehende Journal
für praktische Chemie. Die Leitung eines solchen Journals
hat zu jeder Zeit einer aufopfernden Thätigkeit bedurft und
namentlich in unsern Tagen ist eine solche beansprucht. Die
sogenannte moderne Chemie hat der älteren , zum Theil
mit, zum Theil auch ohne Grund eine ganz veränderte Ge-
stalt gegeben und die Nomenklatur ist in ähnlicher Weise
umgewandelt worden. Unter solchen Verhältnissen mehren
sich die Schwierigkeiten der Redaction eines chemischen
Journals und Erdmann hat sich dabei als ein ausdauernder,
sehr verdienstvoller Arbeiter bewährt. Im Jahre 1834 er-
schien von ihm auch ein Grundriss der Waarenkunde.
Seine speciellen chemischen Arbeiten betreffen sowohl
die anorganische als die organische Chemie und sind darunter
hervorzuheben : die Abhandlung über die Nickelsalze, deren
er mehrere neue dargestellt hat, seine Untersuchungen über
das Indigo und die Producte, die es mit Chlor liefert, über
Hämatoxylin, über Anilin, über die Zusammensetzung der
Talg- und Margarinsäure, über Euxanthinsäure und seine
mit Marchand angestellten Bestimmungen der Atomgewichte
des Kohlenstoffs, des Calciums, des Quecksilbers, des Schwefels,
und Kupfers, sowie des Nickels und Selens.
Zum Professor der technischen Chemie ernannt, gründete
er in Leipzig ein neues chemisches Laboratorium (1842)
V. KdbeU: Nekrolog auf Eiidolph Kner. 417
welches sich einen Ruf in ganz Deutschland erworben
hat. —
Mit einer liebenswürdigen Persönlichkeit verband Erd-
mann die Gabe eines klaren Lehrvortrags und gewann damit
seine Zuhörer und Schüler, auch in populären Darstellungen
zeigte er seltene Meisterschaft und erfreute sich eines treff-
lichen Rednertalents, welches er bei den Versammlungen der
deutschen Naturforscher öfters mit Beifall bewährt hat. Er
war einigemale Rector der Hochschule und Deputirter auf
dem Landtag, auch zuletzt Director der Leipzig-Dresdner
Eisenbahncompagnie. —
Rudolph Kuer,
geboren am 24. August 1810 zu Linz, gestorben am
27. Oktober 1869 zu Wien.
Kner war der Sohn eines oberösterreichischeu land-
ständischeu Beamten. Nach gemachten Gymnasialstudien
wollte er sich der Medicin widmen , nahm aber bald eine
Praktikantenstelle am kaiserlichen Hof-Naturalien-Cabinet an
Uüd beschäftigte sich mit zoologischen, namentlich ichthyo-
logischen Studien. 1841 wurde er zum Professor der Natur-
geschichte und Landwirthschaftslehre au der Lemberger
Hochschule ernannt und 1849 zum Professor der Zoologie
in Wien.
Seine Arbeiten umfassen theils die Systematik der
Fische, theils beziehen sie sich auf zootomische und paläonto-
logische Verhältnisse der Fischkunde. Die betreffenden Ab-
handlungen sind theils in den Denkschriften und Sitzungs-
berichten der kaiserlichen Akademie der ^Yissenschaften in
Wien, theils in Haidinger's naturwissenschaftlichen Abband'
418 Oeffentliche Sitzung vom 28. Mars 1870.
lungen erschienen. Es sind besonders hervorzuheben : seine
systematische Bearbeitung der Panzerwelse und Hypostomiden,
seine Charakteristik der Labroiden, seine Beiträge zur
Familie der Characinen und Siluroiden, seine anatomischen
Arbeiten über den Flossenbau der Fische, über die Mägen
und Blinddärme der Salmoniden, über einige Sexual-Unter-
schiede bei Callichthys und über die Schwimmblase bei
Doras.
Er schrieb ferner über die ichthyologische Ausbeute
während der Reise der Fregatte Novara, über die neuen
Gattungen und Arten der von Professor Moritz Wagner in
• Central- Amerika gesammelten Fische und in Gemeinschaft mit
Heckel über die Süsswasserfische der österreichischenMonarchie.
Seine paläontologischeu Arbeiten betreffen die Ver-
steinerungen des Kreidemergels von Lemberg und seiner
Umgebung, ebenso die von Ostgalicien und die fossilen Fische
Oesterreichs (zum Theil mit Steindachner bearbeitet). Die
fossilen Fische der Asphaltschiefer von Seefeld in Tyrol
hat er speciell in Vergleiclmng mit denen der bituminösen
Schiefer von Raibl in Kärnthen untersucht und die sie
führenden Formationen als der Triasgruppe zugehörig be-
stimmt. —
Kuer war von den Fachgelehrten als ein ausgezeichneter
Forscher anerkannt.
Joseph Redtenlbaclier,
geboren am 12. März 1810 zu Kirchdorf in Oesterreich ob
der Euns, gestorben am 5. März 1870 zu Wien.
Redtenbacher machte seine ersten der Chemie gewidmeten
Studien zum Theil bei Baron y. Liebig in Giessen, wurde
V. Köbell: Neh'ölog ton Jose;ph Beätenbacher. 419
dann Professor der allgemeinen und phurmaceutisclien Chemie
in Prag und bekleidete diese Stelle weiter in Wien seit 1849.
Er hat sich vorzugsweise in der organischen Chemie durch
mehrere Untersuchungen ausgezeichnet. Es gehören dahin
seine Analysen der Talgsäure, der Fettsäure und des Acro-
lein's. Letztere Untersuchung bewährte den eifrigen Forscher,
denn sie bot grosse Schwierigkeiten, von denen, wie Berzelius
hervorhob, die gröbsten in dem nachtLeiligen Einfluss dieser
flüchtigen Substanz auf die Gesundheit begründet sind, da
die geringste Menge in der Luft des Laboratoriums Ent-
zündung der Augen hervorbringt und man von grösseren
; Quantitäten das Bewusstsein verlieren kann. Die Substanz
' wird daneben so leicht durch den Zutritt der Luft zersetzt,
dass deren Darstellung besondere Vorsichtsmassregeln uoth-
wendig macht und die erforderlichen Destillationen in einer
Atmosphäre von Kohknbäure vorgenommen werden müssen.
Diese Schwierigkeiten, sagt Berzelius, welche gleichzeitig
Widerwillen und Verzweiflung am glücklichen Erfolg ver-
anlassten, schreckten Ptedtenbacher doch nicht davon ab.
Er erhielt das Acrolein durch Einwirkung von wasserfreier
Phosphorsäure auf Gljcerin, führte dessen Elementaranalyse
durch und untersuchte seine Veränderungen und Verbindungen,
die Acrylsäure, das Disacron und das Acrolharz.
Seine Untersuchung über die Ameisensäure in faulendem
Kiefernreisig, über die flüchtigen Säuren in der Butter, wobei
sich ein eigenthümlich modificirender Einfluss des Viehfutters
herausstellte, über Taurin und mehrere Analysen von Mineralien
und Mineralwässern geben Zeugniss eines umsichtigen Be-
obachters, welchem auch die zur Weiterführuug wissenschaft-
licher Erkenntniss so nothwendige Speculation und Com-
binationsgabe eigen war. Mit seinem Lehrer, Baron v. Lielig,
hat er einige Arbeiten gemeinschaftlich gemacht , so Be-
stimmungen des Atomgewichtes des Kohlenstoffs und die
Darstellung einer neuen organischen Basis, des Carbothialdin.
420 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1870.
Zu seinen letzten Arbeiten gehören Studien über Rubidium
und Cäsium, und hat er auf die verschiedene Lösliclikeit
der Alaune dieser Metalle und des mit Kali gebildeten und
damit auf eine neue Trennungsmethode derselben aufmerksam
gemacht.! Redtenbacher war ein geschätzter Lehrer und
die Klage um sein Hinscheiden ist unter seinen Freunden
und Schülern eine allgemeine. Er war seit der Gründung
der Wiener - Akademie MitgHed derselben.
Franz Unger,
geboren 1800 zu Leitschach in Steiermark, gestorben am
13. Februar 1870 zu Graz.
Unger machte seine Studien in Wien und Prag, promovirte
1827 in Wien und lebte dann bis 1830 als praktischer Arzt
in Stockerau und die nächsten drei Jahre ebenso in Tyrol.
1833 wurde er Professor am Joaneum in Graz und 1850
als Professor der Botanik an die Universität nach Wien
berufen.
Unger hat sich um seine Wissenschaft allgemein an-
erkannte Verdienste erworben und seine Detailforschungen
mehrfach verwerthet, um den grossen Organismus der Pflanzen-
welt zu näherem Verständniss zu bringen, ebenso ihre Be-
ziehung zur Thierwelt und zu den Gesteinsformationen,
welche sie mitbedingen. Schon sein erstes Werk über die
Hautkrankheiten der Gewächse überraschte die Fachkundigen
durch die Feinheit und Schärfe der Beobachtungen; seine
Schrift über den Einfluss des Bodens auf die Vertheilung
der Gewächse, die von der kaiserhch russischen Akademie
gekrönte Preisschrift über das anatomische Verhältniss des
V. Kdbeü: Kekrölog auf Frans Unger. 421
Mono- und Dikotyledonen-Stammes und den Grundriss der
allgemeinen Botanik, welchen er mit Endlicher herausgab,
gründeten seinen Ruf. Ein späteres Werk ., Versuch einer
Geschichte der Pflanzenwelt'', umfasst Alles , was zu den
Verhältnissen der Vegetation in Beziehung steht, ünger
glaubt an eine bestimmte Existenzdauer jeder Art, nach
welcher sie untergehen müsse und an eine Entwicklung einer
Pflanzenart aus einer anderen, als das Resultat des Zusammen-
wirkens bereits organisirter Kräfte. Er geht darin so weit,
dass er an eine die Pflanzenwelt bedingende Urpflanze denkt
und die Bildungen zuletzt auf eine Zelle für reducirbar
hält. Dass ähnliche Ansichten seiner Vorgänger bestritten
wurden, hindert ihn nicht, sie neu anzuregen und die Dar-
win'schen Lehren gaben erweiternde Analogien. In dergleichen
Speculationen weniger ängstlich als viele seines Faches, be-
spricht er auch in einer Abhandlung .,die Pflanze im ]\Iomente
der Thierwerdung", wozu ihm das Studium der Vaucheria
clavata und ähnlicher Algen die Materialien lieferte. Er
hatte beobachtet, wie aus der anschwellenden Alge ein Körper
hervordringe, welcher im Wasser sich bewegend wie ein
Infusorium herumschwimmt, dann aber wieder diesen Anfang
thierischen Lebens beendet und zu keimen beginnt, um
neuerdings die Infusorienartigen Körper auszuscheiden. Ob-
wohl die namhaftesten Naturforscher diese Erscheinungen
nicht in Ungers Sinn deuteten, so setzte er nur um so
eifriger seine Studien darüber fort und seine Abhandlung
wird immer eine werthvolle Grundlage bleiben , wenn be-
trefi'ende Gegenstände zur Sprache kommen.
Mit besonderer Vorliebe hat Unger die fossile Flora
zum Gegenstand seiner wissenschafthchen Thätigkeit gemacht
und mit dem Mikroskop feine Dünnschlifi'e an fossilen und
lebenden Holzarten vergleichend untersucht, so auch die
fossilen Palmen, über welche er eine Abhandlung schrieb,
die in Martins Historia naturalis aufgenommen ist; er be-
422 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1870.
stimmte mehrere fossile Pflanzen aus den Solenhofer Schiefern
und der verwandten Formation von Nusplingen in Würtem-
berg, aus der Liasformation der nordöstlichen Alpen Oester-
reichs und aus den Tertiärbildungen des Taurus und viele
andere.
Seine Synopsis plantarum fossilium vom Jahre 1845
giebt eine üebersicht aller damals bekannten fossilen
Pflanzen in systematischer Reihung und mit Rücksicht auf
die geognostischen Formationen welchen sie angehören. Er
zählte 1600 Pflanzen-Arten ; seine 1850 eischienene Schrift:
Genera et species plantarum fossilium giebt deren schon
2421 an, worunter viele neue Entdeckungen von ihm. Andere
seiner Werke sind : die Chloris protogaea, die Anatomie und
Physiologie der Pflanzen, die Urwelt in ihren verschiedenen
Bildungsperioden. Letzteres Werk zeigt üngers Neigung,
die Erfahrungen mit Gebilden der Phantasie und Poesie in
Verbindung zu bringen; er giebt eine Reihe landschaftlicher
Darstellungen von der sogenannten Uebergangszeit bis zur
Jetztwelt und gewähren dieselben einen überraschenden Blick
in jene untergegangenen Schöpfungen. Die Vegetationsgruppen
sind durch den Künstler Jos. Kuwasseg sehr malerisch ge-
ordnet und die Landschaften auch durch die grossen Thiere
belebt compinirt, deren Formen mit Rücksicht auf ihren
Bau und verwandte Geschlechter ausgeführt worden. Die
Paläontologie verdankt ünger auf dem Gebiete der Pflanzen-
kunde, was sie Hermann v. Meyer auf dem der Thierkunde
zu verdanken hat. Beide Forscher haben sich darin auf
das erfreulichste ergänzt. — Werthvolle Arbeiten umfassen
auch seine Botanischen Streifzüge auf dem Gebiete der
Culturgeschichte ; sie behandeln die Pflanze als Erregungs-
und Betäubungsmittel, als Zaubermittel, die Pflanzen des
alten Aegyptens und anderes und zeigen von grosser Belesen-
heit und betreffenden ausgebreiteten historischen Studien.
Reisen nach Aegypten, Syrien, Cypern, Griechenland und
v.DöUinger: Nekrolog auf Karl Maria Frhr. v. Äretin. 423
wiederholte Besuche Dalmatiens haben ihm Stoff zu solchen
in mehrfacher Hinsicht anziehenden Darstellungen und Be-
sprechungen gegeben.
c) Der Sekretär der historischen Classe Herr von
Döllinger:
Die historische Classe der Akademie hat noch eine Schuld
abzutragen, und dem Gedächtnisse eines bereits am 29. April
1868 verstorbenen Mitgliedes einige Worte zu widmen.
Es ist diess
Karl Maria Freiherr von Aretin.
Die Aretin's sind ein aus dem Auslande gekommenes,
aber nun schon anderthalb Jahrhunderte in Baiern einge-
bürgertes Geschlecht. Der Stammvater, 1706 zu Coustan-
tinopel geboren, hiess Johann Christoph Aroution Capiadur,
soll der Sage nach aus einem altarmenischen königlichen
Geschlechte entsprossen gewesen sein und ward als kleines
Kind nach Venedig und von da nach München gebracht, wo
sich die Kurfürstin Theresie Kunigunde, des Kurfürsten Max
Emanuel zweite Gemahlin, seiner annahm und ihn bei Hofe
erziehen liess. Anders freilich erzählt Ritter von Lang in
seinen Memoiren den Ursprung der Familie ; nach seiner
Behauptung wäre der erste Aretin ein Sohn der Kurfürstin
gewesen, den sie in Arezzo (daher der Name) habe erziehen
lassen. Der Vater unseres Aretin war der Freiherr Christoph
von Aretin, 1773—1824, der als Präsident des Amberger
424 OeffenÜiche Sitzung vom 38. März 1870.
Appellations-Gerichtes in München starb — ein Mann, bekannt
durch politische Kämpfe und Schriften, die ihm mancherlei
Missgeschick und Verdruss zuzogen , aber auch durch seine
literarischen Kenntnisse und seine Bemühungen um die Be-
reicherung und Ordnung der Staatsbibliothek, deren Vorstand
er einige Jahre war, und die erst unter ihm und durch ihn
zum Range einer der ersten Bibliotheken Europa's erhoben
wurde.
Sein Sohn war der am 4. Juli 1796 geborne Karl Maria
von Aretin, Die Befreiungskriege von 1813—15 rissen den
Jüngling aus seinem Studiengange heraus; er diente im
Heere ; wandte sich darauf dem diplomatischen Fache zu ;
arbeitete im Generalstab und im Kriegsministerium. Nach
einiger Zeit, (1826) zog er sich auf's Land zurück, und
hier erwachte in ihm neben den praktischen Beschäftigungen
mit der Landwirthschaft die Neigung zu historischen Studien,
zunächst zu Forschungen und Arbeiten über die baierische
Geschichte neuerer Zeit. Die erste Frucht seines Fleisses
war 1838 ,,das chronologische Verzeichuiss der Bayerischen
Staatsverträge", ein Werk, das jedem Freunde der vater-
ländischen Geschichte als bequemes und unentbehrliches
Hilfsbuch äusserst willkommen sein musste, und überdies
eine reichliche und gutgewählte Sammlung bisher unbekannter
Urkunden darbot. Hatte diese Schrift nur das Verdienst
einer emsigen und sorgfältigen Sammlung, so erhob sich
Aretin schon im nächsten Jahre weit höher in dem Werke;
„Bayerns auswärtige Verhältnisse seit dem Anfange des sechs-
zehnten Jahrhunderts" Passau 1839, 1. Band. Dieser Band
(eine Fortsetzung ist nicht erschienen) reicht bis zum Jahre 1654,
macht aber auf Vollständigkeit keinen Anspruch. Nur die
Zeit von 1535 bis 1550 wird zuerst etwas eingehender
dargestellt, die Beziehungen Baierns zu Karl, Ferdinand und
dem schmalkaldischen Bunde. Die Zeit von 1550 bis 1608
wird auf ein paar Seiten erledigt, dann aber folgt eine aus-
v.Bottinger: Nekrolog auf Karl Maria Frhr. v. Aretin. 425
führliche und viel Neues darbietende Darstellung der aus-
wärtigen Politik Maximilians I. bis zum Tode Wallensteins.
Die vielversclilungenen Fäden dieser zwischen Frankreich,
Oestreich, Spanien, Dänemark, Schweden, der Liga und der
Union sich scheinbar unstät und doch innerlich consequent
liin und her bewegenden Politik hat x\retin gut dargelegt,
freihch in vorherrschend apologetischer Weise, denn Max I.
war einmal der Heros, den er sich erkoren hatte, und wie
sehr damals in Madrid und Wien gegen den ßaierischen
Fürsten gesündigt worden sei , wird nachdrücklich hervor-
gehoben. Nach drei Jahren (1842) folgte diesem Buche,
das schon zum weitaus grössten Theile den ersten baierischen
Kurfürsten behandelte, der erste Band einer umfassenden
Geschichte desselben. Hier wurde eine Schilderung Baierns,
besonders der kirchlichen Zustände und Massnahmen in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und der Jugend und
Erziehung Maximilian's gegeben. Das Ganze wäre wohl,
wie ich vom Verfasser gehört zu haben mich entsinne, sechs
Bände stark geworden. Aber eine Fortsetzung ist, obgleich
Herr von Aretin noch 26 Jahre lebte, nie gefolgt, und es
scheint auch nichts davon im Manuscript sich vorgefunden
zu haben. Vielleicht hat ihn die unübersehbare Masse des
Materials abgeschreckt, welches noch hätte durchgearbeitet
werden müssen, denn er bemerkt in der Vorrede, dass die
in den Münchener Archiven aus der Regierungszeit Max I.
vorhandenen Akten sich auf mehr als 21/2000 Bände und
Fascikel belaufen.
Noch einmal wandte sich Aretin zu der Periode des
dreissigjährigen Krieges , die er zum Hauptstudium seines
Lebens gemacht hatte, als er zur Zeit seines Eintritts in
unsere Akademie 1845 Wallenstein zum Gegenstande seiner
Rede wählte. Er wollte nicht eine erschöpfende Darstellung
des Mannes und seiner Lebensgeschichte geben, sondern wie
er es auf dem Titel bezeichnet, nur Beiträge spenden zur
426 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1870.
Kenntniss seines Charakters, seiner Pläne und seiner Ver-
hältnisse zu Baiern. Die Briefe und Berichte des Baierischen
Gesandten in Wien sind hier die Hauptquelle, und so er-
giebt sich denn ein sehr ungünstiges Bild , da Maximihan
Wallenstein gegenüber durchweg argwöhnisch und feindselig
gesinnt war. Ranke hat daher (Wallenstein S. 150) bemerkt,
die zuerst von Aretin publicirten und von Hurter aufgenom-
menen Mittheilungen über \Yallenstein verdienen nur die Be-
achtung , wo sie von factischen Zuständen Meldung thun.
Ihre Schlussfolgerungen beruhen grossentheils auf Unkunde
oder Verdacht. Dass sie gleichwohl von hohem Werthe seien
und fast das Meiste zu der Auffassung beigetragen haben,
welche heut zu Tage die Oberhand gewonnen hat, diess bat
Ranke schon in der Vorrede zu seinem neuesten Werke über
den grossen Feldherrn ausgesprochen. Es ist nicht zu läugnen,
dass Aretin seinen Quellen zu unbedingt geglaubt, und dadurch
den Schein einer leidenschaftlichen Eingenommenheit gegen
den Mann, den er darzustellen unternommen, auf sich ge-
laden hat. Dem Zerrbild, das er z. B. von Wallensteins
äusserer Erscheinung entworfen, hat nun Ranke eine völlig
verschieden lautende, aber offenbar wahrere Schilderung
(S. 348) entgegengesetzt. Immerhin wird Aretin's Buch
seinen Werth als unentbehrliche Stoffsammlung behalten.
Aretin hat in frühereu Zeiten noch Beiträge zu der
Zeitschrift: Kriegsscbriften , herausgegeben von Baierischen
Offizieren, geliefert. Eine kleine aber anschauliche und gut-
geschriebene Denkschrift : Tilly und Wrede , die er durch
die Aufstellung der beiden Statuen in der Feldherrnhalle
veranlasst schrieb, wurde viel gelesen. Zu seiner letzten
Publication , den mit künstlerischer Schönheit und Pracht
ausgestatteten Alterthümern und Denkmalen des Baierischen
Herrscherhauses in acht Heften von 1855 bis 1868, ward
er wie durch die Muuificenz des Königs Max 11. , so durch
seine Stellung am Baierischen Nationalmuseum veranlasst.
v.DölUnger: NeJcrolog auf Heinrich Schäfer. 427
Bekanntlich ist diese Zierde Baierns und Münchens ganz
eigentlich seine Schöpfung. Er ist es, der iu unermüdeter
seine späteren Lebensjahre hauptsächlich ausfüllender
Thätigkeit und das ganze Land durchwandernd und durch-
forschend diesen fast beispiellosen Reichthum von Kunst-
werken und Antiquitäten zusammengebracht und geordnet
hat. Das war nur möglich durch die Gunst und das Ver-
trauen seines Königs, welches ihm auch die Vorstandschaft
zweier Archive, eine wichtige diplomatische Stellung in Berlin
und Wien, und die Würde eines lebenslänglichen Reichs-
raths übertrug. Als Mitglied des Zollparlaments ist er in
Berlin eines plötzlichen durch Schlaganfall bewirkten Todes
gestorben. Dem Fremden, der mit dem Namen dieses
um Baiern so hochverdienten Mannes auf den Lippen in die
Hallen unseres National -Museums tritt, können wir sagen:
Monumentum quaeris? circumspice.
Am 2. JuH 1869 starb in Giessen
Heinrich Schäfer,
Professor und Universitäts-Bibliothekar, geboren den 25, April
1794 zu Schlitz in Oberhessen, als der jüngste Sohn des
dortigen Cantors und Knabenlehrers, konnte er erst nach
Ueberwindung grosser Hindernisse seiner Neigung zu den
Studien erst in Hersfeld, dann in Giessen Folge geben. Er
studirte Theologie, aber als ihm 1821 eine Beamtenstelle
in der reichen Hof- und Staats-Bibliothek zu Darmstadt zu
Theil wurde, wandte er sich dem Studium der Geschichte
zu, deren Quellen ihm hier in so vollständiger Weise zu-
gänglich geworden waren. Zwölf Jahre später erlangte er
denn auch den Lehrstuhl der Geschichte zu Giessen. Der
428 ÖeffentUehe Sitzung vom 28. März 1870.
reiche Vorrath Spanischer und Portugiesischer Literatur,
welcher ihm in der Darmstädter Bibhothek zu Gebote stand,
reizte ihn, sich der Erforschung der Geschichte der Pyi'enäischen
Halbinsel mit Vorliebe zu widmen.
Mit einer Uebersetzung des Buches von Semxere über
die Grösse und den Verfall der Spanischen Monarchie, 1829
begann er. Dann folgte seine geschichtliche Darstellung des
Finanz- und Steuerwesens vor und während der Regierung
Ferdinands und Isabella's , im Archiv von Schlosser und
Bercht. Nun ermunterte ihn Jakob Grimm , ein grösseres
Werk zu unternehmen und empfahl ihn den Herausgebern
der Europäischen Staatengeschichte, Heeren u. ückert als
Mitarbeiter. Inzwischen erfolgte seine Berufung als Professor
der Geschichte an die Universität Giessen im Jahre 1833.
Viele Jahre hindurch wurde nun die Geschichte Portugals
das Ziel seiner Forschungen, und es ist ihm vergönnt gewesen,
sie binnen zwanzig Jahren in 5 Bänden zu vollenden. Eine
französische Uebersetzung hat sein Werk auch Franzosen
und Portugiesen zugänglich gemacht.
Sehe ich nun ab von seiner Thätigkeit als Docent und
bemerke hier nur noch, dass sein Hauptbestrebeu in den
ersten Jahren gegen die Rotteck'sche Schule gerichtet war,
so war es die Darstellung der Portugiesischen Geschichte,
die seine ganze Kraft in Anspruch nahm. Drei Jahre nach
seiner Berufung, im Jahre 1836, erschien der erste Band
dieses Werkes, die Geschichte dieses Landes bis zum Jahr
1383 umfassend, sowie nach weiteren 3 Jahren der zweite
Band. Während er mit der Fortsetzung dieses Werkes be-
schäftigt war, sah sich Heeren genöthigt, die Bearbeitung
der Spanischen Geschichte einem andern Gelehrten zu über-
tragen und übernahm er auf dessen Ersuchen auch die
Fortsetzung dieses Werkes, Sein alter Wunsch in dieser
Beziehung war somit erfüllt worden. Er liess nun seine
Arbeiten in Portugiesischer Geschichte völlig liegen und
v.DöUinger: Kel^rolog auf Heinrich Schäfer. 429
warf sich ganz auf die Spanische, in Folge dessen er 1844
den zweiten Band dieses Werkes erscheinen liess. Die
Verlagsbuchhandlung der Heeren'schen Sammlung drängte
ihn jedoch vor Allem die Portugiesische Geschichte zu
vollenden und so liess er vorerst die Fortführung der
Spaüischen Geschichte auf sich beruhen und vollendete in
3 weitern Bänden 1854 die Portugiesische Geschichte.
Nur ein Wort über die Anerkennung dieses Werkes
im Lande selbst. Hierfür als Beweis der ihm von der
dortigen Regierung unter dem Ministerium Cabrera ertheilte
hohe Orden, sowie die mannigfachen brieflichen Anerkennungen
Portugiesischer Gelehi'ten, namentlich des Vicomte de Santarem.
mit dem er Jahrelang auf das eifrigste correspondirte ;
endlich die für Portugiesen verfasste französische üebersetzung
des Werkes.
Nach Beendigung der Portugiesischen Geschichte war
sein Augenmerk wieder auf Spanien gerichtet, leider konnte
er dieses Werk nicht vollenden, es erschien vielmehr nur noch
ein Band, die Geschichte Ai-ragous bis zu dessen Vereinigung
mit Castilien enthaltend. Nach Beendigung dieses Bandes
sah er ein, dass seine Zeit für schriftstellerische Arbeiten
vorüber war, dass seine Jalire dieser Thätigkeit eine Grenze
gesteckt hatten. Er bedauerte diess namentlich, weil er
seinen letzten Wunsch in dieser Beziehung, eine Arbeit in
den Jahrbüchern der Königl. Baierischen Akademie zu ver-
öffentlichen, nicht ausführen konnte.
Seine letzten Jahre waren hauptsächlich durch Arbeiten
für das ilim noch in hohem Alter übertragene Amt eines
Direktors der Universitäts-Biuliothek ausgefüllt. Er starb
den 2. Juli 1869 im Alter von 75 Jahren nach kurzer Krank-
heit. Seit 45 Jahren war er mit Adolfine Knabe, Tochter
des Forstmeisters Knabe in Hutzdorf bei Schlitz verheirathet
und hinterliess 6 Kinder.
Eine Geschichte PortugaUs zu schreiben, war unter allen
[1870. I. 3.J 28
430 OcffenÜiche Sitzung vom 28. März 1870.
Umständen ein etwas kühner Gedanke; der Vorarbeiten gab
es nicht eben viele und bedeutende, und man kann sagen: der
Stoff war noch so gut wie unberührt , denn was bis dahin
geleistet worden, konnte kaum als Materialiensammlung noch
einige Bedeutung ansprechen , aber er war auch in hohem
Grade einladend und verlockend; ein kleines Reich, etwa
von Baierns Grösse , gegründet auf dem Schlachtfelde von
Ourique in einer Zeit, in welcher Deutschland schon auf
seine Blüthenperiode zurückblickte, erreicht Portugal unter
steten Kämpfen und einem dreissigjährigen Kriege mit Castilien
gegen Ende des 14. Jahrhunderts seine goldene Zeit und höchsten
Flor nach innen und nach aussen, also in der Periode, in
welcher Italien, Frankreich, Deutschland, England in arger
Zerrüttung lagen. Es wird nun im 15. Jahrhundert ein
Weltreich erster Grösse, die erste wahre Seemacht, gründet
zahllose Colonien in drei Welttheilen, seine Hauptstadt wird
Mittelpunkt des Welthandels, es herrscht zugleich in Brasilien,
in Ostindien, in der ganzen Westküste von Afrika. Aber
das Herz dieses Piiesenleibes, das kleine Portugal selber be-
sass doch nicht die Kräfte, diese zahllosen und weit zerstreuten
Colonien und Besitzungen zusammenzuhalten, in drei Welt-
theilen grosse Ländergebiete zu behaupten. Es erschöpfte
sich rasch. Der Schlag von 1578, die Schlacht von Alcazer
vernichtete mit der Dynastie auch die Kraft und Macht der
Nation , ihren Reichthum , ihre Literatur , ihre Freiheit und
ihren Ruhm. Ein Zusammenbruch wie dieser ist nur selten
in der Geschichte gesehen worden. Zwar ward das
Spanisclie Joch 1640 nach 60 Jahren des Elends und der
Bedrückung zerbrochen, ein nationales Königthum mit der
neuen Dynastie Braganza hergestellt, aber die grossen aus-
wärtigen Besitzungen waren unwiederbringlich verloren ; Por-
tugal hat sich nie wieder so recht erholt, und man könnte sagen,
die drei ersten Bände von Schäfer's Werk seien Gemälde
von Thaten, die zwei letzten, die Zeit von 1580 bis 1820
v.DöUinger: Nekrolog auf Heinrich Schäfer. 431
umfassend, Gemälde von Leiden. Die neueste Zeit von 1820
bis 1870, in welcher wir das Königreich unter der Regierung
deutscher Fürsten sich wieder zu geordneten und gedeihhchen
Zuständen und langem Frieden haben erheben seilen , hat
Schäfer nicht dargestellt.
In Portugal lebt noch gegenwärtig der vorzüglichste
Historiker, den dieses Land je besessen hat, Herculauo ; er
steht in den Augen seiner Landsleute auf gleicher Höhe mit
Mignet, Guizot, Ranke, und heisst: o grande historiador. Herculano
nun hat unseru Schäfer theilweise übertrofien, denn doch nicht
erreicht, aber unparteiisch beurtheilt. Er hat ihn in so ferne über-
troffen, als er bei weit grösserer Ausführlichkeit — seine vier
Bände enthalten noch nicht einmal den ganzen Zeitraum, den
Schäfer in seinem ersten Bande behandelt hat — natürlich
auch tiefer eindringt in die Quellen und ein weit vollstän-
diger ausgeführtes Bild der Zustände des Landes entwirft.
Sein Urtheil aber, das deutsche \Verk sei: o melhor livro
que contecemos relativo a historia de Portugal (Herculano,
11, 487, 1, 487) wild wohl noch lange gelten, denn voraus-
sichtHch wird weder in Deutschland noch anderswo eine
neue ebenso gründliche und vollständige Darstellung der Ge-
schichte Portugals unternommen werden. Auch wohl in
Portugal selbst nicht, denn Herculano hat sein Werk schon
seit 17 Jahren hegen lassen, um sich mit anderen mehr der
Poesie angehörigen Schöpfungen zu befassen , und er selber
beklagt es in der Einleitung zum ersten Baude seiner Ge-
schichte als eine Schande, dass Portugal sich jenem grossen
historischen Impuls noch nicht angeschlossen habe, den ganz
Europa von Deutschland empfangen habe, esse foco do saber
grave e prolündo, (diesem Heerde ernsten und tiefen Wissens).
Schäfer unternahm es auch, die von Lemke begonnene
Geschichte Spaniens weiter zu führen. Zwei Bände seiner
Fortsetzung sind erschienen , führten aber die Geschichte
dieses Landes nicht einmal bis zu Ende des ^Mittelalters ; er
28*
432 Oeff entliche Sitzung vom 38. 3Iärs 1870.
fühlte in den letzten Jahren seines Lebens nicht mehr die
Kraft in sich, einer so schwierigen und so tief eindringende
Forschung erheischenden Aufgabe zu genügen; und so be-
sitzt denn die deutsche Literatur noch imiiier kein Werk,
welches ein vollständiges Bild der Schicksale dieses merk-
würdigen und unglücklichen Landes gewährte.
Job. Xep. Bucliiuger,
geboren 1781 zu Altötting, war der Sohn eines Landgerichts-
Advokaten, 1805 in Landshut Doctor Juris. Wir finden ihn
erst als Registrator in München, dann als Sekretär in Passau,
bis er im J. 1812 in's Reichsarchiv in München eintrat,
dann 1829 Archivar in Würzburg ward, 1835 kehrte er
wieder nach München und harrte bis 1852 in seiner Stellung
am Archiv aus. Doch hat er in Würzburg und München
auch Vorlesungen über Staats- und Völkerrecht an den beiden
Universitäten gehalten. 1852 trat er TOjäJirig in den Ruhe-
stand , und erreichte so das hohe Alter von 89 Jahren. Er
starb zu München am 27. Februar 1870. Es ist ein langes,
aber höchst einfaches , gleichförmiges und geräuschloses
Dasein, das wir vor uns haben, von dessen ruhigem und regel-
mässigem Verlaufe sich nichts berichten lässt, das aber eben
darum auch in ungetrübter Zufriedenheit und stillem Glücke
dahin geflossen zu sein scheint. Buchinger hat nur zwei
umfangreichere historische Werke geliefert. Das erste war
seine Geschichte des Fürstenthums Passau, 1816 und 1824,
2 Bände.
Dieses geistliche Fürstenthum , als kirchliches Gebiet
früher von gewaltigem Umfang, als fürstliches Territorium
klein, hat eine wechselvolle, für das südöstliche Deutschland
v.DöIlinger: Nekrolog auf J oh. Nep. Buchinger. 433
bedeutungsreiche Geschichte gehabt, und es wäre eine eben
so lohnende als schwierige und weit ausgreifende Forschungen
erfordernde Aufgabe, demselben historisch gerecht zu werden.
Schon die Thatsache, dass Passau bei einer so herrlichen,
so einzig vortheilhaften Lage nicht eine viel bedeutendere
Stadt, ein grosser Handelsplatz geworden ist, bedarf der ge-
schichtlichen Erklärung. Als Kulturstätte für das Ostreich,
als Ausgangspunkt christlicher Missionen hatte Passau Jahr-
hunderte lang einen hohen, glänzenden Beruf, wiewohl der
fast tausendjährige Kampf mit Salzburg um die Metropolitan-
Würde oft störend dazwischen trat. Eingeklemmt zwischen
den übermächtigen Nachbarn Oesterreich, Baiern und Böhmen
empfand Passau mehr die Nachtheile als die Vortheile eines
zudringlichen und oft aufgenöthigten Schutzes, musste bald
dem Baierischen, bald dem Oesterreichischen Interesse dienst-
bar werden. Dazu jene Zustände, wie sie in den geistlichen
Fürstenthümern so häufig waren: wie lange rangen die Bürger
Passau's nach städtischer Freiheit und Selbstständigkeit! sie
waren einmal nahe daran sie zu erringen, unterlagen aber
zuletzt doch, dann die häufigen zwiespältigen Wahlen, durch
die Einmischung theils der Baierischen , theils der Habs-
burgischen Fürsten oft verbittert und verlängert. Auch
müsste der Historiker die Frage aufwerfen und beantworten:
warum denn Passau in den drei letzten Jahrhunderten und
in langen Zeiten eines ungetrübten Friedens, von innen und
aussen in Ruhe gelassen, als Sitz geistiger Bildung, als Pfleg-
stätte von Literatur und wenigstens kirchlichen Studien doch
auch den niedi'igst gestellten Anforderungen so gar nicht
entsprochen habe, so dass der Literarhistoriker den Namen
Passau zu nennen kaum eine Gelegenheit hat. Ich kann
nun nicht sagen, dass das "Werk unseres Buchinger viel Licht
auf die eben berührten Gesichtspunkte werfe. Es ist eine
fleissige Sammlung von mancherlei zur Geschichte Passau's
gehörigen, mitunter bedeutsamen oft aber auch gleichgültigen
434 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1870.
Notizen, vielfach nur ein Regest von Urkunden, besonders
über die Gütererwerbungen und Güterwechsel des Stiftes,
eine gute Vorarbeit, aber der rechte Historiker des Fürsten-
thums müsste erst noch kommen.
Buchiiiger's zweites grösseres Werk ist eine Monographie :
Julius Echter von Mesi3elbrunn , Bischof von Würzburg und
Herzog von Franken, Würzburg 1843. Hier ist es ein geist-
licher Fürst, dessen seltene Energie und Herrschergabe ver-
bunden mit einer freilich auch sehr gewaltthätigen und des-
potisch durchgreifenden Verfahrungsweise sein Land im Laufe
einer 44 jährigen Regierung grossentheils umgestaltet hat.
Julius war in seiner Weise und im Geiste seiner Zeit ein
grosser Reformator, ein Haupt und Führer der aus ihrer
Niederlage wieder emporstrebenden katholischen Partei,
Gründer der Liga, dabei aber auch Stifter jener Institute, auf
welche Würzburg noch heute stolz ist und denen es zum
Theil seinen Flor verdankt, der Universität und des Hos-
pitals. Beide tragen seinen Namen , und dieser Name ist
in üoterfranken wohl jetzt noch der gefeiertste nach dem
des grösseren und edlereu Franz Ludwig. Buchinger's Buch,
dessen Vorzug in der Mittheiluug eines reichhaltigen aus
dem Würzburger Archive geschöpften Materials besteht , hat
daher auch in Franken, in Würzburg am meisten Anklang
gefunden.
Am Schluss hielt Herr Preger, ausserordentliches Mit-
glied der historischen Classe einen Vortnig
„üeber die Entfaltung der Idee des Menschen
durch die Weltgeschichte."
Derselbe ist im Verlane der Akademie erschienen.
Einsendungen von Druckschriften. 435
Einsendungen von Druckscliriften.
Von der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaft eyi in
Leipzig :
a) Berichte über die Verhandlungen. Mathematisch-physikalischen
Classe. 18G7. 3. 4. 1S68. 1. 2. 3. 1869. 1. 8.
b) P. A. Hansen. Entwicklung eines neuen veränderten Ver-
fahrens'zur Ausgleichung eines Dreiecksnetzes
mit besonderer Betrachtung des Falles . in
welchem gewisse Winkel voraus bestimmte
Werthe bekommen sollen, Nr. 2. 1869, 8.
c) dto. Fortgesetzte geodätische Untersuchungen be-
stehend in 10 Supplementen zur Abhandlung
von der Methode der kleinsten Quadrate im
Allgemeinen und in ihrer Anwendung auf
die Geodäsie. 1869. 8.
d) dto. Supplement zu der geodätische Unter-
suchungen benannten Abhandlung, die Ke-
duction der Winkel eines sphäroidischen Drei-
ecks betr. Nr. 3. 1869. 8.
Von der fürstlich Jallonmcslcischen Gesellschaft in Leipzig:
Preisschriften. 16. Hermann Engelhardt : Flora der Braunkohlen-
formation im Königreich Sachsen. Mit einer Mappe enthaltend
15 Tafeln. 1370. 8.
436 Einsendungen Ton Druckschriften.
Von der Je. Je. mäJiriscJi-scTilesiscJien GesellscJiaft mr Beförderung des
AcJcerl)aues, der Natur- und L'andesJcunde in Bninn:
Schriften der historisch-statistischen Sektion. 19. Bd. Leipzig 1870. 8.
Von der Universität in Heidelberg:
Heidelberger Jahrbücher der Literatur unter Mitwirkung der vier
Fakultäten. 63. Jahrgang. 2. 3. Heft. Februar, März 1870. 8.
Von der Lese- und BedeJiälle der deutscJien Studenten in Prag:
Jaliresbericht. 1. Februar 1869 — Ende Jänner 1870. 8.
Vom Verein für GescJiicJite und ÄltertJiutnsJcunde in FranJcfurt ajM.:
a) Mittheilungen an die Mitglieder des Vereins. 4. Bd. Nr. 1.
1869. 8.
b) Oertliche Beschreibung der Stadt Frankfurt a/M. von Joh. Geoi'g
Battonn. 5. Heft. 1869. 8-
c) Neujahrsblatt, den Mitgliedern des Vereins dargebracht am
1. Januar 1870. 4.
Von der Je. AJeademie der WisscnscJiaften in Berlin:
Monatsbericht. März, April 1870. 8.
Von der pfülziscJien GesellscJiaft für TJiarmacie in Speier:
Neues Jahrbuch für Pharmacie und verwandte Fächer. Zeitschrift.
Bd. 33. Heft 4. April 1870. 8.
Von der antJiropologiscJien GesellscJiaft in Wien:
Mittheilungen. 1. Bd. Nr. 1. 2. 3. März, April, Mai 1870. 8.
Vom Museum Francisco-CaroUnum in Linz:
28. Bericht über dasselbe. Nebst der 23. Lieferung der Beiträge zul
Landeskunde von Oesterreich ob der Ens. 1860. 8.
Vom naturJiistoriscJien Verein der preussiscJien BJieinlande und West-
pJialens in Bonn:
Verhandlungen. 26. Jahrgang, 3. Folge, 6. Jahrgang, l.u. Hälfte. 1860.
Einsendungen von Druckschriften. 437
Vom Verein für siebenbilrgische LandesTcunde in Hermannstadt :
a) Jahresbericht für das Yereinsjahr 1S63 69. 8.
b) Archiv. Neue Folge. 8. Bd. 3. Hft. 9. Bd. l.Hft. 1869. 1870. 8.
c) Hermannstädter Lokal - Statuten. Festgabe den Mitgliedern
des Vereins im Jahre 1869. 8.
d) Schriftsteller-Lexikon oder biographisch-literarische Denkblätter
der Siebenbürger Deutschen von Jos. Tausch. 1. Bd. Kron-
stadt 1868. 8.
e) Harteneck, Graf der sächsischen Nation und die siebenbürg-
ischen Parteikämpfe seiner Zeit 1691 — 1703. Von Ferdinand
V. Zieglauer. 1869. 8.
Vom nassauischen Verein für XaturJaoiäe in Wiesladen :
Jahrbücher. Jahrgang 21 und 22. 1867. 136S. 8.
Von der deutschen geologischen Gesellschaft iti Berlin:
Zeitschrift. 22. Bd. 2. Heft. Februar. IMärz und April 1870.
Von der astronomischen Gesellschaft in Berlin:
Vierteljahrsschrift. 5. Jahrgang. 2. Heft. April 1870. 8.
Voyi der Societe d'histoire de la Suisse romande in Lausa7ine:
Memoires et documents. Tome 23. 1569. 8.
Von der Haagschen Genootschap tot verdediging van den christelijken
Godsdie7\st in Leiden:
Werken. Vijfde reeks. Derde deel. 1870. 8.
Von der Societe imperiale des naturdlistes in Moskau:
Bulletin. Annee 1869. Nr. 1—3. 1870. 8.
Von der Acadcmie des Sciences in Paris:
Comptes rendus hebdomadaires des seances. Tome 70. Nr. 13 — 21.
Mars— Mai 1870. 4.
Von der Eoyal asiatic Society in London:
Journal. New Series. Vol. 4. Part. 2. 1870. 8.
**
438 Einsendungen von DrucTcschriften.
Von der Societe imperiale des sciences naturelles in Cherbourg:
Memoires. Tom. 13. (Deuxieme Serie. — Tom. 3.) 1868. 8.
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram'.
Rad lugoslavenske Akademije. (Arbeiten der südslavischen Aka-
demie.) Bd. 10. 1870. 8.
Von der Geological Survey of India in CalcuUa:
a) Memoirs. Vol. 6. Part. 3. 1869. 8.
b) „ Palaeontologia Indica. V. 5 — 10. The gastropoda
of the cretaceous rocks of Southern India. 1868. 4.
c) Records Vol. I. Part. 1. 2. 3. 1868.
„ IL „ 1. 1869. 8.
d) Annual Report. Twelfth year. 1867. 1868. 8.
Von der Societe des sciences naturelles in Strassburg:
a) Memoires. Tome sixieme. 1866 — 70. 4.
b) Bulletin. 1. annee. Nr. 1—11. Janvier— Decembre 1868.
2. annee. Nr. 1 — 7. Janvier — Aoüt 1869. 8.
Von der Boyal Society in Edinburgh:
a) Transactions. Vol. 25. Part. 2. For the session 1868—69. 4.
b) Proceedings. Vol. 6. 1868—69. Nr. 77—79. 8.
Vom Museo publico in Buenos- Aires:
Anales. Entrega primera — quarta et entrega sexta. 1864—69. 4.
Von der Asiatic Societtj of Bengal in Calcutta:
a) Bibliotheca Indica: a collection of oriental vrorks. New
Series 4. 171. 174—176. 1869. 8.
b) Journal. New Series Vol. 38. Nr. 157. Part. 2. Nr. 4. 1869. 8.
Von der Geological Society in London:
Quaterly Journal. Vol. 26. February 1. 1870. Nr. 101. 8.
/
Einsendungen von Druckschriften. 439
Von der Sociite Botanique de France in Paris :
Bulletin. Tome Dix-septieme. 1870. Comptes rendus des seances. 1. 8.
Von der Societe des sciences naturelles in Neuchatel:
Bulletin. Tom. 8. Deuxieme cahier. 1869. 8.
Vom B. Comitato Geologico d' Italia in Florenz:
Bolletino Nr. 4. 5. Aprile e Maggio 1870. 8.
Von der Academia Gioenia di scienze naturali in Catania:
Atti. Serie terza Tomo 2. 1868. Tomo 43. 1869. 8.
Yon der American pharmaceutical Association in Philadelphia:
Proceedings at the seventeenth annual meeting held in Chicago,
Jll. Sept. 1869. 1870. 8.
Vom American Museum of natural history in NeiO'York:
The first annual report. January 1870. 8.
Von der Academie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de
Belgique in Brüssel:
a) Bulletin. 38. annee. 2. Serie. T. 27. 28. 1869.
39. „ 2. „ T. 29. Nr. 5. 1869. 1870. 8.
b) Memoires couronnes et memoires savants etrangers. Tome 34.
1867—1870. 4.
c) Collection chroniques Beiges inedites. Tome 2. 1. u. 2. Partie.
Tome 3. 1869. 4.
d) Memoires couronnes et autres memoires. Collection in 8.
Tome 21. 1870.
e) Annuaire 1870. Trente-sixieme annee. 1870. 8.
Von der Academie royale de medecinc de Belgique in Brüssel:
a) Memoires couronnes et autres memoires. Collection in 8.
Tome 1 (Premier fascicule.) 1870.
b) Bulletin. Annee 1869. Troisieme serie. Tom. 3. Nr. 11. 12.
Tom. 4. Nr. 1. 2. 3. 1870. 8.
440 Einsendungen von Bruckscliriften.
Vom Observatoire Boijal in Brüssel:
a) Annales. Tome 19. 1869. 4.
b) Annales meteorologiques. Troisieme quatineme annee. 1869.
1870. 4.
c) Annuaire 1870. 37. annee. 1869. 8.
Von der Societe des antiquaires de Picardie in Ämiens:
a) Memoires. Documents inedits concernant la province Tome
septieme. 1869. 4.
b) Memoires. Troisieme serie. Tom. 2. 1868. 8.
Vo7i der Societe Linneenne in Lyon:
Annales Annee 1869. Tome Dix-Septieme. 8.
Von der Äcademie imperiale des sciences, helles lettres et arts in Lyon:
Memoires. Classe des sciences. Tome dix-septieme 1869. 1870. 8.
Vom Instituto di corrispondenza archeologica in Born:
a) Aunali Vol. 41. 1869. 8.
b) Bulletino; per l'anno 1869. 8.
Vom naturforschenden Verein in Brunn:
Verhandlungen 7. Bd. 1868. 8.
Vom Offenlacher Verein für Naturkunde in Offenhach alM.
Zehnter Bericht über seine Thätigkeit vom 17 Mai 1868 bis 6. Juni
1869. 8.
Von der Schlesicig-Eolstein-Lauenlurgischen Gesellschaft für vater-
ländische Geschichte in Kiel:
Jahrbücher für die Landeskunde der Herzogthümer. Bd. 10. 1869. 8.
Zic Ft^of . Dt: ßtscho/rs Ahhaiull iihci- rh> h'-"--
des Dai(7rieTis und def grosseJi Xchc .
SUzurLgshrrichte de?' k b Äkad d. K isio I J
Sitzungsbericlite
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-pliilologische Classe.
• Sitzung vom 7. Mai 1870.
Herr Thomas übergibt die Fortsetzung^)
,,der geographischen Bemerkungen zum Reise-
buch von Schiltberger"
von Herrn Professor Bruun in Odessa.
HI.
Im dritten Kapitel (p. 57) der Neumannschen Ausgabe
erwähnt Schiltberger unter andern Ländern , wohin Bajesid
nach der Schlacht von NikopoHs einige der christlichen Ge-
fangenen geschickt habe, auch der „weissen Tartary." Nach
Neumann ist hier die Rede von dem Lande der freien Ta-
taren im Gegensatze zu den schwarzen, d. h. den unfreien,
tributpfliclitigen. Dagegen versteht Erdmann (Temudschin
der Unerschütterliche, 1862, p. 194), nach Raschid -Eddin.
unter weissen Tataren die türkischen Völkerschaften, welche
später Mongolen genannt wurden, unter schwarzen dagegen
Mongolen im engeren Sinn. ,,Die schwarzen Tataren traten
nach dem Siege über die weissen und die übrigen in eigenen
Reichen bestehenden Türken als Mongolen (d. h. unter ihrem
früheren Namen) auf, breiteten ihre Herrschaft nach dem
Osten Europas aus und bürdeten so auch den Westtürken
den Namen der Tataren auf, diejenigen ausgenommen, welche
1) Yergl. 1869. IL 271 ff.
[1870. 1. 4.] 29
442 Sitzung der pJiilos.-philöl. Classe vom 7. Mai 1870.
in Kleinasien, von ihnen unangetastet, den Namen der Türken,
als Osmanen u. s. w. mit sich nach Europa trugen."
Welche dieser beiden Ansichten auch die richtige sein
möge, weder die eine noch die andere leitet uns zu den Wohn-
sitzen der weissen Tataren, die nicht blos hier, sondern auch
an anderen Stellen des Reisebuchs besprochen werden. So
erfahren wir aus demselben:
1) dass ein ,, gewaltiger Herr in der wissen tartarey
(p. 67) mit dem Sohne Burhan-Eddins , Fürsten von
Siwas verschwägert war;
2) dass während der Belagerung Angoras durch die
wjsen Tartaren der älteste Sohn Bajazids ihren
Herrn gefangen genommen und sie gezwungen hatte,
sich dem Sultan zu unterwerfen (p. 70);
3) dass 30,000 Mann ,,von den wisen Tartarien," die Baja-
zid an die Spitze seines Heeres gestellt hatte, beim Beginn
der Schlacht von Angora zu Tamerlau übergingen (p.7 3)".
Aus allen diesen Nachrichten glaubte ich folgern zu
dürfen , Schiltbergers weisse Tatarei wäre identisch mit der
weissen Horde der mohammedanischen Schriftsteller, oder
der ,, blauen", wie diese Horde bei den Russen heisst, weil
ihre Weideplätze sich in der Nähe des blauen Meeres (des
Aralsees) befanden. Das Erbtheil der ältesten Linie der Dju-
djiden bildend , erkannte diese Horde anfänglich die Ober-
herrschaft der Goldenen Horde an, die den Nachkommen
Batus des zweiten Sohnes Djudjis gehorchte. Bald jedoch
hörte diese Abhängigkeit auf und gegen das Ende des
XIV. Jahrhunderts gelang es sogar einem Gliede der älteren
Linie , dem bekannten Tochtamysch , sich zuaa Herrn der
Goldenen Horde zu machen, nachdem er vorläufig, ndt Hülfe
Tamerlans, seinen eigenen Oheim Üruschan entthront ha.te.
Seitdem aber dieser ehrgeizige Fürst sich mit seinem Be-
schützer entzweit hatte, musste er wohl suchen mit Bajazid
in Verbindung zu treten, auf die der Sultan gern eingegangen
Thomas: Brunn zu Schiltherger. 443
sein wird , bei der auch ihn bedrohenden Macht des Be-
herrschers Djagatais. Demnach hätte er leicht dem Toch-
tamysch einige seiner Gefangenen zum Geschenk machen
können, wenn auch nur um ihm seine Theilnahme zu be-
zeugen an dem unglücklichen Ausgange des Feldzugs, den
sein Bundesgenosse kurz vor dem gfgen Tamerlan unter-
nommen hatte. Bekannt ist wenigstens , dass nach der
Schlacht am Terek (1395) eine Abtheilung des zersprengten
Heeres sich nach Kleiuasien geflüchtet hatte und dort von
Bajazid aufs Beste aufgenommen worden war. Der Anführer
dieser Truppen, Tasch-Timur gehörte selbst zur Familie der
Djudjiden und hatte die Krim als Vasall des Tochtamysch
beherrscht (Ssaweljew, Monety Djudjidow, 1858, p, 314).
Der „König von Sebast" würde demnach seiner Würde nichts
vergeben haben, wenn er ihm seine Schwester zur Frau ge-
geben hätte. In Folge dieser Verwandtschaft hätte Tasch-
Timur seinen Wohltbäter Bajazid verrathen und zur Bela-
gerung Angoras schreiten können, um später, nur scheinbar
mit dem Sultan versöhnt, Partei für seinen Landsmann zu
nehmen. In diesem Falle hätten die arabischen Autoren
Recht gehabt, denen zufolge Tamerlan seinen Sieg den im
Heere Bajazids dienenden Tataren verdankte, nicht aber,
wie es in den türkischen und persischen Quellen heisst, ge-
wissen türkischen Fürsten Kleinasiens.
Trotz aller dieser Umstände habe ich mich später davon
überzeugt, dass die Stellen des Reisebuchs, wo von ..weissen"
Tataren die Rede ist, sich nicht auf die ,, weisse"' Horde be-
ziehen, und zwar nicht blos deshalb weil Letztere bei Schiit-
berger die grosse Tartarei heisst, sondern schon aus dem
Grunde, weil seine weissen Tataren keine anderen waren,
als die durch Tamerlan besiegten Tartaros Blancos, die,
nach Clavijo (Hist. del Gran Tamorlan Madrid, 1782 p. 122
cf. 97) , ,,eran naturalem de una tierra que es entre la Tur-
quia (Kleinasien) e ia Suria."
29*
444 [Sitswig der philos.-philol. Classe vom 7. Mai 1870.
Aus dem Gesagten folgt, dass die weissen Tataren
beider Reisenden Turkomanen waren, die im östlichen Klein-
asien herumzogen , wie dies heute noch ihre Nachkommen
thun, deren Gesichtszüge ihre mongolische Abstammung ver-
ratheu (Vivien de Saint-Martin, Descr. de l'Asie-Min. II, 429).
In der That hatten sich im östlichen Theil von Cilicien,
nach der Eroberung dieser Provinz durch die baharitischen
Mameluken , zwei unabhängige turkomanische Herrschaften
gebildet, nach ihren Gründern Beni-Ramazan und Dulkadir
genannt. Adana war die Hauptstadt des ersten dieser kleinen
Staaten, Merasch die Residenz der Dulkadiriden, deren Name
noch heute die Provinz bezeichnet, die ihnen einst gehörte.
Die Selbstständigkeit beider Dynastien dauerte bis zum Jahr
1515, in welchem ihre Besitzungen durch den Sultan Selim
erobert und dem osmanischen Reiche annektirt wurden (Vi-
vien de S. M. 1. 1. I, 529).
Der Anführer der weissen Tataren Clavijos war wahr-
scheinlich ein Nachkomme Dulkadirs, da, nach Weil (Gesch.
d. Chalifen , V, 82) , Tamerlan , unmittelbar nach der Ein-
nahme von Siwas, eine Abtheilung seines Heeres gegen die
Dulkadiriden schickte, weil sie, während der Belagerung jener
Stadt sich feindselig gegen ihn benommen hatten. Einem
Gliede dieser Familie gehörten auch die Heerden, die bald
darauf von den Mongolen aus der Gegend von Palmyra weg-
getrieben wurden (1. c. 91).
Gleich den weissen Tataren des kastilischen Gesandten
waren die seines bayerischen Zeitgenossen, wenigstens zum
Theil, den Dulkadiriden unterthan. Bajased beabsichtigte
seinen ältesten Sohn Suleiman mit der Tochter Nassir-Eddins
Dulkadir zu vermählen , den er desshalb nicht umgangen
haben wird bei der Vertheilung seiner Gefangenen. Zu
demselben Nassir - Eddin , seinem Verwandten, flüchtete
sich Kasi-Burhan-Eddins Sohn, der Schwager des Königs
der weissen Tataren, nach Schiltberger. Der Bruder Nassir-
Thomas: Brunn zu Schütberger. 445
Eddins, Sadnka musste sich den Osmanen gerade um dieselbe
Zeit unterwerfen (Weil, 1. c. 74) als, nach Schütberger, die
weissen Tataren durch Bajased besiegt wurden.
Da es nun wohl keinem Zweifel mehr unterliegt, dass
auch die -weissen Tataren, durch dtren Verrath die Schlacht
von Angora zu Gunsten Tamerlans entschieden wurde, tur-
komanische ünterthanen der kleiuasiatischen Fürsten
Dulkadir und Beni-Ramazan waren, so brauchen wir nicht
mit Weil (Gesch. d, islam. Völker 437) anzunehmen, dass
ausser den Turkomanen, deren ehemalige Fürsten von
Bajasid vertrieben worden waren, noch ,, mehrere t artar-
ische Regimenter" die unter ihm dienten, während der
Schlacht zu dem Feinde übergegangen seien. "Wenigstens
ersehen wir aus dem Bericht Schiltbergers , weshalb die
morgenländischen Autoren sich zu widersprechen scheinen
hinsichtlich der Nationalität der Truppen, deren Verrath die
Niederlage der Osmanen zugeschrieben werden muss.
IV.
Unter den Städten des von Schiltberger durchwanderten
Transkaukasiens werden im 32. Kapitel (p. 99) des Reise-
buchs erwähnt: Zuchtun, die Hauptstadt Abhasiens (abkas),
und die Hauptstadt Mingreliens (megral) Kathon, die er
jedoch weiter unten (p. 158) Bothan nennt, hinzufügend,
sie läge am Ufer des Schwarzen Meeres.
Neumann hält diese Stadt für das heutige an der Münd-
ung des Rion gelegene Poti , in dessen Nähe wir auf den
italienischen Compasskarten den Namen fasso oderfaxo treffen,
der uns die Lage der Stadt Asso (statt Fasso) anzeigt, die
nach Contarini (cap. II p. 31 d. russischen Ausgabe) an der
Mündung des Fasso lag und 60 Meilen entfernt war von einer
andern mingrelischen Stadt, genannt Liati oder Varti.
Es versteht sich von selbst, dass Liati sowohl als Varti
nichts weiter sind als falsche Lesarten des Namens Vathi,
446 Sitzung der philos.-pMoh Classe vom 7. Mai 1870.
den , nach Barbaro (c. X. p. 45 d. russ. Ausg.) eine mingre-
lische am Meere gelegene Festung trug , die sowohl ihrer
Lage als ihres Namens wegen keine andere sein konnte als
das heutige Batum, an der Mündung des Saris (Lozija Tscher-
nago Morja 1866 p. 105) in welchem ich den 360 Stadien
vom Phasis entfernten FIuss Barvg Arrians gern wiederer-
kennen möchte.
Hier muss auch die Stadt „Bata en Carceche" gelegen
haben, von wo aus ,,Goigora", d.h. der Atabek Quarkuare
im Jahr 1459 dem Herzog Philipp von Burgund meldete, er
sei gesonnen die Türken zu bekriegen (Brosset, Additions etc.
409): denn dieses Bata war gewiss identisch mit der Stadt
Varti oder Vati, die nach Contarini (c. V p. 72) zu den Be-
sitzungen des Fürsten von Cakican (Achaltschik) „Gorgora"
gehörte.
Weil aus einem gleichzeitigen Briefe des Königs von
Georgien Georg VIII. an besagten Herzog von Burgund her-
vorgeht, dasB dieselbe Stadt Bata „pres de la Tente" lag,
so glaubt Brosset schliessen zu dürfen, die Verbündeten seien
auf dem Punkt gewesen ins Feld zu rücken , während der
König ohne Zweifel nur, gleich Rubruquis, das türkische
"Wort orau durch Zelt übersetzt und sagen will, nicht weit
von der Stadt habe sich die Horde oder das Lager (Hammer,
Gesch. d. Gold. Horde, 32) des Königs von Mesopotamien
Assem-Bech befunden, den er in seinem Briefe als den ,, per-
sönlichen'' Feind .,des Türken" bezeichnet und den mehrere
gleichzeitige Schriftsteller (Contarini, der Russe Nikitin, Chal-
cocondylas) einfach in der Horde (lordo, orda, ovq^o) resi-
diren lassen.
Dieser Hasan -bey oder Usun- Hasan, nicht ein Sohn
(Brosset, Add. 408) , sondern ein Enkel Kara-Jeleks (Weil,
Gesch. d. Chal. V, 306), stand damals an der Spitze der
Horde vom weissen Hammel und hatte kurz vordem einen
Feldzug nach Armenien und Georgien unternommen. Ob-
Thomas: Brmm zu Schiltberger. 447
gleich Brosset (Hist. de la Georgie, I, 686) weder in geor-
gischen Chroniken noch in französischen üebersetzuugen mu-
sulmanischer Autoren irgend eine Notiz über diesen Feldzug
gefunden hat, so kann die Thatsache nicht geläugnet werden;
denn wie hätte sonst Abul-Mahazin (cod. Berol. f. 64 ap. Weil,
1. 1. 307, 1) sagen können, Hasan habe im Jahr 863 (1458 — 9)
dem Sultan von Aegypten die Schlüssel mehrerer eroberten
Festungen Georgiens zugeschickt.
Nach Chalcocondylas erstreckte Georgien sich im XV. Jahr-
hundert bis Bathy, d. h. bis Batuoi (Brosset, Add. 106) und
umfasste demnach auch Mingrelien , das jedoch schon seit
langer Zeit seine eigenen Dadiane oder Fürsten hatte, die
sich sehr wenig um ihren Oberlehnsherrn bekümmerten
(Brosset, Hist. I, 560; cf. Rapports sur un voyage etc. VII, 44).
Bei so bewandten Umständen ist nicht daran zu zweifeln,
dass unter Schiltbergers kathon oder bothan nicht das
heutige Poti, sondern die türkische Stadt Batum verstanden
werden muss.
Dagegen habe ich mich geirrt, als ich mich zu der
Ansicht hinneigte (Notices . . . conc. la Gazarie in d. Mem.
de l'Ac. de S. P. X, 9) Batum sei identisch gewesen mit der
Stadt Bata oder Batiario , von deren Präsidenten in dem
Statut officii Gazariae vom Jahr 1449 (Sapiski Odessk.
Obschtsch. Ist. u Drewn. V, 640) zugleich mit denen von
Mapa oder Mapario (Anapa) und Matrica (Taman) die Rede ist.
Abgesehen von der grossen Entfernung dieser beiden
Städte von Batum, darf dieser Ort schon deshalb nicht mit
Bata oder Batiario identifizirt werden , weil sein Name auf
den Seekarten des XIV. und XV. Jahrhunderts nie anders
lautet als vati oder lovati.
Weit eher als mit Batum, dürfte Batiario seiner Lage
nach mit der alten Stadt Apaturia zusammenfallen, da der
Name bata, batta, auf einigen jener Karten diesseits von
lo lopa am Kuban angemerkt ist.
448 Sitzung der pMlos.-pMol. Classe vom 7. Mai 1870.
Da aber auf denselben Karten (der katalanischen und
der von Bianco) etwas weiter gegen Norden an der Ostküste
des Asofschen Meeres, bei dem heutigen Bachtar, zugleich
der Name Bagtiar zu lesen ist, so möchte es doch wohl ge-
rathener sein, dorthin das Batiario des Statuts zu versetzen,
da dieser Ort gewiss identisch war mit dem jenseits von
locopa gelegenen ,,castrum batiarii', das ums Jahr 1455 seinem
rechtmässigen Besitzer ,,illario maiini' durch den Präsidenten
,, Johannes bozius" entrissen wurde (Atti della Societa Ligure etc.
VI, p. 356, N. GL).
Was den nicht von Arrian , wie De la Primaudaie
(fitudes sur le commerce au M. A. I, 236) meint, sondern
von Strabo und Ptolemaeus erwähnten Hafen Bata anbelangt,
so entsprach er dem von Noworossiisk in der Bucht von
Tzemes oder Sudjuk-kale, dem 'IsQog-hf^irlv Ariians,